Pelny | Liebe / Liebe | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

Pelny Liebe / Liebe

Roman

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

ISBN: 978-3-7099-3961-1
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



DIE GESCHICHTE EINER BEFREIUNG: SASCHAS LEBEN BEGINNT, ALS IHRE ELTERN SIE ZURÜCKLASSEN.

VOM FEHLEN DER WORTE UND VON SCHRECKLICHER NÄHE
Saschas KINDHEIT ist stumm. Für ihre MUTTER ist sie unsichtbar. Dafür quält ihr VATER sie mit VIEL ZU VIEL NÄHE. Gute-Nacht-Küsse nennt er das. Wie eine Million Steine liegen sie ihr auf der Brust. Sascha weiß, dass diese Nähe nicht richtig ist, auch wenn sie die Wörter noch nicht kennt, die die Erwachsenen dafür haben. Die Wände im HOCHHAUS, IN DEM SASCHA AUFWÄCHST, verschlucken, was in der Wohnung passiert. Zumindest scheint es dem Mädchen so. Wie sonst ist es für sie zu begreifen, dass sich hier niemand füreinander interessiert?

FAMILIE, WAS IST DAS EIGENTLICH?
Mit Vaters "Gute-Nacht-Küssen" ist es endlich zu Ende, als Sascha sich bei ihrem GROSSVATER wiederfindet. Bei dem alten Mann, an dessen HERZLICHKEIT sie sich erst gewöhnen muss. Sie trifft CHARLIE, DAS MÄDCHEN, das sie am ersten Schultag an der Hand nimmt und nie wieder loslässt. Da sind auch ROSA, die Hündin, und DAS NEUE ICH, DAS IN SASCHA wächst. Ein ungewohntes Gefühl breitet sich aus: Menschen und Nähe können guttun. Im Kreis ihrer NEUEN FAMILIE reift ein neuer Kern: ein starkes Herz, das zu VERTRAUEN fähig ist. Wenn sie jetzt an LIEBE denkt, denkt sie an Charlie. Doch dann meldet sich das Gestern und holt Sascha ein. Wie wird sie ihm mit den Lebensmenschen an ihrer Seite begegnen?

VOM MUT, DAS LEBEN SELBST IN DIE HAND ZU NEHMEN
Das Alte abstreifen, sich lösen vom Schmerzhaften, DAS NEUE INS LEBEN LASSEN. – Behutsam erkundet Marlen Pelny die Möglichkeit einer VERBUNDENHEIT AUSSERHALB DER KONSTELLATION VATER-MUTTER-KIND. Dieses Buch schickt dich zuerst dorthin, wo du nicht sein willst. Dann überwältigt es dich mit seinem Vertrauen darauf, dass EMPATHIE UND LIEBE tatsächlich möglich sind. Sascha ist eine wahre Heldin, die nicht aufhört zu glauben: an das HEILEN VON WUNDEN, AN DAS LEBEN UND AN ALL DIE INNIGEN BEZIEUNGEN, die es für sie bereithält.
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Autoren/Hrsg.


