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Pechlaner / Schwing | Ist der Tourismus noch zukunftsfähig? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 372 Seiten

Pechlaner / Schwing Ist der Tourismus noch zukunftsfähig?

Evolution oder Revolution

E-Book, Deutsch, 372 Seiten

ISBN: 978-3-17-042322-0
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In Zeiten von Klimawandel, Pandemien und weltweiter Ungleichheit polarisieren Reisen und Tourismus stark - während deren wirtschaftliche Bedeutung weiter steigt. Dieser Dienstleistungszweig kommt daher nicht umhin, sich an veränderte Bedürfnisse sowie ökologische Ziele adäquat anzupassen, damit er als 'Agent of Change' mit nachhaltigen Lebensentwürfen beispielhaft vorangehen kann. Daraus folgende, mitunter schmerzhafte Konsequenzen sind evident, denn langfristiger Nutzen im Sinne von Nachhaltigkeit kommt vor kurzfristiger Wirtschaftlichkeit - was ein gesamtgesellschaftliches Umdenken erfordert. Die Beiträge befinden sich im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Gesellschaft sowie Politik und diskutieren facettenreiche Ideen hinsichtlich der transformativen Kraft eines zukunftsfähigen Tourismus.

Prof. Dr. Harald Pechlaner ist Inhaber des Lehrstuhls Tourismus und Leiter des Zentrums für Entrepreneurship an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Dr. Madlen Schwing war dort wissenschaftliche Mitarbeiterin.
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© Tiberio Sorvillo

© Katrin Wycik

Zur Zukunft des Tourismus in Zeiten substanzieller Veränderungen: Eine Provokation zur Einführung1


Harald Pechlaner, Madlen Schwing

Die vielen Krisen, insbesondere aber Politik-, Wirtschafts-, Gesundheits-, Migrations- und Demographiekrisen, und die vielschichtige Diskussion zur Klimakrise sind Triebkräfte für zum Teil tiefgreifende Transformationen in Wirtschaft, Gesellschaft sowie Politik und bringen auch die Tourismussysteme in einen Krisenmodus. Ökologische Herausforderungen, ökonomische Zwänge, gesellschaftliche Werteverschiebungen und politische Instabilitäten hängen zusammen und erhöhen die Komplexität der Prozesse des Wandels. Technologische Entwicklungen beschleunigen die Lebenszyklen und zwingen eher zu disruptiven denn inkrementellen Innovationen, Klimawandel und planetare Grenzen erfordern Schnelligkeit und eine konsequente Ausrichtung der Transformationen auf Nachhaltigkeit. In dieser Phase des Übergangs steht die Resilienz der Systeme auf dem Spiel. Unsicherheit und kaum überblickbare Risiken erfordern Krisenfestigkeit und Defensivkräfte zur Verteidigung des Erreichten sowie der Standards, an die man sich gewöhnt hat. Zugleich lassen die Dynamiken der Veränderungen erkennen, dass die notwendigen Ziele der Nachhaltigkeit sich nur mit einer vorwärtsgewandten Resilienz und Zukunftsfähigkeit erreichen lassen, die alte Muster konsequent in Frage stellen, Offensivkräfte ermöglichen und neben Effizienz auch Suffizienz und Konsistenz als mögliche Strategien zulassen. Ökologische Notwendigkeiten erfordern einen kulturellen Wandel: Nachhaltigkeit bedeutet die Durchsetzung von Lebensstilen, die eine Trennung von ökonomischem Wachstum und gesellschaftlichem Wohlstand erlauben, und die eine spezifische Sicht auf die Frage der verfügbaren Ressourcen für nachkommende Generationen werfen. Soziale Innovationen, also alltagstaugliche Entwicklungen aus der Mitte der Gesellschaft heraus, sind zentraler Teil dieses kulturellen Wandels. Diese gesellschaftliche Arbeit ermöglicht die Akzeptanz von Nachhaltigkeit im lokalen Raum, was wiederum die Widerstandsfähigkeit verstärkt. Kurzum: es geht um krisenfeste, vorausschauende Lebens- und Wirtschaftsweisen, sowie die Kompetenzen, daraus konkrete Lösungen zu entwickeln. Die Kunst liegt darin, aus dem Unbehagen mit dem krisenbedingten Wandel ein Transformationsnarrativ zu entwickeln, das Zukünfte und zukunftsfähige Ideen vorstellbar macht und dabei die Notwendigkeit schnellen Handelns betont.

