E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: Classics To Go
Ohorn Das Buch vom eisernen Kanzler, Eine Erzählung für Deutschlands Jugend
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98744-872-0
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: Classics To Go
ISBN: 978-3-98744-872-0
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Auszug: Ein lachender Sommertag! Weiße Wölkchen schwimmen langsam über den blauen Grund des Himmels und spiegeln sich in dem glitzernden Teiche. Leise rauscht das Röhricht an dessen Ufersaum, und in den Kronen der alten Bäume ringsumher im Park flüstert es wie von Geschichten vergangener Tage. Und die stattlichen Rüstern und Linden wissen wohl viel zu erzählen von lustigen Festen und von ernster Zeit, zumal erst sechs bis sieben Jahre entschwunden sind seit den glorreichen Befreiungskriegen und der mutigen Erhebung des ganzen deutschen Volkes, die ihre Wellen auch ins Pommernland und an die Mauern des freundlichen Herrensitzes Kniephof, der sich zurzeit im Besitze des Herrn Ferdinand von Bismarck befand, getragen hatte. Heute ist Friede im Lande, und die alten Wunden fangen langsam zu vernarben an.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Erstes Kapitel.
Sorglose Jugend.
Ein lachender Sommertag! Weiße Wölkchen schwimmen langsam über den blauen Grund des Himmels und spiegeln sich in dem glitzernden Teiche. Leise rauscht das Röhricht an dessen Ufersaum, und in den Kronen der alten Bäume ringsumher im Park flüstert es wie von Geschichten vergangener Tage. Und die stattlichen Rüstern und Linden wissen wohl viel zu erzählen von lustigen Festen und von ernster Zeit, zumal erst sechs bis sieben Jahre entschwunden sind seit den glorreichen Befreiungskriegen und der mutigen Erhebung des ganzen deutschen Volkes, die ihre Wellen auch ins Pommernland und an die Mauern des freundlichen Herrensitzes Kniephof, der sich zurzeit im Besitze des Herrn Ferdinand von Bismarck befand, getragen hatte. Heute ist Friede im Lande, und die alten Wunden fangen langsam zu vernarben an. Zwischen den grünen Bäumen sieht das Schlößchen hervor, schlicht, mit Holzfachwerk, aber traulich und behaglich. Aus dem Eingang tritt ein Knabe, fünfjährig, schlank, mit blondem, leicht gelocktem Haar, und schaut mit hellen, blauen Augen in die Welt. In dem frischen Gesichte ist Lebenslust und Tatendrang zu lesen. Er sieht hinauf nach dem heiteren Himmel, hinüber nach den grünen Bäumen des Parks, steckt die Hände in die Taschen und steht nun breitbeinig da, offenbar in der Überlegung, woran er im Augenblicke seine junge Kraft am besten erproben könne. Da kam ein Knecht. »Jochem, wohin?« rief der Kleine. »Der Fuchs muß ein neues Eisen haben!« sagte der Angeredete in behaglichem Platt. »Da geh’ ich mit!« jauchzte das Bürschlein, offenbar erfreut über den Fingerzeig des Schicksals, und nun trabte er lustig neben dem Manne her nach dem Wirtschaftshofe und in den Stall. Der Fuchs wurde herausgeholt. »Jochem, setz mich drauf!« gebot der Kleine, und der Knecht hob ihn auf den breiten Rücken des Tieres, über welchen die kurzen Beinchen des Reiters kaum wegreichten. Daß der Mann das Pferd am Halfter führte, duldete das Bürschchen nicht, er mußte es frei gehen lassen, und der Kleine hielt sich an der Mähne und suchte nun durch Zuruf den Ackergaul zu einem rascheren Tritt zu bringen, was ihm aber nicht gelang. Beim Schmied hob ihn der Knecht wieder ab, und nun stellte er sich so, daß er die glühende Esse und den Amboß sah. Die jungen Augen blitzten vor