Warum Nachhaltigkeit die Freiheit braucht
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-96251-200-2
Verlag: Frankfurter Allgemeine Buch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
— Maja Göpel, Politökonomin, Expertin für Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung
Was für ein wichtiges Buch für die ökologische Transformation! Philipp Krohn denkt Freiheit und Verzicht, Liberalismus und Maßnahmen fürs Klima, Kapitalismus und ökologische Lebensweise zusammen, also Konzepte, die meistens ideologisch in jeweils anderen Welten verortet werden – eine Spaltung, die bisher wesentlich dazu beiträgt, den Klimaschutz zu verhindern.
— Hedwig Richter, Professorin Neuere und Neueste Geschichte, Universität der Bundeswehr München
'Ökoliberal' ist ein schönes Plädoyer für die Marktwirtschaft – und für den Klimaschutz. Krohn legt theoretisch sehr fundiert dar, warum dies keine Gegensätze sind und verstaubte politische Lager-Schubladen endlich entrümpelt werden sollten. Lesetipp!
— Johannes Vogel, MdB, Stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Freien Demokraten
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Einführung
Noch ein Buch übers Klima? Buchhandlungen sind voll davon. Und von jemandem, der kein Experte ist? Ja, das stimmt. Seit einem Vierteljahrhundert nehme ich am Klimadiskurs teil. Nicht als jemand, den man zu Details des Gasmarkts befragen oder Fahrpläne zur Klimaneutralität aufstellen lassen kann. Dafür habe ich mich mit den fundamentalen Wertfragen des Diskurses beschäftigt, für die in der Debatte selten Zeit ist. Daraus ist ein konsequenter roter Faden in meiner Erzählung entstanden. Als die Ampel-Parteien im Herbst 2021 Koalitionsverhandlungen aufnahmen, habe ich im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Hoffnungen aus einer ökoliberalen Perspektive formuliert. Die drei Ökonomen John Stuart Mill (1806–1873), Friedrich August von Hayek (1899–1992) und Amartya Sen (geboren 1933) habe ich als Vorbilder empfohlen. Liest man sie zusammen, lässt sich ein Konzept des Ökoliberalismus ableiten, um das es hier geht. Die ermutigenden Reaktionen auf den Artikel haben mich bestärkt, Bedingungen für eine marktwirtschaftliche Position zu untersuchen, die wirtschaftliche Entfaltung nur innerhalb zum Teil schon überschrittener biophysikalischer Grenzen zulässt. Der Markt als Ordnungsprinzip hat sich als überlegen erwiesen, allerdings war er blind gegenüber dem Raubbau, der uns eine Ökokrise von lebensbedrohendem Ausmaß beschert hat. Eine Umfrage des Instituts Allensbach im Sommer 2021 ergab, dass die Zustimmung zur Sozialen Marktwirtschaft größer denn je war. 60 Prozent der Befragten gaben an, dass Anreize sinnvoller seien als Verbote, um etwas für die Nachhaltigkeit zu tun. Es gibt große gesellschaftliche Gruppen, denen die Zerstörung der Umwelt und die ungebremste Erderwärmung Sorgen bereiten, die aber nicht sofort eine Fahne mit der Aufschrift „System Change, not Climate Change“ hissen würden. Die mit der FDP nicht um Fleisch, Porsche und Fliegen kämpfen würden, aber auch nicht die grüne Position zum Verbrennerverbot teilen. Dieses Buch ist eklektizistisch. Verschiedene Perspektiven kommen zusammen: Ökonomik, Alltag, Philosophie, Naturwissenschaft, politische Praxis, Sprachwissenschaft. Es gibt gute Bücher, in denen experimentiert