Primor | Weit war der Himmel über Palästina | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 335 Seiten

Primor Weit war der Himmel über Palästina

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7325-8640-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 335 Seiten

ISBN: 978-3-7325-8640-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Drei Familien, ein Land - der große Palästina-Roman 1869: Für Palästina ist es eine Zeit voller Umbrüche - Umbrüche, unter denen viele Familien leiden. Neta und David, ein junges jüdisches Paar, kommen aus Odessa nach Jerusalem. Die Templer Oswald und Gertrud finden aus dem protestantischen Württemberg den Weg ins Heilige Land. Mustafa und Raissa leben als Muslime in Jaffa. Sie sind unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Herkunft und werden doch gemeinsam mit dem Jerusalemer Zeitungsherausgeber Pinchas Goren zu Pionieren. Wird es ihnen gelingen, ihre Freundschaft über die Generationen zu bewahren? Seit Jahrtausenden siedeln Menschen an der südöstlichen Küste des Mittelmeers. Kanaaniter, Philister, Israeliten, Assyrer, Babylonier, Perser, Ptolemäer, Seleukiden, Römer, Byzantiner, muslimische Araber, Kreuzritter und Osmanen - die Folge der Völker und Reiche ist unüberschaubar. Heute erheben sowohl die Israelis als auch die Palästinenser Anspruch auf das Gebiet, berufen sich jeweils auf ihre Abstammung und Geschichte und stehen sich mit ihren Interessen schier unvereinbar gegenüber. Es gab jedoch auch eine Zeit des Miteinanders. Ende der 1860er-Jahre. In diese Zeit führt Avi Primor seine Leser zurück, um von hier die Geschichte dreier befreundeter Familien bis zum UNO-Beschluss zum Ende des britischen Mandats über Palästina und die Gründung zweier Staaten im Jahr 1947 zu erzählen. Sie sind unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Herkunft, arbeiten aber zusammen, verlieben sich und heiraten. Sie leben in ihrer Zeit und mit ihren Herausforderungen, finden im Kleinen aber immer wieder das Glück, das das Leben lebenswert macht. Ein dokumentarischer Spielfilm könnte kaum eindrücklicher sein. Ein Aufruf zu friedlichem Miteinander.


Avi Primor, 1935 als Sohn eines niederländischen Emigranten und einer deutschen Mutter in Israel geboren, war von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland. Nach vielen Jahren im diplomatischen Dienst leitet Primor heute einen trilateralen Studiengang für israelische, palästinensische und jordanische Studenten in Israel und Düsseldorf.

