Otsiemi | Libreville | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 340 Seiten

Otsiemi Libreville

Kriminalroman aus Gabun

E-Book, Deutsch, 340 Seiten

ISBN: 978-3-945133-44-6
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Wir befinden uns in Libreville. 2008. Der Hauptstadt Gabuns mit ihren glänzenden Fassaden und weiten Slums voller Ratten und Mücken. Der ehemaligen französischen Kolonie südlich der Sahara. In einem Land, in dem die Presse ebenso an der Vetternwirtschaft verdient wie Justiz und Polizei. Ein Jahr vor den Wahlen wird Roger Missang, Journalist der Èchos du sud, am Strand von Libreville nahe dem Palast des Präsidenten der Republik mit durchgeschnittener Kehle aufgefunden. Wegen seiner kritischen Untersuchungen über die Korruption in Gabun war er den Mächtigen des Landes ein Dorn im Auge. Für die Presse ist sein Tod offensichtlich ein politischer Mord. Mit den Ermittlungen im Mordfall werden Pierre Koumba Owoula und Hervé Louis Boukinda Envame beauftragt, zwei Polizisten, die ohne die DNA-Analyse und Forensik auskommen müssen. Die technische Ausrüstung ihrer Einheit beschränkt sich auf eine Schreibmaschine aus der de-Gaulle-Zeit.

