Raina | Bekenntnisse eines Betrügers | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 400 Seiten, eBook

Raina Bekenntnisse eines Betrügers

E-Book, Deutsch, 400 Seiten, eBook

ISBN: 978-3-0369-9490-1
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Bildungsberater' steht auf der Visitenkarte des jungen Inders Ramesh. Das klingt besser als 'professioneller Prüfungsbetrüger', denn sein Job ist es, für Indiens reichste Teenager diverse Examen abzulegen. Skrupel? Wozu? Moral ist eine Erfindung des Westens! Außerdem hat sich Ramesh seine Bildung hart erkämpft und möchte unter keinen Umständen in die bettelarmen Verhältnisse seiner Kindheit zurückkehren. Als er eines Tages bei den nationalen Uni-Aufnahmeprüfungen den ersten Platz belegt, macht er seinen Klienten, den 18-jährigen Rudi, über Nacht zum berühmtesten Mann ganz Indiens. Ausgelassen genießen die beiden das Leben in der Welt der Reichen und Schönen, treten aber den falschen Leuten auf die Füße und schlittern so in eine rasante Hetzjagd von Kidnapping und Erpressungen.

Rahul Rainas Leben spielt sich zwischen Delhi und Oxford ab: In England leitet der Autor sein eigenes Beratungsunternehmen, in Indien arbeitet er für Wohltätigkeitsorganisationen und unterrichtet Englisch. Sein Debütroman 'Bekenntnisse eines Betrügers' schrieb er in der brütenden Hitze Neu-Delhis.
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EINS
Das erste Kidnapping war nicht meine Schuld. Alle weiteren – das war definitiv ich. Ich war umgeben von einem Meer brauner Flaschen. Rudi lag neben mir auf dem Boden, Spritzer von Erbrochenem im Gesicht. Ich hätte besser auf ihn aufpassen sollen. Rudi hatte Koks geschnupft, eine fiese westliche synthetische Droge. Was war falsch an unseren Drogen, den sanften, natürlichen orientalischen, wie Opium oder Khat? Dieses schicke Scheißzeug. Die Saraswati-Statue starrte uns schlecht gelaunt aus der Ecke an. Es stank nach den Kampfer-Räucherstäbchen, die ich besorgt hatte, um den schalen Geruch von Bier, Schweiß und mit Kurkuma gewürztem Streetfood zu übertünchen. Rudis Apartment hatte – wie es in unseren elitären Kreisen so schön heißt – echte Klasse. Flachbildschirme, Seidenteppiche, moderne Kunst an den Wänden. Geschmackvolle indirekte Deckenbeleuchtung. Es war zehn Tage vor diwali. Überall stapelten sich Geschenke von Fans, Werbeagenturen, Politikern. Präsentkörbe, Schachteln mit Süßigkeiten, Blumensträuße, japanische Elektronik, Grußkarten vollgestopft mit Geldscheinen. Es war einer jener schwül-heißen Nachmittage, an denen sich alle am Hinterteil kratzen und das BIP unserer großartigen Nation wieder mal den Zielen der Weltbank nachhinkt. Eigentlich bin ich nicht so der Trinker. Aber ständig in Rudis Nähe zu sein, ihn zu beaufsichtigen, ihm den Rücken freizuhalten, zu verhindern, dass die Medien etwas von seinem Zustand mitkriegten, hatte seinen Tribut gefordert. Ich fühlte mich schuldig wegen alledem, vor allem war ich genervt, weil ich keine Zeit mit der Frau verbringen konnte, die ich liebte – tja, und das alles hatte bereits Konsequenzen. An diesem einen verdammten Tag hätte ich wirklich wachsam sein müssen, war es aber nicht gewesen. Es war ein Uhr nachmittags. In drei Stunden würde der Wagen vorfahren, um uns ins Studio zu bringen. Noch vier Stunden bis zu Rudis Auftritt vor der indischen Nation, strahlend und geschminkt, in der beliebtesten Gameshow des ganzen beschissenen Landes, Beat the Brain. Ich griff nach einer Flasche mit irgendwas drin, um mich aufzuputschen. Ich erwischte ein Bier, warm wie Katzenpisse, als genau in dem Moment die Tür nach innen explodierte. Arme reckten sich in die Wohnung, um das eine Scharnier abzureißen, das die Tür noch im Rahmen hielt. Ich hörte ein leises, heiseres Fluchen. Ich krabbelte herum, versuchte, auf die Beine zu kommen. Brachte aber nichts Besseres zustande, als wieder auf dem Rücken zu landen, mit den Armen und Beinen in der Luft zu zappeln wie ein umgestürzter Büffel. »Rudi! Wach auf, Rudi! Jemand versucht …«, flüsterte ich. Meine Kehle war ausgetrocknet und nutzlos. Schließlich gab die Tür nach, ächzend wie ein Fünfzigjähriger im Fitnessstudio. Erneut versuchte ich zu schreien. Meine Lippen bewegten sich, aber es kam kein Laut heraus. Ein Mann kam herein, gekleidet wie ein Krankenpfleger, je einen Klapprollstuhl unter den Armen. Er lächelte angesichts des erbärmlichen Bilds, das wir beide abgaben. Wack, wack!, machte der Totschläger. Ich schrie, und als ich Blut schmeckte, gleich noch mal. Ich bekam eine chirurgische Maske ans Gesicht geschnallt, in die ich vergeblich etwas hineingurgelte. Ich leistete keinen Widerstand. Tat gar nichts. Ich wurde hochgehievt und auf einen Rollstuhl geschnallt. Ich sah seine gelben Zähne, darunter eine Halskette aus schwarzen Gebetsperlen wie Schrumpfköpfe. Dann sagte eine Stimme: »Keinen Mucks, oder der Dicke kriegt eine verpasst.