Die befreiende Kraft des Glaubens
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-451-83450-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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1. Vom Durst und der Quelle
1.1 Bin ich bekloppt?, oder: Fast ein Vorwort
Als Kabarettist, Karnevalist und Diakon werde ich oft als Redner angefragt – von Pfarrgemeinden, Kolpingsfamilien, Katholischen Frauengemeinschaften, Karnevalsvereinen und allen möglichen anderen Veranstaltern. An eine Anfrage erinnere ich mich trotzdem besonders deutlich, obgleich sie schon viele Jahre zurückliegt. Ein Herr Dr. Vohwinkel von der Giordano-Bruno-Stiftung rief mich an. Sehr freundlich fragte er, ob mir diese Stiftung bekannt sei. Giordano Bruno sei mir ein Begriff, sagte ich, von einer entsprechenden Stiftung hätte ich allerdings noch nichts gehört. Wie sich herausstellte, handelt es sich dabei um eine der leidenschaftlichsten und kämpferischsten atheistischen Verbindungen, die wir in Deutschland haben. Auch Herr Dr. Vohwinkel war, wie er weiterhin in sehr sympathischem Tonfall erklärte, Atheist aus tiefster Überzeugung. Seine Lebensgefährtin allerdings sei treu katholisch, worauf mir prompt herausrutschte: »Wenigstens eine Vernünftige in der Familie!« Zum Glück hörte ich, dass der Mann am anderen Ende der Leitung ein kurzes Lachen nicht unterdrücken konnte. Ohne weiter auf meinen Einwurf einzugehen, erklärte er mir, dass die Giordano-Bruno-Stiftung regelmäßig einen sogenannten atheistischen Stammtisch veranstalte und er mich zu einem solchen gern als Gast einladen würde. Damals habe ich – heute sage ich: leider – mit dem Argument abgelehnt: »Danke, aber man lädt ja auch keinen Vegetarier zum Grillen ein.« Stattdessen habe ich meinerseits Dr. Vohwinkel sehr herzlich eingeladen, zu einem meiner Kabarettabende ins Senftöpfchen-Theater nach Köln zu kommen. »Da«, so mein Vorschlag, »können wir uns dann nachher noch zusammensetzen und unterhalten.« Dr. Vohwinkel nahm – viel höflicher als ich – die Einladung an. Vor Beginn des Programms hatte ich mich vergewissert, dass er die auf seinen Namen an der Kasse hinterlegte Eintrittskarte auch tatsächlich abgeholt hatte. So stand ich kurze Zeit später also auf der Bühne in dem Wissen, mindestens einen bekennenden Atheisten im Publikum zu haben. Der Abend begann prächtig: ausverkauftes Haus, tolle Atmosphäre, aufmerksames, gut gelauntes Publikum. Getragen davon konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, meinen Ehrengast zum Running Gag des Abends zu machen. Schon in der Begrüßung wies ich darauf hin, dass auch Herr Dr. Vohwinkel von der atheistischen Giordano-Bruno-Stiftung im Saale sei. »Ich weiß jetzt nicht, wo er sitzt«, sagte ich, »aber Sie erkennen ihn an zwei kleinen Hörnern und leichtem Schwefelgeruch.« Immer wieder baute ich den armen Kerl in mein Programm ein – frei nach dem Motto: »Auch wenn Dr. Vohwinkel jetzt wahrscheinlich Schnappatmung kriegt, möchte ich Folgendes zu meinem Glauben sagen …« Nach der Vorstellung, die mit lang anhaltendem Applaus und Zugabe-Rufen geendet hatte, war ich deshalb sehr gespannt, ob mein Gast unsere Verabredung wahrnehmen würde oder ob er vielleicht beleidigt nach Hause gefahren sei, was ich ihm nicht einmal hätte verübeln können. War er aber nicht! Ich sah ihn