Zurück zum Tourismus: Beispiellos ist die Erfolgsgeschichte des Tourismus auf globaler Ebene in den vergangenen Jahrzehnten: Knapp eine Milliarde an Ankünften in 2022, aber bereits 1,5 Milliarden in 2019, mit Tourismuseinnahmen in Höhe von 1,481 Mrd. Dollar eine der wichtigsten ökonomischen Industrien weltweit, ungefähr 100 Millionen Beschäftigte machen den Tourismus zu einem der wichtigsten Arbeitgeber, und Europa ist in einer besonderen Situation, weil in etwa die Hälfte der weltweiten Tourismusströme aus europäischen Ländern kommt, und in etwa die Hälfte der Ankünfte auf Europa entfällt. Schätzungen der Welttourismusorganisation gehen 2030 von 1,8 Milliarden internationalen Reisen aus, noch größere Wachstumsraten betreffen vor allem den Inlandstourismus, und dies vor allem in der asiatischen Region. Womit sich auch die Definition von Tourismus aufgrund der weltweiten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen ändern wird. Der Tourismus ist für ca. 8 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Unabhängig von den unterschiedlichen Szenarien ist der Tourismus in den nächsten Jahrzehnten ein enormer Wachstumssektor und gewissermaßen Garant für wirtschaftliche Prosperität, jedoch mit entsprechenden Schwierigkeiten bei der Eindämmung tourismusbezogener bzw. verkehrsbedingter CO2-Emissionen, und somit bei der Umsetzung von Dekarbonisierung und Klimaneutralität als konkrete Zielgröße.

Die Gesundheitskrise im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie hat den globalen Tourismus aufgrund des beinah völligen Zusammenbrechens internationaler, grenzüberschreitender Mobilität zum Erliegen gebracht. Erst Schritt für Schritt scheint es dem Tourismus-System zu gelingen, an die ökonomischen Erfolge der Vor-Corona-Zeit anzuknüpfen. Es ist ein unbändiges Streben nach einem Zurück zum Höhepunkt wirtschaftlichen Wachstums, wie es 2019 der Fall war, erkennbar. Das ist jedoch kein Fortschrittsnarrativ, wie es nicht nur der Tourismus bis 2019 gekannt hat, sondern eine eigentlich rückwärtsgewandte, vergangenheitsorientierte Sehnsucht nach Berechenbarkeit. Die Vergangenheit wird wichtiger, weil die Zukunft skeptischer gesehen wird. Mit dem unbedingten Streben nach dem Vor-Corona-Niveau nimmt sich der Sektor selbst die Zukunftserwartung, weil die gewünschte Berechenbarkeit nicht die Spielräume der unberechenbaren Wirkungen der verschiedenen Krisen zu nützen imstande ist.

Ist der Weg zurück zu Vor-Corona-Niveaus möglicherweise auch deshalb versperrt, weil sich die Messgrößen für Erfolg und Wertigkeit gerade grundlegend ändern? Könnte dies für den Tourismus bedeuten, dass das Streben nach vorpandemischen Nächtigungs- und Ankunftszahlen einen irreführenden Weg hin zur angestrebten Robustheit, Krisenfestigkeit und Zukunftsfähigkeit darstellt?