wird, wie sich klimaneutral leben lässt, oder in denen Instrumente vorgeführt werden, die auf einen Pfad der Klimaneutralität führen. Doch wir scheitern gerade alle gemeinsam. Deshalb möchte ich Dinge zusammendenken, die bislang getrennt sind. Mit einem Fußabdruck von unter 4 Tonnen CO2 im Jahr weiß ich, wie es sich anfühlt, Klimaneutralität anzustreben, ohne sie zu erreichen. Technokraten sehen nicht, welche Wertvorstellungen jemand wie Amartya Sen anbietet, Wirtschaft anders zu gestalten. Politiker erkennen nicht, wie sie seit sechs Jahrzehnten die von Kenneth Boulding und Nicholas Georgescu-Roegen entwickelte Sicht ökologischer Grenzen durch Sprache aus der Welt zu schaffen versuchen. Und wer nur über seinen eigenen Fußabdruck nachdenkt, nimmt nicht das Potenzial bewährter Instrumente wie des Emissionshandels wahr, einen Pfad nachhaltigeren Lebens und Wirtschaftens zu determinieren. Ich hatte das Privileg, dass ich Wachstumsgrenzen, das Leidenschaftsthema meiner zwei Abschlussarbeiten, als Redakteur der F.A.Z. weiter verfolgen konnte, ohne dass es in mein Berichterstattungsgebiet fiel. Von der ökologischen Wachstumskritik Herman Dalys kam ich zur konservativen Meinhard Miegels. Ich durfte Dennis Meadows, den Autor von „Die Grenzen des Wachstums“, Joseph Stiglitz, Amartya Sen und Partha Dasgupta interviewen. In Totnes, Bielefeld und Witzenhausen beobachtete ich, wie die Utopie der Transition Towns umgesetzt wurde. Ich stand mit Höhenangst auf dem Kohlekraftwerk Datteln 4, um mir erklären zu lassen, warum der Emissionshandel schon bald das Ende der Kohleverstromung bewirkt, und schrieb in dem Ausmaß häufiger über Nachhaltigkeit, in dem dieses Thema begann, den Diskurs zu beherrschen. Wenn ich in der Folge über Ökoliberalismus nachdachte, fiel mir auf, dass Konzepte der Wachstumskritik unbekannt waren. Dass eine Entkopplung von Wohlstand und Durchsatz von Energie und Materie in der Ökokrise eine Menschheitsaufgabe und Kern der Nachhaltigkeitsdebatte ist, lese ich zu selten. Durch den russischen Angriff auf die Ukraine ist deutlich geworden, dass unser fossiler Wohlstand im 21. Jahrhundert ein Auslaufmodell ist. Bis 2050 müssen wir klimaneutral wirtschaften, wenn die Erderwärmung im vertretbaren Rahmen bleiben soll. Ich selbst bin ein Kind des fossilen Wohlstands: Durch den Beruf meines Vaters ist mein Studium fossil finanziert, genauso wie seine Betriebspension und der Pflegeheimplatz meiner Mutter. Das alles muss komplett ersetzt werden. Öl-, Erdgas- und Fracking-Infrastruktur werden in zwei Jahrzehnten zu wertlosen Stranded Assets wie die Zeche Zollverein. Wir pflegen seit Beginn der Industrialisierung einen Lebensstil, der Ressourcen und Senken in einem Ausmaß voraussetzte, die wir nicht haben – oder zumindest nicht zu dem Preis, den wir zahlen müssten. Die dreimalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland hat den Begriff der Nachhaltigkeit Ende der 1980er Jahre durch den UN-Bericht „Our Common Future“ popularisiert. Er meinte eine Entwicklung, die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen das nicht können. Im akuter werdenden Klimawandel wackelt diese Definition. Heute geht es darum, die Lebensgrundlagen der Menschheit zu sichern. Das Konzept der biophysikalischen Grenzen wurde entwickelt, als sich zeigte, dass in einer vollen Welt (Herman