Janis Otsiemi wurde 1976 in France-ville, Gabun, geboren. Dichter, Essayist und Autor von Kriminalromanen. Er erhielt 2010 den Le Prix du Roman Gabonais für sein Buch La vie est un sale boulot. Bei Editions Jigal erschienen außerdem La bouche qui mange ne parle pas (2010) und Le chasseur de lucioles (2013) sowie sein Roman Les voleurs de sexe (2015). Er ist Secrétaire Général adjoint de l'Union des Écrivains Gabonais. Seine Romane verfasst er in Französisch.
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2
An diesem Morgen kam Capitaine Pierre Koumba vor neun zur Arbeit. Auf dem Flur im dritten Stock, wo sich die Büros der Abteilung für Kriminalfälle der Police Judiciaire, kurz PJ*, befanden, herrschte schon Gedränge wie an einem Markttag. Koumba musste sich durch das Gewühl von Füßen kämpfen, um zu seinem Büro an der hinteren Flurecke zu gelangen. Unterwegs warf er einen flüchtigen Blick in das Büro der Ermittler. Minko saß vor seiner Schreibmaschine, die so ratternde Töne vor sich hinspuckte, dass man an eine improvisierte Schneiderwerkstatt denken musste. Der Vergleich kam nicht von ungefähr. Der Raum, den sich die Ermittler teilten, war eine Bruchbude. Abblätternder Putz an den Wänden. Löcher in der Decke. Wacklige Tische und Stühle. Ein kleines angrenzendes Zimmer diente als Ruheraum für den Tagesund Nacht-Bereitschaftsdienst. Ein richtiger Schweinestall. Mit einem verrosteten Bettgestell. Darauf eine magere, staubige, von den Jahren abgewetzte Matratze. Sicher wieder ein Wochenende mit reichlich Einbrüchen, dachte Koumba. Libreville war nicht mehr die Stadt von früher. Zahlreiche Viertel waren richtiggehende Banditenhochburgen* geworden, wo sich kein Polizist nach Sonnenuntergang mehr hintraute. Die Kriminalität stieg und stieg: Raubüberfälle, Auslagendiebstähle, Vergewaltigungen … Man musste keinen langen Bic besitzen, wie man hier sagt, das heißt studiert haben, um die Ursachen auszumachen: Armut, Arbeitslosigkeit, Gelegenheitsjobs, Drogen … Trotz der frühen Stunde war die Hitze schon brütend. Die Morgendämmerung hatte eine glühende Sonne in die Welt gesetzt. Wie so oft am Äquator. Als Koumba in sein Büro kam, zog er die Vorhänge zur Seite und öffnete die Nakos, schmale Klappläden aus Holzlamellen. Das Getöse der erwachten Stadt füllte seine Ohren. Das helle, frische Tageslicht breitete sich mit den tanzenden Staubkörnchen in allen Ecken und Winkeln des Zimmers aus. Koumba ließ sich in einen Sessel fallen und streckte die Beine aus, um die Müdigkeit zu vertreiben. Er schob den beeindruckenden Aktenstapel auf seinem Schreibtisch beiseite. Diese Akten waren sein tägliches Brot. Er zog das auf dem Tisch thronende Radio zu sich heran. Wie geht es der Welt heute Morgen? Er drückte die On-Taste des Gerätes. Ein Knistern erfüllte den Raum. Er suchte die Frequenz des panafrikanischen Radiosenders Afrika Nr. 1, um die Morgennachrichten zu hören. Die Stimme von Franco Luambo Makiadi alias »Großmeister« stieß aus: »O Mario luka muasiyomoko obala Mario mosala obe kolinga ba mama mobokoli Basuka yote Ah!« Diese Zeilen riefen in Koumba prompt alte Erinnerungen wach. 1985, als Franco seinen bekanntesten Hit Mario im Duo mit Madilu herausbrachte, war Koumba in der zehnten Klasse am technischen Gymnasium. Damals wohnte er bei seiner Tante im Stadtteil Baraka. Was waren das für schöne Zeiten!, dachte er bei sich. Trotz Wirtschaftskrise, trotz der vom Internationalen Währungsfonds aufgezwungenen Strukturanpassungsmaßnahmen und obwohl die Geißel Aids schon ihre ersten Opfer forderte. Auch wenn die Klatschmäuler erzählten, dass Franco daran gestorben war, weil er ein Don Juan war. Egal, ob das stimmte oder nicht, für Koumba war und blieb Franco einer der größten Sänger, den Afrika jemals hervorgebracht hatte. Heute Morgen war Koumba gut in Form. Die zwei freien Tage hatten ihm echt gutgetan. Für die Jungs, die Bereitschaftsdienst hatten schieben müssen, war das bestimmt nicht der Fall gewesen. Um dem Lärm und der stickigen Luft von Libreville zu entkommen, hatten Koumba und sein Adjutant Jacques Owoula einen ihrer spontanen Ausflüge nach Lambaréné gemacht. Mit seinen gut fünfundzwanzigtausend Einwohnern, die überwiegend auf einer Insel im Fluss Ogooué lebten, war der Marktflecken Lambaréné, dessen ursprünglicher Name »Lambareni« auf Galoa »Versuchen wir’s« bedeutet, bekannt für seinen malerischen Charme, die artenreiche Fauna, die wild gebliebene Flora, seine Naturreservate und die schmackhaften Karpfen, die Touristen