E-Book, Deutsch, 232 Seiten
Reihe: schwarz bewegt
Oguntoye Schwarze Wurzeln
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-944666-79-2
Verlag: Orlanda Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Afro-deutsche Familiengeschichten von 1884 bis 1950
E-Book, Deutsch, 232 Seiten
Reihe: schwarz bewegt
ISBN: 978-3-944666-79-2
Verlag: Orlanda Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Katharina Oguntoye, nigerianisch-deutsche Historikerin, Jahrgang 1959, hat die afro-deutsche Bewegung mitgeprägt, unter anderem als eine der Herausgeberinnen des Buches 'Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte.' (1986) und als Gründungsmitglied der 'Initiative Schwarze Menschen in Deutschland'. Seit 1996 ist sie Leiterin, des von ihr mitbegründeten Interkulturellen Netzwerk in Berlin, Joliba e.V..
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2.Situation im Kaiserreich und in der Weimarer Republik
Im Folgenden wird der Kontext für die Situation der Afrikaner im Kaiserreich und in der darauffolgenden Periode der Weimarer Republik dargestellt, dabei erschließt sich die deutsche Situation im Vergleich zu anderen Kolonialstaaten, und die Motivationen für die Behandlung der Afrikaner in Deutschland wird besser verständlich. Einleitend wird die Haltung Englands, Frankreichs und Deutschlands verglichen.
Koloniales Selbstverständnis der Kolonialmächte
Als 1884/85 im Anschluss an die Absprachen der Berliner Westafrikakonferenz die deutsche Regierung unter Bismarck offizielle Kolonien in Afrika errichtete9, war dem eine mehr als hundertjährige Präsenz deutscher Forschungsreisender, Unternehmer und Missionare auf dem afrikanischen Kontinent vorausgegangen. Somit gehörte Deutschland zu den Ländern, die zuerst »nur« mittelbar an der kolonialen Expansion Europas teilgenommen hatten. Deutschland hatte nicht zu den frühen Kolonialmächten gehört, da der Nationalstaat sich erst spät gebildet hatte und damit eine ökonomische Zersplitterung verbunden war. Deutschland war keine Seemacht, weil der Staat nicht über die finanziellen und strukturellen Mittel verfügte, um eine Handels- und Kriegsflotte aufzubauen.
Dies unterschied Deutschland von den frühen Kolonialmächten England, Frankreich und Spanien, Portugal und den Niederlanden, die jeweils über eine oder beide Voraussetzungen verfügten, den Zentralstaat und/oder eine Seeflotte.
Ein Hauptargument gegen die Errichtung formeller Kolonien waren die enorm hohen Kosten einer Kolonialverwaltung. Die ProArgumente betonten den hohen Prestigewert von Kolonien für eine Großmacht und gingen davon aus, dass eine industrielle Volkswirtschaft auf die Rohstoffzufuhr aus Kolonialgebieten angewiesen sein würde.
Welchen ökonomischen Nutzen Kolonien für die Mutterländer hatten, wird auch heute noch kontrovers diskutiert. Für diese Arbeit ist der ökonomische Aspekt jedoch nicht weiter von Bedeutung, vielmehr interessiert hier die ideologische Begründung, die bei der Errichtung von Kolonien angeführt wurden.
Die ideologischen Begründungen der jeweiligen Kolonialmächte unterschieden sich nur graduell und hatten auf die tatsächliche Kolonisation keinen großen Einfluss; für die historische Beurteilung des Kolonialismus und seiner Folgen für die kolonialisierten Völker ist die unterschiedliche Behandlung der Kolonien durch die Kolonialmächte jedoch von Interesse. Für unser Thema betrifft dies vor allem den Rechtsstatus, den eine Kolonie hatte, da von diesem der Rechtsstatus der Afrikaner abhängig war. Der Rechtsstatus wurde für die Afrikaner in der Regel erst dann relevant, wenn sie sich in Europa selbst befanden. Für die Lage in den Kolonien waren die jeweilige Verwaltungsstruktur und die »Eingeborenenpolitik« der Kolonialmacht entscheidend.
Das britische Kolonialreich, »the Empire«, verfügte über eine lange Erfahrung in der Ausübung von kolonialer Herrschaft, wobei sich das traditionell liberal eingestellte Britannien verschiedenster Rechtsformen bediente, die den örtlichen Gegebenheiten angepasst werden konnten. Es gab mindestens sieben verschiedene Möglichkeiten der Bindung an Großbritannien, davon sind hier nur zwei von Belang, auf die sich letztendlich die direkte Herrschaftsausübung beschränkte. Dies waren zum einen der rechtliche Status einer Kronkolonie und zum anderen der des Protektorats. Eine Kronkolonie hat in verschiedenster Abstufung eine parlamentarische Beteiligung der Bevölkerung, manchmal einschließlich kleiner Teile der schwarzen Bevölkerung der Kolonie, an der Innenpolitik. Bei einem Protektorat blieb die althergebrachte Regierung erhalten, wurde aber von den Briten kontrolliert. Der grundlegende Unterschied zwischen beiden Rechtsformen war, dass die Bewohner einer Kronkolonie britische Untertanen waren und diejenigen der Protektorate nicht.
