E-Book, Deutsch, 448 Seiten
Reihe: Piper Spannungsvoll
Paretsky Eine für Alle
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-98377-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 448 Seiten
Reihe: Piper Spannungsvoll
ISBN: 978-3-492-98377-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weitere Infos & Material
Sex und die alleinstehende Frau
Heiße Küsse bedeckten mein Gesicht, zerrten mich aus dem Tiefschlaf an den Rand des Bewußtseins. Ich stöhnte und rutschte tiefer unter die Decke, in der Hoffnung, in den Brunnen der Träume zurückzusinken. Meiner Bettgenossin war nicht nach Schlaf zumute; sie wühlte unter der Decke und nötigte mir weitere Zärtlichkeiten auf. Als ich mir ein Kissen über den Kopf zog, wimmerte sie erbärmlich. Jetzt war ich richtig wach, rollte mich herum und schaute sie böse an. »Es ist noch nicht mal halb sechs. Völlig ausgeschlossen, daß du aufstehen willst.« Sie blieb unbeeindruckt, sowohl von meinen Worten als auch von meinen Versuchen, sie von meiner Brust abzuschütteln, sondern schaute mich durchdringend an, die braunen Augen weit offen, den Mund leicht geteilt, so daß die rosa Zungenspitze zu sehen war. Ich bleckte die Zähne. Sie leckte mir eifrig die Nase. Ich setzte mich auf und schob ihren Kopf von meinem Gesicht weg. »Daß du deine Küsse so wahllos verteilt hast, hat dich überhaupt erst in diese Patsche gebracht.« Überglücklich, weil ich wach war, plumpste Peppy vom Bett und ging zur Tür. Sie drehte sich um, wollte sehen, ob ich nachkam, und jaulte leise in ihrer Ungeduld. Ich zog aus dem Kleiderhaufen neben dem Bett ein Sweatshirt und Shorts und stapfte auf schlafschweren Beinen zur Hintertür. Ich fummelte am Dreifachschloß herum. Inzwischen jaulte Peppy ernsthaft, aber es gelang ihr, sich zu beherrschen, bis ich die Tür auf hatte. Adel verpflichtet, nehme ich an. Ich schaute ihr nach, als sie die drei Treppen hinunterlief. Die Trächtigkeit hatte ihre Flanken aufgebläht und sie langsamer gemacht, aber sie schaffte es zu ihrer Stelle am Hintertor, ehe sie sich erleichterte. Als sie fertig war, machte sie nicht die übliche Runde durch den Hof, um Katzen und andere Räuber zu vertreiben. Statt dessen watschelte sie zur Treppe zurück. Sie blieb vor der Tür im Erdgeschoß stehen und bellte laut. Schön. Sollte Mr. Contreras sie nehmen. Er war mein Nachbar im Erdgeschoß, Mitbesitzer der Hündin und allein verantwortlich für ihren Zustand. Eigentlich nicht ganz allein – das war das Werk eines schwarzen Labradors vier Türen weiter gewesen. Peppy war in jener Woche, in der ich auf der Spur einer Industriesabotage die Stadt verließ, läufig geworden. Ich beauftragte einen Freund, einen Möbelpacker mit Muskeln aus Stahl, sie zweimal am Tag auszuführen – diesmal an einer kurzen Leine. Als ich Mr. Contreras sagte, Tim Streeter werde von nun an kommen, war er tief verletzt, wenn auch leider nicht sprachlos. Peppy sei ein wohlerzogener Hund, der komme, wenn er gerufen werde, sie brauche keine Leine; und überhaupt, was bildete ich mir denn ein, Leute damit zu beauftragen, Peppy auszuführen? Wenn er nicht wäre, hätte sich niemand um sie gekümmert, wo ich doch von vierundzwanzig Stunden zwanzig nicht da sei. Ich verreiste doch, nicht wahr? Ein weiteres Beispiel dafür, wie ich das Tier vernachlässigte. Und