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Sie stand am Fenster. Eigentlich kein Bild, das etwas Besonderes war, denn wenn sie nicht gerade in einem Topf herumrührte oder im Bad ihr Kleid anzog und ihr Gebiss einsetzte, stand sie immer dort. An diesem Tag jedoch stand sie am Fenster, um es zu putzen. Ich hatte Mutter noch nie putzen sehen. Aber plötzlich stand sie am Fenster, mit einem Tuch in der Hand, und wischte die Scheibe. Es war ein komisches Bild, das Fenster offen stehen zu sehen, die Gardine aufgezogen. Ein großer Bilderrahmen, der Mutter riesig erscheinen ließ. Ich konnte die Augen nicht abwenden und den Mund nicht schließen, anstatt zu winken oder nach oben zu gehen. Mutter stand auf einer Bühne und ich applaudierte innerlich, indem mein Herz gegen mein Brustbein klopfte. Bis Mutter mich sah, verging eine Weile. Aber als sie mich sah, schloss sie das Fenster abrupt. Als ich oben angekommen war, verlor sie kein Wort über das Fenster, sondern pappte mir gleich eine Kelle Milchreis in die Schüssel. Er schmeckte nicht so, wie ich ihn kannte. Er war salzig und eigentlich eher Suppe als Brei. Ich schwieg und löffelte langsam, in der Hoffnung, dass es vielleicht noch etwas anderes gab. Sie stand wie immer mit dem Rücken zu mir und spähte durch die Gardine hinaus in mein Leben, oder in das, was sie sonst noch da draußen sah. Als ich endlich satt war, fragte ich sie, wie ihr Tag war und ob ich noch etwas besorgen sollte. Wie immer antwortete sie nur auf den zweiten Teil meiner Frage. Sie schrieb einen Zettel und gab mir einen Schein, mit dem ich mich auf den Weg zum Einkaufen machte. Unterwegs traf ich Tim aus der Schule. Er sprach vom Küssen, als hätte er es erfunden, und wollte, dass ich es mit ihm tat. Dort, wo die Straße hinter den Mülltonnen endete, drückte er mich in eine Überraschungsparty. Lauter verpickelte Affen und Mädchen mit Apfelbrüsten standen da, tranken Rosenthaler Kadarka und rauchten die Kippen ihrer Alten. Tim presste seine Lippen auf meine und steckte seine angespannte Zunge dazwischen hindurch. Vorher hatte er geraucht, er schmeckte scheußlich. Er fing an, sich an mir zu reiben. Um uns herum bildete sich ein Kreis. Die Affen und Apfeltittis lachten und riefen: „Hey, der holt sich einen an ihr runter!“ Mir wurde übel. Ich musste fast kotzen, als er tatsächlich kam. Den Affen blieben die Münder offenstehen, die Augen der Apfeltittis formten sich zu Schlitzen. Eine kam mir nachgelaufen, als ich endlich zum Einkaufen ging. Tim sei der hübscheste Junge weit und breit, ich solle mich darauf gefasst machen, dass die nächste Zeit für mich nicht einfach werden würde. Auf dem Weg zurück nach Hause machte ich einen großen Umweg, um nicht noch einmal von Tim aufgehalten zu werden. Mutter stand wie immer am Fenster. Aber diesmal sah ich es nur, weil ich es wusste. Sicherlich klebte die Gardine an ihrem Gesicht. Vielleicht hätte sie nicht die Scheibe, sondern die Gardine putzen sollen. Als ich alles auf dem Tisch abgelegt hatte, fragte sie mich, wie er heiße, der Junge. Mir war klar, dass ich gar nicht so zu tun brauchte, als wüsste ich nicht, wen sie meinte, wir wohnten im zehnten Stock. Vielleicht hatte Mutter von hier aus sogar die Beule in Tims Hose gesehen, obwohl ich mich von den Mülltonnen und den Kadarka trinkenden Flachpfeifen geschützt gefühlt hatte. „Tim“, antwortete ich, „er heißt Tim.“ So vergingen die Jahre. Mutter stand am Fenster statt auf dem Balkon, atmete gegen die Scheibe, und wenn sie auf Zehenspitzen stand, wusste ich, dass draußen gerade ein Opel in die Straße einbog. Wenn Papa ausstieg, verließ sie ihren Fensterplatz und kramte in den Schränken. Dort lagen alte Kekse und verschiedene Tütensuppen. Oft gab es als Vorspeise Tomatensuppe und als Hauptspeise Nudelsuppe, weil pro Sorte immer nur eine Tüte da war. Wenn Papa bei uns war, stand Mutter seltener am Fenster. Sie blätterte dann häufig die Kataloge durch. Manchmal sagte sie, ich bräuchte neue Sachen, und bat mich, zu schauen, was mir gefiel. Ich liebte die Momente, in denen ein neuer Katalog im Haus war, denn es waren die einzigen, in denen Mutter mit mir sprach. Mit den Katalogen in der Hand wirkte sie wie eine Verkäuferin, die mich von ihren eigenen Produkten überzeugen wollte. Ich freute mich auf die bevorstehenden Tage. Zunächst würde Mutter die Angebote genauestens studieren, so als lese sie ein ganz normales Buch, und dann, wenn sie damit fertig war, würde sie mit mir darüber reden. Wenn die Päckchen dann kamen, war nie drin, was wir bestellt hatten. Wollte ich die Jacke in Grün, bekam ich sie in Rosa. Wollte ich eine Jeans, bekam ich eine Cordhose. Mutter freute sich über ihre neuen Schals oder Strickpullis, die immer genauso aussahen wie auf dem Bild, das sie angekreuzt hatte. Wieso man sich bei den Sachen für mich immer irrte, konnte sie sich auch nicht erklären. Wenn Papa nicht bei uns war, interessierten sie die Kataloge nicht. Ich konnte sie ihr hinlegen, wo ich wollte, sie war dann nicht wegzubekommen von ihrer Gardine. Unentwegt starrte sie auf die Stelle, an der sich die Straße bog, und wartete