E-Book, Deutsch, Band 3, 491 Seiten
Reihe: COLONY WARS TRANTHAL
E-Book, Deutsch, Band 3, 491 Seiten
Reihe: COLONY WARS TRANTHAL
ISBN: 978-3-7565-7335-6
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stefan Piasecki verfasst spannende und präzise recherchierte Romane. Neben dem Kriegsdrama 'Kleine Frau im Mond', dem Stasi-Spionageroman 'Die Sterne der Welt', dem Medienthriller 'Long Forgotten' und der 'Colony Wars Tranthal'-Serie (als Stefan Boucher) ist mit 'Himmelsleiter - Nardebane Aseman' ein historischer Roman zu den Anfängen der Luftfahrt erhältlich. Als Hochschullehrer lehrt und forscht er über die gesellschaftlichen Auswirkungen technologischer Innovationen und Entwicklungen.
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1
Ihr Atem ging schwer und ihre Knie schmerzten. Ein harter Stoß traf sie von hinten und drückte sie weiter zu Boden. Mühsam stützte sie sich noch einmal auf den letzten Treppenstufen ab, die durch den engen Turm nach oben führten, über ihr schon der Nachthimmel. Ihre Arme zitterten. Sie schwitzte in einer Mischung aus Anstrengung und Angst. Und sie stank. Sie spürte Bewegungen um sich herum, aber sie konnte den Blick nicht mehr heben. Die Wortfetzen, die an ihre Ohren drangen, ergaben keinen Sinn. Ihr Leben war zurückgeworfen auf einen winzigen Punkt tief in ihr selbst. Was da raste in Brit Darburgs Kopf, waren keine Gedanken mehr, bloß Nervensignale. Arme griffen nach ihr und zogen und schleiften sie die letzten Zentimeter hoch auf die Plattform des mächtigen Wachturms, der das Hauptportal zum inneren Bereich bildete und dem die äußere Festungsmauer vorgelagert war, ein mehrere Meter dickes, leicht schräg nach oben zulaufendes Monster aus Stahlbeton, das ebenso ausbruchssicher wie erstürmungsfest war, jedenfalls bis vor Kurzem. Sie bildete mit einem mächtigen Tor die eigentliche Außengrenze der Stahldünen, dem Hochsicherheitsgefängnis an der Südküste, das gemeinsam von der Kolonie und den Dar’y östlich der Marinebasis Milend betrieben wurde. Brit fiel zu Boden und schlug mit dem Kinn auf. Schmerzen durchpulsten sie und sie blieb liegen. Vielstimmiges Gejohle erklang hinter ihr. Dort unten mussten Hunderte stehen, die mitbekamen, dass da oben etwas vor sich ging, und die aus lauter Vorfreude außer sich waren. Es war eisig hier, der frische Küstenwind trug die Kälte des herannahenden Winters mit sich, doch das Adrenalin in ihren Adern verhinderte, dass sie auch noch die Kälte spürte. Ein Lastenkran ragte über die Brüstung; dessen Stahlseile schlugen im Wind gegen das Gestänge. Der Gestank von verbranntem Plastik und geborstenem Stahl drang in ihre Nase. Sie würgte, doch erbrach sich nicht. Sie konnte ihre Augen nicht richtig öffnen, die Folgen ihrer Verletzungen bei den Kämpfen und der wuchtigen Schläge, die sie erhalten hatte, nachdem sie erkannt worden war. Sie fühlte sich schwach. So unfassbar schwach – und ergeben in ihr Schicksal. Irgendwo tief in ihr wunderte sie sich, dass sie nichts tat. Aber was konnte sie auch bewirken? Es war dunkel, aber welche Uhrzeit? Unbändiges Geschrei drang von unten zu ihnen auf dem Turm, fast Jubel. Tosendes Gejohle. Stimmen riefen im Rhythmus. Eine Intonation, die sich wie Wellen zu einem Tsunami aufschaukelte und in alle Richtungen davonfloss. »Sard! Sard! Sard!