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E-Book

E-Book, Deutsch, 851 Seiten

Parzinger Die Kinder des Prometheus

Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift

E-Book, Deutsch, 851 Seiten

ISBN: 978-3-406-75484-5
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Geschichte des Menschen ist weit älter als die Erfindung der Schrift: Als der erste Frühmensch schöpferisch tätig wurde und einen Faustkeil formte, begann er zugleich seine Geschichte zu gestalten. Von diesem Zeitpunkt an nahm er unablässig Einfluss auf kulturhistorische und gesellschaftliche Verhältnisse und prägte die Lebensbedingungen während der nachfolgenden Jahrtausende.
Hermann Parzinger führt mit seinem imposanten Werk den Leser durch die Welt unserer Vorfahren. Er beschreibt und erklärt die frühe Menschheitsgeschichte auf allen Kontinenten – von der Menschwerdung in Afrika bis zur Entstehung komplexer ackerbäuerlicher Gesellschaften an den Ufern von Euphrat und Tigris, von Nil und Gelbem Fluss. Dabei tritt immer wieder eine anthropologische Grundkonstante hervor: Das beständige Streben des Menschen nach Verbesserung seiner Lebensverhältnisse in einer sich wandelnden Umwelt war die Triebfeder seines kulturellen Fortschritts.
Dies gilt bereits für die frühesten Hominiden, die zielgerichtet Steingeräte zur Zerteilung von Aas herstellten – ein erster Beweis ihres erwachenden Intellekts. Es gilt erst recht für den mit nochmals besserem Planungsvermögen ausgestatteten Homo erectus, der den Wandel vom Aasfresser zum Jäger vollzog und dem eine wahrhaft revolutionäre Innovation gelang – die Beherrschung des Feuers. Und es gilt in geradezu dramatischer Weise für den Homo sapiens, der den Sprung zu kultureller Modernität vollzog: Nicht nur verbreitete er bis um 13.000 v. Chr. das spezialisierte Wildbeutertum von Afrika aus über die ganze Welt. In seinem Erfindungsgeist übertraf er zudem alle seine Vorfahren – auch den Neandertaler, der als Erster das Jenseits entdeckte.
Der Homo sapiens verhalf schließlich Kunst und Ritual zum Durchbruch, die uns mit wahrhaft monumentaler Wucht erstmals in dem 12.000 Jahre alten Heiligtum am Göbekli Tepe am Rande des Fruchtbaren Halbmonds begegnen. In dieser Weltregion gelingt bald darauf zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte der Schritt zur dauerhaften Sesshaftwerdung, die mit der Domestikation von Wildtieren und Wildgetreide einhergeht. Der Wildbeuter wird zum Bauern, der sich mit seinesgleichen in Dörfern zusammenschließt, die er das ganze Jahr über bewohnt. Vom Anwachsen der Siedlungen und der beginnenden sozialen Differenzierung der Bevölkerung bis zur Entstehung großer urbaner Zentren, deren Organisationsbedarf schließlich auch die Erfindung der Schrift notwendig macht, ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.
In dem spannenden Buch Hermann Parzingers verbinden sich die zahllosen kleinen Schritte unserer Vorfahren zu der eindrucksvollen Wegstrecke, die der Mensch durch Jahrmillionen seiner Entwicklung zurückgelegt hat – und mit der verglichen die Zeit der Schriftkultur nur als ein Wimpernschlag der Evolution erscheint.
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1
Mit Greifhänden und Geröllgeräten: frühe Hominiden in Afrika
Die Geschichte vom Werden des modernen Menschen ist noch nicht zu Ende geschrieben. Immer wieder wartet die Wissenschaft mit überraschenden Neufunden auf, die es erlauben, die verschlungenen Wege der Familie der Menschenaffen, der sogenannten hominidae, bis zum Homo sapiens noch genauer nachzuzeichnen. Wichtige Erkenntnisse bringen in diesem Zusammenhang inzwischen auch paläogenetische Untersuchungen an alter DNA. Der Werdegang des Menschen erscheint dadurch jedoch nicht immer nur klarer, sondern eher noch komplexer und verworrener. Die Forschung wird auf diesem Feld also noch viel zu leisten haben, ehe sicheres Terrain erreicht ist. Wir wissen, dass unser Genom zu 95 Prozent mit dem des Schimpansen übereinstimmt; das heißt zwar nicht, dass der Mensch vom Schimpansen abstammt, es bedeutet aber, dass es gemeinsame Vorfahren gegeben haben muss – irgendwo und irgendwann in ferner Vergangenheit vor 10 bis 5 Millionen Jahren. Der