davon abgesehen, sei er rüstiger als neunzig Prozent der jungen Schwachköpfe, die ich anschleppte. Weil ich es eilig hatte, hörte ich mir nicht den ganzen Sermon an, pflichtete ihm nur bei, er sei für siebenundsiebzig in hervorragender Form, bat ihn aber, mir in dieser Frage meinen Willen zu lassen. Nur zehn Tage später erfuhr ich, daß Mr. Contreras Tim die Tür gewiesen hatte. Das Ergebnis war zwar katastrophal, aber ganz und gar vorauszusehen. Der alte Mann begrüßte mich mit kummervoller Miene, als ich über das Wochenende aus Kankakee zurückkam. »Ich weiß einfach nicht, wie das passieren konnte, Engelchen. Sie ist immer so brav, kommt, wenn sie gerufen wird, und dieses Mal reißt sie sich einfach los und rennt die Straße entlang. Mir ist das Herz in die Hose gerutscht, großer Gott, hab ich gedacht, was ist, wenn sie überfahren wird, wenn sie sich verläuft oder gestohlen wird, Sie wissen schon, dauernd liest man was über diese fahrenden Labore, die Hunde auf der Straße oder auf dem Hof klauen, man sieht seinen Hund nie wieder und weiß nicht, was ihm passiert ist. Ich war so erleichtert, als ich sie eingeholt habe – du meine Güte, ich hätte gar nicht gewußt, was ich sagen soll, damit Sie verstehen –« Ich raunzte ihn ohne Mitgefühl an: »Und was wollen Sie mir wegen dieser Geschichte erzählen? Sie haben nicht gewollt, daß sie sterilisiert wird, aber Sie haben sie nicht unter Kontrolle, wenn sie läufig ist. Wenn Sie nicht so dickköpfig wären, hätten Sie das zugegeben und Tim erlaubt, sie auszuführen. Eins kann ich Ihnen sagen: Ich habe nicht vor, meine Zeit damit zu verbringen, daß ich für ihren verdammten Nachwuchs ein liebevolles Zuhause suche.« Das führte zu einem Wutausbruch seinerseits. Er ging in seine Wohnung zurück und knallte zornig die Tür zu. Ich ging ihm den ganzen Samstag lang aus dem Weg, aber ich wußte, daß wir uns versöhnen mußten, ehe ich die Stadt wieder verließ – ich konnte ihn nicht allein mit einem Wurf junger Hunde sitzenlassen. Außerdem bin ich schon zu alt, um an meinem Groll Freude zu haben. Am Sonntag morgen ging ich hinunter, um gut Wetter zu machen. Ich blieb sogar bis Montag zu Hause, damit wir gemeinsam zum Tierarzt gehen konnten. Wir brachten den Hund verärgert in die Praxis – wie ein schlecht harmonierendes Elternpaar seinen mißratenen Teenager. Der Tierarzt heiterte mich ungeheuer auf, indem er mir sagte, Golden Retriever könnten bis zu zwölf Welpen bekommen. »Aber weil es ihr erster Wurf ist, werden es vermutlich nicht ganz so viele«, fügte er fröhlich lachend hinzu. Ich merkte, daß Mr. Contreras von der Aussicht auf zwölf kleine schwarzgoldene Fellbälle begeistert war. Auf dem Rückweg nach Kankakee fuhr ich hundertdreißig und zögerte danach meinen Auftrag so lange wie möglich hinaus. Das war vor zwei Monaten gewesen. Inzwischen hatte ich mich mehr oder weniger mit Peppys Schicksal abgefunden und war sehr erleichtert darüber, daß sie ihr Nest im Erdgeschoß baute. Mr. Contreras maulte wegen der Zeitungen, die sie an ihrem Lieblingsplatz hinter seiner Couch zerfetzte, aber ich wußte auch, daß er zutiefst verletzt gewesen wäre, wenn sie beschlossen hätte, meine Wohnung zu ihrem Bau zu machen. Derart kurz vor dem Termin ihrer Niederkunft verbrachte sie fast die ganze Zeit bei ihm. Nur gestern war Mr. Contreras