E-Book, Deutsch, 220 Seiten
ISBN: 978-3-7026-5887-8
Verlag: Jungbrunnen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Leni darf endlich aus der Klosterschule nach Hause. Aber dort ist es ganz anders als erwartet: Der Papa macht Leni Angst, weil er jähzornig ist. Die Mama sagt, er sei nur nervös, das käme vom Krieg. Obwohl Leni versucht sich anzupassen, kann sie dem Vater nichts recht machen. Ständig ist sie mit Verboten konfrontiert und mit der Drohung, wieder ins Kloster zurückgeschickt zu werden.
Das ist schmerzhaft und zeigt Leni, dass sie ihren eigenen Weg finden muss. Je mehr sie sich von der Melodie ihres Herzens leiten lässt, desto besser gelingt es ihr, der Enge des Elternhauses zu entkommen.
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1.
Um mich herum dreht sich alles: die Heilige Maria mit den langen Schwertern, die ihr offenes Herz durchbohren, die Fische auf dem Altartuch und das schwere Kreuz über dem Eingang. „Ist dir wieder schlecht?“ Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die Wand und fixiere die Vorhänge an der Tür der Empfangshalle. „Die kommt sicher gleich, deine Mama.“ Monika setzt sich neben mich und streichelt meine Hand. So zart und sanft, als ob sie ein Kätzchen streicheln würde. Der Kreisel in meinem Kopf kommt langsam zum Stehen. Nur im Magen ist mir noch schlecht. Sicher weil ich zu Mittag nichts essen durfte. „Gehts?“ Monikas dunkle Knopfaugen mustern mich besorgt. „Du musst zurück in die Küche“, flüstere ich. „Sonst lässt dich die liebe Schwester Hedwig auf dem Holzscheit knien.“ „Ursula wäscht für mich ab. Das fällt der Hedwig gar nicht auf, dass ich nicht da bin.“ Ich setze mich gerade hin und stelle meine Füße auf den Boden. „Mir gehts wirklich besser. Du musst nicht mit mir warten, Moni.“ Monika senkt den Kopf und betrachtet das Fliesenmuster auf dem Fußboden, als ob darin eine geheime Botschaft versteckt wäre. „Kommst mich mal besuchen?“, fragt sie ganz leise. „Ich weiß nicht, ob meine Mama das erlaubt“, erkläre ich. „Bitte.“ Monikas Augen schimmern. „Vielleicht zu Ostern.“ Monika nickt. Dann wischt sie sich mit dem Handrücken über die Augen. Ich glaube, Monika ahnt, dass das mit Ostern gelogen ist. Monika ist vielleicht langsam im Rechnen und sie schreibt das kleine „p“ verkehrt herum, obwohl wir schon in die vierte Klasse gehen. Aber Monika ist schlau und sie merkt sofort, wenn jemand sie anlügt. In meinem Hals kratzt es. Es tut mir so leid, dass meine Mama nur mich abholt und Monika hierbleiben muss. „Warte!“ Ich mache die Schultasche auf und grabe nach meinen grünen Handschuhen. Sie waren im Weihnachtspackerl. Das größte Packerl vom ganzen Internat hab ich gehabt: Krachmandeln, Würstel, Speck, sogar echte Schokolade war drin. Aber ich habe alles hergeben müssen, weil wir ja immer teilen sollen. „Wenn du nicht mit den anderen Kindern teilst, weint das Jesulein“, hat Schwester Hedwig gesagt und mir das Packerl aus der Hand genommen. „Da, die sind für dich!“ Ich lasse meine grünen Handschuhe vor Monikas Gesicht baumeln. Monikas blasser Mund formt ein Lächeln. „Aber das darfst du nicht. Du hast die Handschuhe ganz neu bekommen.“ „Na und sagt der Hund, Marmelade ist gesund!“ Ich nehme Monikas Hand und streife ihr einen Handschuh über. Sie sind ein bisschen kratzig, aber sie haben beide ein schönes Edelweiß auf den Handrücken gestickt. Monika zieht den zweiten Handschuh an, dann schmiegt sie ihre Wangen zwischen die behandschuhten Hände und lächelt. „So warm! Da frier ich garantiert nicht.“ Plötzlich wird Monika ernst. „Und was sagst du deiner Mama?“ Jetzt gibt es einen kleinen Stich in meinem Herzen. Mama! Sie ist sicher durch ganz Wien gerannt, um solche Handschuhe für mich zu finden. Aber Monika war doch das ganze letzte Jahr meine beste Freundin. Als ich mit Nasenbluten im Krankenzimmer lag, hat sie mich besucht, und als ich vor der Erstkommunion zweimal ins Bett gemacht habe, hat sie der Puchner Ursula Schläge angedroht, wenn sie’s verrät. „Ich sag einfach, ich hab die Handschuhe verloren.“ „Echt?“ „Echt!