E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Piper Spannungsvoll
Ohle Totenflut
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-492-98028-9
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Piper Spannungsvoll
ISBN: 978-3-492-98028-9
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das junge Mädchen wird das Ende dieser Nacht nicht mehr erleben. Ebenso wenig wie die anderen Mädchen vor ihr. Er hat ihr Grab schon vorbereitet und fein säuberlich mit einer Nummer versehen. Obwohl schon so viele Mädchen sterben mussten, ist sein Werk noch lange nicht vollbracht. Doch dann entdecken Jagdhunde eines der Gräber. Aus ganz Deutschland treffen Experten ein, unter anderem die ehrgeizige junge Elin. Sie macht sich auf die Suche nach dem Serienmörder. Dieser hat schon sein nächste Opfer im Visier: Elin.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1 Nichts an dieser Nacht deutete darauf hin, dass sie grausam und blutig enden würde. Nichts deutete darauf hin, dass in dieser Nacht ein Leben gewaltsam beendet würde. Im Gegenteil. Diese Nacht war von Leben erfüllt. Ein ruhendes, friedvolles Leben, das auf dem Land zu liegen schien wie ein schlafendes Kind. Der Tod hatte hier keinen Platz. Der Tod gehörte nicht hierher. Er war ein Fremder auf dieser Erde, ein dunkler heimlicher Fremder. Er konnte gar nicht von dieser Welt sein, nein, nicht hier und nicht heute. Es sei denn, es gab noch eine zweite Welt. Eine Welt unter dieser. Eine unterirdische Zone, tief und kalt, und so dunkel, dass nie ein Lichtstrahl dorthin gelangen würde. In der warmen Sommerluft schwebten die Gerüche der Blumen und Gräser. Grillen zirpten, die Sterne standen klar und groß an dem weit aufgespannten Nachthimmel, und der Mond warf ein angenehm kühles Licht auf die Straßen und Felder. Auf einem kleinen Feldweg parkte ein roter VW Polo mit dem verschmutzten Rest eines abgerissenen Aufklebers auf der Heckklappe. Annette Krüger hatte den Polo einer älteren Dame abgekauft. Auf dem Aufkleber war der Name eines Kurorts zu lesen gewesen, an den sich Annette schon nicht mehr erinnern konnte. Doch damals hatte sie den Anblick dieses hässlichen Klebestreifens nicht ertragen können und ihn kurzerhand entfernt. Die Rückstände auf dem Lack waren ihr egal gewesen. Hauptsache, man konnte den albernen Sticker nicht mehr sehen. Annette saß mit Mike im Auto. Mikes Vespa stand rechts neben dem Polo. Der Motor war noch warm, als die beiden sich wieder anzogen. Annette knöpfte ihre Bluse zu, und als sie den letzten Knopf verschlossen hatte, erstarrte sie plötzlich. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Mike, der noch mit bloßem Oberkörper neben ihr saß, bemerkte, dass etwas nicht stimmte. »Was ist?«, fragte er. »Ich kann das nicht mehr.« Mike verstand nicht. Er hatte keine Ahnung, wie die Situation, die für ihn vollkommen klar gewesen war, so unvermittelt hatte umschlagen können. Mikes ahnungsloses Erstaunen machte Annette aggressiv. Sie musste es tatsächlich erst aussprechen, damit er es kapierte. »Ich komm mir vor wie eine Nutte! Diese Treffen hier draußen im Auto. Eine schnelle Nummer und du fährst wieder zu ihr. Ich will das nicht mehr!« »Aber eben war doch noch alles in Ordnung!« »Nein, es war nie in Ordnung. Du musst es ihr endlich sagen! Oder ich werde es tun!« »Ich mach’s ja. Es ist nur gerade …« »… nicht der richtige Zeitpunkt«, beendete Annette den Satz für ihn. »Es wird nie der richtige Zeitpunkt sein, Mike. Nie! Weil es immer schwer sein wird. Egal wann. Aber langsam musst du dich entscheiden. Ich werde nicht länger auf einsamen Feldwegen auf dich warten. Ich bin mehr wert als das.