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E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Park Ins Leere gelaufen

Wie ich meine Depression überwand und mich selbst neu kennenlernte
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96121-616-1
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie ich meine Depression überwand und mich selbst neu kennenlernte

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-96121-616-1
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Könnte es sein, dass Sie Depressionen haben?« Byung Jin Park ist perplex, eigentlich hatte der Jurist die Psychotherapeutin wegen einer ganz anderen Angelegenheit konsultiert. Doch nach diesem Gespräch muss er sich eingestehen, dass sie recht hat: Von erholsamem Schlaf träumt er schon lang nicht mehr, die Arbeitstage sind eine einzige Qual, sein Leben fühlt sich leer an.

Als er sich Monate später vollständig im Leerlauf wiederfindet, beschließt er, sich endlich seiner Diagnose zu stellen und sich in stationäre Behandlung zu begeben. Langsam sucht er nach seinen Gefühlen und lernt dabei, seine Depression zu akzeptieren. Mit seinem bewegenden Bericht macht Park Betroffenen Mut, sich mit den eigenen seelischen Leiden auseinanderzusetzen, um wieder voll ins Leben zu finden.

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TEIL 4:
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Achtsamkeit
Jeder zweite Tag in der Klinik beginnt mit der Achtsamkeitsgruppe. Bei den Übungen, die wir dort machen, geht es darum, das Hier und Jetzt bewusst wahrzunehmen und sich nicht von Gedanken, Erinnerungen oder sonstigen Fantasien oder Gefühlen ablenken zu lassen. Im Laufe der Zeit habe ich von vielen Mitpatienten gehört, dass die Achtsamkeitsübungen für sie sehr schwierig seien. Zu viele Gedanken würden sie immer und immer wieder ablenken, egal, welche Achtsamkeitsübung auch immer durchgeführt wird. Ich habe auch hier Glück. Ich komme aus einer buddhistischen Familie und die Übungen sind mir größtenteils bereits bekannt. Auf Koreanisch heißt die Achtsamkeit ?? (Chamsun). Vater brachte mir mal eine Übung bei, als ich 16 war: Ich sitze im Schneidersitz und schließe die Augen. Zwangsläufig kommen ein erster Gedanke oder ein Gefühl. Ich visualisiere einen Zettel vor meinen Augen. Darauf schreibe ich den Gedanken oder das Gefühl wörtlich nieder. Im Anschluss zerknülle ich diesen imaginären Zettel und werfe ihn weit weg. Dieselbe Prozedur wende ich beim nächsten Gedanken an. Ich bewerte diese Gedanken nicht. Wenn ein bereits weggeworfener Gedanke wieder da ist, wird dieser erneut aufgeschrieben und weggeworfen. Im Idealfall würde irgendwann der Punkt erreicht, an dem es nichts mehr wegzuwerfen gibt. Diesen Zustand habe ich damals nie wirklich erreicht. Ich habe nie sonderlich lange durchgehalten. Aber hier bin ich aufgrund dieser Erfahrungen nun den anderen gegenüber voraus. Ich habe in der Klinik für mich herausgefunden, dass die sogenannte Gehmeditation für mich am besten geeignet ist. Ich gehe ganz langsam einen Schritt nach dem anderen und nehme jeden Schritt ganz bewusst wahr. Ich registriere, wie mein Fußballen den Boden berührt, wie der Fuß sich im Anschluss abrollt und mein Gewicht sich über die gesamte Fußsohle verteilt. Ich spüre, wie sodann die Fußspitze am Ende den Boden wieder verlässt, während das Gewicht sich auf dem anderen Fuß verteilt. Ich versuche, meine Atmung der Gehgeschwindigkeit anzupassen. Vier langsame Schritte lang einatmen, sechs langsame Schritte lang ausatmen. Bis ich nur noch die Berührung des Bodens durch meine Füße wahrnehme und ansonsten alles andere bis auf meine Atmung ausblende. Danach bleibe ich stehen, richte meinen Blick in die Ferne. Ich