Pappert / Roth | Zeitlichkeit in der Textkommunikation | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 24, 224 Seiten

Reihe: Europäische Studien zur Textlinguistik

Pappert / Roth Zeitlichkeit in der Textkommunikation

E-Book, Deutsch, Band 24, 224 Seiten

Reihe: Europäische Studien zur Textlinguistik

ISBN: 978-3-8233-0506-4
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kategorien der Wahrnehmbarkeit wurden als Textualitätsdimensionen lange Zeit vernachlässigt. Erst in jüngeren Arbeiten wird dezidiert darauf abgehoben, dass sie als sinnstiftende Performanzphänomene zur Erfassung von Textbedeutung und -funktion vor allem von Texten und Textsorten im öffentlichen Raum unerlässlich sind. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl textlinguistischer Arbeiten, die sich etwa mit den Aspekten Materialitäts-, Medialitäts- und Ortsgebundenheit auseinandersetzen. Dagegen spielen zeitliche Aspekte (bislang) eine nur marginale Rolle in der Textlinguistik. Das verwundert insofern, als wir in unserer mediatisierten Textwirklichkeit mit zahlreichen Texten und Textsorten täglich zu tun haben, die nicht nur orts-, sondern auch zeitgebunden sind. Die Beiträge des vorliegenden Bandes zeigen anhand unterschiedlicher Textsorten und Handlungsbereiche, dass es geradezu unerlässlich ist, sich mit der Zeitlichkeit in der Textkommunikation zu befassen.

