Die neue Wissenschaft des Alterns und die Suche nach dem ewigen Leben
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-608-12365-4
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fachgebiete
- Naturwissenschaften Biowissenschaften Zellbiologie
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Einleitung
Vor fast genau hundert Jahren legte eine Expedition unter Leitung des Engländers Howard Carter im Tal der Könige in Ägypten einige seit Langem verschüttete Stufen frei. Sie führten zu einem Portal mit königlichen Siegeln, ein Zeichen, dass es sich um ein Pharaonengrab handelte. Die Siegel waren unversehrt, das heißt, seit über dreitausend Jahren war hier niemand eingetreten. Vor dem, was sie dort drinnen fanden, erstarrte selbst der altgediente Ägyptologe Carter in Ehrfurcht: Die Mumie des jugendlichen Pharaos Tutanchamun mit ihrer großartigen goldenen Totenmaske hatte seit Jahrtausenden in dem Grab neben einer Fülle weiterer wunderschöner, verzierter Kunstwerke gelegen.[1] Die Gräber waren fest verschlossen gewesen, damit gewöhnliche Sterbliche dort nicht eindringen konnten – die Ägypter hatten sich große Mühe mit der Herstellung von Gegenständen gegeben, die nie dazu bestimmt waren, dass andere Menschen sie sahen.
Das prächtige Grab war Teil eines ausgefeilten Rituals, das darauf abzielte, den Tod zu überwinden. Der Eingang zu einem Raum voller Schätze wurde von einer schwarz-goldenen Statue des schakalköpfigen Unterweltgottes Anubis bewacht, dessen Funktion im Ägyptischen Totenbuch beschrieben ist. Die Schriftrolle mit diesem Buch wurde den Pharaonen häufig mit ins Grab gelegt. Man ist leicht versucht, es für eine religiöse Schrift zu halten, aber in Wirklichkeit war es eher ein Reiseführer: Es enthielt Anweisungen, wie man sich auf den heimtückischen Wegen zur Unterwelt zurechtfinden und so in ein seliges Jenseits gelangen konnte.[2] In einer der letzten Prüfungen wägt Anubis das Herz des Verstorbenen gegen eine Feder auf. Ist das Herz schwerer, gilt es als unrein, und die betreffende Person ist zu einem entsetzlichen Schicksal verdammt. Ist der Prüfling aber reinen Herzens, gelangt er in ein wunderschönes Land mit gutem Essen, Trinken, Sex und allen anderen Annehmlichkeiten des Lebens.
Mit ihrem Glauben an die Überwindung des Todes und ein ewiges Jenseits waren die Ägypter keineswegs allein. In anderen Kulturkreisen wurden zwar nicht so raffinierte Denkmäler errichtet wie für die ägyptischen Herrscher, aber in allen gab es Glaubensüberzeugungen und Rituale rund um den Tod.
Wann wurden sich Menschen zum ersten Mal ihrer Sterblichkeit bewusst? Das ist eine faszinierende Frage. Dass wir überhaupt etwas über unseren Tod wissen, ist eigentlich Zufall: Es setzte die Evolution eines Gehirns voraus, das sich seiner selbst bewusst werden kann. Höchstwahrscheinlich mussten sich dazu ein gewisses Maß an Kognition und die Fähigkeit zum Verallgemeinern entwickeln, aber auch eine Sprache, mit der diese Idee weitergegeben werden konnte. Niedere Lebensformen und auch komplexere wie die Pflanzen nehmen den Tod nicht wahr. Er tritt einfach ein. Tiere und andere empfindungsfähige Wesen dürften Gefahren und den Tod instinktiv fürchten. Sie erkennen, wenn ein Artgenosse stirbt, und in manchen Fällen weiß man sogar, dass sie trauern.[3] Aber nichts deutet darauf hin, dass Tiere sich ihrer eigenen Sterblichkeit bewusst sind.[4] Damit meine ich nicht den Fall, dass sie gewaltsam, durch einen Unfall oder eine vermeidbare Krankheit ums Leben kommen. Vielmehr meine ich die Unausweichlichkeit des Todes.
Uns Menschen wurde irgendwann klar, dass das Leben eine Art ewiges Fest ist, an dem wir seit unserer Geburt teilnehmen. Während wir uns über das Festmahl freuen, bekommen wir mit, wie andere kommen und gehen. Irgendwann sind wir mit dem Abschied an der Reihe, obwohl die Feier noch in vollem Gang ist. Und wir fürchten uns davor, allein hinaus in die kalte Nacht zu gehen. Das Wissen vom Tod ist so beängstigend, dass wir es während eines großen Teils unseres Lebens leugnen. Und wenn jemand stirbt, fällt es uns schwer, die Tatsache rundheraus einzugestehen. Stattdessen benutzen wir schönfärberische Worte wie »verschieden« oder »von uns gegangen«, die nahelegen, dass der Tod nichts Endgültiges ist, sondern nur der Übergang zu etwas anderem.
Damit die Menschen das Wissen von der eigenen Sterblichkeit besser bewältigen können, hat sich in allen Kulturen eine Kombination aus Überzeugungen und Strategien entwickelt, deren Zweck es ist, den Tod nicht als etwas Endgültiges zu betrachten. Nach Ansicht des Philosophen Stephen Cave hat das Streben nach Unsterblichkeit die menschliche Zivilisation seit Jahrhunderten vorangetrieben.[5] Unsere Bewältigungsstrategien teilt er in vier »Pläne« ein. Der erste, Plan A, besteht einfach darin, für immer oder zumindest so lange wie möglich zu leben. Wenn das nicht klappt, besteht der Plan B in der körperlichen Wiedergeburt nach dem Tod. Im Plan C zerfällt der Körper und kann nicht wieder auferstehen, aber unser Wesen bleibt als unsterbliche Seele erhalten. Plan D schließlich bedeutet, dass wir in unserem Erbe weiterleben, ob es nun aus Werken und Denkmälern oder aus unseren biologischen Nachkommen besteht.