darauf, dass sie Papas Opel auftauchen sah. Wenn ich nicht schlafen konnte, schlich ich nachts durch die Wohnung, um zu sehen, ob sie im Stehen schlief, den Kopf angelehnt ans Küchenfenster. Einmal wagte ich mich ganz nah an sie heran, und gerade als ich einen Schritt um sie herum machen wollte, um zu sehen, ob ihre Augen auch wirklich geschlossen waren, da knallte ganz laut etwas gegen die Scheibe. Ich zuckte zusammen. Im selben Moment trat Mutter mir auf den Fuß und schrie. Ich schrie auch und rannte schnell zurück in mein Zimmer, sprang in mein Bett und beobachtete Mutters Füße im beleuchteten Türschlitz auf und ab gehen. Am nächsten Morgen war ein riesiger Blutfleck auf dem Küchenfenster und versperrte Mutter die Sicht. Aber sie blieb stehen, als wüsste sie, dass sich schon eine Viertelstunde später der Regen darum kümmern würde. Ich hätte gern auf der anderen Seite gestanden und dabei zugesehen, wie es aussah, als ob Blut von Mutters Gesicht gespült würde. Stattdessen ging ich nach unten und suchte vergeblich die Vogelleiche. Seit ich zur Schule ging, kam Ute seltener, um mich zu holen, aber oft genug, damit ich Papa nicht vergaß. Sie brachte mich zu ihm und sie holte mich von ihm ab. Ich fand es eigenartig, dass sie nichts anderes zu tun hatte, als mit mir Zug zu fahren, aber gleichzeitig war ich froh, dass sie das tat. Ich beobachtete ihre Umrisse in der Fensterscheibe. Sie sah darin aus wie eine Zwiebel, so viele Schichten hatte ihre Haut. Ich versuchte sie zu zählen, aber immer verschwammen sie ineinander, und schon bevor wir in einen Tunnel fuhren, kam ich mit dem Zählen durcheinander. Manchmal spielten wir Dame auf einem magnetischen Spielbrett. Und manchmal zählten wir die Kühe, an denen wir vorüberfuhren. Auf dem Rückweg war ich meistens zu müde zum Spielen. Ute sah mich an und fragte, ob ich wieder solche Schmerzen hätte wie bei unserer ersten Fahrt. Ich sagte nein, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich die Wahrheit sagte. Ich fühlte mich belagert und eingekreist von einem fiebrigen Etwas, das sich klebrig an mich presste und nicht mit sich reden ließ. Der Zug donnerte im Rhythmus meines Herzschlags rückwärts durch die Landschaft. Die Dinge in meinem Sichtfeld entfernten sich unentwegt, nichts kam auf mich zu, nichts ließ sich genauer betrachten. Vergeblich versuchte ich, meinen Blick an eine Sache zu heften. An die Strommasten, die mit einer grässlichen Härte an unserem Fenster vorüberkrachten, dass es sich jedes Mal wie ein Schlag ins Gesicht anfühlte. An die Tiere, diese vielen Tiere, und an deren Leben, die so einfach aussahen. Ute strich mir die Haare aus dem Gesicht, als ob die Dinge dadurch leichter zu erkennen wären. Zuhause bewegte sich nichts. Wenn ich wiederkam, stand Mutter am Fenster und drehte sich nicht einmal um, wenn ich etwas fallen ließ. Ich hatte das Gefühl, dass ihr Schweigen an den Tagen, an denen ich von Papa wiederkam, lauter war als sonst. Sie wirkte steifer, härter noch, als sie es ohnehin schon war. Ich setzte mich also zurück in meinen Winkel und hielt die Entfernung zu Mutter aufrecht. Ich sah ihren Hinterkopf vor verschiedenen Wetterlagen, die draußen vor unserem Fenster posierten. Wenn die Sonne schien, leuchtete ihr Haar und ich stellte mir vor, es anzufassen, zu frisieren oder abzuschneiden. Je nachdem, wie mir gerade zumute war. Aber es wurde seltener, dass ich Mutter von hinten zusah. Je älter ich wurde, desto langweiliger war mir das Bild. Denn es änderte sich nicht das kleinste Detail. Ich aß meine Suppe, ging in mein Zimmer, zog das Rollo herunter und dachte nach. Ich konnte sehr lange dasitzen und die Wand anschauen, mit ganz viel Kraft aus dem Kopf gegen den Beton pressen und ein Loch hineindenken. Das hatte ich in der Schule gelernt, wo es mir anfangs immer sehr neblig vorkam. Ich konnte die Lehrerin nie erkennen. Erst als sie behauptete, sie hätte schon zum fünften Mal meinen Namen gerufen, sah ich sie ganz deutlich vor mir stehen. Mutter hatte mich darum gebeten, das zu unterlassen. Sie sagte, ich solle so sein wie die anderen Kinder. Noch einmal würde sie nicht in die Schule gehen. Ich war beeindruckt, dass sie überhaupt dort hingegangen war, nachdem sie eine Einladung bekommen hatte. Ich hatte mich an ihren Platz am Fenster gestellt und ihr dabei zugesehen, wie sie lief. Bis zur Ecke am Altenpflegeheim, wo sie aus meinem Blickfeld verschwand. Ich wäre gern mit ihr gegangen, um zu hören, wie sie mit der Lehrerin sprach. Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie sagte und wie sie es sagte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass...


MARLEN PELNY plakatierte deutsche Städte mit Lyrik und veröffentlichte die Gedichtbände "Auftakt" (2007) und "Wir müssen nur noch die Tiere erschlagen" (2013). Ihre Worte bringt sie nicht nur auf Wände und Papier, sondern mit ihrer Band Zuckerklub auch zum Klingen. Ihre klare Poesie durchströmt auch ihr Romandebüt "Liebe / Liebe" (2021): Für jede Phase, jedes Gefühl Saschas findet sie den eigenen, eindringlichen Ton.


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