suche mir einen Punkt und betrachte, ohne zu werten. Nun konzentriere ich mich nur noch auf meine Atmung. Das Zeitgefühl verschwindet. Ich bin hier. Ich existiere auf dieser Welt. Egal, was um mich herum geschieht – ich bin hier. Ich lebe. Ich stehe auf dieser Stelle, die ich ausgesucht habe, und atme ein und aus. Ich spüre meinen gesamten Körper und es fühlt sich angenehm an. Ich variiere diese Übung gerne, indem ich rückwärts gehe. Das schärft die Sinne und macht die Achtsamkeit dadurch etwas einfacher. Es geht nur um das Hier und Jetzt. Alle Sorgen und Schmerzen, sie werden wieder genug Raum zur Entfaltung bekommen. Aber nicht in diesem Moment. In diesem Moment bin ich hier. Ohne Bewertung. Ohne Einflüsse. Alles, was da ist, darf da sein. Auch heute, zum Ende meiner fünften Woche hier am Chiemsee, gehe ich einige Schritte Richtung See. An der Mauer angekommen, bleibe ich stehen und betrachte wieder einmal die Wellen. Ich sehe die Enten, die sich scheinbar von ihnen treiben lassen. Seelenruhig, geradezu stoisch. Die Tiere sind doch wahrlich achtsam. Sie sind im Hier und Jetzt. Sie machen sich – vermutlich – keine Gedanken darüber, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist; sie machen sich keine Sorgen darüber, was sie in einer Woche zu essen haben können. Sie sind hier. Wenn sie Hunger haben, suchen sie nach Futter. Wenn sie müde sind, schlafen sie. Wenn sie sich einfach treiben lassen wollen, lassen sie sich von den Wellen treiben. Hier und jetzt. Wenigstens in diesen wenigen Minuten bin ich wirklich ich selbst, ohne Sorgen und Ängste. Wie wunderbar erleichternd und entspannend. Der Tag kann starten. Die Parkbank
Mit dem autogenen Training dagegen habe ich meine liebe Mühe. Die Co-Therapeutin, die es leitet, macht es gut. Trotzdem kann ich diese Übung nicht gut ausführen. Entweder schlafe ich sofort ein, was nicht Sinn der Sache ist, oder ich bin trotz allem zu verkrampft. Auch heute bin ich mit einer Portion Skepsis unterwegs zu dem Raum, in welchem die heutige Übung stattfindet. Vielleicht das einzige Training, bei dem ich nicht den gewünschten Erfolg erziele, denke ich mir, schließlich neigt sich der Klinikaufenthalt langsam dem Ende zu. Ich schüttle diesen Gedanken ab, bislang hatte ich einen guten Tag, insbesondere nach der gelungenen Achtsamkeitsgruppe. Ich öffne die Tür und werde von meiner Lieblings-Co-Therapeutin begrüßt. Das scheint doch ganz mein Tag zu werden. Ich entscheide mich heute spontan gegen die Liegehaltung, denn ich möchte etwas anderes probieren. Ich setze mich an die Wand, strecke beide Beine von mir und lege mein Kissen zwischen Wand und Rücken. Ich justiere mich so lange, bis ich bequem sitze. Die Übung beginnt. Die Co-Therapeutin liest den dazugehörigen Text mit ihrer ruhigen Stimme. Ich lasse mich fallen und versuche, alle Kraftanstrengungen soweit es geht zu unterlassen. Ich achte auf meine Atmung und folge den Anweisungen. Und dann bin ich plötzlich nicht mehr in diesem Raum. Ich stehe auf einer grünen Wiese. Diese Wiese befindet sich irgendwo in den Bergen an einer Hanglage. Der Himmel ist blau und das sattgrün strahlende Gras wird durch eine leichte Brise in Bewegung gesetzt. Es ist ansonsten still. In der Ferne sehe ich Berge. Ich beobachte diese Szenerie eine Weile, bevor ich mich umdrehe. Auf der anderen Seite befindet sich eine einzelne Parkbank. Sie ist dunkelgrün und ansonsten schlicht gehalten. Auf der Parkbank sitzt meine Tochter. Ich bin fasziniert. Nicht meine kleine Sechsjährige, sondern eine erwachsene Frau sitzt da, aber sie ist zweifellos meine Tochter. Sie sagt nichts, sondern lächelt mich nur an. Von rechts kommt Nina ins Bild. In ihren Haaren sehe ich graue Strähnen. Auch sie ist älter