Wie ich fast ohne Geld um die halbe Welt gereist bin
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-95971-429-7
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Doch ist es überhaupt möglich, fast ohne Geld die Welt zu bereisen? Ist diese Art zu reisen sicher? Wie kann man während des Reisens Geld verdienen? Dies waren die Fragen, die Tomislav Perko immer wieder gestellt wurden. Da er sie nicht in wenigen Sätzen beantworten kann, schrieb er seine Geschichte auf. Von Zagreb aus trampte er zunächst durch Osteuropa, dann folgten zwei Touren quer durch Nord- und Südeuropa, er veranstaltete ein Wett-Trampen nach Istanbul und schließlich verschlug es ihn bis nach Bangladesch. Er hat unzählige Male bei Fremden übernachtet, am Straßenrand gecampt und für Essen und Unterkunft gearbeitet.
In diesem Buch erzählt Tomislav Perko ebenso unterhaltsam wie inspirierend von den Erfahrungen, die er in dieser Zeit gemacht hat, und den Menschen, die ihm auf seiner Reise begegnet sind – Begegnungen, die sein Leben verändert haben und ihm gezeigt haben, dass die Welt voller Wunder ist, wenn man bereit ist, die Augen zu öffnen.
Autoren/Hrsg.
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Tag 87 »Warum nennen sie dich Mungo?«, fragte ich meinen Chef eines Abends in einem geheimen Hinterzimmer eines Jazzclubs. Manchmal blieben wir dort bis spät in die Nacht und spielten eine Runde Poker. Die Atmosphäre erinnerte mich an alte Mafiafilme. Wir waren für die anderen Gäste unsichtbar, in einem dubiosen Hinterzimmer, in dem man trank, rauchte und Karten spielte. Obwohl ich nur ihr Mitarbeiter war, fühlte ich mich wie ein Teil der Familie. Ich nannte Martina schon nach ein paar Tagen Schwester, und sie mich Bruder. Ich war an meinem neuen Arbeitsplatz, mit meinen neuen Arbeitgebern glücklich, und sie waren auch mit mir zufrieden. Ich ging mit Begeisterung zur Arbeit, erledigte meine Schichten mit einem Lächeln, sprach mit Gästen, reinigte die Saftpresse am Ende des Arbeitstages, schrubbte den Boden und säuberte die Toiletten. Ich lernte Menschen kennen, die anders, interessanter und besonders waren. Wir unterhielten uns über Kunst, Reisen, die gesunde Art zu leben. Es gab keine Typen, die sich mit ihrem Ellbogen an die Bar lehnten und mit einem Bier in der Hand den neuesten Tratsch erzählten. Es gab nicht diese Nervosität und die ewigen Geschichten über Geld. Ich fand ein paar neue Freunde, ging mit ihnen zu Theatervorstellungen, zum Grillen außerhalb von Zagreb, und ich hatte eine sehr gute Beziehung zu Martina und Mungo, so gut, dass sie mich fast jeden Abend nach dem Schließen der Bar auf ein Bier mitnahmen. »Ich bin in Maksimir1 aufgewachsen«, erzählte Mungo eines Abends, »und damals fanden wir es lustig, dass jeder aus unserer Clique einen Spitznamen von einem Tier aus dem Zoo hatte. Wenn ich früher als Kind die Situation um mich herum beobachtet habe, streckte ich meinen Hals und drehte meinen Kopf, und jemand von den Älteren hat das bemerkt und gesagt, dass ich ihn an einen Mungo erinnere. Und das war’s.