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E-Book, Deutsch, 656 Seiten

Padura Ketzer

Ein Mario-Conde-Roman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-293-30827-5
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Mario-Conde-Roman

E-Book, Deutsch, 656 Seiten

ISBN: 978-3-293-30827-5
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Havanna, 27. Mai 1939: Die MS St. Louis fährt im Hafen ein. An Bord: 937 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland. Daniel Kaminsky wartet an Land auf Eltern und Schwester. Doch die Einreise wird allen verweigert, das Schiff fährt zurück nach Europa.

Amsterdam, 1648: Elias, ein Schüler Rembrandts, wird vom mächtigen Rabbinerrat aufgrund seiner Malerleidenschaft aus der Stadt verstoßen. Der Meister selbst gibt ihm sein Porträt mit auf den Weg ins Exil.

London, 2007: Sensation auf dem Kunstmarkt. Ein bislang unbekanntes Christusporträt von Rembrandt taucht bei einer Auktion auf. Wer ist der Eigentümer? Mario Conde macht sich auf die Suche nach den Geheimnissen des Christusbildes und der Familie Kaminsky. Der Fall führt ihn durch die Jahrhunderte. Die Spur zieht sich um die halbe Welt.

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3
Krakau 1648–Havanna 1939 Zwei Jahre vor jenem dramatisch schweigsamen Morgen, an dem Daniel Kaminsky und sein Onkel Joseph zum Hafen von Havanna gingen, um die St. Louis anlegen zu sehen, hatte sich die ohnehin angespannte Situation der Juden in Europa immer weiter zugespitzt, und neues und noch größeres Unheil blieb zu befürchten. So hatten Daniels Eltern also entschieden, sich am besten direkt ins Auge des Hurrikans zu begeben und die Kraft seiner Winde auszunutzen, um sich in Sicherheit zu bringen. Da Esther Kellerstein in Deutschland geboren worden war und ihre Eltern noch dort wohnten, hatte Jesaja Kaminsky nach Bestechung mehrerer Beamter die Erlaubnis bekommen, mit seiner Frau und ihren Kindern Daniel und Judith Krakau in Richtung Leipzig zu verlassen. Dort hoffte der Arzt, zusammen mit den anderen Mitgliedern des Kellerstein-Klans – einer der angesehensten Familien der Stadt, Fabrikanten von Holz- und Saiteninstrumenten, die unzähligen deutschen Sinfonien seit Bachs und Händels Zeiten Klang und Seele verliehen hatten –, eine Lösung für ihre Probleme zu finden. Nachdem sie sich mithilfe der Kontakte und des Geldes der Kellersteins in Leipzig eingerichtet hatten, besorgte Jesaja auf höchst komplizierten Wegen die Ausreiseerlaubnis und ein Touristenvisum für seinen Sohn Daniel, der gerade sein achtes Lebensjahr vollendet hatte. Das erste Ziel des Jungen würde die ferne Insel Kuba sein, wo er auf die Ausweitung seines Visums auf die Vereinigten Staaten warten sollte. Seine Eltern und seine Schwester würden, so hofften sie, bald nachkommen, wenn möglich auf direktem Weg nach Nordamerika. Dass die Wahl auf Havanna als ersten Anlaufpunkt fiel, lag an den erschwerten Einreisebedingungen in die Vereinigten Staaten und an dem günstigen Umstand, dass Jesajas älterer Bruder Joseph seit einigen Jahren dort lebte. Inzwischen zu dem umtriebigen Kubaner Pepe Cartera geworden, konnte Joseph den Behörden gegenüber die finanzielle Verantwortung für den Jungen übernehmen. Für die anderen drei Familienmitglieder, die in Leipzig festsaßen, gestalteten sich die Dinge komplizierter. Zum einen durch die Einschränkungen der deutschen Behörden, die ihre jüdischen Bürger nicht ausreisen ließen (es sei denn, sie hatten Vermögen und überschrieben es bis auf den letzten Pfennig dem Staat). Zum anderen durch die wachsende Schwierigkeit, ein Visum zu erhalten, insbesondere für die Vereinigten Staaten, die Jesaja Kaminsky als idealen Ort für einen Mann seines Berufes, seines Bildungsstandes und seiner Bestrebungen ansah. Und schließlich durch die unerschütterliche Zuversicht der Kellersteins, die