im Foyer stehen – erkannte ihn gleich, obwohl ich ja noch kein Foto von ihm gesehen hatte –, und ich muss sagen: Auf den ersten Blick schon war mir dieser Mann zutiefst sympathisch, und ein wenig bereute ich es, ihn für meine Gags »benutzt« zu haben. Nachdem ich meine Pappnas weggebracht hatte, gingen wir zusammen ins Brauhaus und haben uns dort sehr lange, sehr gut und sehr angeregt unterhalten. Dass ich ihn beim Kabarett als Witzfigur missbraucht hatte, nahm Dr. Vohwinkel – von Beruf übrigens Astrophysiker, also nicht gerade einer der dümmsten Menschen auf diesem Planeten – mir kein bisschen übel. »Ihr Programm ist sehr unterhaltsam, Herr Pauels«, lobte er. »Ich habe viel gelacht! Aber immer, wenn Sie auf den Glauben zu sprechen kamen, dachte ich: Wie kann ein aufgeklärter Mensch das nur ernsthaft meinen? Früher, das ist klar, da brauchten die Menschen die Religion, um sich die Welt zu erklären. Aber wer heute, wo uns die Wissenschaft doch diese Erklärungen liefert, immer noch daran festhält, der ist – entschuldigen Sie bitte die etwas drastische Ausdrucksweise – ein Stück weit geistesgestört.« In diesem Moment stellte ich mir (mal wieder) die Frage: Willibert, bist du eigentlich bekloppt? Warum kannst du einfach nicht aufhören, an Gott zu glauben? Würden meine Verleger nicht gerade aus Süddeutschland kommen und eine gewisse Scheu vor rheinischer Direktheit mitbringen, hätte übrigens dieses Buch auch so heißen können: »Bin ich bekloppt?! Warum ich nicht aufhören kann, mehr und mehr an Gott zu glauben.« Denn um nicht mehr und nicht weniger als diese kleine, bescheidene Frage nach der Existenz Gottes geht es in diesem Buch. Auch die ebenso reizenden Geschwister dieser Frage tauchen auf: Wenn es Gott gibt, warum lässt er das Leid in der Welt zu? Und was ist mit dem Tod? Wenn ich mich Antworten nähere – und mehr werde ich nicht tun: Ich mag bekloppt sein, aber so verrückt zu behaupten, ich hätte tatsächlich endgültige und unwiderlegbare Antworten auf diese Fragen gefunden, bin selbst ich nicht –, wenn ich mich also Antworten nähere, dann geht es mir weniger um Studien, Statistiken und stringente Argumentationen, sondern vielmehr um das, was mich schon bewegt, seit ich ein Kind war: die Erfahrung der Sehnsucht nach Gott, die Erfahrung der Nähe Gottes und die Erfahrung der Gottferne. Immer wieder werde ich dabei Zitate und Gedanken anderer aufgreifen – von Chesterton bis Drewermann, von Cusanus bis Böll. Ich tue das nicht aus Bequemlichkeit, weil es mir zu anstrengend wäre, eigene Gedanken zu formulieren, sondern weil ich mich so in eine Gemeinschaft derer eingebunden weiß, die wie ich und mit mir auf dem Weg der Sehnsucht sind. Und ich würde mich freuen, wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, mich durch die folgenden Kapitel ein Stück auf diesem Weg begleiteten. Seit Jahrtausenden stellen Menschen die Frage nach Gott – und immer wieder, durch alle Zeiten hindurch, kommen sie zu der Überzeugung: Ja, unsere Sehnsucht hat ein Ziel. Jenseits alles rational Erklärbaren ist der Mensch im Letzten geborgen bei Gott. Deswegen hat dieses Buch den Untertitel »Von der befreienden Kraft des Glaubens«. Denn eine befreiendere Botschaft als die, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, kann ich mir nicht vorstellen. »Leck mich am