Pluhar | Die öffentliche Frau | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Pluhar Die öffentliche Frau

Ein autobiografischer Roman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-7017-4359-9
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Erinnerungen einer Ausnahmekünstlerin.Ein Journalist bittet die prominente Künstlerin, ihm ihre Lebensgeschichte zu erzählen, da er eine Serie in seiner Zeitung publizieren will. Zuerst noch misstrauisch, fasst sie jedoch bei seinen täglichen Besuchen langsam Vertrauen und beginnt zu erzählen: von ihren zwei Ehen, von ihren Theatererfahrungen, von ihrem Weg zur Schriftstellerin und von den Menschen, die ihr Leben maßgeblich prägten. Über die Höhen und Tiefen eines Lebens in der Öffentlichkeit.

Erika Pluhar hat mit "Die öffentliche Frau" eine andere Art der Autobiografie geschrieben: zwischen Fiktion und Realität. Persönlich, berührend und fesselnd.
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1
Der Redakteur hat das Aufnahmegerät so vorbereitet, daß die Frau gut verständlich sein würde, selbst wenn sie sich im Gespräch zurücklehnen oder nach vorn beugen sollte. Er erwartet sie. Das Zimmer, in das man ihn gebeten hat, ist hell, Nachmittagssonne fällt herein. Vor den Fenstern breitet sich ein Garten aus. Laubbäume sind zu sehen. Die Frau lebt nicht schlecht, denkt der Redakteur. Er sitzt auf einem weiß bezogenen Sofa und hätte große Lust zu rauchen. Geht aber nicht, klar, daß man im Haus dieser Frau genausowenig rauchen darf wie überall sonst in diesen Zeiten. Der Redakteur seufzt auf und wird ein wenig ungeduldig. Sie läßt sich Zeit, denkt er, die Leute, die man interviewen muß, lassen sich immer Zeit. Sie sitzen am längeren Hebel. Sie lassen einen warten. Glauben wohl, zu fragen sei leichter als zu antworten, dabei ist nichts schwieriger, als auch nur eine richtige Frage zu stellen. Noch dazu bei dieser Frau, die schon so lange in der Öffentlichkeit sichtbar ist, daß jeder, der von ihr weiß, sie auch zu kennen meint. Oder zumindest ein Bild von ihr hat. Bis auf die ganz Jungen natürlich, die wissen nichts mehr von ihr. Was frage ich sie denn wirklich, denkt der Redakteur und seufzt nochmals auf. Es müsse ein ultimatives Interview werden, umfassend, forderte der Verlag. Er sei der einzige, der das könne, mit dieser Schmeichelei hatte die Chefetage ihn weich gemacht und losgeschickt. Wo bleibt sie denn nur, die Frau. Als er Schritte hört, springt er auf. Das muß sie sein, denkt er und steht aufrecht da, unbeholfen wie ein Schüler in Erwartung seiner Lehrerin. Die Tür öffnet sich mit Schwung. Nicht bös’ sein, sagt die Frau, sie ist ein wenig atemlos und lächelt, ich mußte leider ein unumgängliches Telefonat zu Ende führen. Nein, nein, natürlich, antwortet der Redakteur. Er und die Frau reichen einander die Hände, dann nimmt sie Platz, wie er es für sie vorgesehen hat, genau im richtigen Abstand zum Aufnahmegerät. Das nenne ich Professionalität, denkt der Redakteur. Setzen Sie sich doch, sagt die Frau, hat man Ihnen schon etwas angeboten? Nein, aber danke, ich möchte nichts. Keinen Kaffee? Tee? Nein danke. Wollen Sie rauchen? Wie bitte? fragt der Redakteur ungläubig. Bei mir darf man gerne rauchen, sagt die Frau, solange man mir nicht das