zu einem Herrenabend seiner alten Clique ins Las Vegas gegangen. Er war seit einem halben Jahr an der Planung beteiligt gewesen und hätte ungern gefehlt. Dennoch rief er mich zweimal an, um sich zu vergewissern, daß Peppy noch keine Wehen hatte, und ein drittes Mal gegen Mitternacht, um herauszubekommen, ob ich mir auch die Telefonnummer ihres Spielkasinos aufgeschrieben habe. Es lag an diesem dritten Anruf, daß ich Schadenfreude empfand, als Peppy versuchte, ihn vor sechs zu wecken. Die Junisonne war strahlend, aber die Luft am frühen Morgen war immer noch so kühl, daß mir die nackten Füße auf dem Verandaboden zu kalt wurden. Ich ging wieder hinein, ohne darauf zu warten, daß der alte Mann aufstand. Ich hörte immer noch Peppys gedämpftes Gebell, als ich mir die Shorts von den Beinen trat und wieder ins Bett stolperte. Mein bloßes Bein rutschte über einen feuchten Fleck auf dem Laken. Blut. Meins konnte es nicht sein, also war es das der Hündin. Ich zog mir die Shorts wieder über und wählte die Nummer von Mr. Contreras. Gerade hatte ich Kniestrümpfe und Joggingschuhe an, als er sich meldete – mit einer so heiseren Stimme, daß ich ihn kaum erkannte. »Ihr Jungs müßt ja gestern nacht toll gefeiert haben«, sagte ich munter. »Aber stehen Sie jetzt mal besser auf und stellen sich dem Tag – im Nu werden Sie wieder Großvater.« »Wer ist denn dran?« krächzte er. »Wenn das ein Witz sein soll, muß ich Ihnen sagen, daß man um diese Tageszeit keine Leute anruft, und –« »Ich bin’s«, unterbrach ich ihn. »V. I. Warshawski. Ihre Nachbarin aus dem zweiten Stock, wissen Sie noch? Hören Sie, Ihr Hündchen Peppy bellt sich seit zehn Minuten vor Ihrer Tür die Seele aus dem Leib. Ich glaub, sie will rein und ein paar Welpen kriegen.« »Oh. Oh. Sie sind’s, Engelchen. Was soll das mit dem Hund? Peppy bellt vor meiner Hintertür. Wie lange haben Sie sie draußen gelassen? Sie sollte nicht da herumbellen, so kurz vor der Niederkunft – sie könnte sich erkälten, wissen Sie.« Ich verkniff mir mehrere sarkastische Bemerkungen. »Gerade eben habe ich ein paar Blutflecken in meinem Bett entdeckt. Vielleicht ist sie kurz davor zu werfen. Ich komme gleich hinunter und helfe Ihnen dabei, daß alles seine Ordnung hat.« Mr. Contreras fing nun an, mich mit komplizierten Bekleidungsvorschriften zu bombardieren. Mir kam das alles so lächerlich vor, daß ich ohne große Förmlichkeiten auflegte und wieder hinausging. Der Tierarzt hatte betont, Peppy brauche beim Werfen keinerlei Hilfe. Falls wir uns während ihrer Wehen einmischten oder schon die erstgeborenen Welpen aufhöben, könnte sie so große Angst bekommen, daß sie mit dem Rest nicht allein fertig werde. Ich verließ mich nicht darauf, daß Mr. Contreras sich in der Aufregung des Augenblicks daran erinnern würde. Der alte Mann schloß eben hinter sich die Türe, als ich auf dem Treppenabsatz ankam. Durch das Glasfenster bedachte er mich mit einem gequälten Blick und verschwand für kurze Zeit. Als er die Tür schließlich aufmachte, hielt er mir ein altes Arbeitshemd hin. »Ziehen Sie das über, bevor Sie reinkommen.« Ich wies das Hemd zurück. »Ich habe ein altes Sweatshirt an; es macht mir keine Sorgen, was das möglicherweise abkriegt.« »Und ich mache mir keine Sorgen über Ihre blöde Garderobe. Mir liegt was dran, was Sie drunter...