Otte | Postfaktisch war gestern | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 244 Seiten

Otte Postfaktisch war gestern

Die Einheit im Geiste oder Warum wir die Postintellektuellen lieben sollten

E-Book, Deutsch, 244 Seiten

ISBN: 978-3-7439-4612-5
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



'Postfaktisch war gestern' ist die Neuauflage der bitterbösen Erfolgssatire 'Die Einheit im Geiste'. Sie beschreibt die alltäglichen Entgleisungen unserer postintellektuellen Kultur aus Sicht eines verirrten 30-Jährigen. Und sein Blick hinter die Kulissen wird die wichtigsten Fragen unserer Zeit beleuchten: Wieso sind wir alle so klug und warum wächst unsere Klugheit eigentlich so dramatisch schnell? Wieso sind wir so glücklich, so humorvoll, ja so weise? Und was passiert eigentlich, wenn der Spaß und wenn der Sex vorbei sind, was kommt danach, welch Dunkel liegt dahinter? Ralf Otte nimmt mit dieser Satire die postfaktische Gesellschaft ganz gewaltig aufs Korn und verschont uns nicht mit seinem beißenden Spott und seinen liebenswert bösen Charakterstudien, ja, seine Hauptperson, der Durchschnittsintellektuelle Klaus Median, hat es sehr schwer in diesem Buch, aber auch wir anderen werden uns wiederfinden... Denn die Zukunft hat uns schon längst in ihrem Bann, und die intellektuelle Einheitlichkeit, die lässt nur noch schmunzeln. Ja, die Krake im Kopf lacht uns aus. Eine unterhaltsame Darstellung unserer postintellektuellen Gesellschaft, denn postfaktisch war gestern. Heute sind wir schon viel, viel weiter!

