E-Book, Deutsch, Band 3, 240 Seiten
Reihe: Country Girls Trilogie
O'Brien Die Glückseligen
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-455-00482-3
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 3, 240 Seiten
Reihe: Country Girls Trilogie
ISBN: 978-3-455-00482-3
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Es ist noch nicht lange her, da tranken Kate Brady und ich ein paar trübselige Gin-Fizzes in London und klagten darüber, dass sich wohl nichts mehr ändern würde, dass wir so sterben würden, wie wir jetzt lebten – ausreichend ernährt, verheiratet, unbefriedigt." So beginnt Babas bissiger Bericht über die zunehmende Desillusionierung der beiden Freundinnen. Von Eugene enttäuscht beginnt Kate eine ansonsten völlig unmotivierte Affäre mit einem Anderen. Als ihr Mann dahinterkommt, erweist er sich als erbarmungslos und selbstgerecht, und nichts ist mehr so, wie es war. Währenddessen hat die gleichfalls verheiratete Baba ihre ganz eigenen Probleme. Kunstvoll kontrastiert O'Brien Babas unerbittliche, deftige Sprache mit Kates zunehmend bitterer, trauernder Stimme und erzählt drastisch von der ungeheuren Fallhöhe zwischen Traum und Wirklichkeit, die die beiden durchmessen.
Weitere Infos & Material
Cover
Titelseite
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Epilog
Über Edna O'Brien
Impressum
1
Es ist noch nicht lange her, da tranken Kate Brady und ich in London ein paar trübselige Gin-Fizz und klagten darüber, dass sich wohl nichts mehr ändern würde, dass wir so sterben würden, wie wir jetzt lebten – ausreichend ernährt, verheiratet, unbefriedigt. Wir sind schon immer Freundinnen gewesen – als Kinder in Irland schliefen wir sogar zusammen. Oft schubste ich sie absichtlich aus dem Bett und hoffte, sie würde sich dabei den Schädel oder sonst was aufschlagen. Ich hatte sie gern, wirklich – natürlich war ich wahnsinnig eifersüchtig auf sie –, aber sie war zu brav und zu gut. Sie wissen schon, sie hatte diese unnütze Art, gut zu sein, fragte die Leute, wie es ihnen geht und wie es ihren Eltern geht. In der Grundschule schrieb sie meine Aufsätze für mich, und in der Klosterschule der Barmherzigen Schwestern gluckten wir immer zusammen, weil die anderen achtzig Mädchen noch dämlicher waren als sie – und das will etwas heißen. Nachdem wir aus der Klosterschule getürmt waren, wohnten wir in einem Armeleuteviertel, erst in Dublin, dann hier in London, wo jede von uns im Laufe von achtzehn Monaten zu ungefähr drei guten Abendessen eingeladen wurde, was sechs Mahlzeiten für uns beide bedeutete, denn wir hatten einen Pakt geschlossen, dass diejenige, die eingeladen war, dem Aschenbrödel etwas zu essen mitbringen musste. Auf diese Weise habe ich das Innere von mehr als einer Handtasche ruiniert … Wir waren noch kein Jahr hier, als sie einen Spinner mit Namen Eugene Gaillard wiedertraf, den sie von Irland her kannte. Da ging die alte Leier von neuem los – sie verliebten sich ineinander, oder glaubten es wenigstens, und verloren keine Zeit, die Sache gründlich zu versauen. Die Trauung fand in der Sakristei einer katholischen Kirche statt. Musste so sein. Sie wollten es nicht in aller Öffentlichkeit durchziehen, weil er geschieden war und sie hochschwanger. Ich war Brautjungfer. Rosa Chiffon und ein Hut mit Schleier, den sie bezahlt hatten. Ich sah aus wie die Braut. Sie trug ein weites, schlabbriges, gestreiftes Umstandskleid und machte dazu ein Kindergesicht. Sie ist durchtrieben, die Sorte, die auch dann noch wie ein unschuldiges Kind aussehen würde, wenn sie die eigene Mutter im Schrank eingesperrt hätte. Der Priester blickte nicht ein einziges Mal auf ihren Bauch. Als wir aus der Kirche kamen, fuhr Eugene ganz schnell davon, und das erschütterte mich, denn er ist ein Umstandskrämer, der lange Anweisungen erteilt, ehe er einen in den Wagen einsteigen lässt. »Tritt nicht aufs Trittbrett, schieb den Sitz nicht zu weit zurück, schieb den anderen Sitz nicht zu weit nach vorn.