“ Nass klebt Monikas Kuss an meiner Wange und sie drückt mich so fest an sich, dass ich gar nicht mehr atmen kann. Dann hören wir beide das Schlurfen auf der Treppe. Monika versteckt die Hände mit den Handschuhen in den Taschen ihrer Kleiderschürze und steht auf. Schwester Hedwigs braune Sandalen und gleich darauf ihre dicken Waden erscheinen oben auf der Steintreppe zu den Schlafsälen. Dann weht sie in ihrer wallenden Tracht mit einem Paket in der Hand zu uns herunter. Monika wirft mir einen ängstlichen Blick zu. Schnell rennt sie hinüber zum Treppengeländer und duckt sich. Genau auf der vorletzten Stufe wechselt Schwester Hedwig ihr großes Paket von der linken in die rechte Hand. Und genau in dem Moment taucht Monika aus ihrer Deckung auf und windet sich mit gesenktem Kopf an ihr vorbei. Ich muss grinsen, weil es wirklich so aussieht, als wäre Monika unsichtbar. Wenn wir etwas gelernt haben im Kloster, dann, uns unsichtbar zu machen. In den Fluren und auf der Treppe, immer an der Wand entlang gehen und immer den Kopf nach unten. Niemals raufschauen. Wer nichts sieht, der wird nicht gesehen. Aber Schwester Hedwig sieht Monika trotzdem. Als Schwester Hedwig schon vor mir steht, das Paket auf die Bank wuchtet und Monika oben gerade die letzte Stufe nimmt, brüllt sie los. „Treibel Monika! Was machst du da oben? Warum bist du nicht in der Küche?“ Monika bleibt sofort wie angewurzelt stehen und senkt schuldbewusst den Blick. Schwester Hedwig dreht sich um und schaut zu ihr hinauf. „Was hast du in deinen Taschen?“ „Nichts, liebe Schwester.“ „Runterkommen.“ Monika zögert. Dann zieht sie den Kopf noch tiefer zwischen ihre Schultern und gleitet lautlos zu uns herunter. „Zeig her.“ Schwester Hedwig stemmt ihre Unterarme in die Hüften. Ganz rot gefleckt sind die, vom heißen Abwaschwasser. Monika zieht langsam die Hände aus den Schürzentaschen und streckt der Schwester die Handschuhe hin. „Sind das deine?“ „Nein, liebe Schwester Hedwig. Die hat mir die Hübner Leni geschenkt.“ „Du weißt, dass Geschenke nicht erlaubt sind.“ Monika hebt den Kopf und schaut Schwester Hedwig bittend an. „Aber die sind doch zum Abschied! Ich brauch die Handschuhe, wirklich. Ich hab immer so kalte Finger in der Hofpause. Bitte, Schwester Hedwig, ich …“ „Liebe Schwester Hedwig, heißt das erstens. Und zweitens entscheiden wir, wer hier was braucht.“ Schwester Hedwig streckt auffordernd die Hand aus. „Kinder, die bei uns solche Handschuhe bekommen, sind fleißig. Und die schwänzen nicht einfach ihren Küchendienst, so wie du.“ Monika hebt langsam die Handrücken und betrachtet noch einmal die Edelweiße auf den grünen Handschuhen, so als wollte sie sich ihren Anblick für immer einprägen. Dann zieht sie sich die Handschuhe von den Fingern und gibt sie der Schwester. Monikas schwarzer Pagenkopf wippt beim Treppensteigen. Das Gesicht hält sie zur Wand gedreht. Ich richte mich auf und schaue ihr nach. Aber Monika dreht sich nicht noch einmal zu mir um. „Die lässt sich ja Zeit, deine Mutti.“ Schwester Hedwig wischt sich über die schwarzen Haare an ihrer Oberlippe. Wie ein dicker Kater sieht sie dabei aus. „Wahrscheinlich Stromsperre.“ Genau in diesem Moment rumpelt die Tür hinter den dicken Vorhängen am Eingang. Ein kalter Luftstoß weht herein und bewegt das bestickte Altartuch. Mama, endlich! Das muss sie sein. Ich rutsche von der Bank und laufe ihr entgegen. Die ganze Nacht hab ich davon geträumt, dass sie mich abholt. Im Traum sind wir zusammen mit dem Zug aufs Land gefahren. Nur wir beide, ganz allein. Genau wie früher. Auf einmal fühle ich mich gar nicht mehr schwindlig und mein Herz hämmert schnell. Jetzt teilt sich der Vorhang an der Zwischentür und Mamas schwarzer Mantel mit dem Pelzkragen kommt herein. Er ist voller Schneeflocken, die glitzern wie Sterne in einer klaren Winternacht. „Frau Hübner, Gott sei Dank. Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“ Schwester Hedwig steckt die Handschuhe ein und streicht ihre Schürze glatt. „Ich bin die Tante!“ Tante Josepha nimmt das Kopftuch ab und gibt der Schwester die Hand. „Herfurther, mein Name. Ich hol die Leni ab.“ Mir stockt der Atem. Wo ist Mama? Sie hat doch versprochen, mich abzuholen. Warum kommt Tante Josepha? „Was ist? Was schaust du denn so, Leni?“ Die Tante stellt den kleinen Koffer auf die Bank. „Kennst du mich nicht mehr?“ Es ist ganz eng in meinem Hals, und in meinem Herzen breitet sich ein komisches Zittern aus. Hoffentlich wird mir nicht wieder schwindlig. „Wo ist die Mama? Ich will, dass die Mama kommt!“ Richtig wacklig ist meine Stimme vor Aufregung. Tante Josepha schaut erst zur Schwester, dann zu mir. „Bitte, Leni, du...