Was bedeutet dies für die Zukunftsfähigkeit der Tourismussysteme, deren Fragilität und Vulnerabilität in einer Zeit der Polykrisen sehr deutlich erkennbar wird? Die Gesundheitskrise rund um die globale Pandemie Covid-19 hat erkennen lassen, dass die touristischen Akteure mitten in der Krise in der deshalb notwendigen Interaktion mit Politik nicht als System agieren, sondern im besten der Fälle als Teilsysteme mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Interessen. Wenig abgestimmte und innerhalb des Tourismussystems kaum koordinierte Krisenmanagements führen daher nach der Krise zu differenzierten Wahrnehmungen über die Qualität der Rettungsmaßnahmen. Es wurde augenscheinlich, dass es dem Tourismussystem noch nie wirklich gelungen war, der Tourismuspolitik die Verwobenheit sowie Vernetztheit des Tourismus und seiner einzelnen Wertschöpfungs-Bausteine und ihrer jeweiligen Bedeutung zu vermitteln, ebenso wie das damit einhergehende (finanzielle) Risiko für die einzelnen Teile dieses Netzwerkes im Falle einer globalen Krise. War der Politik die Bedeutung und Vulnerabilität des Tourismus klar und wusste man überhaupt, wie sich das Tourismussystem zusammensetzt? Aber auch: Welche Anstrengungen von Seiten des Tourismussystems wurden in den Jahren zuvor unternommen, um die Bedeutung, aber auch die Vulnerabilität des Tourismussystems zu verdeutlichen? Es fehlt das Denken in Systemzusammenhängen, denn jedes Teilsystem agiert autonom, was auch die Macht gegenüber politischen Akteuren reduziert. Destinationen, Verkehrsträger, Reiseveranstalter und -mittler sowie die touristischen Unternehmen im Bereich Beherbergung und Gastronomie arbeiten zwar zusammen, wenn sie müssen, haben aber kein ausgeprägtes Denken in Systemzusammenhängen eingeübt, das Tourismus und Reisen vom Gast, aber auch von der Gesellschaft her denkt. Tourismuswirtschaft versteht sich eben als Wirtschaft und kaum als Spiegelbild der Gesellschaft. Dass Tourismuspolitik auch und vielleicht vor allem Gesellschaftspolitik und nicht ausschließlich Wirtschaftspolitik ist, ist eine Erkenntnis, die erst langsam um sich greift. Die Debatte zum sogenannten »Overtourism« und der eher defensive, halbherzige Umgang damit von Seiten des Tourismussystems zeigt dies eindrucksvoll. Denn Overtourism ist vor allem ein diffuses Unzufriedenheitsgefühl breiter Bevölkerungskreise rund um die Frage nach der Art des Tourismus und seiner Entwicklungsgeschwindigkeit. Findet Besucherlenkung und -steuerung heute vor allem dort statt, wo ein Zuviel an Tourismus die Erlebnisqualität radikal in Frage stellt, könnte das weitere globale Tourismuswachstum diese Lenkungsstrategien für größere Räume notwendig machen. So gesehen ist Overtourism eine Art Unfreiheit aufgrund von Abhängigkeiten vom Tourismus. Damit bahnt sich ein normativ ausgeformter, »korrekter« Tourismus den Weg in die Destinationen, der es sich zum Ziel macht, die Freiheit der Besucher an die Freiheit der Einwohner zu koppeln, womit man Lebensqualität zum Maßstab einer Tourismusentwicklung machen kann. Das befeuert aber auch die gesellschaftlich angelegte Kritik an weniger korrekten Angeboten, wenn veränderte Konsummuster das Nachdenken über Nachhaltigkeit notwendig machen. Das beinahe Ignorieren von Klimaveränderungen im Event-orientierten Wintertourismus lässt erahnen, dass Geschäftspolitiken und -modelle vielfach darauf ausgerichtet sind, das Angebot so lange am Laufen zu halten, bis es nicht mehr geht. Und auch nach der Pandemie konzentriert sich das Denken und Handeln vor allem darauf, quantitative Maßstäbe des Wachstums an vorpandemischen Messgrößen auszurichten. Der Jubel ist groß, wenn eine Destination oder ein Reiseunternehmen verkünden kann, dass man das Vor-Corona-Niveau wieder erreicht hat. Das reduzierte Denken in Nächtigungen und Ankünften verschließt den Blick auf das große Ganze und die umfassende Verantwortung des weltweiten Tourismus für die zentralen Fragen rund um die planetaren Grenzen.

Globale Umweltveränderungen erfordern zwangsläufig eine zentrale Verantwortung des Tourismussystems. Die dramatische Reduktion von Biodiversität und die zunehmend sichtbar werdenden Folgen des Klimawandels lassen erkennen, dass Tourismus sich ändern muss, will er denn zukunftsfähig sein. Veränderungen bei der Landnutzung oder intensive...


Prof. Dr. Harald Pechlaner ist Inhaber des Lehrstuhls Tourismus und Leiter des Zentrums für Entrepreneurship an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Dr. Madlen Schwing war dort wissenschaftliche Mitarbeiterin.


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