glaubten, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Position genug Ansehen und Respekt zu genießen, um zumindest ihr Geschäft zu einem vorteilhaften Preis verkaufen und irgendwo anders auf der Welt ein wenn auch bescheideneres Unternehmen gründen zu können. Am Ende waren es wohl diese Träume, Illusionen und Ansprüche, zusammen mit dem, was Daniel Kaminsky später als Unterwürfigkeit bezeichnen sollte, und einer lähmenden Unfähigkeit, die Vorgänge im Land zu begreifen, die sie wertvolle Monate kosteten. Monate, die sie gebraucht hätten, um die Vorbereitungen für einen der Fluchtwege zu treffen, die andere Leipziger Juden bereits gewählt hatten; Leute, die – weniger romantisch und verwurzelt als die Kellersteins – zu der Überzeugung gelangt waren, dass nicht nur ihr Geschäft, ihr Haus und ihre Freundschaften auf dem Spiel standen, sondern auch und vor allem ihr Leben, nur weil sie Juden waren in einem an aggressivem Nationalismus erkrankten Land. Das tiefe Vertrauen in den Anstand und die Zivilisiertheit der Deutschen, mit denen sie seit Generationen erfolgreich zusammengelebt hatten, rettete die Kellersteins nicht vor dem Ruin und dem Tod. Hatten die deutschen Juden zu jener Zeit bereits all ihre Bürgerrechte verloren und waren zu Parias geworden, so wurde inzwischen die bloße Zugehörigkeit zu ihrer Religion und Rasse zu einem Verbrechen. In der schwarzen Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, der sogenannten »Kristallnacht«, sechs Monate, nachdem Daniel nach Kuba abgereist war, verloren die Kellersteins praktisch ihren gesamten Besitz. Auf der Suche nach einem Visum für irgendein Land der Welt, in dem sie derartigen Gefahren nicht ausgeliefert wären, fuhren Daniels Eltern und Schwester nach Berlin, wo sie Zuflucht fanden bei einem nichtjüdischen Arzt, einem ehemaligen Kommilitonen Jesajas. Während Jesaja von einem Konsulat zum nächsten lief, wurde er Zeuge der großen Nazi-Aufmärsche und konnte sich ein Bild von dem machen, was Europa erwartete. In einem der Briefe, die er seinem Bruder Joseph damals schrieb, versuchte Jesaja ihm oder vielleicht sich selbst zu erklären, was in jenen Momenten in ihm vorging. Das Schreiben, das Onkel Pepe seinem Neffen Jahre später übergab und das Daniel weitere Jahre später seinem Sohn Elias aushändigte, verschaffte einen lebhaften Eindruck von der Angst, die einen Menschen befällt, wenn ihn entfesselte Kräfte einer Gesellschaft zum Feind ausersehen. Wenn sie ihn in die Enge treiben, nur weil er bestimmten Ideen anhängt, die eine von einer totalitären Macht manipulierte Mehrheit als für das Allgemeinwohl schädlich ansieht. Der Wunsch, sich selbst zu entkommen und als einzigartiges Individuum in der homogenen Masse aufzugehen, ist ein Mittel gegen diese Angst. Aber auch eine Möglichkeit, sich den irrationalen Hassbekundungen einer Gesellschaft zu entziehen, die unter dem Deckmantel der patriotischen Pflicht und im Glauben an ihre messianische Bestimmung außer Rand und Band gerät. Gegen Ende des Briefes schrieb Jesaja: »Ich träume davon, unsichtbar zu sein.« Dieser Satz, eine Zusammenfassung seines erschütternden Bedürfnisses nach unterwürfiger Selbstauflösung, sollte das zukünftige Verhalten seines Sohnes bestimmen. Nicht nur, dass er unsichtbar sein wollte, mehr noch: Er hatte den Wunsch, sich in jemand anderen zu verwandeln. In diesem kritischen Moment, als die Anspannung durch den Druck der Nazis kaum noch auszuhalten war, erhielt Doktor Jesaja Kaminsky ein Telegramm aus Havanna, in dem sein Bruder Joseph ihm von einem unerwarteten Rettungstürchen berichtete: Eine Agentur der kubanischen Regierung wolle ein Büro in der Botschaft in Berlin eröffnen, wo Juden ein Touristenvisum für die Insel erwerben könnten. An dem Tag, als die Agentur ihre Arbeit aufnahm, ging Jesaja Kaminsky auf die kubanische Botschaft und erwarb die drei Visa. Dann zahlte er, mit