Posiadly | Freud schweigt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Reihe: Historische Romane im GMEINER-Verlag

Posiadly Freud schweigt

Kriminalroman
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-8392-7876-5
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Reihe: Historische Romane im GMEINER-Verlag

ISBN: 978-3-8392-7876-5
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der junge Sigmund Freud ist in die Hansestadt gereist, um seine Verlobte Martha Bernays zu sehen. Er hat Geldsorgen und ist froh, hier eine Patientin behandeln zu können. Doch auf dem Weg zu der jungen Frau macht er einen furchtbaren Fund: In einem Fleet der Speicherstadt findet er die Leiche eines Babys. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem toten Kind und dem Schicksal seiner traumatisierten Patientin? Auf der Suche nach Antworten gerät Freud in ein Netz von Lügen und Intrigen, das bis in die höchsten Kreise der Stadt reicht.

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2.
Das Boot glitt unter den ruhigen Ruderschlägen des Polizisten nahezu lautlos auf dem Fleet dahin. Der Junge, der neben ihm auf der Bank kauerte, sagte kein Wort. Seine Blicke jedoch sprachen eine klare Sprache. Zorn glühte in seinen Augen. Freud, der sich durchaus den Regungen des Aberglaubens empfänglich wusste, fühlte sich von ihnen verflucht. Dunkel und böse schienen ihm die Gesichtszüge des He­ran­wachsenden plötzlich, der ihn doch so tatkräftig aus dem Wasser gezogen hatte. Das Unheimliche, das von ihm ausging, schob Freud, an seine eigene Vernunft appellierend, der Wirkung des toten Babys zu, das sich, in eine Decke gewickelt und unter einer Plane verborgen, mit ihnen an Bord befand. Wohl verfluchte der Junge sich eher selbst, weil er diesem Fremden geholfen und damit gegen seinen eigenen Grundsatz verstoßen hatte, im Fleet zu lassen, was darin schwamm. Von den ungünstigen Umständen der Situation beeinflusst, konnte Freud nicht anders, als diesem Gedanken zu folgen. Denn wenn der Fluss mit seinen Verzweigungen ein Recht auf alles hatte, was in seinen Besitz geraten war, so musste er in Betracht ziehen, fehl daran getan zu haben, das Baby aus seiner nassen Grabstätte zu zerren. Vielleicht hatte er ungerechterweise dessen Totenruhe gestört und nun seinen Zorn geweckt. Freud merkte, wie er zitterte. »Wir sind gleich da. Dann bekommen Sie eine Decke«, versicherte ihm der Polizist mit monotoner Stimme. »Danke.« »Wie sind Sie zu dem Baby gekommen?« »Ich habe es vom Trottoir aus gesehen. Niemand schien sich darum zu kümmern. Deshalb bin ich heruntergestiegen, um es aus dem Wasser zu ziehen.« »Sie sind kein Hamburger.« »Ich komme aus Wien.« »Beruf?« »Arzt.« »Was führt Sie nach Hamburg?« Freud fühlte sich durch die tiefe Schlucht der sich rechts und links auftürmenden Lagerhäuser bedrückt. Von den frisch gemauerten roten Backsteinfassaden der unaufhaltsam wachsenden Speicherstadt hallten die langsamen Ruderschläge des Hafenpolizisten mechanisch wie der Taktschlag zu einem Trauermarsch wider. »Ich muss Sie bitten, mir Antwort zu geben.« »Ich besuche meine Verlobte.« »Deren Name ist?« »Martha Bernays.« »Wohnhaft in?« »Wandsbek.« Er sah den Polizisten an. »Darf ich erfahren, wohin Sie mich bringen?« »In die Wache der Hafenpolizei am Stadtdeich.« »Was habe ich dort zu erwarten?« »Wir werden nicht umhinkommen, ein Protokoll anzufertigen.« »Dem armen Kind wird das auch nicht helfen.« »Dessen bin ich mir wohl bewusst.