Lust, wenn unter den Hammerschlägen des Meisters die Funken sprühten, und am liebsten hätte er selbst zu dem verrußten Werkzeug gegriffen und mitgeholfen, denn er ahmte unwillkürlich die Bewegungen des Schmiedes nach. Aber nicht lange hielt er aus, dann schlenderte er, die Hände in den Taschen, weiter, hinaus ins Freie. Die Wiesen, reif zum Gemähtwerden, standen voll saftigen Grases und im bunten Blütenschmuck. An ihnen hinstreifend, pflückte er Blumen, und dazu sang er ein Kinderlied. Die Zampel fließt durch das grüne Gelände; Erlen und Weiden neigen sich schattend über das klare Wasser, und zwischen ihnen ragen stattliche Ulmen. Dorthin lenkte der Knabe seine Schritte, brach sich einen Zweig aus dem Gebüsch, streifte die Blätter ab und köpfte nun die fetten, roten Disteln, die so protzig über den Wiesengrund emporragten. Während dieser Beschäftigung sah er einen Reiter auf einem Feldwege kommen. Hastig lief er ihm entgegen und schrie schon von weitem jauchzend: »Papa, Papa!« Der Angerufene hielt sein Pferd an. Es war ein stattlicher Herr mit einem gutmütigen Gesicht, aus dem die Freude lachte über den munteren, frischen Jungen. »Was machst denn du hier, Otto?« fragte er. »O nichts, Papa, ich gehe spazieren und schlage dabei den Disteln die dicken Köpfe herunter! Darf ich mit dir?« Der Reiter beugte sich herab und hob den kleinen Burschen empor, welchen er vor sich hinsetzte, und der nun ohne weiteres die Zügel nahm. Der Braune schien ähnliches gewohnt zu sein, er schritt munter aus und langte bald bei dem Herrenhause an. Ein Knecht nahm das Tier in Empfang und hob den Kleinen aus dem Sattel, und dann ging dieser an der Hand des Vaters in das Herrenhaus. »Nun, Otto,« sagte dieser, »nächste Woche kommt Bernd (Bernhard) aus Berlin!« »Ach, das wird hübsch!« jauchzte der Bursche, »weiß das Mama schon und Lotte Schmeling?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er in das Haus und in das Gemach, in welchem er seine Mutter vermutete. Eine hochgewachsene, schöne Dame mit klaren, freundlichen Augen trat ihm entgegen. »Wo steckst du denn, Otto, und so erhitzt?« sagte sie mit gütigem Vorwurf und strich mit der weißen Hand über die feuchten, zerzausten Locken ihres Lieblings. »Ach, ich komme mit Papa und bin auf dem Braunen geritten – und nächste Woche kommt Bernd. Da wird’s lustig! Er erzählt immer so hübsch von Berlin. Darf ich auch nach Berlin, Mama?« »Ja, ja, mein Junge!« Er küßte die Hand der Mutter und war hinaus, noch ehe der Vater eintrat. Er eilte nach der Küche, wo »Lotte Schmeling« regierte. »Ach Lotte, gib mir zu essen, ich habe Hunger – und weißt du – nächste Woche kommt Bernd!« Viel Zeit gönnte er sich zur Stillung seines Hungers nicht, denn bald darauf war er wieder im Parke. Einen Teil seines Frühstücks trug er noch in der Hand, und die kleinen Taschen hatte ihm Lotte Schmeling vollgestopft mit Speiseresten, denn er wollte die Karpfen füttern. Aber im Parke hielt ihn manches auf. Wenn er einen Vogel locken hörte, blieb er stehen, weil er wissen mußte, wen er vor sich habe; wo ihm ein Nestchen in den Büschen bekannt war, sah er vorsichtig nach, ob noch alles in demselben und um dasselbe in Ordnung sei; wo ein Eichkätzchen an einem Stamme hinhuschte, mußte er seinen Weg verfolgen und sich an seinem possierlichen Wesen ergötzen. Endlich stand er an dem Karpfenteiche und trat auf das kleine Podium hinaus, um seine Gaben zu spenden. Schon nach dem ersten Wurfe der kleinen Hand tauchten die silbergrau schimmernden Rücken auf und kamen heran, und gierig