Arsch, Sisyphos, der Stein ist oben« hätte mir deshalb als Titel auch gut gefallen. Auf Sisyphos werde ich noch einmal zurückkommen, auch auf Orpheus und Arion. Es wird um die heilige Agatha gehen und um Pater Brown, um Heiner Geißler und Thomas von Aquin, um Benedikt XVI. und einen ziemlich berühmten Rabbi aus Nazareth. Es wird nicht um Depressionen gehen – das war Thema meines Buches »Wenn dir das Lachen vergeht«, das ich mit dem wunderbaren Leo Linder zusammen geschrieben habe –, dafür aber zum Beispiel um Humor und um Nahtod-Erlebnisse, um Karneval und um Liturgie. Wer mein erstes Buch gelesen hat, dem mag das eine oder andere bekannt vorkommen, aber was ich dort nur andeuten konnte, will ich hier in den Mittelpunkt stellen. Ich werde Geschichten erzählen und Witze. Ich werde Lieder zitieren und Gedichte. Ich werde vom Thema abkommen und wieder zurückfinden. Und bei all dem geht es mir letztlich zwischen Zweifel und Glauben um ein ehrliches »Und dennoch …«. In seiner »Einführung ins Christentum« schreibt Josef Ratzinger: »Der Gläubige und der Ungläubige treffen sich im Zweifel.« Es stimmt: Der Zweifel ist ein treuer Begleiter all derer, die ihren Verstand und ihr Herz nicht abgeschaltet haben und abgestumpft sind gegen das Leid und die entsetzlichen Ungerechtigkeiten dieser Welt. Nicht mit einem Wort möchte ich die Grausamkeiten abmindern, mit denen wir Tag für Tag konfrontiert werden. Wenn ich lese, höre oder sehe, was Menschen Menschen antun, dann kommen auch mir immer wieder Zweifel, ob wirklich ein gütiger Gott über allem steht. Und es müssen gar nicht immer die großen Ereignisse sein, die den Glauben in Frage stellen. Oft genug ist es einfach nur ein immer wieder mal hochkommendes Gefühl der Angst, dass der Tod vielleicht doch ins Nichts führt – mich und alle, die ich liebe. Umgekehrt sind es auch keine großen Crash-Boom-Bang-Erlebnisse, die die Angst vertreiben. Stattdessen ist es ein warmes Fühlen dieser einen österlichen Sonne, die alle Finsternis vertreibt. Es ist ein Gefühl der unbedingten Geborgenheit in Gottes Liebe – und es gibt Millionen Ausprägungen davon: im Betrachten der Schönheit der Natur, in der Begegnung mit Tieren, in der Liebe von Menschen, … »da berühren sich Himmel und Erde«, wie es in einem Neuen Geistlichen Lied heißt. Dabei ist es die gleiche Natur, die zerstörerisch erschüttern kann. Es sind die gleichen Tiere, deren Grausamkeit einen zweifeln lässt, ob diese Schöpfung wirklich die beste aller möglichen ist. Und es sind die gleichen Menschen, die mit Herzlosigkeit und Hass die Angst in einem schüren, dass am Ende nichts bleibt als kalte Dunkelheit. Im Letzten hängen beide Seiten auf für mich nicht erklärbare Weise zusammen. Denn könnte ich das Licht schätzen, ohne die Dunkelheit zu kennen? »Das Symbol der christlichen Hoffnung ist das Licht«, wird Goethe manchmal zitiert. »Licht bedeutet nicht, dass es keine Nacht mehr gibt, aber es bedeutet, dass die Nacht erhellt und überwunden werden kann. Ich glaube, dass wir einen Funken jenes ewigen Lichtes in uns tragen, das im Grunde des Seins leuchten muss und welches unsere schwachen Sinne nur von ferne erahnen können.« Diesem Glauben schließe ich mich an – und nicht dem von Stephen Hawking, der gegenüber der Zeitung »The Guardian« einmal gesagt hat: »Ich sehe das...