Australopithecus afarensis Der Mensch konnte zum Menschen werden, weil seine Vorfahren zum aufrechten Gang fanden, während sich gleichzeitig das Hirnvolumen vergrößerte und der Gesichtsschädel flacher wurde. All dies kennzeichnet den nur in Afrika verbreiteten Australopithecus, dessen erstes Auftreten man derzeit vor etwa 7 Millionen Jahren datiert (Abb. 1; Karte 1). Erste Funde kamen im Becken des Tschadsees zum Vorschein, etwas jüngere Funde aus dem südafrikanischen Taung sind 5 Millionen Jahre alt. Ob alle Arten von Australopithecinen von Anfang an bereits den aufrechten Gang beherrschten, gilt inzwischen als unsicher. Gerade die frühesten Vertreter des Australopithecus afarensis vor über 3 Millionen Jahren hatten möglicherweise auch eine Fortbewegung ganz eigener Art. Ihr Lebensraum dürfte aus lichten Wäldern bestanden haben, wo sie anfangs höchstwahrscheinlich die Lebensweise der Menschenaffen noch beibehalten hatten. Sie hielten sich häufig auf Bäumen auf, insbesondere zum Schlafen, vermochten aber bereits, gelegentlich aufrecht auf dem Boden zu gehen – eine Fortbewegungsart, die sie in der Folgezeit immer weiter entwickelten. Aufrechter Gang und Greifhand Der aufrechte Gang selbst ist jedoch keine Leistung des Menschseins, sondern stellt eine wichtige Voraussetzung dafür dar. Aufrechter Gang und die vielfältig einsetzbare Greifhand gehören zunächst einmal zum tierischen Erbe des Menschen. Mit dem aufrechten Gang kam den Händen plötzlich eine ganz neue Bedeutung zu. Sie wurden immer sensibler. Aus der Greifhand wurde ein Organ des Verstehens, indem sich das sprichwörtliche Fingerspitzengefühl entwickelte. Diese enge Verbindung von Hand und Verstand wird noch heute in unserem Alltag durch die unwillkürliche Gestik, die häufig das Sprechen begleitet, erkennbar. Im Unterschied zum stärker instinktgelenkten Fuß ist die Hand das Organ des Handelns. Durch sie konnte der Vormensch handelnd begreifen und durch Hand- und Fingerzeichen auch eine erste Art der Verständigung mit seinen Artgenossen entwickeln. Beobachtungen an blindgeborenen Kindern zeigen, dass das Sprechen mit den Händen ein integraler Bestandteil des Sprachprozesses ist. Durch die Differenzierung der die Körpersprache begleitenden Laute dürfte die Begriffssprache entstanden sein. Dieser sprachliche Ausdruck unterstützt bzw. ersetzt Mimik und Gestik, freilich ohne dass diese vollends aufgegeben werden. Abb. 1 Zeitliche Abfolge von Hominiden; in der Forschung wird die genaue Rekonstruktion ihrer Vewandtschaftsbeziehungen noch diskutiert. Die bei unseren Urahnen zunehmende Feinfühligkeit der Hände begünstigte die spezifisch menschliche Fähigkeit zur darstellenden Erläuterung, die ihrerseits wiederum Mimik und Gestik beförderte und am Ende sprachliche und sogar musikalische Artikulation ermöglichte. Dieser komplexe Prozess ging einher mit einer immer weiter fortschreitenden Ausformung des Gehirns, und am Ende stand ein zergliedernder Intellekt ebenso wie ein zur Lösung von Problemen geeignetes ganzheitliches Denken. All dies ist mit dem Weg zum Menschsein untrennbar und ursächlich verbunden. Lucy Die meisten Belege für die ältesten Vorfahren des heutigen Menschen treten in Ost- und Südafrika auf, und sein aufrechter Gang dürfte sich dabei erst sehr allmählich herausgebildet haben. Als Zeugnisse aus dieser Frühzeit fanden sich in der Regel nur vereinzelte Knochen von ganz unterschiedlichen Körperteilen. Eines der bislang ältesten fast vollständig erhaltenen Skelette – genannt Lucy – stammt aus Äthiopien und ist 3,9 bis 3,2 Millionen Jahre alt. Das Alter dieser Frau wird auf etwa 25 Jahre und ihre Körpergröße auf 105 Zentimeter geschätzt. Das Körpergewicht der Australopithecinen lag schätzungsweise zwischen 30 und 40 Kilo, ihre Größe dürfte auch bei männlichen Exemplaren 1,30 bis 1,40 Meter nicht überschritten haben. Damit waren sie nicht viel größer als aufrecht stehende Schimpansen. Vergrößerung des Kauapparats Vor etwa 3 Millionen Jahren vollzog sich in weiten Teilen Ost- und Südafrikas eine Klimaveränderung, die zu mehr Trockenheit führte, wobei die Wälder, die weiche Früchte- und Blätternahrung boten, verschwanden. An ihrer Stelle