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1
Jerusalem — 1869 — Ein heller Schrei riss Nadja aus dem Schlaf. Rachel stand im Hemdchen am Fenster zur Straße. Es hörte sich an, als würde die Kinderstimme gleich die Scheibe zerbersten lassen und die Splitter auf die Gasse hinausschleudern. Nadja sprang aus dem Bett und eilte zu ihrer Tochter. Mit einem erleichterten Seufzer stellte sie fest, dass Rachel keine Schreckensschreie, sondern Freudenrufe ausgestoßen hatte. Das Kind hatte eine Kolonne türkischer Reiter entdeckt, die rote Feze und Paradeuniformen trugen. Durch die Gassen der Stadt, die sich als den Mittelpunkt der Welt betrachtete, ritten sie zu der Zitadelle hinauf, deren hoch aufragendes Minarett von den Juden Davidsturm genannt wurde. Inzwischen war auch Dimitrij aufgewacht. Schlaftrunken rieb er sich die Augen, als er zu ihnen trat. Er öffnete das Fenster, und laute Stimmen und Rufe drangen zu ihnen. Das Schauspiel, das seine Tochter entzückte, schien ihn nicht sehr zu überraschen. »Weißt du, was heute los ist?«, fragte Nadja. »Ihr in der Redaktion erfahrt doch immer alles.« Dimitrij brummte und strich sich das verstrubbelte Haar zurück. Zu Nadjas Freude hatte er nicht lange nach ihrer Ankunft aus Odessa eine Anstellung bei einer hebräischen Wochenzeitung gefunden, mit der er die Familie einigermaßen ernähren konnte. Dem Herausgeber der Zeitung, Pinchas Goren, einem der wenigen reichen Juden in Jerusalem, lag es am Herzen, Hebräisch als Umgangssprache seiner Glaubensgenossen zu etablieren. Bisher war die Sprache der Thora wie das Latein in der katholischen Kirche nur noch im Gottesdienst benutzt worden. Goren war einige Jahre vor Dimitrij und Nadja aus Odessa nach Jerusalem gekommen. In verhältnismäßig kurzer Zeit war es dem geschickten Geschäftsmann gelungen, als Importeur von Nahrungsmitteln unter anderem aus Ägypten zu einigem Vermögen zu gelangen. Der fünfzigjährige Witwer hatte keine Kinder und lebte relativ bescheiden in einem Haus im jüdischen Viertel. Eine Zugehfrau besorgte ihm den Haushalt. Unter großen Mühen war es Goren gelungen, eine kleine Druckerei zu gründen. Dort wurden nun die Chadschot Ha’jischuw gedruckt, die Nachrichten für die jüdische Gemeinschaft, und meist gratis in einigen Hundert Exemplaren unter den gebildeten Juden in Jerusalem verteilt. Dimitrij hat ihm gleich gefallen. Er war zwar nicht fromm, hatte aber in Russland eine religiöse Erziehung genossen und gehörte zu den wenigen jungen Leuten in der Stadt, die über eine solide jüdische Bildung verfügten. Goren hatte ihn zum Redakteur seiner zweiseitigen Wochenzeitung ernannt und zahlte ihm ein kleines Gehalt. Dimitrij gähnte und streckte seine lange, schlaksige Gestalt. »Es gibt da ein Gerücht«, sagte er. »Der Gouverneur von Jaffa soll sich mit seinem Kollegen hier zu einem wichtigen Gespräch treffen.« Er strich sich die dunklen Locken hinter die Ohren, die ein wenig vom Kopf abstanden, als wollten sie beständig lauschen. Wie die anderen Einwohner Jerusalems ahnte er nicht, dass diesem wichtigen Gespräch weitere Ereignisse folgen sollten, die alle nur der Vorbereitung eines Staatsbesuchs dienten, wie man ihn seit der Eroberung Jerusalems durch die Türken oder gar seit der Zerstörung der Stadt vor fast zweitausend Jahren nicht gesehen hatte. »Vielleicht weiß ich heute Abend mehr«, sagte er, als er sein Frühstück beendet hatte. Er zog die dunkelblaue Jacke über und griff nach seiner Tasche. Das braune Rindsleder war vom vielen Tragen ein wenig speckig geworden, aber er hing an dieser Tasche – sie war ein Geschenk seiner Eltern, und er hatte sie aus der Heimat mit hierhergebracht. Er musste sich leicht bücken, um seiner zierlichen Frau einen Abschiedskuss geben zu können. Rachel auf Nadjas Arm spitzte das breiverschmierte Mündchen. »Ja, du natürlich auch«, sagte Dimitrij und küsste sie auf die Wange. Dann warf er seiner Frau einen besorgten Blick zu. »Ist etwas, Nadja?« »Nein, nein.« Nadja senkte den Blick und schob ihn mit der freien Hand aus der Tür. Sie wusste selbst, dass ihre früher strahlend blauen Augen von ihrem Glanz eingebüßt hatten. Sie sah ihm nach, bis er um die Straßenecke verschwunden war. Rachel schmiegte ihr Köpfchen an ihren Hals, und ein tiefes Glücksgefühl durchströmte die junge Frau. Die Kleine war ihr einziges Kind und ihr größtes Glück in diesem gottverlassenen Jerusalem, einer verarmten, verwahrlosten Stadt mit zehntausend Einwohnern, deren enge, verwinkelte Gassen fast achthundert Meter über dem Meer lagen und nur auf Maultierpfaden erreicht werden konnten. An dieser Stadt konnten nur Verrückte oder unentdeckte Genies wie Dimitrij Gefallen finden. Nur aus Liebe zu ihm hatte Nadja das schöne Odessa verlassen und sich auf diese Reise ins Ungewisse begeben. Drei Jahre waren