« Sollte das eine Drohung sein? Offenbar missverstand er meine Beziehung zu Rudi. Rudi wurde nicht mal wach. Das war damals, als ich noch meinen Finger hatte. Ich vermisse das kleine Ding. An einem Punkt im Lauf der Geschichte mussten sie einen Beweis liefern, dass wir noch am Leben waren, und was gab es da Geeigneteres als den kleinen Finger des treuen Lakaien? Sie hackten ihn mit einem Messer ab, das man in den dhabas zum Schneiden von Gemüse benutzt; eine dieser Klingen, mit denen an Marktständen große Korianderbüschel zurechtgestutzt werden. All das lehrte mich eine Lektion: Wenn du einen Jungen erpresst, um einen Anteil seines Reichtums abzukriegen, hackt man dir deine verfluchten Gliedmaßen ab. Ich vermisse den Finger. Es war ein guter Finger. Scheißdelhi. Scheißindien. Es ist nicht wie in diesen Filmen, das müsst ihr wissen, die als Komödien beginnen, in denen Shah Rukh und Preity Uni-Freunde sind, und nach der Pause kriegen alle Krebs, und die Mütter flennen über die verlorene Familienehre, bis am Schluss eine Hochzeit gefeiert wird, auf der alle ihre Sorgen wegtanzen. Das hier ist kein Melodrama. Mir wurde lediglich ein Finger abgehackt. Und es gab eine Reihe von Kidnappings. Keine Mütter, die dir Schuldgefühle einreden wollen. Keine Tränen. Keine emotionalen Verwicklungen, okay? Nur ein totales khichdi von Anfang bis Ende. Es hatte alles so harmlos begonnen. Eine Million dreihunderttausend Rupien. Mehr war für mich nicht drin. Für vier Wochen fieberhaftes, schweißtreibendes Lernen, jeden Tag vierzehn Stunden, damit das verzogene Balg auf eine Uni nach Wahl seiner Eltern gehen konnte. Jetzt denkt ihr wahrscheinlich: Eine Million dreihunderttausend Rupien, Ramesh, das ist doch ein Haufen Geld! Du verdienst mehr als siebenundneunzig Prozent aller Inder, zumindest laut Angaben des Finanzamtes. Also warum beklagst du dich? Weil ich brav meine Steuern zahle. Klar, ich weiß, es ist bescheuert von mir. Und weil ich ein gehetztes Leben führe, in dem jedes Jahr mein letztes sein könnte, weil ich ständig aufzufliegen drohe, jedes Klopfen an der Tür vielleicht die Polizei ist, und das alles für einen Fliegenschiss von 1,3 Millionen gandhis – in Ordnung, schon gut, ich jammere, weil ich gerne jammere, schließlich ist es das Geburtsrecht eines Delhi-Boys, und dieses Recht gedenke ich zu ehren. Ich habe den Jungen dreifach getroffen – nein, dreimal, denn niemand sagt »dreifach treffen«, wie Claire mich belehrt hätte. Ich hasste seinen Namen vom ersten Moment an. Rudi. Rudraksh. Scheißrudraksh. Wer nennt sein Kind so? Weiße Sechzigerjahre-Hippies. Klingt wie der Nachwuchs von Filmstars – diese Kids mit Millionen Followern auf Instagram und einer Louis-Vuitton-Sucht. Klingt wie ein Klebstoff oder ein Putzmittel: der kraftvolle, gründliche Allzweckreiniger, Freund der Hausfrau, nur neunundvierzig Rupien. Rudis Eltern hatten ein hübsches kleines Apartment in der Nähe von Green Park – nicht gerade die allerbegehrteste Gegend, aber auf dem Weg dorthin. Ein aufstrebender Stadtteil, würden Immobilienmakler sagen, genau das Richtige für all diejenigen, die auf dem Sprung nach oben sind. Man fuhr Honda und Lexus, aber noch keine deutschen Karossen. Bei meinem ersten Besuch trug ich eine Tasche mit der Aufschrift DeliveryFast – daher keine lästigen Fragen an den Toren, keine zeitraubenden Kontrollen, ich wurde einfach durchgewinkt. Ich spielte den Pizzaboten. Sehr kontinental. Sehr schick. Ich erhob mich über meinen Stand, wie die Briten in den alten Filmen immer sagen, in denen sie arme Tagelöhner schlagen, weil die ihren jungfräulichen Töchtern schöne Augen machen. Rudis Vater war fett und trug ein Hemd mit dem Logo seines Golfclubs. Er war reich. Natürlich war er das. Wenn man fett und Inder ist, ist man reich; wenn man fett und arm ist, dann lügt man. Nur im Westen sind die Reichen dünn, vegan und moralisch. Seine Frau trug das übliche eng anliegende rosa Jogging-Outfit. Ihr Zuhause war ausgestattet mit Unmengen von Naturstein, altertümlichen Wandteppichen mit vagen Anklängen an das Mogulreich, einem prunkvollen Gebetsschrein neben der Wohnungstür, mediterranen Porzellanstatuen, Marmorgöttinnen in brünstigen Posen. Es hatte drei Schlafzimmer, Kostenpunkt auf dem Markt schätzungsweise vier crore. Ich hasste den Jungen auf Anhieb. Überbiss, fettige Gesichtshaut, Schweinsäuglein. Kein bisschen wie der echte Rudraksh, der furchterregende, allwissende, Köpfe abhackende Avatar von Shiva. Ich bin zu hart mit ihm. Wisst ihr, was mein eigentliches Problem mit ihm war? Dass es keines gab. Er war normal. Durchschnittlich. Achtzehn Jahre alt. In den letzten fünf Jahren hatte ich mit Hunderten seiner Art zu tun gehabt. »Also«, sagte Rudis Vater. Seine Augen kullerten in seinem Schweineschädel, der voller masturbatorischer Fantasien darüber war, auf welch niedriges Honorar er mich herunterhandeln würde. »Also«, wiederholte Rudis Mutter, als ob alles besser wäre als das. Lieber würde sie mit ihrer Schwiegermutter über den Zustand ihrer Ehe reden, oder Yoga nach Art der Weißen machen, bei der man den ganzen Ganges ausschwitzte (den Ganges? Solche Sprüche habe ich mir zugelegt). Noch schlimmer wäre jedoch: über meine Hoffnungen, Ängste und Ambitionen zu sprechen. Gott sei Dank hielt sich das Vorspiel in Grenzen. Ich fing sofort an, meine Nummer abzuziehen. Ramesh Kumar – Bildungsberater. So steht es auf meiner Visitenkarte. Sie wollen, dass Ihr kleiner Liebling 99,4 Prozent der Prüfungsfragen richtig beantwortet, ein Absolvent des Indian Institue of Technology wird und über den Rest von uns herrscht? Dann kommen Sie zu mir. Sie wollen, dass Ihr kleiner Racker bis an die Spitze der staatlichen Verwaltung aufsteigt, einen Durchmarsch in ein Eckbüro an der Wall Street...