« Sie nahm sein T-Shirt und drückte es ihm vor die Brust. Es war so eine wunderbare Nacht gewesen, doch jetzt war alles vorbei. Annette verlangte eine Entscheidung von ihm, gegen die er sich schon lange sträubte. Er spürte so etwas wie Erniedrigung, als er sich vor ihren Augen wieder anziehen musste. Vielleicht hatte auch sie sich erniedrigt gefühlt, doch in dieser Situation war es ihm egal. »Entweder du bist stark genug, um bei ihr zu bleiben, oder du bist stark genug, um zu mir zu kommen«, sagte sie und starrte dabei auf die schwarze Windschutzscheibe. Im Augenwinkel sah sie ihn aussteigen, und dann krachte die Tür ins Schloss. Sie hatte nicht streiten wollen. Sie hatte auch nicht gewollt, dass er ging. Sie wollte, dass er endlich zu ihr stand. Der Motor der Vespa röhrte auf. Es folgte die kurze Pause vor dem Abfahren, in der Mike sich immer den Helm aufsetzte. Genau in diesem Moment warf sich ein Schatten gegen ihr Seitenfenster. Als Annettes Kopf herumfuhr, war er bereits wieder verschwunden. Der Schreck fuhr ihr glühend heiß in die Knochen, und ihr Herz schlug so hart gegen ihre Brust, dass sie glaubte, es sprenge ihren Brustkorb. Es musste Mike gewesen sein, der noch einmal abgestiegen und zur Fahrertür gekommen war. Vielleicht wollte er ihr noch etwas sagen, sich entschuldigen oder ihr versichern, dass er jetzt endlich eine Entscheidung treffen würde. Doch kaum hatte sie diesen Gedanken beendet, hörte sie die Vespa auch schon losfahren. »Mike!«, rief sie ihm hinterher und war sich nicht sicher, ob es eine Warnung oder ein Hilferuf war. Im Rückspiegel sah sie ihn nach rechts auf die Landstraße abbiegen, dann entfernte sich der Lichtkegel immer weiter und weiter, und das Motorengeräusch verstummte wie der Nachhall eines Echos. Jetzt war sie allein auf dem Feldweg, und von außen drückte die dunkle Nacht gegen die Fenster. Annette konnte nichts sehen, aber sie fühlte sich beobachtet. Da war etwas. Etwas lauerte da draußen auf sie, da war sie sich mit einem Mal vollkommen sicher. Etwas, das sie daran hindern wollte, in ihr Leben jenseits der Dunkelheit zurückzukehren. Sie streckte ihre zitternde Hand aus und bekam den Zündschlüssel zu fassen. Ruckartig drehte sie ihn herum, schaltete das Licht ein und gab Gas. Der Motor heulte im Leerlauf auf. Annette legte mit fahrigen Bewegungen den Rückwärtsgang ein. Jetzt musste sie sich umdrehen. Annette fühlte Panik in sich aufsteigen und traute sich kaum, aus der Heckscheibe zu schauen, weil sie vor ihrem geistigen Auge dort im roten Schein des Rücklichts schon denjenigen stehen sah, der den Schatten an ihr Fenster geworfen hatte und jetzt bereit war, sie zu töten. Ein großer Mann im schwarzen Mantel, mit hängenden Armen und narbigem Gesicht. Doch als sie sich umsah, konnte sie lediglich den Grasstreifen in der Mitte des Weges erkennen. Sie gab Gas und fuhr, schneller als sie es sonst tat, rückwärts auf die Landstraße. Noch im Rollen schaltete sie in den ersten Gang und trat das Pedal durch. Mit quietschenden Reifen fuhr sie an und beschleunigte schnell auf 90 Stundenkilometer. Erst jetzt fühlte sie sich sicher. Ihr eigenes Verhalten kam ihr plötzlich völlig kindisch und lächerlich vor. Annette sah sich im Rückspiegel an und musste laut lachen. »Angsthase! Häsin! Bunny! Du Angstbunny!