« Der Polizist bedachte Freud mit einem Blick, in dem er eine so große Müdigkeit zu erkennen glaubte, wie sie nur die lange Erduldung eines schweren Leides hervorbringen konnte. Die Müdigkeit des Fährmanns, der die Menschen seit Anbeginn der Zeit ohne Anteilnahme zum anderen Ufer geleitete. Freud fühlte eine Hitze in sich aufsteigen wie von einem heftigen Fieber. Wolken schoben sich vor die tief stehende Sonne. Er sollte längst bei der Patientin sein, die ihm durch eine Freundin Marthas vermittelt worden war. Die Behandlung versprach, so viel Geld zu erbringen, dass er davon seinen Aufenthalt in Hamburg finanzieren konnte, der bisher nur durch eine großzügige Leihgabe des guten Josef Breuer abgedeckt war. Weil noch Zeit gewesen war, hatte er sich auf die Suche nach einem Tabakhändler begeben, obwohl doch Martha ihn, wie einst die Mutter das Rotkäppchen, eindringlich davor gewarnt hatte, von seinem Weg abzukommen. Sie fürchtete wohl, dass die Frauen, die abseits von Jungfernstieg und Gänsemarkt ihren Körper feilboten, Eindruck auf ihn machen könnten. Da er sich jedoch dagegen immun wusste, hatte er keine Bedenken gehabt, den Umweg in Kauf zu nehmen, sich dabei aber heillos in dem Gassengewirr des Gängeviertels verirrt. »Sie begleiten mich bitte, und du auch, Junge!«, forderte der Hafenpolizist, sprang mit einer geschickten Bewegung vom Boot und vertäute es an dem hölzernen Anleger. Als Freud sich erhob, geriet die Ruderjolle in Bewegung. Er taumelte, ergriff hastig die Hand, die ihm der Polizist anbot, und ließ sich von ihm an Land helfen. Nachdem auch der Junge von Bord gegangen war, nahm der Uniformierte das tote Baby auf und ging mit seinen Begleitern auf die Wache zu, einem mehr als bescheidenen Dienstgebäude. Dort wurde Freud von ihm angewiesen, in der Anwesenheit eines vierschrötigen Kerls auszuharren, der missmutig einen schmalen Tresen bewachte. Dahinter schloss sich ein weiterer Raum an, in dem der Officiant verschwand. Freud nahm auf einer Holzbank neben dem Jungen Platz, der ihn mit noch finstererer Miene als eben anstarrte, und hoffte darauf, dass sich jemand an das Versprechen erinnern würde, ihm eine Decke auszuhändigen, in der er sich wärmen könnte. Nach einer Weile erhob der Junge sich und trat an den Tresen heran. Der Vierschrötige, vollauf damit beschäftigt, einen gusseisernen Briefbeschwerer in der Form einer Hansekogge zu entstauben, der seinen Arbeitsplatz schmückte, ließ keine Reaktion erkennen, worauf der Kleine begann, in stetem Rhythmus gegen den Tresen zu treten. »Was?« Der Junge ließ sich von der donnernden Stimme nicht beeindrucken. Er stellte seine Fußarbeit ein und kündigte mit ruhiger Stimme an, dass er nicht länger in der Wache zu bleiben gedenke, da er sich nichts zuschulden habe kommen lassen. Der Vierschrötige sah den Jungen perplex an. Jener nahm das als Zustimmung und schritt in größter Gelassenheit auf die Tür zu. Da aber kam der Vierschrötige hinter seinem Tresen hervor und setzte ihm, den Briefbeschwerer im Lauf ergreifend, nach. Als Freud in die vor Zorn blinden Augen des Wachmanns sah, fürchtete er das Schlimmste und sprang auf. Der Polizist hatte den Jungen bereits fast erreicht. Dieser drehte sich nun, von dem Tumult alarmiert, um. Schrecken breitete sich in dem mageren Gesicht des Kindes aus. Freud packte es am Arm und riss es zur Seite, gerade noch rechtzeitig, sodass der Schlag des Wachmanns ins Leere ging. Für einen Moment war nichts als das Schnaufen des Vierschrötigen zu hören. Dann öffnete sich die Tür des Hinterzimmers. Heraus trat ein korpulenter Mann mit einem voluminösen Backenbart, der sich von dessen fleischigen Ohren bis zu der prominenten Kartoffelnase erstreckte. Auf seine Frage, was vorgefallen sei, erklärte der Wachmann seinem Commandeur, dass der Junge einen Fluchtversuch unternommen hätte. Dieser trat nun auf den Beschuldigten zu, holte aus und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Freud hob an zu protestieren. Der Commandeur wies ihn lautstark an zu schweigen und wandte sich dann wieder dem Jungen zu. »Sieh zu, dass du Land gewinnst, ich will deine freche Fratze hier nie wieder sehen!