geworden. Sie geht langsam und doch elegant und anmutig zur Parkbank. Sie setzt sich zu meiner Tochter und schaut mich dann mit einem Lächeln an. Ich bin baff. Ich sage nichts. Ich beobachte die beiden nur. Sie haben beide lange Haare, die im Wind leicht wehen. Dann merke ich erst, dass ich in einer Hand einen Stock halte. Meine Hände sind vom Alter gezeichnet. Ich habe eine Stoffhose und eine leichte Jacke an. Ich bin dünner geworden. Mein Gesicht kann ich natürlich nicht sehen, aber ich kann mir in etwa vorstellen, wie ich aussehen muss. Wie Vater. Ich bin offenbar in die Zukunft gereist. Dreißig Jahre? Vierzig Jahre? Ich weiß es nicht. Es fühlt sich so schön an. So muss Frieden sein. Wir schweigen und lächeln uns an. Ich bin völlig entspannt. Alles ist in diesem Moment gut so, wie es ist. Die Co-Therapeutin holt uns zurück. Ich spüre meine Arme und Beine wieder deutlicher. Ich spüre die Wand im Rücken und dass ich etwas zusammengesunken bin. Ich bin nicht eingeschlafen, sonst wäre ich geweckt worden. Ich strecke mich ein wenig und bewege meine Zehen. Danach öffne ich langsam meine Augen und bin nun wieder in diesem Zimmer. Ich fühle mich leichter, als ich aufstehe und das Zimmer verlasse. Wenn das, was ich gesehen habe, die ferne Zukunft ist – dann kann ich mich getrost darauf freuen. Die Handpan
»Wie geht es Ihnen?«, fragt mich der Musiktherapeut in der sechsten Woche. Alle sieben Tage bin ich bei ihm in einer Einzelsitzung. Entgegen meiner ursprünglichen Erwartung haben wir die bisherigen Sitzungen überwiegend mit Gesprächen verbracht. Er ist ein sehr angenehmer, empathischer Mensch. Bei ihm weiß man, dass er einem wirklich zuhört. Seine Ruhe und Gelassenheit in jeder Situation tun unheimlich gut. Ich erzähle ihm meine Geschichte zum Thema Wut. Er hat ja hautnah miterlebt, wie ich sie entdeckt habe, nun hört er mir gespannt zu, wie ich an die Sache herangegangen bin, was sich in mir verändert hat, welche neuen Ansätze ich entwickelt habe. »Das hört sich hervorragend an«, sagt er sichtlich begeistert. »Danke. Ja, tut es. Es fühlt sich auch so an.« »Was machen wir denn dann heute?« »Gute Frage.« »Ich habe etwas!« Er springt freudig von seinem Stuhl auf. Er holt seine Handpan aus der Ecke hervor. Also hat er nicht vergessen, dass ich dieses Instrument unbedingt mal ausprobieren will. Eine Handpan ist ein Blechklanginstrument, das mit der Hand gespielt wird. Die Handpan sieht aus wie ein Mini-Ufo und hat neun »Tonfelder«. Sie wird in unterschiedlichen Variationen hergestellt und in verschiedenen Tonarten gestimmt. Schon oft habe ich mir Videos angeschaut, in denen auf der Handpan musiziert wird – ein faszinierendes Instrument. Eine Handpan kostet rund 900 Euro, sodass ich dieses Instrument bislang nur aus der Ferne bewundert habe. Umso besser, dass ich jetzt, in der Klinik, die Gelegenheit habe, einmal eine auszuprobieren. Die Handpan ist groß, jedenfalls für mich. Wenn ich auf einem Stuhl sitze, kann ich das Instrument kaum auf meinem Schoß balancieren. Ich setze mich also kurzerhand auf den Boden und umarme das Instrument mit meinen Beinen. Ich sitze in Richtung Innenhof. Durch die verglaste Tür sehe ich den See. Heute ist ein freundlicher Tag. Die Sonnenstrahlen begrüßen mich und sagen mir, dass heute ruhige,...


Byung Jin Park, Jahrgang 1985, ist Rechtsanwalt und Syndikus. 1995 siedelte er mit seiner Familie aus Südkorea nach Deutschland über. Er bloggt bei nestchenliebe.de und twittert als @herrpandabaer unter anderem zum Thema Depression und offen über seine persönlichen Erfahrungen. Byung Jin Park ist getrennt-erziehender Vater einer Tochter und lebt in der Nähe von Hanau am Main.
byungjinpark.de



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