Ich bin der Kronzeuge gegen die deutschen Hells Angels. Ich war einer von ihnen, jetzt packe ich aus
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-86413-012-0
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
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3. Der Soldat:
Zwischen allen Fronten
1. Noch während meiner Zeit als Schul-Heimarbeiter bewarb ich mich im Frühjahr 1993 um einen Ausbildungsplatz. Bei einem Teegroßhandel – wie könnte es in Ostfriesland auch anders sein – wollte ich Bürokaufmann lernen. Das Bewerbungsgespräch bestand darin, dass ich Tee kochen musste. Großartig, das konnte ich. Und noch viel besser: Die hätten mich sogar genommen. Aber ich wollte eigentlich zur Bundeswehr. Zumindest, als ich den Eignungstest bei der Polizei absolviert und bestanden hatte, jedoch noch bis zum 1. Oktober hätte warten müssen. Aber weitere drei Monate herumzusitzen wäre mir zu viel gewesen. Beim Bund konnte ich direkt am 1. Juli loslegen, und weil ich es so furchtbar eilig hatte, von zu Hause wegzukommen, stand ich schon am 30. Juni vor dem Kasernentor und bat um Einlass. Bei der Heeresfliegerstaffel in Rotenburg an der Wümme haben die nicht schlecht geschaut, weil ich mit meinen 17 Jahren noch immer aussah wie ein Zwölfjähriger. Klein, schmächtig, milchgesichtig und auch noch einen Tag zu früh. So etwas war bis dahin wohl noch nicht vorgekommen. Ich konnte meine Stube beziehen und habe mich sofort daheim gefühlt. Hier gehörte ich hin, das spürte ich ganz deutlich. Aurich und meine Familie lagen weit hinter mir. Ich hatte meine neue Heimat gefunden – das glaubte ich wenigstens. Nach Aurich zog es mich kaum noch zurück. Einmal fuhr ich dann doch nach Hause, und als ich angekommen war, sah ich vom Weg aus durchs Fenster meine Mutter mit ihrem neuen Lover in der Küche sitzen. Saufend. Ich machte sofort kehrt und fuhr nonstop zurück in die Kaserne. Meine Mutter hatte besonders nach dem Tod meines Vaters nur noch abgestürzte, kaputte Typen mit nach Hause gebracht, und die wollte ich mir ab diesem Zeitpunkt einfach ersparen. Ich erinnere mich noch an eine Szene aus meiner Kindheit, als ich gerade am Küchentisch saß, artig die Hausaufgaben machte und mich ein Macker meiner Mutter wie wahnsinnig anstarrte. Plötzlich fragte er mich – einen damals zehn Jahre alten Jungen: »Soll ich’s tun?« Ich wusste weder mit seiner Frage noch mit seinem schmierigen Grinsen etwas anzufangen, da war es auch schon passiert: Er griff nach seiner Tasse und kippte meiner Mutter ohne jede Vorwarnung einfach kochenden Kaffee in den Ausschnitt. Dann packte er sie an den Haaren und schlug sie mit dem Kopf an das Küchenfenster. Meine Mutter schrie und stöhnte vor Schmerz – aber ich empfand in diesem Moment nicht nur Mitleid. Da waren auch Abscheu und Ekel. Diese Frau und ihre Typen widerten mich an. Pack schlägt sich – Pack verträgt sich, diese bescheuerte, abgedroschene Redewendung war durchaus richtig. Umso glücklicher machte mich meine Ersatzfamilie Bundeswehr. Jeder Tag war von fünf Uhr morgens bis zehn Uhr am Abend voll und ganz durchstrukturiert. Alles war geplant, und ich brauchte nur noch »ja« oder »jawoll« zu sagen, und die Sache lief rund. Nicht mehr Klein-Tom musste sich um alles kümmern, sondern die Armee tat das für ihn. Die Bundeswehr sagte mir, was ich zu tun hatte, und ich war nach 17 Jahren der Narrenfreiheit endlich irgendwo angekommen, wo man sich um mich kümmern – und wo man mich vielleicht sogar ein wenig erziehen würde. Gleichwohl musste ich auch Verantwortung übernehmen und lernen, mit Handgranaten, Panzerfaust oder Maschinengewehr umzugehen. Ich war noch immer klein und schmächtig, aber ich war grenzenlos fit, nahm jede körperliche Herausforderung an und schaffte sie auch. Zur Überraschung nicht nur meiner Vorgesetzten. Ich hatte allerdings zu jener Zeit auch ein paar sehr exklusive Ansichten, die mich im zunehmenden Maße vor immer größer werdende Probleme stellte. Als es an einem Freitag draußen mal über 30 Grad heiß war und die Luft vor Hitze flirrte, hatte der Kommandeur angeordnet, dass wir um zehn Uhr morgens ins Wochenende gehen könnten. Hitzefrei, wie in der Grundschule. Und da bekam ich Zustände! Das war ja wie bei Asterix und Obelix. Was wäre denn gewesen, wenn ein Krieg ausgebrochen wäre? Hätte Deutschland dann gesagt: »Verzeihung, aber es ist heiß, es ist Wochenende, und unsere Soldaten haben hitzefrei bekommen. Kommen Sie doch bitte am Montag wieder.