schnappten die großen, runden Mäuler. Otto jauchzte, wenn sie um einen besonders großen Bissen sich drängten und balgten und ihn einander zu entreißen suchten, und er warf seine Gaben bald rechts, bald links, um auch den minder Zudringlichen und weniger Starken etwas zukommen zu lassen. Ganz im Hintergrunde, nach der Mitte zu, waren einige kleinere Fische, die bei jedem Wurfe schnappten, aber nicht herankommen konnten. Auch sie sollten ihr Teil erhalten. Der Knabe füllte die ganze Hand dicht mit Brocken und holte nun mit ganzer Kraft zum Wurfe aus. Dabei aber hatte er sich wohl etwas zu weit vorgebeugt, er verlor das Gleichgewicht; klatschend schlug er ins Wasser, so daß die Fische erschreckt auseinanderstoben, und nun arbeitete und strampelte der kleine Bursche mit Armen und Beinen in einer nicht ungefährlichen Lage, denn der Teich war ziemlich tief. Er faßte nach dem Schilfe und suchte sich daran festzuhalten, aber das schwanke Rohr bot keine Stütze. Doch war es ihm geglückt, näher an das Podium heranzukommen; mit aller Anstrengung und durch eine unbewußt günstige Bewegung unterstützt, konnte er es ergreifen, beide Hände faßten rasch und sicher zu – und gleich darauf hatte sich der kleine Mann glücklich herausgearbeitet. Er sah ganz verdutzt zuerst nach dem Teiche und dann an sich selbst hinab. Seine Beine waren schlammbedeckt, und Schilf hing an den durchnäßten Kleidern. Er schüttelte sich einmal kräftig, dann trabte er fort nach dem Herrenhause. Er wollte zu Lotte Schmeling, seiner Vertrauten, flüchten, kam aber gerade der entsetzten Mama in den Weg. »Was ist passiert, Otto?« schrie sie erschrocken auf, als sie den Kleinen sah, aus dessen Haaren das Naß niederrieselte auf das triefende Gewand. »O nichts, Mama – ich bin nur, wie ich die Karpfen füttern wollte, ein bißchen in den Teich gefallen. Es tut nichts – bloß entsetzlich kalt ist’s!« Die Zähnchen schlugen ihm jetzt im Frost zusammen, und unter Beihilfe von Lotte Schmeling wurde er rasch zu Bette gebracht und mußte heißen Tee trinken. Am Abend fühlte er sich wieder völlig munter. Der Vater hatte bei ihm gesessen und mit ihm geplaudert: er hatte ihm gesagt, daß er schwimmen lernen müsse, wie die Karpfen im Teiche, und zwar, sobald er wieder aus dem Bette sein werde, und das hatte ihm viel Vergnügen gemacht. Dann aß er sein gewohntes Abendsüppchen, und endlich, beim Dunkelwerden, kam Mama noch einmal. »Siehst du, Otto, wie gut es der liebe Gott meint mit kleinen, dummen Jungen? Überall schickt er einen Engel mit ihnen, der ihnen hilft, wenn sie in Not sind. Du wärst im Karpfenteich ertrunken, wenn er nicht bei dir gewesen wäre und dich herübergezogen hätte, so daß du das Podium fassen konntest. Dafür mußt du dem lieben Gott heute auch ganz besonders danken!« So sagte die schöne, freundliche Frau, und der Knabe faltete die Händchen und sprach sein Abendgebet mit besonderer Herzlichkeit. »Amen!« sagte die Mutter bewegt, als er damit zu Ende war, dann küßte sie ihren Liebling, deckte ihn sorgsam zu und ging. – Der Unfall hatte für Otto keine weiteren unangenehmen Folgen, und in gewohnter vergnüglicher Weise lebte er seine Tage weiter. Als nach einiger Zeit Bernd (Bernhard), der um fünf Jahre ältere Bruder, aus Berlin ankam, erzählte er ihm beinahe mit einem gewissen Selbstgefühl sein Abenteuer, vergaß dabei aber nicht, auch des Schutzengels Erwähnung zu tun. Bernhard war ein frischer, schlanker Junge, dem es besonderes Vergnügen machte, nach dem Berliner Aufenthalte frei durch Feld und Wald zu schweifen, und...