Zimmer vollqualmt und ich jederzeit die Fenster öffnen kann, habe ich gar nichts gegen eine Zigarette. Da drüben steht ein Aschenbecher. Ja dann, gern, sagt der Redakteur. Eine jüngere Frau tritt ins Zimmer, sie trägt Jeans und hat ein frisches, rotwangiges Gesicht. Soll ich etwas bringen? fragt sie. Ja, bitte eine große Kanne Tee, für den Herrn auch eine Tasse, danke Sofia, sagt die Frau. Sofia geht, die Frau lehnt sich zurück und sieht dem Redakteur dabei zu, wie er sich eine Zigarette ansteckt. Verzeihen Sie – wollen Sie vielleicht auch eine? fragt er. Später, sagt die Frau, aber lassen Sie uns zur Sache kommen. Worum soll es also in Ihrer Geschichte gehen? Natürlich um Sie, gnädige Frau! Der Redakteur findet, daß er mit diesem Ausruf zu laut geworden ist, und versteht das leichte Stirnrunzeln der Frau. Was habe ich denn, denkt er, ich glaube, sie macht mich nervös. Sie wissen ja, sagt er jetzt in normaler Lautstärke, es soll ein großes, biographisches Interview werden, natürlich von Ihnen autorisiert, wir wollen es Woche für Woche in unserer Zeitschrift fortsetzen, aber hat unser Chefredakteur das nicht mit Ihnen besprochen? Die Frau nickt und schaut aus dem Fenster in die Bäume hinaus. Eine Weile herrscht Stille, und der Redakteur nimmt ratlos einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. Ja, ich weiß, sagt die Frau schließlich, eine Art Fortsetzungsroman. Aber nein! Der Redakteur hat wieder die Stimme erhoben. Ein umfassendes, ultimatives Interview, eines, in dem Sie all das sagen können, was Sie schon ein Leben lang sagen wollten! Die Frau wendet sich ihm zu und lächelt. Geben Sie mir auch eine Zigarette, sagt sie. Der Redakteur hält der Frau die geöffnete Packung entgegen, sie nimmt eine Zigarette, und er gibt ihr Feuer. Wissen Sie, sagt sie dann, ich habe ein Leben lang schon viel zuviel gesagt, mehr als ich sagen wollte, aber lassen wir’s gut sein. Ich habe Ihrem Chefredakteur versichert, mich auf dieses Befragtwerden einzulassen, also mache ich das jetzt auch. Nur kann ich Ihnen nicht versprechen, wie umfassend und ultimativ Ihr Interview geraten wird. Überhaupt: ultimativ, mein Lieber. Was für ein Wort. Kommt doch von Ultimatum, und das ist eine letzte Aufforderung, oder? Wird doch nicht Absicht Ihres Verlages sein, mich ein letztes Mal zum Interview aufzufordern, ehe ich das Zeitliche segne? Ich bitte Sie, was für ein Gedanke! Der Redakteur versucht zu lachen. Das hat jämmerlich geklungen, denkt er und dämpft seine Zigarette aus. Darf ich mein Aufnahmegerät anstellen? Aber ja, sagt die Frau. Der Redakteur drückt auf die winzige Taste und setzt sich. Er und die Frau sitzen einander gegenüber. Also gut, sagt sie, nur weiß ich immer noch nicht, worum es Ihnen bei Ihrer Geschichte geht. Denn Sie sind es, der mit mir spricht, also ist es auch Ihre Geschichte. Es geht mir um Ihr Leben, sagt der Redakteur. Ui, die Frau lacht, das klingt ja nach Leben und Tod. Nein, nur um Ihre Lebensgeschichte soll es gehen, neu und im Rückblick erzählt. Wenn es Ihnen recht ist, würde ich jetzt gerne anfangen. Ihnen fehlt es ein wenig an Humor, sagt die Frau, aber das hängt vielleicht mit Ihrem Beruf zusammen. Wenn man ständig im Leben anderer herumkramen muß, vergeht einem wohl das Lachen. Aber