Prof. Dr. Ralf Otte kam vor 25 Jahren nach Süddeutschland. Heute lehrt und forscht er auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. Das wäre natürlich eine eigene Glosse wert...
Otte Postfaktisch war gestern jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Das unbekannte Wesen
Ich erinnere mich, als wäre es gestern. Wir waren auf dem Weg zur Ökonomievorlesung, als jemand das Gerücht verbreitete, die Berliner Mauer fällt. Natürlich dachten wir, es wäre wieder mal ein Witz, aber dann verstärkten sich die Gerüchte. Gleich nach dem Unterricht rannte ich deshalb zum Bahnhof und fuhr mit dem erstbesten D-Zug nach Berlin. Und tatsächlich, hier war was los. Riesige Menschenmassen tummelten sich vor den Grenzpunkten. Brav und ordentlich - wie wir es gelernt hatten - standen wir an der Mauer und warteten auf den Weg ins Paradies, es war der 10. November 1989. Ich war wieder mal zu spät, leider! Aber es war trotzdem gewaltig. Und dann wurden wir durch ein großes Tor geschoben, und ehe wir uns versahen, waren wir drüben. Wirklich, wir waren drüben! Es war unbeschreiblich. Wir waren drüben, es war so intensiv, wir standen da und konnten es nicht fassen, wir atmeten die Luft, sie stank ebenso wie vorhin, wir bewunderten die Häuser, die waren schon besser, und wir sahen lauter freundliche und hübsche Leute. Es war herrlich. „Weißt du, wie der Stadtbezirk hier heißt“, frage ich später meine Freundin. „Kreuzberg!“, antwortete sie. Das hatte ich irgendwie schon gehört und so schaute ich mich genauer um. Beinahe hätte ich gedacht, oh wie viele Fremde, aber das wäre unverschämt gewesen. Deshalb dachte ich sofort, oh, welch schöne Geschäfte. Und die waren tatsächlich traumhaft. Doch dann überkam uns die Ehrfurcht, denn wir wussten, dass wir Teil der Geschichte geworden waren. Dieses Stück Historie war einmalig und unwiderruflich, und wir waren dabei. Ich weiß noch, wie ich mich oft gefragt hatte, wie es denn sein müsste, wenn man völlig frei wäre, alles sagen und sich alles kaufen könnte. Ja, wie muss man sich dann wohl fühlen? Ist man den ganzen Tag vor Glück geschwängert? Ist man tatendurstig und optimistisch? Wahrscheinlich schon, denn mehr Glück kann man als Individuum ja nicht haben. Und auch ich war jetzt glücklich, und ich war gespannt. Und viele Fragen holten mich ein. Ich fühlte, das sollte ein Abenteuer werden. Ein riesiges Glücksgefühl überwältigte mich. Wir waren angekommen. Wir waren wirklich angekommen. Es war einfach großartig, und dieses Gefühl wollte ich aufsaugen und für immer in mir aufbewahren und wie in Trance schritten wir durch die Straßen. Mittlerweile waren wir am Brandenburger Tor, doch diesmal auf der anderen Seite. Ich stieg auf den Aussichtsturm, den ich von drüben kannte, und schaute auf mein Berlin. Überall Menschenmassen, die in Glückseligkeit vereint waren. Später kletterte ich selber auf die Mauer und genoss das unbeschreibliche Gefühl, gewonnen zu haben. Ja, wir hatten gewonnen. In den letzten zehn Jahren habe ich nur noch drei Tage voll solcher Intensität erlebt, drei Tage, nicht mehr, die vergangene Sonnenfinsternis und die Fußball-WM natürlich nicht mitgerechnet. Doch auch damals begann der Alltag, und diese Leidenschaft wiederholte sich nicht. Zuerst kamen ganz banale Probleme: Woher jetzt DM nehmen? Aber zum Glück gab‘s 100 Mark geschenkt. Wir standen an der Dresdner Bank, gleich dort, wenn man nach Kreuzberg kommt, und dann gab es das langersehnte Geld. Ich schäme mich, aber irgendwie gab es dann nochmals Geld, na ja, hoffentlich haben wir damals nicht die bundesdeutsche Wirtschaft ruiniert. Und wir standen in der Schlange, die ich immer so hasste, und von oben schmiss eine alte und glückliche Frau Bonbons runter. Sie schmeckten gar nicht so schlecht. Doch etwas peinlich war es schon, denn das kannte ich aus Rumänien. Dort verteilten wir im Urlaub auch immer unsere Habseligkeiten: Kondome, Kaffee und Pfeffer waren die sichersten Zahlungsmittel, und wir beschämten stolz die Eingeborenen. Und jetzt waren wir dran, die Geschichte war fair mit uns. Doch etwas peinlich war es schon. Und doch war es auch rührend. Leider habe ich vergessen, was wir damals gekauft haben. Dennoch kann ich mich noch erinnern, wie die halbe U-Bahn voller Radios war. Warum haben die nicht gleich Radios und Bananen verteilt, diese Fragen beschäftigen die Philosophen bestimmt noch immer. Aber egal, es war ein schöner Tag, und den lassen wir uns nicht mehr kaputt machen. Und