Unterstützung der Kellersteins und seines Arztkollegen, die von der deutschen Regierung geforderte Summe für die Ausreiseerlaubnis und kaufte drei Fahrkarten erster Klasse für die Fahrt auf einem Überseedampfer von Hamburg nach Havanna. Am 13. Mai 1939 stach die MS St. Louis mit neunhundertsiebenunddreißig Juden in See, die ihr Glück kaum fassen konnten. Ziel des Schiffes war es, zwei Wochen darauf Kuba zu erreichen und im Hafen von Havanna seine menschliche Fracht abzuladen. Als Joseph Kaminsky und sein Neffe Daniel am Morgen des 27. Mai 1939 an den Hafen kamen, war es noch dunkel. Doch im Licht der Scheinwerfer, die auf der Alameda de Paula und auf der Mole der Caballería aufgestellt waren, sahen sie voller Freude, dass der Luxusdampfer bereits in der Bucht vor Anker lag. Er war einige Stunden früher als vorgesehen angekommen, im Sog von weiteren Schiffen mit jüdischen Passagieren an Bord, die ebenfalls darauf hofften, in einem amerikanischen Hafen Aufnahme zu finden. Pepe Cartera bemerkte sofort, dass der Dampfer weit draußen ankerte, weit weg von den Punkten, an denen die Passagierdampfer normalerweise anlegten: nämlich entweder an der Mole Casablanca, wo sich das Einwanderungsbüro befand, oder dort, wo die Touristen von Bord gingen, an der Mole der Hapag, der Hamburg-Amerika-Linie, der auch die St. Louis angehörte. Am Hafen hatten sich bereits Hunderte von Menschen eingefunden, mehrheitlich Juden, aber auch zahlreiche Neugierige, Journalisten, Polizisten. Um halb sieben, als die Lichter an Deck aufflammten und die Sirene zum Zeichen ertönte, dass die Frühstückssalons geöffnet waren, hüpften die Wartenden auf der Mole vor Freude und brachen in ein lautes Hallo aus, in das die Passagiere an Bord einfielen, da sie die Sirene für das Zeichen der bevorstehenden Ausschiffung hielten. Dank der Informationen, die Daniel Kaminsky mit den Jahren zusammengetragen hatte, begriff er, dass dieses Abenteuer, das das Schicksal seiner Familie bestimmen sollte, bereits einen makabren Anfang genommen hatte. Denn noch während die St. Louis auf dem Weg nach Havanna war, zeichneten sich bereits die einzelnen Kapitel jener beschämenden und niederträchtigen Tragödie der Politik des 20. Jahrhunderts ab, in der die Fahrt enden sollte: Auf Kosten der Juden an Deck der St. Louis kreuzten sich die politischen und propagandistischen Interessen der Nazis, die ihre lockere Ausreisepolitik gegenüber Juden beweisen wollten, mit denen der Vereinigten Staaten, die ihre strengen Einwanderungsbestimmungen durchsetzen und Druck auf die kubanische Regierung ausüben wollten. Und zu diesen politischen Machenschaften gesellte sich zu allem Überfluss noch das größte Übel, an dem Kuba während jener Jahre litt: die Korruption. Die von der kubanischen Agentur in Berlin ausgestellten Touristenvisa waren ein entscheidendes Puzzlesteinchen im schmutzigen Spiel, das mit den Eltern und der Schwester von Daniel sowie den anderen Juden an Bord des Überseedampfers gespielt wurde. Sehr bald...


Padura, Leonardo
Leonardo Padura, geboren 1955 in Havanna, zählt zu den meistgelesenen kubanischen Autoren. Sein Werk umfasst Romane, Erzählbände, literaturwissenschaftliche Studien sowie Reportagen. International bekannt wurde er mit seinem Kriminalromanzyklus Das Havanna-Quartett. Im Jahr 2012 wurde ihm der kubanische Nationalpreis für Literatur zugesprochen, 2015 erhielt er den spanischen Prinzessin-von-Asturien-Preis in der Sparte Literatur, 2023 den Pepe Carvalho Preis. Leonardo Padura lebt in Havanna.

Hartstein, Hans-Joachim
Hans-Joachim Hartstein, geboren 1949, übersetzt seit 1980 französisch- und spanischsprachige Literatur. Er hat u. a. Werke von Georges Simenon, Léo Malet, Luis Goytisolo, Juan Madrid, Marina Mayoral, Leonardo Padura und Ernesto Che Guevara ins Deutsche übertragen.



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