ich will Sie jetzt auch nicht mehr von Ihrer Arbeit ablenken. Obwohl ich nur noch anmerken möchte, daß meine Lebensgeschichte der Öffentlichkeit kaum noch neu zu erzählen sein wird, denn alles, was ich lebte, wurde bereits reichlich veröffentlicht. Alles? fragt der Redakteur. Alles, was nicht in meinem Geheimnis blieb, ja. Könnten wir im Gespräch nicht ausnahmsweise auch einmal in dieses Geheimnis vordringen? fragt der Redakteur und lächelt die Frau an. Nein, sagt sie. Das war ungeschickt von mir, denkt der Redakteur, und was mache ich jetzt gegen ihr Schweigen. Wie die Frau vor sich hinstarrt. Woran sie jetzt wohl denkt. Da öffnet sich die Tür, und Sofia trägt ein schweres Tablett mit Teekanne, Tassen, Kuchen, Milch und Zucker ins Zimmer. Aufatmend stellt sie es auf dem Sofatisch ab. Gut so? fragt sie. Die Frau nickt. Danke, auch für den Guglhupf! Selbst gemacht, sagt Sofia und geht wieder. Der Redakteur ist erleichtert, daß etwas geschah, um die Wortlosigkeit zu beenden, und als die Frau beginnt, den Tee in die Tassen zu gießen, will er das Aufnahmegerät eilfertig wieder abstellen. Lassen Sie nur, sagt sie, Tee und Kuchen stören nicht, wir machen ja gleich weiter. Ich werde jetzt Ihre Fragen beantworten. Nachdem beide an ihren Teetassen genippt haben, lehnt die Frau sich bequem zurück. Also, sagt sie. Der Redakteur räuspert sich. Die Kindheit vielleicht? Fangen wir damit an? Wäre logisch, sagt die Frau. Was für ein Kind waren Sie also? Der Frau hat die Frage des Redakteurs offensichtlich nicht gefallen, sie schüttelt abwehrend den Kopf, und er wird verlegen. Dann aber beginnt sie doch zu sprechen. Ich war vor allem ein Kind. Ein erwartungsvolles, zufriedenes, mit allem kindlichen Reichtum ausgestattetes Kind. Vielleicht sogar war ich ein glückliches Kind. Ja, vielleicht kann man das so sagen. Auf frühen Fotos ist zu erkennen, daß ich vergnügt war, ja, ein vergnügtes kleines Mädchen. Ich hatte gütige Eltern. Wir lebten am Stadtrand, im Grünen, in einer schlichten Wohnung, die weder zu groß noch zu klein war. Und alles hatte für mich ein gesundes Maß, weder Überfluß noch Armut, nichts Besseres für ein Kind, denke ich. Und ich durfte immer spielen, auch das Ernsthafte war für mich immer Spiel. Seit ich denken kann, denke ich mich aus der Realität heraus – Der Redakteur lächelt. Er merkt sich diesen Satz, das wäre doch eine Überschrift für die erste Ausgabe: Seit ich denken kann, denke ich mich aus der Realität heraus. Und die Frau spricht weiter. Nicht, daß ich eine weltferne Träumerin gewesen wäre, ich wurde zu einer ausgezeichneten Schülerin, nur gute Noten, ich war pflichtbewußt und ordnungsliebend, ja, ich glaubte an die Welt und an eine in ihr waltende Ordnung. Aber ich wollte auch, daß die Welt meinen Vorstellungen...


Erika Pluhar war seit ihrer Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar bis 1999 Schauspielerin am Burgtheaterin Wien. Sie textet und interpretiert Lieder, hat Filme gedreht und zahlreiche Bücherveröffentlicht. 2009 erhält Erika Pluhar den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandelsfür Toleranz in Denken und Handeln. Zuletzt erschienen: "Spätes Tagebuch" (2010) und "Im Schatten der Zeit" (2012).


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