Daly) wirtschaftliche Aktivitäten ein Ausmaß an Energie- und Materialdurchsatz erreichten, das nicht dauerhaft tragfähig ist. Liberalismus stützt sich auf die Freiheit des Individuums. Wenn Ökoliberalismus eine Kombination aus ihr und der Grenzen-Sicht ist, muss er sicherstellen, dass individuelle Freiheit die Grenzen respektiert. Wie das geht, diskutiert dieses Buch. Ökoliberalismus ist etwas anderes als die ökologischsoziale Marktwirtschaft der CDU. Diese hält um jeden Preis am Wachstumsdogma fest. Ökoliberalismus setzt sich zum Ziel, Wachstum und Naturverbrauch zu entkoppeln. Gelingt das nicht, liegt die Priorität auf dem ökologischen Ziel. Denn es geht um das gute Überleben der Menschheit. In Kapitel 1 werde ich die ökologisch-ökonomischen Grundlagen meines Konzepts legen. Dennis Meadows, Kenneth Boulding und Nicholas Georgescu-Roegen werden zu Wort kommen. Was bedeuten Ökogrenzen für den individuellen Fußabdruck, ist Verzicht notwendig oder reicht der technische Fortschritt? Diese Fragen beantwortet Kapitel 2. Im Anschluss wird Kapitel 3 eine ökoliberale Traditionslinie von John Stuart Mill über Friedrich August von Hayek bis zu John Rawls und Amartya Sen legen. Nach diesen theoretischen Kapiteln wird es praktischer: Kapitel 4 problematisiert den Ökomoralismus, der in einem Vakuum politischen Handelns entsteht. Dass über den Klimawandel hinaus gravierende Ökokrisen – allen voran das Artensterben – zu lösen sind, ist Thema von Kapitel 5. In Kapitel 6 folgt das aktualisierte Ergebnis meiner älteren linguistischen Analysen: Tief liegende Metaphern hindern uns bis heute, die Grenz-Sicht in unsere Denkmuster zu integrieren. In Kapitel 7 wird es lustig: Es zeigt, wie Ökomoralismus mich für zwei Tage zur Witzfigur auf Twitter gemacht hat. Kapitel 8 dringt in unsere Lebenswelten ein und zeigt den Unterschied zwischen einer Nachhaltigkeitspolitik durch Verbote und einer durch Anreize, was zu Kapitel 9 überleitet, das den Emissionshandel als Verkörperung einer ökoliberalen Herangehensweise vorstellt. Warum Ökoutopien für eine Mehrheit keinen positiven Impuls gesetzt haben, erörtert Kapitel 10. In Kapitel 11 erweitere ich das ökoliberale Konzept um ökologisch-ökonomische Überlegungen meines Professors Malte Faber aus Heidelberg, um in Kapitel 12 zu fragen: Wie bekommen wir die ökoliberale Wende hin? Mein Beruf hat es mir erlaubt, wunderbare Vordenker dieses Buchs zu treffen. Zweimal sprach ich mit Amartya Sen und Herman Daly, ich begleitete Nachhaltigkeitsforscher Uwe Schneidewind in seinem ersten Jahr als Oberbürgermeister von Wuppertal. Mit Maja Göpel, Angelika Zahrnt, Dennis Meadows, Ralf Fücks, dem Unternehmer Eduardo Gordillo, Joseph Stiglitz, Veronika Grimm, Brigitte Knopf, Meinhard Miegel und Fred Luks habe ich fruchtbare Gespräche geführt. Malte Faber und seine Schüler aus Heidelberg sind mehr als das: Inspiration zu allem, was hier steht: Andreas Kuhlmann, Reiner Manstetten, Stefan Baumgärtner, Andreas Löschel, Christian Becker. Was für eine ergiebige Schule! In diesem Buch verwende ich abwechselnd das generische Femininum und generische Maskulinum, was ich am praktikabelsten finde, um Geschlechter fair zu erfassen. Nicht nachzählen bitte. Nicht-binäre Personen sind auch ohne Sternchen mitgedacht. Dies ist ein Buch für alle, die die Klimaziele von Fridays for Future...