seit ihrer Ankunft in Jerusalem vergangen, und seither hatte sich ihr ganzes Leben um ihre Schwangerschaft und ihre Tochter gedreht. Kontakte hatte Nadja hier nur wenige, und sie vermisste ihre Freunde in Russland. Nach ihrer Ankunft im November 1866 waren sie zunächst in eine winzige Behausung im jüdischen Viertel gezogen, die entfernten Verwandten gehörte, die vor der winterlichen Kälte ins 70 Kilometer entfernte Jaffa geflohen waren, ans Mittelmeer, wo ein milderes Klima herrschte. Danach hatten sie in einer Seitenstraße des Hurva-Platzes eine Einzimmerwohnung von zehn Quadratmetern angemietet. Sie war klein, schäbig und ärmlich möbliert und lag in einem lang gestreckten Gebäude, in dem sich noch mehrere Wohnungen dieser Art befanden. Die einzige Tür ging auf den Hof hinaus, der von allen Mietern gemeinsam benutzt wurde. Ein stinkender Petroleumofen diente zum Kochen und Heizen. Um dem Geruch zu entgehen, musste man die Tür aufreißen, da das einzige Fenster zum Lüften nicht reichte. Nachts schlief die kleine Familie ohne Heizung, weil es zu gefährlich war, die Tür zum Hof offen zu lassen. Eines der Probleme, mit denen sie jahrelang zu kämpfen hatten, war der Wassermangel. Da es in der Umgebung keine Flüsse oder Seen gab, war Jerusalem auf Brunnen und Zisternen angewiesen. Die Brunnen lagen außerhalb der Stadt, und in Dürrejahren reichte das Wasser, das von dort geholt wurde, kaum für den minimalen häuslichen Bedarf. Dennoch kam die neue Wohnung dem jungen Paar im Vergleich zu ihrer ersten Behausung wie ein Palast vor. »Das erinnert mich an eine Geschichte, die meine Eltern in Russland erzählten«, hatte Nadja nach dem Umzug zu ihrem Mann gesagt. »Ein armer Jude hauste mit seiner Frau und seinen vier Kindern in einem winzigen Stübchen. Als er die drangvolle Enge und die stickige Luft nicht mehr ertragen konnte, bat er den Rabbiner der Gemeinde um Rat. Der weise Mann dachte ein wenig nach und fragte: ›Habt ihr eine Ziege?‹ ›Ja‹, entgegnete der Jude. ›Und wo wohnt die Ziege?‹, erkundigte sich der Rabbiner. ›Im Hof‹, erwiderte der geplagte Familienvater. ›Dann nehmt die Ziege mit in eure Stube‹, entschied der Rabbiner. Der Mann sah ihn erschrocken und verwirrt an, aber das Wort des Rabbiners war ihm Befehl. Es dauerte nicht lange, bis der Jude weinend vor dem Rabbiner stand. ›Die Ziege nimmt uns das letzte bisschen Luft weg‹, jammerte er. ›Sie stinkt und macht überall hin. Wir halten das nicht mehr aus!‹ ›Gut‹, sagte der Geistliche, ›jetzt könnt ihr die Ziege wieder in den Hof bringen.‹ Am nächsten Schabbat trat der Jude nach dem Gottesdienst zum Rabbiner und hatte Freudentränen in den Augen. ›Rabbi, ich kann Euch nicht genug für Euren Rat danken! Seit wir die Ziege los sind, geht es uns viel besser. Wir fühlen uns wie im Paradies!‹« Nadja seufzte. Irgendwann würde sie akzeptieren müssen, dass sie ihr Leben in Palästina verbringen würde – an der Seite der beiden Menschen, die ihr das Liebste auf der Welt waren. Sie lächelte ihr Töchterchen an und machte sich an die Hausarbeit. Gedankenverloren schritt Dimitrij durch die Gassen. Es nieselte leicht, und er beschloss, einen kleinen Umweg über den Suk zu machen. Dort waren viele Straßen überdacht, und so blieb er wenigstens trocken. Die Metzger, Bäcker und die Obst- und Gemüsehändler waren noch dabei, ihre Stände zu öffnen. Rufe und Gelächter schallten hin und her, während die Waren ihren Platz fanden. »Marhaba«, grüßte Dimitrij den Gewürzhändler, an dessen Stand er immer kurz innehielt, wenn er hier entlangkam. Das Gesicht des alten Arabers unter dem ausgeblichenen Turban verzog sich mit unzähligen Runzeln zu einem Lächeln, und er nickte zum Gruß. Dimitrij ließ den Blick über die farbenprächtige Auslage gleiten und sog tief den Duft ein, den Kardamom, Kreuzkümmel, Paprika, Zimt, Anis und andere farbenprächtige Gewürze verströmten. Er nickte freundlich zum Abschied und ging weiter. Als er wieder aus dem Suk heraustrat, regnete es stärker. Er hielt sich die Tasche über den Kopf und eilte durch die engen Gassen die letzten Meter zur Redaktion. Diese befand sich im muslimischen Viertel in der El-Wad-Straße. Das lang gestreckte Gebäude und der dahinter liegende Garten waren von einer Mauer umgeben. Dort hatte Pinchas Goren unter seinem Büro auch ein Zimmerchen für die Redaktion der Chadschot Ha’jischuw angemietet. Der Staub, den Füße, Hufe und Karrenräder tagsüber auf der Straße aufwirbelten, hatte sich gelegt, als Dimitrij am Abend den Heimweg antrat. Seit Wochen trug er ein Problem mit sich herum, über das er mit Nadja noch nicht zu sprechen gewagt hatte. Er sollte seinen Namen ändern! Das war der Wunsch seines Chefs. »Ich bitte dich um eines«, hatte Pinchas Goren zu ihm gesagt. »Als...



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