glücklich machten, aber auch für seine Mädchen mit dem natürlichen Teint. Letztere übten auf die beiden Polizisten freilich die größte Anziehungskraft aus. Deshalb fuhren sie zwei- oder dreimal im Jahr dort hin, immer wenn sich die Gelegenheit dazu ergab. Sie hatten ihre festen Anlaufpunkte. Sie stiegen jedes Mal im Hôtel des Sirènes ab, das am Stadtrand lag. Sie versäumten es nie, die Büros und das Zimmer des Friedensnobelpreisträgers von 1952, Albert Schweitzer, zu besuchen, der in den Zwanzigerjahren ein Krankenhaus-Dorf gründete, das noch heute seinen Namen trägt. Fragte man früher einen Westler, welche Stadt er in Gabun kennt, lautete die Antwort immer »Lambaréné«. Für viele Gabuner hingegen ist Lambaréné noch heute der Ort, an dem Staatspräsident Léon Mba nach dem Putsch von 1964, den gerade mal eine Handvoll Soldaten durchführte, interniert war. Es musste erst die französische Armee intervenieren, bevor Mba auf seinen Präsidentensessel zurückkonnte. Offiziell hieß es, der gabunische Botschafter in Paris habe mit Berufung auf das Verteidigungsabkommen mit Frankreich um diese Intervention ersucht. Dem war aber nicht so. Fakt ist, dass die französische Intervention von der »Afrika-Zelle« im Élysée-Palast gebilligt wurde. Mit dem stillschweigenden Einverständnis de Gaulles. Koumba und Owoula waren Freitagabend mit dem Auto nach Lambaréné gefahren. Sonntagnachmittag kehrten sie nach Libreville zurück. Anders als die Hinfahrt war die Rückfahrt nicht so glatt verlaufen. Ab der Höhe von PK12, einem Außenviertel von Libreville, hatte es einen fürchterlichen Verkehrsstau gegeben. Die beiden Polizisten hatten mehr als sechs Stunden gebraucht, um ins Zentrum zu kommen. Eine echte Strapaze. Gabuns Straßen galten als die teuersten der Welt. Die Nationalstraße war allerdings nur dem Namen nach »national«. In Wirklichkeit war sie ein Kuhtrampelpfad, nichts als Risse und Asphaltfetzen. Mitte der Siebzigerjahre war sie gebaut worden. Damals hatte Libreville um die zweitausend Einwohner. Heute zählt sie mehr als sechshundertfünfzigtausend Seelen mit einem Fuhrpark von schätzungsweise mehr als zwölftausend Fahrzeugen, die meisten aus Europa importiert. Einen derartigen Anstieg der Bevölkerung und des Verkehrsaufkommens hatten die gabunischen Behörden nicht vorgesehen. Freilich hätten sie einige Jahre später, als die Petrodollars die Staatskassen füllten, Anpassungen vornehmen können. Doch dem war nicht so. Die Petrodollars verschwanden in den undurchsichtigen postkolonialen franko-afrikanischen Netzwerken der Françafrique. Jedes Jahr im Januar war die Nationalstraße, deren erbärmlicher Zustand die Behörden völlig kalt ließ, der Schauplatz eines internationalen Radturniers. Wie die armen Teufel aus Europa es fertigbrachten, auf einer so holprigen Straße unter der tropischen Bruthitze voranzukommen, war unbegreiflich. Koumba sang den Hit leise mit, obwohl er kein Wort Lingala konnte, eine Bantusprache, die sowohl in Kongo-Brazzaville als auch in der Demokratischen Republik Kongo gesprochen wird: »Lelo makambo lobi makambo nalembi é Lelo bitumba lobi kosuana nabaye é Naboyi kobebisa nzotona mandzaka nalembi ee Mario nalembi ee Mario nabaye eee« Koumba würgte das Radio ab, als er Sergeant Ella aufrecht wie eine Fahnenstange an der Türschwelle erblickte. »Meine Hochachtung, Capitaine! Colonel Essono bittet Sie in sein Büro.« Colonel Lambert Essono war Direktor der PJ und seit drei Jahren im Amt. Er war Colonel Edmond Tchicot auf diesem Posten gefolgt, der nach über dreißig Jahren Dienst für die Nationalpolizei in den verdienten Ruhestand verabschiedet worden war. Die Nominierung von Lambert Essono, einem Fang aus dem Norden, war im Haus wie eine kleine Revolution wahrgenommen worden. Seit vielen Jahren war der Sessel des Generaldirektors nämlich den Myéné aus dem Mündungsgebiet vorbehalten gewesen. Diese Praxis war keine Ausnahme. Sie war Ausdruck einer Geopolitik, die von ganz oben gepredigt wurde. Gabun zählte mehr als fünfzig Ethnien und Volksstämme auf einer Fläche von 267.667 Quadratkilometern. Colonel Tchicot genoss seine alten Tage einige Kilometer von Libreville entfernt in seinem Heimatdorf. Bei ihm hatten Koumba und Owoula das Räderwerk des Berufes erlernt. Sie verdankten ihm alles. Ihr Fortkommen und ihre Beförderung innerhalb der Nationalpolizei. Der beste Beweis war ihre sichere Unterbringung als Leiter der Abteilung für Kriminalfälle kurz vor seinem...


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