« Ich hörte seinen Schilderungen aufmerksam zu, wie es war, auf Zagreber Asphalt aufzuwachsen und mit Gleichaltrigen aus der Nachbarschaft herumzuhängen, die legendären Dinamo-Fußballspiele zu besuchen, die Überdosis eines engen Freundes mitzuerleben und zu überstehen, und wie es ihn gerettet hatte, Martina kennenzulernen und mit ihr gemeinsam nach Irland zu gehen. Dort waren sie fünf Jahre geblieben. Es war für mich interessant zu hören, dass jemand, der in der gleichen Stadt aufgewachsen war, eine völlig andere Kindheit erlebt hatte. Im Vergleich zu seiner war meine so unschuldig und unbeschwert gewesen, dass ich beschloss, mein Buch, sollte ich es je schreiben, mit den folgenden Worten zu beginnen: Ich bin in einem Märchen aufgewachsen. Ich erinnerte mich an den Umzug von einer gemieteten Wohnung in die andere und an die Tage, die ich in den Parks vor dem Gebäude verbracht hatte. Es war mir und meinem Bruder verboten, außerhalb des Parks zu spielen, damit uns unsere Mutter jederzeit im Visier hatte. Ich erinnerte mich, wie ich meine ganze Grundschulzeit damit verbracht hatte, Fußball oder Basketball mit meinen besten Freunden zu spielen. Ich erinnerte mich an meine Lieblingsvideospiele am Ende der Grundschule, wegen denen ich meine Tage vor dem Computer, in einer anderen Welt, verbrachte. Ich erinnerte mich, dass ich nie in einer Clique war, die trank, rauchte, sich schlug oder Mädchen nachstieg. Das erste Mädchen küsste ich am letzten Tag der Grundschule, nur, weil ich ohne meinen ersten Kuss nicht gehen wollte. Obwohl ich das vielleicht hätte machen sollen. Ich erinnerte mich an Katarina, neben der ich drei Jahre lang im Gymnasium in derselben Bankreihe gesessen hatte, mit der ich auch jede kurze Pause in diesen drei Jahren verbracht hatte und die ich am Ende eines jeden Schultages zur Bushaltestelle begleitet hatte. Ich erinnerte mich an die Zulassung zur Uni und an die Tatsache, dass ich mein Studium nach ein paar Vorlesungen fast abgebrochen hätte. Ich war noch ein Kind, kam frisch aus meiner ersten Beziehung, hatte keine Laster, keine echten Freunde, und ich wusste nicht, was ich mit mir selbst anfangen sollte. Dann, zusammen mit der Clique, mit der ich meine Zeit verbrachte, machte ich verschiedene Lebensphasen durch. Ich interessierte mich für schnelle Autos, obwohl ich den Golf I von meinem Bruder fuhr. Ich begann auszugehen, manchmal in Parks, manchmal in schicke Bars, einen Sommer lang ging ich in Bars, in denen Volksmusik gespielt wurde, und tanzte auf Tischen, als ob ich Glühlampen auswechseln würde. Ich versuchte mich im Gitarrenspiel, weil ich ein Mädchen erobern wollte, das schön singen und spielen konnte. Ich gab auf, als ich sie aufgegeben hatte. Einen Samstag ging ich in den Norden von Maksimir, zwischen lauter Bad Blue Boys,2 weil der Bruder meiner damaligen Freundin ein begeisterter Dinamo-Fan war. Es war ein völlig unwichtiges Spiel. Aber als das Gebrüll von der Tribüne mit dem koordinierten Rhythmus der Trommeln, dem Klatschen und ein paar Tausend brüllenden Kehlen begonnen hatte, war’s das. Ich hatte ein neues Hobby. Einen neuen Ort, an den ich gehörte. Ich verpasste kein Spiel in Maksimir und besuchte sie meistens allein. Das Ergebnis war gar nicht so wichtig - wichtig war, so laut zu schreien, wie es nur ging, um das Team zu unterstützen und diese immense Energie zu spüren, die auf der Fantribüne herrschte. Bald fing ich an, auch Auswärtsspiele zu besuchen. Achtundzwanzig Stunden Leiden im Fanbus bis Auxerre, wo ich bereits vor der slowenischen Grenze Zeuge des Konsums von Opiaten wurde, Diebstähle an Tankstellen, die auf dem Weg lagen, beobachtete und in Auxerre das Durch-die-Stadt-Randalieren, auf der Suche nach einheimischen Fans, miterlebte. Schlussendlich war ich auf der Gästetribüne, umgeben von meinen Begleitern, die mittels Fackeln und Stühlen gegen die Polizei kämpften, während ich, hustend vom Tränengas, meiner Mutter eine SMS schickte, dass alles gut sei und ich weit weg vom Chaos. Ich war in