Rechtsgrundlagen, Fallbeispiele und Praxistipps
E-Book, Deutsch, 159 Seiten
ISBN: 978-3-17-033118-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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2 Abrechnungssystem der Notfallbehandlung
Stephan Porten
2.1 Unterschiedliche Kostenträger
Notfall ist nicht Notfall – zumindest was die Abrechnung betrifft. Auch wenn medizinisch identische Tätigkeiten zu verrichten sind, können ganz unterschiedliche Kostenträger zuständig sein und Abrechnungsregelungen gelten. Liegt der Notfallbehandlung ein Arbeitsunfall zugrunde, wird dafür die gesetzliche Unfallversicherung aufkommen müssen und nicht die Krankenversicherung. Dann muss gegenüber den Berufsgenossenschaften abgerechnet werden. Handelt es sich um eine »normale« Krankenbehandlung, kommt es auf den Versicherungsstatus an – gesetzlich oder privat krankenversichert. Da Notaufnahmen ambulante Behandlungen an Stelle der eigentlich zuständigen Vertragsärzte durchführen, muss hier die Abrechnung gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen erfolgen – nicht hingegen gegenüber den Krankenkassen (Ausnahme: ambulante Operationen (bspw. Repositionen) nach § 115b SGB V). Hinzu kommen Abrechnungen gegenüber nicht Versicherten. Hier ist meist der Sozialhilfeträger einstandspflichtig – aber bei weitem nicht immer. Sind Personen im Ausland versichert, wird es manchmal knifflig herauszufinden, wer für die Abrechnung zuständig ist. Praxistipps zu den einzelnen Abrechnungswegen sind vertiefend in Kapitel 2 enthalten. Daran schließen sich Fallbeispiele an. 2.2 Abrechnungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung
Die Abrechnung von ambulanten Notfallbehandlungen ist in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Stück weit ein Politikum. Das hängt mit dem schon oben angesprochenen Spannungsverhältnis zwischen Regelversorgung und Notfallversorgung einerseits und Krankenhaus- und vertragsärztlicher Versorgung andererseits zusammen. Da Notaufnahmen bei gesetzlich Krankenversicherten eine Auffangfunktion für die vertragsärztliche Versorgung haben, sind sie in das Vergütungssystem der Vertragsärzte einbezogen. Das findet sich in § 2 Nr. 4 BMV-Ä auch ausdrücklich wieder. Dieser Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) regelt den Rahmen für die Verträge oder Vereinbarungen, die Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen z. B. in Bezug auf Honorarberechnung oder Abrechnungsverfahren schließen können. Das führt dazu, dass Honorare der Notaufnahmen den Topf der Gesamtvergütung schmälern, den die Kassenärztlichen Vereinigung zur Verteilung an die Vertragsärzte insgesamt zur Verfügung habt. Es liegt nahe, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen sehr genau darauf achten, dass die Notaufnahmen alle Abrechnungsgrundsätze beachten. In der Vergangenheit hat das Bundessozialgericht gleich mehrfach entschieden, dass Abrechnungsregelungen Notaufnahmen ungerechtfertigt schlechter behandeln als Vertragsärzte, die Notfallbehandlungen durchführen. 2.2.1 Der Kostenträger – die Kassenärztlichen Vereinigungen
Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Das SGB V weist ihnen verschiedene wichtige Aufgaben zu: • die Sicherstellung der flächendeckenden ambulanten ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung, • die Überwachung der Pflichten der Vertragsärzte (§ 75 Abs. 2 SGB V), • die Verteilung der vereinbarten Gesamtvergütung (§ 87b SGB V), • die Vertretung der Rechte der Vertragsärzte gegenüber den Krankenkassen (§ 75 Abs. 2 SGB V) und • die Sicherung einer ordnungsgemäßen Erbringung ärztlicher Leistungen und die Prüfung und Sicherung der Qualität der Versorgung. 2.2.2 Das Honorarsystem im Überblick
Für die Abrechnungen der Notaufnahmen ist es wichtig, einige Eckpunkte dazu zu kennen, wie die Honorarberechnung und -verteilung bei der KV funktioniert. EBM-Ä