Den Plan A haben die Menschen immer in ihr Leben eingebaut, aber auf die anderen Pläne greifen die Kulturen in unterschiedlichem Ausmaß zurück. In Indien, wo ich aufgewachsen bin, machen Hindus und Buddhisten sich fröhlich den Plan C zu eigen und glauben daran, dass jeder Mensch eine unsterbliche Seele hat, die nach dem Tod als Reinkarnation in einem neuen Körper und sogar in einer ganz anderen Spezies weiterlebt. Die abrahamitischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – halten sich an die Pläne B und C. Sie glauben an eine unsterbliche Seele, aber auch an den Gedanken, dass wir irgendwann in der Zukunft körperlich auferstehen und gerichtet werden. Vielleicht ist das der Grund, warum diese Religionen traditionell darauf bestanden haben, den ganzen Körper zu bestatten, während die Einäscherung verboten war.
Manche Kulturen, so auch die alten Ägypter, gingen auf Nummer sicher, indem sie alle vier Pläne in ihre Glaubensüberzeugungen aufnahmen. Sie legten Mumien der verstorbenen Pharaonen in prachtvolle Gräber, damit sie im Jenseits körperlich wieder auferstehen konnten. Sie glaubten aber auch an eine Seele, Ba genannt, die das Wesen des Menschen darstellt und nach dem Tod weiterlebt. Eine ähnliche Haltung zur Unsterblichkeit nahm auch Qin Shi Huang ein, der erste Kaiser des vereinigten China.[6] Nachdem er vielen Anschlägen auf sein Leben entgangen war, andere Staaten in Kriegen erobert und seine Macht gefestigt hatte, war er darauf aus, das Lebenselixier zu finden. Er schickte Gesandte aus, die noch den leisesten Gerüchten darüber nachgehen sollten. Wenn sie es nicht fanden, drohte ihnen die sichere Hinrichtung, also machten sich viele von ihnen verständlicherweise davon, und man hörte nie wieder etwas von ihnen. In einer extremen Kombination der Pläne B und D gab Qin auch den Befehl, für ihn in Xian ein Mausoleum von der Größe einer Stadt zu bauen, eine Arbeit, an der 700 000 Männer mitwirkten. In der Grabstätte befand sich eine Armee von 7000 Kriegern und Pferden aus Terrakotta, die alle den verstorbenen Kaiser bis zu seiner Wiedergeburt bewachen sollten. Qin starb 210 v. u. Z. im Alter von 49 Jahren. Ironischerweise wurde sein Leben vermutlich durch giftige Tränke verkürzt, mit denen er sein Leben verlängern wollte.
Im 18. Jahrhundert, mit dem Beginn von Aufklärung und moderner Naturwissenschaft, änderte sich unser Umgang mit dem Tod. Viele von uns halten zwar noch heute an irgendeiner Form der Pläne B und C fest, aber nach dem Aufstieg von Rationalität und Skeptizismus sind wir uns in unserem Innersten nicht mehr sicher, ob es sich dabei um echte Alternativen handelt. Unsere Aufmerksamkeit hat sich auf die Suche nach Wegen verlagert, am Leben zu bleiben und nach unserem Tod unser Erbe zu sichern.
Es ist eine seltsame Facette der menschlichen Psychologie: Selbst wenn wir anerkennen, dass wir irgendwann nicht mehr da sein werden, empfinden wir ein starkes Bedürfnis, in Erinnerung zu bleiben. Sehr reiche Menschen engagieren sich, statt sich Grabstätten und Denkmäler errichten zu lassen, gemeinnützig und finanzieren Bauwerke oder Stiftungen, die sie lange überdauern werden. In Schriftstellerei, Kunst, Musik und Wissenschaft haben Menschen zu allen Zeiten mit ihren Werken nach Unsterblichkeit gestrebt. Aber durch unser Erbe weiterzuleben, ist letztlich keine ganz und gar befriedigende Aussicht.
Aber auch wer weder ein mächtiger Monarch noch Milliardär oder Einstein ist, braucht nicht zu verzweifeln. Der zweite Weg, ein Erbe zu hinterlassen und in Erinnerung zu bleiben, steht nahezu allen Lebewesen offen: Sie bringen Nachkommen hervor. Der Wunsch, sich fortzupflanzen, sodass ein Teil von uns weiterlebt, gehört zu den stärksten biologischen Instinkten, die sich in der Evolution entwickelt haben, und spielt in unserem Leben eine so zentrale Rolle, dass darüber später noch viel mehr zu sagen sein wird. Aber auch wenn wir unsere Kinder und Enkel lieben und wollen, dass sie noch lange leben, wenn wir nicht mehr da sind, wissen wir doch, dass sie eigenständige Lebewesen mit einem eigenen Bewusstsein sind. Sie sind nicht wir.
Dennoch leben die meisten Menschen nicht in ständiger Existenzangst wegen ihrer Sterblichkeit. Offenbar hat sich in der Evolution unseres Gehirns ein Schutzmechanismus entwickelt: Der Tod ist für uns etwas, das anderen zustößt, aber nicht uns selbst.[7] Verstärkt wird die Täuschung durch die Absonderung von Sterbenden. Früher waren wir überall um uns herum mit sterbenden Menschen...