« Sard Mamarter war die enge Stiege emporgeklettert und zeigte sich seinen Leuten hinter ihm und den fremden Truppen, die es bereits geschafft hatten, die erste Sperrmauer zu überwinden und unterhalb des Turmes den Vorhof zu besetzten. Weiter durften sie nicht kommen. Diese zweite Sperrlinie musste halten! Er lächelte nicht und beachtete seine Untergebenen mit keiner Geste. Er hielt seine Arme an der Hosennaht, als stünde er stramm. Er, der niemals vor irgendjemandem salutieren würde. Sein Blick ging nach Norden, in die wellige Hügellandschaft hinein, die friedlich vor ihnen zu liegen schien unter dem sternenbedeckten Nachthimmel, der sich am Horizont im Osten schon leicht erhellte – ein seltsamer Kontrast zu der Wildheit der fast schwarzen See im Süden und den zerklüfteten Bergen im Osten, den Ausläufern des riesigen Kegell-Gebirges, dessen Felsen in Sichtweite ins Meer stürzten. Das ewige Donnern und Rollen der Wellen verschmolz mit dem Raunen der vielen Hundert Kehlen, die seinen Namen formten. Bald würden die schneebedeckten Gipfel im Morgenlicht der Sonnen Sol-Aurum und ihres kleineren Feuertrabanten Sol-Argentum zu funkeln beginnen. Es musste bald fünf Uhr morgens sein. Sard konnte sie sehen, die Furchen der schweren Kampfeinheiten, die immer wieder versucht hatten, Stahldünen zu stürmen. Einige wenige hatten seine Leute ausschalten können, ihre Metallgerippe lagen wie gestrandete Mol-Wale an Land. Die Schäden an den Befestigungsanlagen waren überschaubar geblieben, die Kolonisten hatten gute Arbeit geleistet beim Bau dieser Anlage. Nur mit großer Anstrengung hatten die Eindringlinge das Tor der Außenmauer sprengen und sich zunächst Zutritt verschaffen können. Nun würden sie bald ihre Quittung erhalten. Er wusste, dass sie dort unten waren und auf dem Hügelkamm und dahinter, und zweifellos bereiteten sie sich auf der Außenseite links und rechts des zerborstenen Haupttores des Außenwalls auf den Sturm vor. Er konnte die Türme ihrer Gefechtspanzer sehen, deren Rohre über die Linie ragten, die die Grenze bildete zwischen Land und Horizont. Jede Sekunde mochte Bewegung in die Formation kommen – wenn sie sich trauten. Die letzten Angriffe hatten Sards Verteidiger mit ihren selbst entwickelten Abwehrraketen gut stören können. Dass die Kolonisten nun doch nur wenige Dutzend Meter von ihm entfernt standen … die würden sich schon zurückziehen. Hier verschanzt waren sie so gut wie unbesiegbar und so fühlte er sich auch. Die Rufe seiner Leute steigerten sich noch. Er holte tief Luft, von irgendwoher roch es plötzlich nach Wald und Erinnerungen kamen hoch … Früher hatte er sich verstecken müssen. Nun nicht mehr. Nie mehr. Er zweifelte nicht daran, dass seine Stirn im Fadenkreuz von einigen Dutzend kolonialer Scharfschützen war. Würden sie es wagen …? Man würde sehen. Gelassen musterte er die Stellungen seiner Feinde, die im kühlen Mondlicht vor ihm lagen. Es blieb ruhig. Sollte der katastrophal fehlgeschlagene Angriff von gestern Nachmittag der einzige Höhepunkt gewesen sein? Sein Blick fiel auf Brit … Nein, eher nicht. Es könnte noch aufregender werden. Ihre Finger bluteten und brannten. Sie musste einige Fingernägel verloren haben, als sie sich ihrer Gefangennahme widersetzen wollte und vielleicht später, als man