Zunächst einmal muss man sich merken, dass die Vergütung ambulanter ärztlicher Behandlungen gesetzlich Versicherter ähnlich wie bei den Krankenhaus-DRGs nach einem Abrechnungskatalog erfolgt, der bestimmte Leistungsinhalte definiert und vom Kostenaufwand gewichtet – ähnlich einer Bewertungsrelation bei einer Fallpauschale im Krankenhaus. Das Regelungswerk trägt den Namen Einheitlicher Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä). Die im EBM-Ä inhaltlich bestimmten abrechnungsfähigen Leistungen werden von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert und den Versicherten als Sachleistung gewährt. Jeder Vertragsarzt muss seine – und auch die Notaufnahmen müssen ihre – Leistungen einer bestimmten Gebührenordnungsposition im EBM-Ä zuordnen. Aus dieser ergibt sind eine Punktzahl oder im Falle von Laborleistungen ein Euro-Betrag, die dieser Leistung zugeordnet wird. Der Wert der Punkte kann variieren. Es soll nicht automatisch so sein, dass Ärzte durch mehr Leistungen auch automatisch mehr Geld verdienen. Mengenausweitungen sollen vielmehr verhindert werden. Hierzu können die KVen Budgets für bestimmte Arzt- oder Leistungsgruppen bilden. Wenn dann das Budget erreicht ist, sinkt der Punkt – sprich: Wenn die Anzahl der Leistungen und Punkte steigt, sinkt der Wert der Punkte. Deshalb ist die Honorarverteilung ein ganz zentraler Faktor bei der Frage, wie viel Honorar am Ende wirklich von der KV ausgezahlt wird. Notfallleistungen sind allerdings von den Mengenabschlägen nicht betroffen. Honorarverteilung
Die Vertragsärzte erhalten ihre Honorare nicht mehr unmittelbar – wie noch bis in die 1920er Jahre – von den Krankenkassen, sondern von den Kassenärztlichen Vereinigungen. Mit diesen verhandeln die Krankenkassen jährlich auf Grundlage der Veränderungen der Zahl und der Morbiditätsstruktur der Versicherten eine sog. morbiditätsbedingte Gesamtvergütung. Die Honorarverteilung und -auszahlung liegt dann in der Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigungen. In diesem »Gesamttopf« befinden sich auch die Honorare für die Notaufnahmen. Den »Gesamttopf« kann die KV mit recht großem Entscheidungsfreiraum auf die einzelnen Fachgruppen der Ärzte verteilen (BSG, Urt. v. 27.06.2012 – B 6 KA 37/11 R –, SozR 4-2500 § 85 Nr.71 m. w. N). Dies machen die KVen mittels eines Honorarverteilungsmaßstabs (HVM), der für jedes Quartal genau angibt, wie die Gesamtvergütung verteilt wird. Hier kann die KV auch z. B. begünstigende Honorarregelungen für neuzugelassene Ärzte schaffe, um diesen den Einstieg zu erleichtern, oder auch Honorarregelungen vorsehen, die verhindern, dass die Ärzte insgesamt mehr Leistungen erbringen. Das darf aber nicht willkürlich geschehen. Vielmehr müssen sachgerechte Gründe vorliegen. Grundsätze der Honorarverteilung
Angemessene Vergütung § 72 Abs. 2 SGB V sagt, dass die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet werden sollen. Das gilt auch für Notaufnahmen, die ja an der vertragsärztlichen Versorgung im Notfall mitwirken. Das Bundessozialgericht macht es aber nahezu unmöglich, mehr Honorar einfach nur mit der Begründung einzufordern, dass die Vergütung nicht angemessen sei. Das wird erst anerkannt, wenn in einem fachlichen und/oder örtlichen Teilbereich kein ausreichender finanzieller Anreiz mehr besteht, vertragsärztlich tätig zu werden, und deshalb in diesem Bereich die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung gefährdet ist. Das ist für eine Notaufnahme natürlich kaum zu beweisen. Grundsatz der leistungsproportionalen Vergütung Eine wichtige Aufgabe der KVen ist es, bei der Honorarverteilung aufzupassen, dass es keine Leistungsausweitungen gibt. Die Vertragsärzte sollen zwar leistungsgerecht und auskömmlich vergütet werden, aber keine Anreize erhalten, zusätzliche Leistungen zu erbringen. Die KV darf die Honorarverteilung aber nicht frei nach ihrem Ermessen gestalten; sie ist vielmehr an den Grundsatz der leistungsproportionalen Verteilung gebunden. Dieser besagt, dass die ärztlichen Leistungen – prinzipiell gleichmäßig – zu vergüten sind. Der KV bleibt jedoch ein Spielraum für sachlich gerechtfertigte Abweichungen von dem genannten Grundsatz, der es ihr ermöglicht, ihrem Sicherstellungsauftrag und ihren sonstigen gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen...