E-Book, Deutsch, 140 Seiten
E-Book, Deutsch, 140 Seiten
ISBN: 978-3-95988-016-9
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Markus Pohlmeyer studierte Latein, Griechisch, Deutsch und Philosophie in Würzburg, Tübingen und London. Lizenziat und Promotion in katholischer Theologie an der Universität Münster zu Johann Gottfried Herder und zur Geschichtenhermeneutik von Wilhelm Schapp. Lehrtätigkeit an einem Gymnasium in Schleswig Holstein. Seit 2007 Lehrtätigkeit an der Europa-Universität Flensburg. Forschungsschwerpunkte: Religionsphilosophie (Deutscher Idealismus und S. Kierkegaard), Kunst und Religion, Science Fiction. Zahlreiche ethnologische und poetische Veröffentlichungen. Markus Pohlmeyer schreibt regelmäßig für CulturMag.
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Nach dem Tod der Mythen: SF als Auferstehung der Mythen
Warum sterben Mythen? Monotheistische Religionen neigen von ihrer inneren Struktur her zu einem Mythenproduktionsstopp. (Ihre eigenen Mythen sollen rationalisiert werden und somit ihre Herkunft aus dem Mythos hinter sich lassen.) Die institutionsstabilisierende eigene, einzig wahre Heilsgeschichte muss dogmatisiert werden (d.h. multiple Sinnpotentiale werden auf eine gültige Lesart reduziert und bisweilen auch sozial legitimiert und sanktioniert, wobei solche Sanktionen wiederum rückwirkend die Funktion einer Stabilisierung dieser Lesart ausüben). Odo Marquards Aufsatz „Lob des Polytheismus“ (in vielen Hinsichten ergänzungs- und kritikbedürftig) fokussiert das Verhältnis von Polytheismus und Monotheismus im Rahmen einer Geschichtenhermeneutik, die auch deutliche Spuren von Wilhelm Schapp aufweist: „Im Monotheismus negiert der eine Gott – eben durch seine Einzigkeit – die vielen Götter. Damit liquidiert er zugleich die vielen Geschichten dieser vielen Götter zugunsten der einzigen Geschichte, die nottut: der Heilsgeschichte; er entmythologisiert die Welt. Das geschieht epochal im Monotheismus der Bibel und des Christentums.“[113] Und: „Das Ende des Polytheismus, der Monotheismus, entmythologisiert – im Effekt – die Welt zur Geschichtslosigkeit.“ [114] Genauer gesagt handelt es sich aber dabei keinesfalls um eine Archäologie einer durch Mythen verdeckten ratio, die man nur aufklärerisch freilegen müsse, sondern nur wiederum um die Generierung eines Monomythos mit ersehntem nachhaltigen Alleinstellungsmerkmal im Konkurrenzkampf mit anderen Religionen. Auf eine genuine Verstrickung von Politik und Mythos weist Marquardt hin: der aufklärerische Mythos des Fortschritts führe zur Freiheit. „Der moderne – profane, innerweltliche – Aggregatzustand des Polytheismus ist die politische Gewaltenteilung: sie ist aufgeklärter – säkularisierter – Polytheismus. Sie beginnt nicht erst bei Montesquieu, bei Locke oder Aristoteles, sie beginnt schon im Polytheismus: als Gewaltenteilung im Absoluten durch Pluralismus der Götter.“[115] Marquardt formuliert hier geradeheraus eine politische Theologie. Man muss aber zugeben, dass eine Gewaltenteilung eher ein Projekt der Moderne war, denn ob ein polytheistisches Imperium Romanum, das übrigens bis 313 in mehreren Wellen die monotheistischen Christen verfolgt hat, einer Gewaltenteilung offen war, bleibt zu bezweifeln. Die mittlerweile sehr große Weite von Mythos-Definitionen bietet immer Anlass für Projektionen. So avanciert für Odo Marquardt die Polymythie zum Garanten der Freiheit, bei Darko Suvin liest sich das dagegen anders: „Denn der Mythos ist das Wiederum-Tun, die ewige Wiederkehr und damit das Gegenteil schöpferischer menschlicher Freiheit. Es ist wahr, daß, wenn man von den mehr oder weniger übernatürlichen Erzählungen […] absieht, 90% der übrigen SF Handlungsstrukturen aufweist, die aus der Geschichte in den Wildwestroman, einfach aneinandergereihte sensationsgierige Abenteuer oder Wiederkauungen der Mythographie entfliehen.“ [116] In Hinblick auf Platons Werke, des Lehrers von Aristoteles, hat Christian Schäfer herausgearbeitet, „[…] dass mythos und logos (so eine gängige terminologische Opposition) dem Begriffsgehalt ursprünglich beide das ‚vernünftig darstellende Reden‘ bedeuten, der eine eben vor allem in Erzählform, der andere in argumentativ nachvollziehbarer Form […].“ [117] Die sogenannten Kunstmythen Platons, z.B. das berühmte Höhlengleichnis, führen den argumentativen Diskurs in poetischer Gestalt fort, der oft eine Recodierung z.B. durch Sokrates erfordert, also ein Zurückholen in den Logos.[118] Die Definition von Mythos verschiebt sich auf dem Hintergrund der aristotelischen Poetik in eine strukturell-ästhetische Richtung: „Die Zusammenfügung der Geschehnisse, also die Fabelkomposition, ergibt den ‚mythos‘. Dieser zeichnet sich durch drei Kriterien aus: Ganzheit, Folgerichtigkeit und Schönheit.“ [119] Die gängige Frontstellung von Mythos contra Logos wird auch von bestimmten theologischen Richtungen mit sehr unterschiedlichen Intentionen aufgegriffen: der Mythos wäre „[…] kein klass[isches] Thema der systemat[ischen] Theologie. Der Grund dafür liegt wohl darin, daß schon der Ursprung des Wortes ‚Theo-logie‘ mit dem erstmals v[on] Wilhelm Nestle so bezeichneten Übergang ‚Vom Mythos z[um] Logos‘ […] zusammenhängt.“ [120] Wir betreiben an der Universität TheoLogie und nicht TheoMythie, um gewissermaßen die Anschlussfähigkeit dieses Faches an die anderen universitären Fächer, vor allem an die Naturwissenschaften, aufzuzeigen. Aber auch der harte Logos-Anspruch der Naturwissenschaften verflüssigt sich jedoch sehr schnell bei der Lektüre von Hermann Kurzkes Definition, der Mythos versteht als „[…] die Summe der Bilder, Legenden, Geschichten und Weisheiten, in denen das Selbstbewußtsein einer Kultur in nicht-begrifflicher Weise zum Ausdruck kommt. […] Mythos ist jedenfalls Erkenntnis, nicht einfach Erfindung und blinde Lügenfabel. Daß schon der Mythos Aufklärung sei, betonten auch Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung, denn er gibt dem unbegriffenen Sein der Dinge und des Lebens eine Sprache, mit der es sich beherrschen lässt. Umgekehrt ist jede Wissenschaft auch Mythos, sofern keine je auf Bilder verzichten konnte und noch das abstrakteste Regelsystem als eine Art Erzählung verstanden werden kann […].“[121] Mythos markiert narrativ ein Verhältnis von kulturellen Selbstdeutungen des Menschen und seinem Verhältnis zur Natur oder, modern gesprochen, zur Physik: „Im tragischen Mythos kompensiert die Ethik die Physik; Ödipus, Osiris oder Christus müssen aufgrund der empirischen Welt, in der sie leben, scheitern, aber ihr Scheitern wird sodann ethisch überhöht und religiös verwertet, gewöhnlich dergestalt, daß jenseits der empirischen Welt eine metaphysische postuliert wird, in der die Geschichte ihr wahres, ausgleichendes Ende findet. Parallel dazu fällt in den ‚optimistischen‘ Mythen von Perseus, dem Heiligen Georg und anderen lichtbringenden Helden die Ethik nicht nur mit der den Heros unterstützenden Physik zusammen, sondern sorgt auch für einen systematischen kosmisch-soziologischen Rahmen, der diese Deckung normalisiert.“[122] Im Gegensatz dazu beschreibt Darko Suvin SF als eine „verfremdete literarische Gattung“[123]. Physik tritt neutral auf und wird nicht mehr „[…] auf gewisse magische oder religiöse Weise durch die Ethik determiniert […]“ [124]. Naturalistische Fehlschlüsse, beliebt in vielen Weltreligionen zur Begründung absurder Morallehren (Ausgangspunkt sind oft inhaltlich problematische oder sachlich falsche Hypothesen, die durch das logische Schlussverfahren den Ritterschlag der Objektivität erhalten sollen), kollabieren durch eine von dem Heiligen und Magischen entkoppelte Physik (und Biologie) endgültig. Ethik bleibt eindeutig auf das Humanum zurückverwiesen; Physik wird eine Meta-Physik im wörtlichen Sinne: jenseits von Transzendenz, Ethik und Magie. Die Funktion z.B. einer Heiligen-Legende bleibt also nur in ihrem jeweiligen sozio-kulturellen Gefüge verstehbar: „Nicht ‚Pfaffenbetrug‘ oder ‚Schwindel‘ standen Pate bei der Entstehung von Viten und Legenden, sondern christliches Totengedenken in besonderer Form sowie Verehrung und Vermittlung gelungener christlicher Lebensentwürfe fanden sich im Mittelpunkt der Verfasserinteressen. [...] Nicht zuletzt vermitteln nämlich auch jene Legenden, deren Realitätsgehalt durchaus als gering einzustufen ist, Informationen darüber, wie sich bestimmte christliche Epochen den idealen Heiligen und die ideale Heilige vorgestellt haben. In den Heiligen beschreiben die Zeitgenossen, aber auch spätere Verfasser von Legenden, ihr eigenes religiöses Selbstverständnis.“[125] Wenn beispielsweise die Schöpfungsberichte der Genesis einer wörtlichen Lesart unterworfen werden (was wäre auch damit schon gemeint: das hebräische Original oder eine englische Übersetzung?) und man von ihnen Aussagen über Kosmologie und Evolution abverlangt, führt das zu einem Dilemma, das der Religionsphilosoph Charles Hartshorne treffend umrissen hat: word kontra world: „[…] God has also made a certain Book, which, we are told, must be regarded as the infallible word of God […]. God’s world and God’s word seem remarkably incompatible. Why would God so ingeniously deceive us?“[126] Man überfordert die biblischen Texte zum einem in ihrem Geltungsbereich und ihrer falsch verstandenen Leistungsfähigkeit und Intention, zum anderen entsteht eine Alternative von wahrer Wissenschaft hier und einer falschen Bibel dort oder einer richtigen Bibel hier und einer falschen Wissenschaft dort, ein Dilemma, das genauso wenig mit dem Hinweis auf die Kanonizität und Unfehlbarkeit dieser Texte gelöst werden kann wie durch radikal fundamentalistische Positionen auf naturwissenschaftlicher Seite, die methodisch den selben Fehler machen der von ihnen kritisierten konservativen religiösen...