Norwegen, allein, dort verschlief ich, nach drei Tagen Reise und ein paar Dutzend Bier, das Spiel im Bus vor dem Stadion. Ich war Zeuge eines der größten Siege, und zwar desjenigen über Ajax, inmitten von Amsterdam, und das war auch das Ende meiner Reisen mit Dinamo. »Dinamo spielt gegen Ajax um den Einstieg in die UEFA Champions League«, stand in den Schlagzeilen der Internetportale. Ich ließ alles stehen und liegen und griff zum Handy. Gehen wir? Ich schickte eine Gruppennachricht an all diejenigen Menschen, von denen ich überzeugt war, dass sie der Ausflug nach Amsterdam so sehr wie mich interessieren würde. Was für eine schöne Stadt, voller Geschichte und Kultur! Das war für meine Freunde natürlich sehr wichtig. Na klar! Die Antworten waren einstimmig. Wir schauten uns das erste Spiel gemeinsam an, auf der Nordtribüne in Maksimir. Wir feuerten unser Team an und hofften auf ein zumindest zufriedenstellendes Resultat. Das Highlight des Spiels war der Pass von Schildenfeld an einen Spieler von Ajax, der dann ein Tor schoss, und das Spiel endete mit 0:1. Ich war schon an die schlechten Resultate meines geliebten Clubs bei europäischen Wettbewerben gewöhnt und deshalb traf mich die Niederlage nicht sehr. Ich freute mich immer noch auf das Rückspiel, auch wenn ich wusste, dass ich nur wieder dabei zusehen würde, wie wir es nicht im UEFA Cup schafften. »Es ist nicht wichtig, ob sie gewinnen oder verlieren, wir sind immer hier«, hieß es in einem Fanlied der Bad Blue Boys. Aber schließlich war ich doch allein mit der ganzen Aktion. Meine Freunde fanden einer nach dem anderen Ausreden und beschlossen, doch nicht mitzufahren. Das war nicht einmal eine Woche vor der Abreise. Weicheier. »Warum gehst du nicht allein?«, fragte mich Nina, der ich mich in solchen Situationen meist anvertraute. Nina war meine Kommilitonin an der Uni. Eigentlich viel mehr als eine Kommilitonin. Sie war die Person, die den Besuchen des Gebäudes am Kennedy-Platz einen Sinn gab. Sie akzeptierte ein verwöhntes, stures und engstirniges Wesen, sie veränderte und lehrte es, die Welt anders zu betrachten, indem sie Fragen stellte, durch Beispiele belehrte und bedingungslose Liebe schenkte. Sie war diejenige, die angefangen hatte, aus mir eine Person zu machen. »Allein?« Ich schaute sie panisch an. »Was soll ich dort allein?« »Glaub mir, es ist besser, wenn du allein gehst anstatt mit den anderen«, antwortete sie selbstbewusst. »Du wirst übrigens nie etwas auf die Beine stellen, wenn du immer auf andere wartest.« Ich war sicher, dass sie wusste, wovon sie sprach. In der ersten Vorlesung, bei der wir zusammensaßen, zeigte sie mir Fotos aus Indien, Brasilien, Portugal. Sie war ein paar Jahre älter als ich und komplett anders, aber wir verstanden uns trotzdem, oder gerade deswegen, sehr gut. In ihren Augen konnte ich die Aufregung, die Ungewissheit, das Abenteuer sehen, alles was mich erwartete, falls ich mich auf den Weg machen würde. Das war wunderbar. Und gleichzeitig auch beängstigend. Die Angst vor der Einsamkeit, irgendwo weit weg. Auf mich allein gestellt. »Kommst du mit mir?«, flehte ich sie an. »Haha, keine Chance!«, erwiderte sie. »Das ist dein Weg, such nicht nach einer einfachen Ausflucht. Es ist ein viel besseres Gefühl, wenn du etwas selbst machst, ohne die Hilfe der anderen.« »Ich kann es kaum erwarten, den Ausdruck in deinen Augen zu sehen, wenn du zurückkommst!« Ich erinnerte mich an ihren letzten Satz, als ich am Hauptbahnhof ein Ticket, im Zentrum einen großen Rucksack und einen Schlafsack und...