Wagner, Alexander
Rahul Rainas Leben spielt sich zwischen Delhi und Oxford ab: In England leitet der Autor sein eigenes Beratungsunternehmen, in Indien arbeitet er für Wohltätigkeitsorganisationen und unterrichtet Englisch. Sein Debütroman "Bekenntnisse eines Betrügers" schrieb er in der brütenden Hitze Neu-Delhis.

Raina, Rahul
Rahul Rainas Leben spielt sich zwischen Delhi und Oxford ab: In England leitet der Autor sein eigenes Beratungsunternehmen, in Indien arbeitet er für Wohltätigkeitsorganisationen und unterrichtet Englisch. Sein Debütroman "Bekenntnisse eines Betrügers" schrieb er in der brütenden Hitze Neu-Delhis.

Rahul Rainas Leben spielt sich zwischen Delhi und Oxford ab: In England leitet der Autor sein eigenes Beratungsunternehmen, in Indien arbeitet er für Wohltätigkeitsorganisationen und unterrichtet Englisch. Seinen Debütroman Bekenntnisse eines Betrügers schrieb er in der brütenden Hitze Neu-Delhis.Alexander Wagner ist u. a. der Übersetzer von Bruce Springsteen und hat für Kein & Aber bereits Phil Hogan und Bob Odenkirk übersetzt.


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