Apl. Prof. Dr. Steffen Pappert forscht und lehrt am Institut für Germanistik an der Universität Duisburg-Essen. Prof. Dr. Kersten Sven Roth ist Inhaber des Lehrstuhls für Germanistische Linguistik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
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Zeitlichkeit beim Handeln mit Texten
Ina Pick & Claudio Scarvaglieri
Abstract: In unserem Beitrag untersuchen wir den Zusammenhang von Zeitlichkeit und Text mit einem handlungsanalytischen Zugang. Wir plädieren dafür, Texte als Teil von Handlungsprozessen zu betrachten und verstehen Zeitlichkeit als aus den Handlungszusammenhängen entstehend. Wir stellen diese Perspektive anhand verschiedener Beispiele dar und zeigen, dass sich Zeitlichkeit auf verschiedene Weisen für die Textkonstitution als relevant erweisen kann: sich verändernde Handlungszusammenhänge, in denen Texte nur zeitweise relevant sind; konstante Handlungszusammenhänge, in denen sich die Materialität oder Medialität von Texten im Lauf der Zeit wandelt; Texte, die sich mit dem Handlungsprozess selbst weiterentwickeln und Handlungsabfolgen, die mit mehreren aufeinanderfolgenden Texten realisiert werden. 1Einleitung
Texte dienen der Kommunikation zwischen Personen, die raumzeitlich getrennt sind (Ehlich 1983). Schrift (Ehlich 1994) ermöglicht die Konservierung von Kommunikaten und damit Kommunikation, die in gewisser Hinsicht zeitunabhängig ist: anders als stimmlich erzeugte Äußerungen, die, wenn sie nicht technisch gespeichert werden, nur im Moment ihres Produzierens rezipiert werden können, ist die Rezipierbarkeit von schriftlich verfassten Äußerungen im Grunde zeitlich unbegrenzt bzw. wird – wie unsere Beispiele zeigen (s.u. Kap. 2) – nur durch die materiale Verfasstheit des Trägermediums bzw. Schreibmittels begrenzt. Daher wurden schriftliche Texte lange als quasi ‚überzeitlich‘ angesehen – da ihr Zweck in der Loslösung von Äußerungen aus der Gleichzeitlichkeit diskursiv mündlicher Kommunikation besteht und ihre Form und Funktion über die Zeit hinweg (vermeintlich) konstant bleiben, wurden zeitliche Aspekte bei der linguistischen Analyse und Konzeption von Texten lange nicht berücksichtigt. Dies hat sich in den letzten Jahren zunehmend verändert, zumal aus sprechakttheoretischen (Liedtke 2009), interaktionslinguistischen (Hausendorf et al. 2017) oder internetlinguistischen (Beißwenger 2020) Perspektiven darauf aufmerksam gemacht wurde, dass für die Textkonstitution auch Zeitlichkeit analytisch relevant ist, Texten also auch eine zeitliche Dimension zukommt. In diesem Artikel möchten wir diese Beiträge aufgreifen und handlungsanalytisch (s. auch Pick und Scarvaglieri 2021) weiterentwickeln. Dabei bauen wir, wie auch die genannten Arbeiten, auf der etablierten handlungstheoretischen Bestimmung von Konrad Ehlich (1983: 32) auf, der Texte als Mittel zur Überbrückung einer „zerdehnten“ Sprechsituation fasst, aber auch darauf hinweist, dass es im Falle schriftlicher Vertextung auch zu einem „Zerfallen“ (Ehlich 1994: 19) von Produktions- und Rezeptionssituation kommen kann. Indem sie Äußerungen konservieren, ermöglichen Texte die Kommunikation von Personen, die sich raumzeitlich in unterschiedlichen Handlungszusammenhängen befinden und einander weder sehen noch hören können.1 In dieser Bestimmung ist der Zusammenhang zwischen Text und Zeit bereits angelegt, und zwar insofern, als Texte Ehlich (1983: 32) zufolge der „sprechhandlungsaufbewahrenden Überbrückung zwischen zwei nichtidentischen unmittelbaren Sprechsituationen“ dienen. Unser Ziel ist es, die verschiedenen Aspekte von Zeitlichkeit beim Handeln mit Texten zunächst phänographisch zusammenzuführen und zu ordnen (Kap. 2), um darauf aufbauend eine weiterführende handlungsanalytische Konzipierung des Verhältnisses von Text und Zeit vorzulegen (Kap. 3). Zentral für unsere handlungsanalytische Herangehensweise an diesen Phänomenbereich ist die Annahme, dass Texte Zeitlichkeit im Handeln gewinnen. Texte lassen sich u.E. als Mittel des kommunikativen Handelns bestimmen (Pick und Scarvaglieri 2021), sie entstehen im Handeln, durch das Handeln und für das Handeln, daher entsteht auch ihre Zeitlichkeit im Handeln. Diese fundamentale Annahme gliedert auch unsere Darstellung und Diskussion des uns vorliegenden Datenmaterials. So werden wir zunächst Beispiele besprechen, die zeigen, dass Texte sich verändern bzw. verändert werden – und dadurch Zeitlichkeit gewinnen –, wenn sich der Handlungsprozess, in dem sie bestimmte Handlungen übernehmen, verändert (wenn z.B. Hygieneregeln nicht mehr beachtet werden müssen, werden die entsprechenden Texte entfernt oder ungültig gemacht; Kap. 2.1). Andere Texte (wie etwa Grabsteine) sind dagegen sehr stark auf Dauerhaftigkeit angelegt, was auf einen vergleichsweise konstant bleibenden Handlungsprozess – ein dauerhaftes Gedenken der verstorbenen Person – verweist (Kap. 2.2). Hier wird also gerade