breiteten sich zunehmend savannenartige Graslandschaften aus, in denen nur noch vereinzelt Bäume wuchsen. Damit änderte sich auch das Nahrungsangebot, das mit vergleichsweise harten Gräsern, Samen und Wurzeln der Fauna neue Herausforderungen stellte. Der Australopithecus musste sich diesem Lebensraum anpassen; als Vegetarier entwickelte er einen beeindruckenden Kauapparat, seine Backenzähne wiesen extrem vergrößerte Kauflächen auf, und die äußerst kräftigen Kaumuskeln begannen sogar, eine Art Kamm auf dem Schädel auszubilden. Alle diese grundlegenden Veränderungen, der aufrechte Gang wie die Vergrößerung des Kauapparats, waren das Resultat allmählicher, sich über Hunderttausende bis Millionen von Jahren vollziehender natürlicher Anpassungsvorgänge. Auch die Tierwelt, zu der man im Hinblick auf diese Epoche die Grenze nicht zu scharf ziehen sollte, war den gleichen Prozessen unterworfen. Karte 1 Frühe Hominiden in Afrika und die Ausbreitung des Homo erectus bzw. Homo ergaster nach Asien und Europa. Die ältesten menschlichen Artefakte aus der Olduvai-Schlucht Inwieweit seinerzeit der Australopithecus über das Niveau von Schimpansen hinaus bereits in der Lage war, Werkzeuge einzusetzen, entzieht sich verlässlicher Kenntnis. Der Australopithecus afarensis (Abb. 1) ist jedenfalls etwa 500.000 Jahre älter als die frühesten Steingeräte, die wir kennen. Diese ältesten Artefakte stammen aus der Zeit vor etwa 2,7 Millionen Jahren. Man hat sie in der ostafrikanischen Olduvai-Schlucht entdeckt, weshalb man die gesamte Periode frühester materieller Kultur des Menschen seither als Oldowan bezeichnet. Inzwischen neigt die Forschung zunehmend zu der Auffassung, dass bereits der Australopithecus als Hersteller von Geräten aus dem frühesten Oldowan in Betracht kommt, auch wenn ein eindeutiger Beweis dafür noch nicht erbracht werden konnte und Homo rudolfensis und Homo habilis ebenfalls als Verfertiger erster Gerätschaften im Gespräch sind; vieles wird hier künftige Forschung noch zu klären haben. Werkzeuggebrauch bei Tieren Auch Tiere waren und sind in der Lage, durch den gezielten Einsatz unbelebter Objekte Wirkungen zu erreichen, die außerhalb der Funktionsmöglichkeiten ihres eigenen Körpers liegen. Sie verändern dabei meist die Form oder Position des betreffenden Gegenstands, schaffen sich also ein Werkzeug. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Entdeckung einer über 4000 Jahre alten ‹Schimpansenwerkstatt› bei Noulo im Tai-Nationalpark durch Mitarbeiter des Leipziger Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie. Die dort freigelegten Steine wurden zum Zerschlagen von Nüssen verwendet. Solche Funde zeigen, dass bestimmte kulturelle Merkmale, die man lange ausschließlich dem Menschen zugeschrieben – und zugetraut – hat, wie etwa die Auswahl und das Beschaffen von Rohmaterialien und deren gezielte Verwendung für ganz bestimmte Arbeiten an einem festgelegten Ort, auch Schimpansen zu eigen sind. In dieses Bild fügen sich im Senegal beobachtete Schimpansengruppen, die mit Speeren nach Beutetieren jagen oder mit anderen Gerätschaften Honig sammeln. Werkzeuggebrauch bei Tieren ist jedoch keinesfalls nur auf Menschenaffen begrenzt. Er lässt sich etwa auch bei Elefanten beobachten, und das Gleiche gilt beispielsweise für Delphine, die vor der Küste Australiens abgelöste Meeresschwämme gleichsam wie Handschuhe über ihre Schnauze stülpen, um sich bei der Futtersuche im Meeresboden vor Verletzungen zu schützen. Die Steingeräte des Oldowan Planungsvermögen und Handlungsabfolgen bei der Steingeräteproduktion Gleichwohl sind die weltweit ältesten vom...


Hermann Parzinger bekleidet seit 2008 das Amt des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Zuvor war der habilitierte Prähistoriker 18 Jahre am Deutschen Archäologischen Institut tätig, von 2003 bis 2008 als dessen Präsident. Er hat eine Vielzahl von Ausgrabungen und Forschungsprojekten rund um den Globus durchgeführt und wurde mit zahlreichen Ehrungen und Preisen ausgezeichnet, darunter der Leibniz-Preis (1998) und die Aufnahme in den Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste (2012).


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