Frankreichs Selbstverständnis ist auf dem von Paris aus regierten Zentralstaat begründet, und die Kolonien wurden als ein Bestandteil der »unteilbaren« Republik betrachtet, der »Grande Nation«. Die eigene Kultur, einschließlich der egalitären Menschenrechte als eine der Errungenschaften der Französischen Revolution, wurde als einzigartig und überragend angesehen und die Kolonialbestrebungen damit gerechtfertigt, diese Kulturwerte anderen (wilden) Völkern bringen zu wollen. Zu Beginn der Kolonisierung wurden afrikanische Gebiete durch Protektoratsverträge unter französische Hoheit gebracht. 1904 wurden die Kolonien dann der Zentralregierung in Paris unterstellt, indem ihre Souveränitätsrechte durch Parlamentsbeschluss aufgehoben wurden.
Die französische Auffassung führte dazu, dass die Afrikaner als »schwarze Franzosen« betrachtet wurden. Die Auffassung war die, dass alle Menschen gleich seien, wenn sie die gleichen Möglichkeiten hätten. Also wurde den AfrikanerInnen Bildung zugestanden. Eine strikte Rassentrennung in den Kolonien war aufgrund der Gleichheitsvorstellung kein Schwerpunkt der französischen Kolonialpolitik.
An dieser Stelle muss klar betont werden, um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, dass vorauszusetzen ist, dass alle Kolonialmächte von der Überlegenheit der weißen Menschen überzeugt waren und schwarzen Menschen gegenüber rassistische Vorurteile vertreten wurden. Was hier betrachtet werden soll, sind ideelle Werte, die zu unterschiedlichen Ausprägungen bei den rechtlichen Formen des Status und der Behandlung von AfrikanerInnen führten.
Die Haltung des Deutschen Reiches zeichnete sich gegenüber dem Sinn und Nutzen von Kolonien für Deutschland durch Zögern aus.10 Die Ambivalenz der deutschen Regierung gegenüber den Kolonien wird z.B. in der dürftigen Ausstattung der Kolonialabteilung deutlich, die im Auswärtigen Amt eingerichtet wurde.11 Und auch dadurch, dass die Kolonien als Schutzgebiete bezeichnet wurden und die Staatsgewalt im deutschen Kolonialrecht als Schutzgewalt bezeichnet wurde.12 Da es sich nun de facto um Kolonien handelte, stellt sich die Frage nach dem Entstehen dieser Benennung. Von Hoffmann führt in seinem Buch zum deutschen Kolonialrecht an, für die Entstehung des Begriffes Schutzgewalt seien folgende Punkte von Bedeutung:
Der Schutzgewaltsbegriff ist also sehr unbestimmt und hatte nur solange eine gewisse Bedeutung, bis sich die Regierung zur formellen Herrschaftsausübung entschlossen hatte.
Für die deutschen Kolonien galt eine einheitliche rechtliche Struktur, welche durch das Schutzgebietsgesetz gebildet wurde. Danach waren die Kolonien völkerrechtlich und staatsrechtlich Inland, allerdings mit der Einschränkung, dass die Reichsverfassung hier nicht galt und das Reichsrecht nur für deutsche Staatsangehörige anzuwenden war. Afrikaner waren keine deutschen Staatsangehörigen, sie konnten dies aber durch Einbürgerung werden.
Zusammenfassend zeigt der Vergleich der drei Kolonialmächte folgenden grundsätzlichen Unterschied: die Haltung Großbritanniens und Frankreichs bedeutete, dass die Bewohner einer britischen Kronkolonie oder einer französischen Kolonie, ob schwarz oder weiß, rechtlich als Angehörige des jeweiligen »Mutterlandes« galten, während die Bewohner einer deutschen Kolonie in schwarze und weiße Bevölkerung unterteilt wurden. Alle »Nichtweißen«, die der deutschen Hoheit unterstanden, konnten nur durch Einbürgerung deutsche Staatsangehörige werden.
Demokratie in Deutschland – Gerechtigkeit für Afrika
Nach dem Friedensvertrag von Versailles besaß Deutschland keine Kolonien mehr, sie wurden anderen Kolonialmächten unterstellt. Das Auswärtige Amt wurde mit der Abwicklung der Abtretung der Kolonien beauftragt. Der Wunsch von Teilen der Regierung und der deutschen Gesellschaft nach Wiedererlangung der Kolonien blieb jedoch bestehen. Der richtige Augenblick für einen Vorstoß in diese Richtung sollte abgewartet werden. Auch wenn dieser Zeitpunkt bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr kommen sollte, bestimmte die Idee doch die Politik gegenüber den AfrikanerInnen in Deutschland von 1918 bis 1945.
In der Weimarer Republik und in der folgenden Periode des Nationalsozialismus war die einschneidenste Veränderung zu der des Kaiserreichs die, dass AfrikanerInnen und Afro-Deutsche ihre Schutzgebietsangehörigkeit verloren, sofern sie sie besaßen. Damit verloren sie auch die staatsrechtliche Zugehörigkeit zu Deutschland, dem Land, in dem sie ihren Lebensschwerpunkt hatten. Die neue Staatsform in der Weimarer...