« Damit will er sich wichtig machen. Nach der Trauung preschte er los und raste die Straße entlang wie ein Rennfahrer. Er lachte sogar, was er nicht oft tut. »Was ist los?«, fragte ich. »Unser verehrter Herr Pfarrer wird eine kleine Überraschung erleben«, sagte er, und Kate fragte: »Wieso?« – genau wie eine Ehefrau. Offenbar enthielt der Umschlag, den er dem Priester überreicht hatte und in dem zwanzig Pfund für die Trauung hätten stecken sollen, nur eine orangefarbene irische Zehn-Shilling-Note, in mehrere Lagen Papier eingewickelt, damit sich der Umschlag prall anfühlte. Nun, sie spielte die Beleidigte und wurde violettrot im Gesicht. Er sagte zu ihr, sie sei eine typische Bauerntochter, die nicht aus ihrer Haut könne, und sie sagte zu ihm, er sei so geizig, dass er ihr nicht mal erlaube, ein paar Sachen für das Baby anzuschaffen. Ein Seitenhieb, denn er war schon einmal verheiratet gewesen und hatte Kinderwagen und Windeln für alle Fälle aufbewahrt. Er sagte, sie habe keine Manieren, und wenn sie ausfällig werden wolle, solle sie lieber gleich aussteigen. Er sagte, die zwanzig Pfund werde er einer weniger schädlichen Organisation überlassen, und sie sagte: »Na, dann mach doch, verschenk sie, halte irgendeine arme Frau an und gib sie ihr.« Er aber blieb ungerührt hinter seinem Lenkrad sitzen und fuhr zielstrebig zu einem mittelmäßigen Restaurant in Soho, wo wir ein freudloses Frühstück einnahmen und eine Flasche leichten Perlwein tranken, der ihm so gut schmeckte, dass er das feuchte Etikett ablöste und in seine Brieftasche steckte, um sich den Namen zu merken. Für die nächste Hochzeit! Sie schmollte die ganze Zeit, da konnte ich schließlich nicht gut lachen. Als das Kind geboren war, zogen sie aufs Land, und sie schrieb mir ein Briefchen, das ich aufgehoben habe. Ich weiß nicht, warum. Sie schrieb: Liebe Baba, wir wohnen in einem Tal und blicken auf einen Hügel mit goldenem, zertrampeltem Farnkraut, und in den Bäumen, die noch kaum Knospen haben, nisten schon die Vögel. Wir wohnen in einem grauen Steinhaus mit Schieferplatten auf dem Dach und Holzbalken drinnen und weiß getünchten, buckligen Wänden und Blumentöpfen überall; die Dielen knarren, und er liebt mich, und es ist schon was dran, ein Kind zu haben und in einem Tal zu wohnen und geliebt zu werden, das ist wunderbarer als alles, was wir beide, Du und ich, uns in unseren leichtsinnigen Tagen je vorgestellt haben. Immer die Deine, Kate Immer die Deine, Kate! Damals war ich unglücklich. Niemals die Deine, Kate! An jenem Abend zog ich mein bestes Kleid an und ging in einen irischen Klub. Fügung des Schicksals: Ich begegnete meinem Bauunternehmer. Sein Name war Frank, und er warf mit Geld nur so um sich und erzählte Witze. Ich will einen der Witze wiederholen, damit Sie eine Vorstellung davon haben, wie groß meine Not war: Zwei Männer mit Angelgeräten haben den Arm um eine voluminöse Frau gelegt, und der eine sagt zum anderen: »Ein guter Fang.« Wenn Leute betrunken sind und sich nicht gerade streiten oder schlagen, lachen sie über alles. Jedenfalls fuhr er mich nach Hause und bot mir Geld an – er hat einen zwanghaften Drang, Leuten Geld anzubieten, die mit Sicherheit nein sagen werden –, und er fragte, ob ich finde, dass er gebildet aussieht. Gebildet! Er war ein dicker, grober Kerl mit öligem Haar und zusammengewachsenen Augenbrauen über der gebrochenen Nase. Und so sagte ich zu ihm: »Hüte dich vor einem, dessen Augenbrauen zusammengewachsen sind, denn sein Herz ist voller Lug und Trug.