« Unglaublich. Eine Schlampigkeit, die nicht in meinen Kopf passen wollte. Und eine Sache, die ich durchaus offen kritisierte. Was natürlich nicht allen gefallen konnte. Am 1. Juli 1994 – ein Jahr nach meinem Dienstbeginn – wurde ich schließlich zum Unteroffizier ernannt, als jüngster in Deutschland, mit Urkunde und Unterschrift von Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Und danach habe ich mich umgehend in eine Ausbildungseinheit versetzen lassen, denn so viel war klar für mich: Ich wollte ein Ausbilder sein. Die Null-Bock-Mentalität mancher Wehrpflichtiger würde es bei mir nicht geben. Nein, ich wollte denen zeigen, wie der Hase läuft. Bei meinen Jungs würde es sicherlich etwas härter und anstrengender zugehen, aber dafür könnten alle meine Jungs auch immer stolz auf das sein, was sie geleistet haben. Und so wurde ich zum Schleifer … 2. Ich war zuständig für die Kernausbildung, musste die jungen Rekruten an Handfeuerwaffen einweisen, mit ihnen marschieren und Orientierungsläufe machen. Später dann beantragte ich, nur noch die Grundausbildung durchführen zu dürfen. Den Leuten, die zum Bund kamen, wollte ich von Anfang an zeigen, wo der Hammer hängt. Vor allem aber den Zeitsoldaten, die ich immer härter rangenommen habe. Denn die sollten schon sehr früh lernen, worauf sie sich eingelassen hatten. Ich sah zu jener Zeit noch immer aus wie ein 15-jähriger Schuljunge. Und doch hatten alle Respekt vor mir. Das lag wohl daran, dass ich alles, was ich einforderte, auch selbst erbrachte. Ich bin die gleichen Wege gegangen, habe dasselbe Gepäck getragen und dieselben Strapazen erlitten wie meine Rekruten. Was ich von ihnen verlangte, konnte ich stets selbst erbringen. Eine Eigenschaft, die bei Bundeswehrausbildern wenig verbreitet war. Ich war zwar schmächtig und klein, aber auch ausdauernd und zäh. Ich hatte ja schon in der Schule immer viel Sport getrieben, und als Ausbilder lief ich abends immer noch ein paar Extrarunden in der Kaserne. Meine Jungs indes waren mir am Ende ihrer Ausbildungszeit immer recht dankbar. Sie waren fix und fertig, aber glücklich. Weil es ihnen etwas gebracht hatte. Für den Rest ihrer Dienstzeit – und fürs Leben. Und wenn es nur das Wissen war, dass man vieles aushalten kann und die eigenen Grenzen lange nicht so eng gesteckt sind, wie viele das vielleicht geglaubt hatten. Am 1. Juli 1995 wurde ich zum Stabsunteroffizier befördert. Leider hatten meine Schwierigkeiten da schon längst begonnen. 3. Es war ein Geländetag. Eine Übung, bei der meine Gruppe das Feindkommando mimte. Normalerweise gingen diese Gruppen mit einer gewissen Null-Bock-Mentalität und exakt nach abgesprochenem Schema oder zumindest sehr berechenbar vor. Aber: Wo gibt es das denn, dachte ich mir. Im Ernstfall konnte man sich doch auch nicht darauf verlassen, dass der Feind genau das macht, was man gerne gehabt und von ihm im Vorfeld auch erwartet hätte. Es hieß, es seien Fallschirmspringer abgesprungen. Für mich war klar, dass diese Fallschirmspringer natürlich auch hinter der eigenen Linie hätten landen können, und ich bereitete meine Jungs darauf vor, auf einen Angriff von hinten gefasst zu sein. So etwas war bei der Bundeswehr anscheinend nicht vorgesehen. In meiner Vorstellung von optimaler Vorbereitung auf den Ernstfall aber schon. Ich hatte meine Gruppe also geteilt. Die eine Hälfte sollte als Kanonenfutter und wie vorgesehen übers freie Feld laufen, während ich der anderen Hälfte das sogenannte »einsickern und umgehen« befahl. Das hieß, dass wir weiträumig um das Kampfgebiet herummarschieren und uns von hinten annähern wollten. Was wir dann auch taten. Als ich mit meiner kleinen Gruppe einmal ums Kampfgebiet herumgeschlichen war, robbten wir uns an die Stellung heran, »glitten heran«, wie das offiziell und im üblichen Jargon hieß, und eröffneten dann einfach »das Feuer«. Ich selbst hatte keine Schusswaffe dabei, aber das etwas martialische Rambo-Messer, das mir meine Jungs einmal geschenkt hatten. Und als sich die jungen Rekruten auch nach mehreren Schüssen mit unseren Platzpatronen nicht umgedreht hatten, sondern wie nasse Säcke in ihren Stellungen lagen, brannte bei mir eine Sicherung durch. Ich brach einen Ast von einem Baum, spitzte ihn an, rannte los, sprang in den Kampfstand, rammte den Pfahl in die Erde, packte einen dieser lebensmüden Lahmärsche und strich ihm mit der stumpfen Seite des Messers an der Kehle entlang. Sanft, aber so druckvoll, dass er den kühlen Stahl mehr als deutlich spürte. Und dann sagte ich leise: »Du bist tot.« Mehr nicht. Der gemütliche Kollege hatte damit wohl nicht gerechnet, so kurz nach dem Mittagessen. Das war ja auch überhaupt nicht besprochen oder im »Handbuch für idiotische Soldaten« nachzulesen. Der Junge wäre fast kollabiert, zitterte am ganzen Leib und winselte nur noch unverständliche Dinge. Leider habe ich es damit aber nicht gut sein lassen, denn ich war noch immer in Rage. Der Junge hätte meiner Meinung nach einfach mal kapieren müssen, dass man sich so als Soldat nicht verhielt. Und zwar ganz egal, ob es...