Buch, Deutsch, 400 Seiten, Format (B × H): 170 mm x 240 mm, Gewicht: 720 g
Reihe: Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters
Studien zur Überlieferung und Rezeption eines frühhumanistischen Werkes im 15. und 16. Jahrhundert
Buch, Deutsch, 400 Seiten, Format (B × H): 170 mm x 240 mm, Gewicht: 720 g
Reihe: Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters
ISBN: 978-3-7520-0625-4
Verlag: Reichert Verlag
Lange Zeit galt ›De casibus‹ als ästhetisch anspruchsloses und rein ›erbauliches‹ Werk, das vom Genius des ›Dekameron‹-Schöpfers nichts mehr erkennen ließe. Ein genauerer Blick auf den Text zeigt demgegenüber jedoch, dass es sich bei ›De casibus‹ um ein ästhetisch, epistemologisch und funktional vielschichtiges Werk des frühen italienischen Renaissance-Humanismus handelt. Insbesondere an der Rahmenhandlung des Werkes, in der die Unglücklichen der Weltgeschichte am Schreibtisch des Autors erscheinen, sowie an der kaum zu überschätzenden Bedeutung des Fortuna-Diskurses lassen sich Pluralisierungsdynamiken herausarbeiten, die als konstitutives Merkmal der Renaissance erscheinen.
Die leitende These der Untersuchung ist, dass erst durch die vorgängige interpretatorische Beschäftigung mit dem Prätext die rezeptionsgeschichtliche Betrachtung ihr eigentliches Fundament und ihre spezifische Fragerichtung gewinnt. Daher galt es, die schillernde Vielfalt an Deutungen und Funktionalisierungen, die der plurale, ambige und heterogene Text in seiner Rezeptionsgeschichte erfahren hat, methodisch sorgfältig nachzuzeichnen. Im Fokus steht dabei zunächst die lateinischsprachige Rezeption: Auf Grundlage einer Erhebung der handschriftlichen Überlieferung im deutschen Sprachraum lassen sich Rückschlüsse auf die Überlieferungssituation in Deutschland, auf bestimmte Rezipientengruppen und Überlieferungsverbünde ziehen. Die beachtliche handschriftliche Verbreitung von ‹De casibus‹ hat auch den raschen Weg in den Druck zur Folge: Während die Edition des Peutinger-Schülers Menrad Molther aus unbekannten Gründen ungedruckt blieb, war dem Augsburger Humanisten Hieronymus Ziegler 1544 mit einer reich mit Kommentaren und Erklärungen versehenen Ausgabe mehr Erfolg beschieden. Ein Jahr später brachte Ziegler auch die erste deutsche Übersetzung auf den Markt, in der durch massive interpolierende Eingriffe das Werk in eine neue, ›popularisierende‹ Gebrauchsform gebracht wurde. In dieser neuen, auf breitere Rezipientenkreise zielenden Form verließ das Werk die humanistische Sphäre und fand unter anderem Eingang in das Werk des Nürnberger Dichters Hans Sachs.
Die Studie behebt ein wichtiges Desiderat der Rezeptionsforschung zum Autor Boccaccio und kann vor allem durch den Einbezug des Prätextes nicht nur für die Germanistik, sondern auch für die Italianistik, Mittellatinistik sowie die Geschichtswissenschaft neue Impulse geben. Die Untersuchung der Überlieferung und Rezeption eines frühhumanistischen Werkes im deutschsprachigen Raum soll es jedoch auch erlauben, grundlegendere Prozesse und Transformationen sichtbar zu machen, die sich im Rahmen verändertet soziokultureller sowie bildungs-, diskurs- und mediengeschichtlicher Kontexte in einem Zeitraum von knapp 200 Jahren vollzogen haben. In diesem Sinne möchte die Untersuchung auch in allgemeinerer Weise ein Beispiel für die grundsätzlichen Modalitäten und Funktionsweisen der deutschen Humanismus-Rezeption geben.