Roman
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-552-05792-0
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Präludium
Der Wein des Doktor Cremonius
Mich fröstelt’s, und das Feuer ist am Erlöschen. Der Herbstwind bläht mir den Mantel auf, daß die geflickten Löcher nach allen Seiten starren wie die Teufelsfratzen. Der Regen schlägt einen Trommelwirbel um mich her und dröhnt und prasselt, als wär’ die Welt mit Kalbfell überzogen. Eine Nacht, dazu geschaffen, sich am Lagerfeuer zu erwärmen und im Kreise grauhaariger Kriegsgefährten bestandner Abenteuer zu gedenken. Aber ach, heute steht mir der Sinn wahrlich nicht danach, denn in fünfzehn währenden Stunden bin ich vom Rücken meines lahmen Gauls nicht zur Erd’ gekommen. Den sächsischen Kurfürsten, den großen Papstfeind und Lutheraner, der die Einung der evangelischen Fürsten gegen den Kaiser zustand gebracht und auch die Böhmen zu einem Aufruhr angestiftet hat, den haben wir gefangen und hieher in des Kaisers Feldlager geführt, daß er morgen einen Fußfall tun muß vor dem Carolus Quint und ihn demütig seinen allergnädigsten Kaiser nennen. Jetzt führen sie seine Kanzler und Ratsherren in Fesseln vorbei. Der alte Mann ist auch dabei, den ich bei Mühlberg mit dem Säbel über den Kopf geschlagen hab’. Er trägt eine blutige Binde um die Stirn, läßt den Kopf hängen, ist fast traurig und verzagt, weiß es wohl, daß er ihn nicht lange mehr zwischen den Schultern wird tragen dürfen. Ja, Brüder, jetzt seid ihr fast verzagt, aber wer hieß euch dem Kaiser aus Ingolstadt solch einen trotzigen Absagebrief schreiben? »Wir geben dem Karl, der sich den fünften römischen Kaiser nennt, kund und zu wissen, daß er pflichtvergessen gegen Gott und an der Nation eidbrüchig gehandelt hat.« Ja, jetzt wird euch der Kaiser schon die rechte Antwort geben. Wer riet euch, ihr armen Schelme, die Finger in solch einen Handel zu stecken? Seht mich an, Brüder! Ich bin auch lutherisch. Reit’ dennoch mit des Kaisers Haufen, schlag’ zu, stech’ und schieß’, wen er mich stechen und schießen heißt, es gilt mir gleich. Treib’ nicht viel Lärmens mit meinem Glauben, halt’ Frieden mit allen schwarzen Kutten, grüß’ eine jede von den spanischen Gecksnasen zuerst, die jetzt allenthalben durchs Lager stolzieren und sich an des Kaisers Seite blähen in ihrer Narrenlivrei. Ihr aber, liebe Brüder, habt alleweil euren Glauben stolz im Mund geführt wie ein Feldgeschrei, dafür tragt ihr jetzt eure Köpfe dem Henker hin! Sie sind vorüber. Mit Stößen und Schlägen haben sie die Knechte vorbeigetrieben. Es ist Stille wieder ringsum. Ich bin müde, ich wollte, es käme endlich der Schlaf. Aber ach, mein Schlaf ist, will mir scheinen, auch solch ein stolzer, spanischer Alamode-Geck geworden. Er ist gar hochfahrend, will nicht kommen, wenn ich ihn rufe. So werd’ ich denn die Augen schließen und an vergangene Jahre denken. Die Tage und Stunden meines Lebens send’ ich aus. Wie die Falken sollen sie durch die Zeiten fliegen und mir Menschen bringen, die ich gekannt hab’, Freuden, die ich einst genossen, Schmerzen, die ich gefühlt, Sünden und fromme Taten, die ich begangen hab’. Die will ich aneinander reihen und aus ihnen ein Jahr meines Lebens zusammenfügen. Das will ich mit beiden Händen fassen und hineinblicken wie in einen Spiegel, daß ich mein Antlitz von einst darin finde und das Antlitz andrer Menschen, die ich liebte, oder denen ich gram war. Denn vielen von den Großen dieser Erde bin ich begegnet. Dem Frundsberg und dem klugen Rohan; dem wilden Christian von Dänemark, dem Ferdinand Cortez und dem Niklas Salm. Von denen will ich einen auf ein Weilchen in mein Erinnern zu Gaste laden, daß mir diese endlose Nacht vergehe! Ach, meine vergangenen Tage und Stunden kommen mit leeren Händen zurück und bringen nicht Gesichter mit sich noch Gestalten. Keiner will kommen von denen, die ich rief, sind alle aus meinem Erinnern geschwunden, haben mir nichts gelassen, als von ihrem Namen einen leeren Klang. Und mein Leben selbst ist blaß geworden, und ich finde mein eignes Bild nicht mehr darin. Jahre sind da, die sind mit einem Male so leer, als hätt’ ich sie nie gelebt, und waren doch angefüllt bis an den Rand mit hundertfältigem Geschehen. Und andre Jahre sind da, in denen ist solch eine Verwirrtheit aller Dinge, daß das Gestern auf das Heute folgt, und Pfingsten liegt vor Ostern, als wäre der goldene Faden zerrissen, an dem die Stunden meines Lebens aneinandergereiht sind. Und wenn meine Gedanken durch mein vergangenes Leben ziehen, so ist es so, als ginge einer durch ein unbewohntes Haus, da sind viele Zimmer leer, andre wieder angefüllt mit törichtem Plunder, wurmstichigem Hausrat und verstaubtem Gerät, das wirr und sinnlos durcheinander steht. Manchmal steigt ein vergeßner und verlorner Tag in meiner Seele auf. Dann seh’ ich mich plötzlich