ich muss sagen, jeder Tag war damals ein schöner Tag. Warum hatten ausgerechnet wir so ein Glück, das war sehr viel Glück, und müssen wir dafür irgendwann bezahlen? Wo war die Balance? So viel Glück gibt es doch nicht umsonst. Aber dann, ich wusste es, kein Glück hält ewig, es kam tatsächlich die erste große Not. Die Grüne Woche machte in Berlin auf, und der Eintritt war unverschämt teuer. Wer soll das bezahlen, die Preise ließen uns schier verzweifeln. Und wieder hatten wir Glück. Denn nun war die Mauer freigegeben, und so zogen wir mit Hammer und anderem schweren Gerät in die Nähe des Potsdamer Platzes und zerlegten das Monstrum in seine Elemente. Das war ein Spaß. Nicht nur symbolisch. Man kann uns dafür beneiden, denn wir haben sie wirklich zerlegt. Wir haben das getan und wir fühlten uns stark und mächtig dabei. Und danach besuchten wir die Grüne Woche und hatten immer noch viel Spaß. Doch etwas fehlte. Irgendetwas ließ uns unruhig werden. Wo war denn nur der Andere, wo war das unbekannte Wesen. Ja, wie war er nur, der andere Deutsche? War er genial, war er glücklich und innerlich zufrieden? Diese Fragen stellte ich mir öfters, doch erst heute, nach mehr als zehn Jahren, wage ich sie zu beantworten... Und so verging die Zeit. Und auch die Euphorie, die ging dahin, denn leider schlug die Stimmung um. Nur gut, dass man uns nicht mehr ansah, wie weit wir schon entwickelt waren. Das dachten wir jedenfalls. Denn ab und zu schlug eine Falle zu. So rannte ich eines Tages genervt durch einen Aldi in Berlin, weil ich dringend noch Butter für unser Wochenende holen sollte. „Entschuldigen Sie bitte, ich hätte mal ‘ne Frage.“ So altmodisch fing man damals eine Frage an. „Äh, was denn?“ Die Verkäuferin schien gereizt. Heute weiß ich, dass man ungefähr so fragt: „Ich krieg noch Butter, wo is‘n die, häää?“ „Ja, wo liegt denn bei Ihnen die Butter?“, fragte ich leise, denn schließlich wollte ich wie ein Insider vor all den anderen Kunden dastehen. Die Frau schaute mich mit ihren großen Augen an und holte tief Luft: „Mensch, bei unserem Aldi gibt’s keene Butter!“, brüllte sie so laut sie konnte heraus. Oh wie peinlich. Alle schauten mich an, und ich war blamiert. Dabei ist es doch so logisch: Beim Aldi gibt es keene Butter. Völlig logisch. Kann gar nicht sein. Mitleidig drehten sich die gebildeten Einkäufer wieder zu ihren Wägen zurück und fuhren davon. Milder Spott in ihren Augen, ich war erkannt, ein Depp von drüben. So ging ich schnell bezahlen, denn ich wollte nur noch raus. Und die Wochen vergingen, dann endlich kam unsere erste Einladung, bei einem Taxifahrer. Und so saß ich zum ersten Mal in einem Mercedes. Der Taxifahrer erläuterte dabei voller Stolz, dass er im Stand sogar heizen könne (auch im Winter). Aber wieso ist das kein Standard? Zuhause angekommen lernten wir, dass der Taxifahrer in einem Wohnblock wohnte und ihm diese Wohnung selber gehörte. Dies wurde beim Kaffee öfters betont, es war echt amüsant, denn hier waren wir ziemlich verwundert. Wer kauft denn eine solche Wohnung, was soll das denn? Gab es da irgendwie ein Problem? Ja, das gab es. Später, in Stuttgart etabliert, lud mich ein richtiger Ingenieur einmal zu sich nach Hause ein, um - ich merkte es fast zu spät - seine Bleibe zu präsentieren. Hier wohnte also unser Ingenieur. Und ich war wieder amüsiert. Da wohnten wir ja als Studenten besser, das kann doch nicht wahr sein. Doch später wurde man bescheidener, denn nun zog ich selber in die Provinz, nach Mannheim, die Stadt der Quadrate, eine prächtige Stadt. Und wer Ludwigshafen oder Neubrandenburg kennt, findet Mannheim definitiv schön. Aber dennoch wohnt der Mannheimer meistens in Weinheim, das ist eine echte Perle. Man muss es einfach lieben. Und der Crash-Kurs begann, ich lernte viel, denn noch öfter suchte ich im neuen Land ein neues Heim, und die Wohnungen waren fast immer strukturell gewachsen, nicht so brutal in die Landschaft gesetzt, ja, es wurde viel geboten: Hinterhof (gut gegen Straßenlärm), Ofenheizung (letzteres kannte ich von meinem Großvater, das war interessant), gar kein Blick (gab es tatsächlich, spart wahrscheinlich Heizkosten), Blick auf einen Mülleimer oder wenn's mal was Gewagtes sein sollte: Blick auf einen geparkten LKW. So war alles in bester Ordnung, nur eben unser Kind war bei der Wohnungssuche hier im Süden ein großes Problem. „Hans-Dieter, die Herrschaften haben ein Kind....


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.