« Während der Angesprochene sich eilig verzog, raunte der Commandeur seinem Untergebenen etwas zu und entfernte sich dann wieder. Kaum, dass die Tür sich schloss, forderte der Wachmann Freud auf, an den Tresen heranzutreten, damit er ihn durchsuchen könne. Freud, jeglicher Widerstandskraft beraubt, leistete der Anordnung Folge und ließ die peinliche Prozedur über sich ergehen. Große, von Schwielen und Narben übersäte Hände klopften ihn mit grober Gewalt ab und förderten neben einer geringen Summe Bargeldes ein kleines Fläschchen mit einem weißen Pulver zutage. Der Wachmann hielt das Glasbehältnis in der Hand, besah sich das Etikett und legte es zusammen mit dem Geld in eine Schale. Dann klopfte er an die Tür, wartete, bis ihm zu öffnen erlaubt wurde, empfing neue Anweisungen und geleitete Freud anschließend in das Zimmer. In Ermangelung eines Stuhles blieb Freud vor dem großen Schreibtisch des Commandeurs stehen, der sich alle Zeit nahm, das Geld und die Flasche zu inspizieren. An der Wand hinter dem Tisch hing das Stadtwappen, dem Fenster gegenüber, aus dem man auf das Wasser schaute, befand sich ein verschlossener Schrank. In seinem Rücken wusste Freud den Officianten, der schweigend an der Tür stand. »Hier riecht es. Meint Er nicht auch?«, tat der Mann mit dem Backenbart übellaunig kund. Freud teilte den Eindruck. Zu seinen Füßen hatte sich eine trübe Pfütze gebildet. »Fleetwasser. Ein Souvenir aus Ihrem Hafen.« Der Commandeur hielt das Fläschchen hoch. »Und was ist das?« »Cocain.« »Ich kann selbst lesen, was auf dem Etikett steht. Auch wenn Ihn das verwundern mag.« »Ich behandle damit meine Migräne.« »So, so.« Er legte das Fläschchen wieder an seinen Platz. »Er ist wohl Jude, wie mir zu Ohren kam.« Freud schwieg. Eine bleierne Müdigkeit bemächtigte sich seiner. Er hoffte, recht bald wieder in den Besitz seiner Arznei zu kommen, von der er wusste, dass sie seinen Zustand positiv beeinflussen würde. »Versuche Er nicht, das zu leugnen, ist doch die Familie Seiner Verlobten durchaus nicht unbekannt in unserer Stadt. Er sieht mich gut informiert, nicht wahr? Isaac Bernays, der Judenführer. In welchem Verhältnis steht Seine Verlobte zu ihm?« »Sie ist seine Enkelin. Und er war Rabbiner, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben. Oberrabbiner der Stadt Hamburg.« »Dann wird Er wohl in eine bedeutende Familie einheiraten.« Freud ließ keine Antwort hören. »Kommt her, um sich hier ins gemachte Nest zu setzen. Typisch für den Juden.« »Wollen Sie nicht meine Aussage zu dem Kind aufnehmen?« »Was mischt Er sich in Angelegenheiten ein, die nicht die Seinen sind? Dass Er nicht unter Arrest steht, hat Er einzig meiner freundlichen...


Posiadly, Frank
Frank Posiadly ist Autor und Psychologe. Das Handwerk des Schreibens hat er an der Axel Springer Journalistenschule und in der Drehbuchklasse des Filmstudiums Hamburg unter der Leitung von Hark Bohm gelernt. Seine Kurzfilme haben den Deutschen Filmschulpreis in Silber, den Shock Award und den Short-Tiger gewonnen. Neben Kriminalromanen hat er auch Drehbücher für TV-Reihen und Serien wie Tatort und ZDF-Herzkino geschrieben. In „Freud schweigt“ verbindet er seine Leidenschaft für das Krimigenre mit seinen Erfahrungen als Psychologe. Er lebt in Hamburg.



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