an dem Versuch, Texte zu schaffen, die überzeitlich lesbar sein und damit der Zeitlichkeit entzogen werden sollen, erkennbar, wie wichtig dieser Aspekt für diejenigen ist, die diese Texte verantworten. Ähnliches gilt für Archivierungen von Texten, die teilweise sehr aufwändig betrieben werden, etwa in Bibliotheken oder Archiven. Ein Gegenstück dazu sind Texte, die wiederholt verändert und bearbeitet werden, weil sie an verschiedenen Punkten im Handlungsprozess relevant werden (Kap. 2.3). Diese Texte gewinnen Zeitlichkeit, weil sie im Handeln verwendet werden, dadurch formal anwachsen und sich entwickeln und damit auch den Handlungsprozess, in den sie integriert sind, widerspiegeln. Darüber hinaus ist Zeitlichkeit dann relevant, wenn unterschiedliche Texte unterschiedliche Handlungen in einem Handlungsprozess vollziehen, also zeitlich und kommunikativ aufeinander folgen und Bezug nehmen (z.B. Einladung zur Geburtstagsfeier, Zusage teilzunehmen, Glückwunschkarte; Kap. 2.4). Bevor wir diese Dimensionen von Zeitlichkeit beim Handeln mit Texten materialgestützt entfalten, möchten wir an dieser Stelle kurz auf die vorliegenden Arbeiten eingehen, die sich mit dem Aspekt der Zeitlichkeit von Texten beschäftigt haben. Aus sprechakttheoretischer Perspektive unterscheidet Frank Liedtke (2009) bei Texten zwischen einem Inskriptionszeitpunkt, zu welchem die Äußerung produzentenseitig vollständig textuell ausgearbeitet ist, einem Rezeptionszeitpunkt, an dem die Äußerung gelesen wird, und einem Obligationszeitpunkt, an dem bestimmte Verpflichtungen, die aus Liedtkes sprechakttheoretischer Perspektive als Resultat der Lektüre der Äußerung entstehen, realisiert werden. Hier wird Zeitlichkeit also innerhalb des Produktions- und Rezeptionsprozesses von Texten verortet, der übergeordnete Handlungsprozesses, in dem Texte von Produzent:innen wie Rezipient:innen verwendet werden, wird dagegen weniger berücksichtigt. Zudem wird zwischen Rezeption und Obligation unterschieden und mit dem Obligationszeitpunkt ein Konzept eingeführt, das an die Perlokution der Sprechakttheorie erinnert (Searle 1969; Liedtke und Keller 1987; Weigand 2010). Damit wird die etwaige Reaktion der Rezipierenden aus dem Handlungsprozess heraus und in den Text selbst (bzw. in die in ihm realisierten Verpflichtungen) hinein verlagert. Liedtkes Unterscheidung verschiedener textbezogener Zeitpunkte entwickelt Beißwenger für die Analyse von Internettexten weiter, indem er zunächst zusätzlich zu Liedtke einen „Intentionszeitpunkt“ ansetzt, „zu welchem der bzw. die Produzierende beschließt, eine Textäußerung zu konzipieren“ (2020: 301). Während dieser Zeitpunkt für die Beißwenger interessierende WhatsApp-Kommunikation daran erkennbar ist, dass jemand mit dem Finger auf das entsprechende Feld tippt (ebd.: 310), ist er für die meisten der Texte, denen wir im Alltag und in der Wissenschaft begegnen, empirisch nicht zu ermitteln. Da der Intentionszeitpunkt also in die Analyse im Normalfall nicht einfließen kann, ist er analytisch u.E. auch von begrenzter Bedeutung. Zudem setzt Beißwenger einen „Verfügbarkeitszeitpunkt“ (ebd.: 303) an, zu dem ein Text technisch übermittelt wurde und an sich also auf dem Endgerät abrufbar und damit lesbar ist. Dieser fällt empirisch häufig nicht mit dem Rezeptionszeitpunkt überein, was Bedeutung für das Handeln haben kann (so kann etwa eine Verabredung misslingen, weil Texte zu spät verfügbar oder nicht gelesen werden). Dass Verfügbarkeit und Rezeption von Texten auseinanderfallen können, gilt empirisch nicht nur für Internettexte, die quasi privatissime auf dem je eigenen Telefon sichtbar werden, sondern auch für ihr Gegenstück, Texte im öffentlichen Raum. Diese sind naturgemäß jederzeit lesbar – wenn sie nicht abgedeckt, abmontiert oder anderweitig manipuliert oder unsichtbar gemacht werden (Pappert 2017; Michel und Pappert 2018; Scarvaglieri und Luginbühl 2023) –, werden aber nur dann rezipiert, wenn sich Personen in räumlicher Nähe befinden, sich also zu diesen Texten hinbewegen, sie wahrnehmen und sie in ihren Handlungszusammenhang integrieren. Die Soziolinguistik hat mit der Untersuchung der „Linguistic Landscapes“ ein eigenes Forschungsfeld zu diesen Texten entwickelt, das bisher in der deutschsprachigen Textlinguistik kaum rezipiert wurde (für einen Überblick s. Marten 2019; vgl. auch Ziegler und Marten 2021). Blommaert und Maly (2014: 4, Herv. i.O.) weisen explizit auf die Zeitlichkeit von Texten bzw. Schildern („signs“) im öffentlichen Raum hin: (i) Signs point towards the past, to their origins and modes of production. Elements of material and linguistic make-up are indices of who manufactured the signs, under which conditions they were manufactured, which resources were used and, so, available and accessible to the producers of the sign. […] (ii) Signs point towards the future, to their...


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