« Und, du lieber Gott, das nächste Mal, als wir uns trafen, hatte er sie sich zupfen lassen! Er ist so was von begriffsstutzig; hat nicht mal kapiert, dass die Tatsache, dass sie zusammengewachsen sind, bedeutsam war. Begriffsstutzig. Aber auch nett. Jeder, der so verletzlich ist, ist nett – zumindest empfinde ich das so. Noch ein Abendessen. Zwei Abendessen in einer Woche, und dann bekam ich einen Blumenstrauß geschickt. Als ich die Blumen sah, war mein erster Gedanke, ob ich sie nicht mit Preisnachlass weiterverkaufen könnte. Ich bot sie den Mädchen in den möblierten Zimmern oben und unten an, und alle sagten nein, außer einer Idiotin, die ja sagte. Sie griff sofort nach ihrem Portemonnaie, und ich war so verdammt geldgierig, dass ich sagte: »Hier hast du die Hälfte.« So hatte jede von uns eine Hälfte, und als er abends kam, um mich abzuholen, zählte er die Blumen, die ich in eine Farbdose gestellt hatte, weil ich keine Vase besaß. Und man sollte es nicht glauben, aber er rief wirklich und wahrhaftig den Blumenladen an und sagte, sie hätten ihn betrogen. Er stand draußen im Treppenhaus und brüllte ins Telefon, er habe drei Dutzend Armagh-Rosen bestellt, und was für Gauner sie seien, und sie hätten ihn als Kunden verloren, und ich saß in meinem Zimmer und presste die Faust vor den Mund, um mein Lachen zu ersticken. »Du magst vielleicht nicht gebildet sein«, sagte ich, »aber du bist durch und durch Kaufmann. Du wirst es noch weit bringen.« Zu guter Letzt sagten sie im Blumenladen, sie würden noch welche schicken, und das taten sie auch. Ich musste zu Woolworth gehen und mir für zwei Shilling eine Plastikvase kaufen, denn ich wusste, wenn ich auch nur noch eine einzige Blume hineinsteckte, würde die Farbdose umkippen. Mindestens sechsmal hatte er mich schon zum Abendessen eingeladen und mir kein einziges Mal vorgeschlagen, mit ihm zu schlafen, und das erschütterte mich. Ich wusste nicht, ob ich erfreut oder gekränkt sein sollte. An dem Abend, als er sagte, nun sollten wir aber, war er stockbetrunken, und meine Dachkammer war eisig und alles andere als ein Liebesnest. Die Rosen waren verwelkt, aber noch nicht weggeworfen worden, und mein Bett so kurz, dass seine Füße unten heraushingen. Ich legte mich neben ihn – nicht ins Bett, bloß obendrauf – und war noch angezogen. Er fummelte an meinem Reißverschluss herum und machte ihn natürlich kaputt, und ich dachte, hoffentlich lässt er für den angerichteten Schaden Geld da, aber selbst dann werde ich einen Nähkurs besuchen und lernen müssen, wie man einen Reißverschluss einnäht, denn das ist sehr kompliziert. Ich wusste, das Bett würde zusammenbrechen – das hat man im Gefühl, wenn man einem unzulänglichen Bett so etwas zumutet. Endlich bekam er den Reißverschluss auf, schob mein Unterhemd beiseite – es war bitterkalt – und legte mir ein oder zwei Finger auf die Haut, genau auf die Taille, die nach all den reichlichen Abendessen mit Sauce und so allmählich breiter wurde. Ich nahm an, ich müsste dasselbe tun wie er, stöberte ein bisschen und drang bis zu seiner Haut vor, und erstaunlicherweise war seine Haut weich und nicht dick wie die in seinem Gesicht. Er begann, tiefer zu forschen, zuerst sehr gierig, und dann döste er ein. Das ging so eine Weile – erst fummeln, dann dösen –, bis er schließlich sagte: »Wie machen wir’s?«, und da wusste ich,...