närrische oder grausame Dinge begehen, ohne Sinn und Zweck, so daß ich mich über mich selbst verwundern, auch lachen oder gar zürnen muß. Jesus, wie kam das nur, daß ich einstmals in einem fernen Land einen edeln König ermordet hab’? Bin ich’s gewesen, der diese Tat verübte? Ich seh’ ihn hoch oben auf einer Stadtmauer stehen, umringt von vielen Geharnischten, und er winkt mir grüßend zu. Ich aber achte dessen nicht, sondern heiße den Melchior Jäcklein, meinen Knecht, auf des Königs Brust zielen, leg’ selbst die Lunte an, der Schuß kracht –, der König stürzt – Das muß im Zorn geschehen sein. Und dennoch weiß ich nicht, was mir der König zuleide tat, daß ich so grausam wider ihn verfuhr. Ach, unser Fleisch ist immer mit dem Satan. Dann seh’ ich mich wiederum, wie ich mit dem Schwerte eine hölzerne Tür in Trümmer schlag’ in einer Stadt mit vielen Rosengärten, durch deren Straßen Ruderboote glitten. Aber warum ich dies tat, und was mir den Sinn dermaßen verwirrte, daß ich so zornig auf eine hölzerne Tür einhieb, das weiß ich nicht, doch muß ich lachen über mich, sooft ich daran denke, daß ich in solch einen närrischen Handel geriet. Und ich sehe jene törichte Gebärde heut, so wie man eines Berauschten sinnlose Werke sieht, dessen wunderlich Lachen und Weinen, Fluchen und mit den Händen in der Luft fechten kein Mensch begreift. Und ich schäme mich meines verwirrten Tuns, und oftmals scheint es mir gut, daß mir nur an wenige von meinen Tagen ein Erinnern geblieben ist, von den meisten aber nichts, als ein wüster Lärm im Ohr und eine schwere Müdigkeit in den Gliedern, als wär’ ich auf einem lahmen Gaul holpernd durch mein Leben geritten. Ist jetzt dennoch einer zu mir zu Gast gekommen? Das Bild des toten Matiscona steigt plötzlich in mir auf, des stolzen Mannes, der das wahre Salz der Philosophorum kannte und mich dereinst das Geheimnis lehren wollte, durch ein ebräisch Sprüchlein alle Krankheiten des Leibes und der Seele zu bannen. Er taucht aus dem Dunkel empor, steht vor mir in venezianischer Tracht und bewegt die Lippen, als wollt’ er mir endlich sein tröstlich Elixier verraten. Aber wehe! Es ist nicht seine Stimme, die ich höre, sondern jenes triefäugigen Kapuziners heiseres Krächzen, der mir vor zehn Tagen in der Herberg’ zu Erfurt meinen Beutel stahl. Verdammt! Jetzt hör’ ich plötzlich den schelmischen Juden lispeln und schnaufen, der mir gestern mein silbernes Gehänge für drei neue Groschen abschwatzen wollt’, – doch er trägt heut das Antlitz eines edeln Herrn, des Richard Norfolk, meines toten Schwähers, den man die »weiße Rose« nannte. Ja! Sie haben mich dereinst gekannt, die Großen dieser Erde. Ja! Ich war einst einer von ihnen, und die Klugen haben meinen Rat begehrt und die Starken meine Hilfe. Die Feldherrn, die Heiligen und die Denker hab’ ich am Werk gesehen, das Antlitz der Welt zu formen. Aber alles dies ist heut dunkel in mir und verworren, so, als hätte ein Trotzbube einen Traum von adeligem Leben geträumt. Einstmals in der Neuen Welt ritt ich an himmelhohen Felsen vorbei, auf denen ein längst vergeßnes Volk sein unchristlich Sinnen und Denken in seltsamen Bildern abgemalt hat. Da sah ich Frauen, die sich mit Reihern paarten, zwei Posaunen bedrängten brünstig eine Jungfrau, und ein König erlustigte sich in seinem Bette mit einem St.-Georgen-Drachen. Und niemand lebte, der dieser Bilder geheimen Sinn und Meinung zu deuten verstand, denn ein endloser Regen hatte alle Worte und Zeichen hinweggewaschen, und nur die Bilder sind geblieben, die halberloschen zu tauben Ohren von einer vergeßnen Weisheit sprechen. Und wenn ich mich meines vergangenen Lebens zu entsinnen versuche, so scheint es mir, als stünd’ ich wiederum vor jenem fernen Felsen; denn alles, was ich jemals fühlte und dachte, ist hinweggespült aus meinem Erinnern, und nichts ist mir geblieben, als halberloschene Bilder, die mir kein Mensch zu deuten vermag. Und dennoch – einer lebt, der könnt’ mir mein Leben deuten. Der Melchior Jäcklein ist’s, mein stummer Knecht, der beugt sich jetzt über mich und deckt mich mit seinem wollenen Mantel zu. Er ist heut wiederum zornig, knirscht mit den Zähnen und hat die Fäuste geballt. Sicherlich hat er wiederum Streit gehabt mit denen Spaniern; die liebt er nicht, sind ihm ihrer zuviel im Lager. In meinem stummen Knecht lebt gar mancherlei Haß, den die Arglist der Welt in ihm entzündet hat. Er entsinnt sich vieler Menschen, die mir oder ihm einst Übles taten, denen grollt er noch heut, und sinnt Tag und Nacht über nichts andres nach, als wie er sich an ihnen rächen könnt’. Ich aber erkenne sie nicht mehr, reit’ an ihnen vorbei und kann mich auf keine Art besinnen, wer sie sind, und was sie mir taten. Mein stummer Knecht aber hat nichts vergessen, mein ganzes Leben ist in seinem Kopf abgemalt in grauenvoll blutigen Farben, so wie die...