sie gewaltsam in das Innere der Festung gezerrt hatte. Der Versuch, den Kopf ein wenig zu heben und sich aufzustützen, schmerzte fast unerträglich. Ihre Augen waren gefüllt mit Tränen und verkrustetem Blut. Sie befand sich im Freien, aber es war dunkel, deshalb wusste sie, dass es noch nicht Morgen sein konnte. Brit versuchte zunächst, Kontrolle über ihre Atmung wiederzuerlangen, doch es gelang nicht so richtig. Mit großer Entschlossenheit riss sie ihre Augen auf, aber nur das linke öffnete sich einen Spalt. War ihr Gesicht so sehr angeschwollen? Schmerzen ließen sie winseln. Ein blaues Leuchten vor ihr auf dem Boden packte ihre Aufmerksamkeit. Jemand reichte Sard ein Bündel Erkennungsmarken, die jeder koloniale Soldat um den Hals trug. Es waren ein gutes Dutzend. Wortlos nahm er sie und hielt sie hoch. Seine Leute schrien und jubelten, die Geste war allerdings nicht für sie gedacht. Er wusste, wer ihm hier zusah. Für diese anderen zeigte er sie her, als Warnung und Verheißung ihres eigenen Schicksals. Doch das war noch nicht alles, er hatte noch eine Überraschung. Sein Gesicht zeigte keine Regung, als er in jedes auf ihn gerichtete Fernglas blickte. Nur seine dunklen Augen funkelten und verrieten seine Anspannung, die schulterlangen blonden Haare flatterten im Wind, der scharf vom Meer her über diesen riesigen Festungskomplex raste. Sard ließ die Erkennungsmarken in den besetzten Nordhof fallen und seine Leute schrien entzückt auf. Das Leuchten zog Brit an. Erstaunt und sogar ein wenig abgelenkt, fokussierte sie ihren Blick und erkannte im fahlen Licht den schmalen Stängel einer Gol’tareh-Blume, auf dem eine noch junge blaue Dolde prangte! Eines der seltensten Gewächse Tranthals hatte sich hier, im Windfang eines Wachturms an der Südküste, festgesetzt; seine sternförmigen Blätter am Fuß der Pflanze schienen Klammern gleich, die sich der unwirtlichen Umgebung nicht beugten. Eine Schicksalsblume, von der man sagte, sie wüchse, wo sie wollte, und sie zeigte sich nicht jedem. Sie hatte zuvor schon zweimal eine gesehen: auf ihrer Abschlussfeier an der Militärakademie, als ehemalige Kommilitonen Marschall Gerr, damals noch General, eine schenkten, und später noch einmal, in Gefangenschaft, als Sard die Überlebenden ihrer Einheit während des Krieges mit den Dar’y in seine Waldbasis verschleppt hatte. Und jetzt hier … in dieser Situation? Nicht einmal ein verzweifeltes Lachen kam ihr in den Sinn. Ihre roten Dornen waren so winzig und wirkten dennoch so hilflos grimmig. Es hieß, dass ausgerechnet Wanderer sie oft sähen, wenn sie in auswegloser Situation am Ende ihrer Kräfte wären. Man fände sie nicht, sondern man würde gefunden … eine Gol’tareh … die Schicksalsblume … hier! Sie hustete und spürte einen Klumpen ihren Hals hinaufrutschen. Sard hatte die Situation genug ausgekostet. Ihm wurde kalt und er war ungeduldig. Auf ein leichtes Nicken hin griffen zwei seiner Leute die Gefangene und rissen sie hoch. Brit Darburg stöhnte, als man sie aufgerichtet festhielt und offen sichtbar neben Sard präsentierte. Die Menge unten auf dem Hof zwischen innerer Mauer und äußerem Wall war erstarrt. Sard war nicht zufrieden. Die Idioten da unten wussten wohl kaum, wer sie war. Die Gefangene konnte sich nicht auf ihren eigenen Beinen halten und...