« Sie lachte über ihre neue Wortkreation und schaltete das Radio ein. Sie kannte den Song. Run to You von Bryan Adams. Und gerade als sie den Mund öffnete, um mitzusingen, sah sie ihn. »Scheiße!«, flüsterte sie und trat auf die Bremse. Kapitel 2 Es war 7 Uhr morgens, als Schröder den Frühstückstisch deckte. Die Kaffeemaschine gurgelte und warf Wasserdampf gegen die Scheibe des Küchenfensters. Schröder zog die Kanne heraus und schenkte sich und seinem Vater eine Tasse ein. Karl sah geduldig dabei zu und nickte, um sich zu bedanken. Er war noch zu müde zum Sprechen. Sein linker Arm lag steif und angewinkelt an seinem Körper an. Er war nach einem Schlaganfall gelähmt. Karl nahm sich ein Brot und legte es auf sein Frühstücksbrett, das mit stumpfen Nägeln versehen war, um ein Wegrutschen den Brotes zu verhindern, wenn er es schmierte. Mit der Butter klappte es ganz gut, doch die Marmelade rutschte ihm immer wieder vom Messer. Ohne ein Wort zu sagen, griff Schröder über den Tisch und half seinem Vater. Es war ein Morgen, so wie alle anderen Morgen seit vier Jahren auch. Die Abläufe am Tisch waren immer die gleichen, und es kam selten vor, dass die beiden ein Wort miteinander wechselten, außer vielleicht an den Tagen, an denen Schröder nicht arbeiten musste. Doch diese Tage waren sehr selten. Der Schlaganfall hatte ihrer beider Leben von Grund auf verändert. Karl und Schröder hatten bis dahin allein gelebt. Sie hatten sich vielleicht fünf oder sechs Mal im Jahr gesehen, trotzdem hatte Schröder nicht gezögert, seinen Vater bei sich aufzunehmen. Ein Heim konnte er sich bei seinem Gehalt nicht leisten. In der Anfangszeit kam zweimal pro Tag ein ambulanter Pflegedienst, bis Karl nach einem Jahr wieder in der Lage war, selbstständig zu gehen und kleinere Handgriffe im Haushalt zu erledigen. Aber er brauchte nach wie vor Hilfe beim Anziehen, Waschen und Essen. Nach dem Frühstück legte sich Karl auf die Couch, und Schröder gab ihm die Fernbedienung für den Fernseher, bevor er zur Arbeit fuhr. »Ich muss jetzt los.« »Kannst du meinen Arm noch strecken?« Den Spasmus im linken Arm konnte Karl nicht selber lösen. Die Physiotherapeutin hatte Schröder einen Trick gezeigt, mit dem er seinem Vater etwas Erleichterung verschaffen konnte. Schröder beugte sich über seinen Vater und griff mit einer Hand an den Oberarm und mit der anderen an Karls Handgelenk. Nachdem er leichten Zug auf den Oberarm ausgeübt hatte, konnte er nun den Unterarm strecken. Und während er das tat, öffnete sich Karls zur Faust geballte Hand von alleine, und der gesamte Arm entspannte sich. In dem Moment fuhr plötzlich ein heißer, metallener Schmerz wie ein Schwert in Schröders Rücken. Schröder bäumte sich auf, und gleichzeitig gaben seine Beine kraftlos nach. Mit einem gepressten Schrei fiel Schröder auf die Knie und schrie abermals auf, als die Erschütterung die gleißende Klinge noch tiefer in seinen Rücken zu bohren schien. Karl versuchte mit einer Hand seinen Sohn zu stützen, während dieser nach Halt auf dem Tisch suchte. Kalter Schweiß drang Schröder aus allen Poren. Zitternd, stöhnend versuchte er, sich zu halten. Karl stand auf und griff Schröder unter die Achsel. »Leg dich hin, du musst dich hinlegen!« »Ich kann nicht!« »Los, mach schon!« Schröder nahm all seine Kraft zusammen und hievte sich mit Karls Hilfe seitlich auf die Couch. Wieder schrie er auf. Seine Augen waren weit geöffnet. Er wartete darauf, dass der Schmerz nachließ, doch es passierte einfach nicht. »Ich ruf...