Aus der Schatztruhe einer europäischen Muslimin
Buch, Deutsch, 64 Seiten, GEH, Format (B × H): 140 mm x 205 mm
Reihe: Die besonderen Hefte
ISBN: 978-3-935421-36-2
Verlag: Nordpark
Safeta Obhodjas beschäftigt sich in ihrer Prosa mit der Herausforderung der Moderne und der Situation der Frauen in dieser kulturell- und religionskomplexen Gesellschaft. Ihre präzisen Beobachtungen der Ereignisse und Menschenschicksale hat sie mit Humor und Ironie in ein fließendes Erzählen verwandelt.
Ein kritischer Blick auf das Leben der Frauen in der 'multikulturellen Gesellschaft'
Anfang der 1980er Jahre erreichten ihre ersten Veröffentlichungen die Leserschaft in Bosnien und wurden heftig diskutiert, stellte sie das muslimische Leben doch anders dar, als die politischen, religiösen oder kulturellen Autoritäten es gerne sahen. Sie brachte eine andere Frauensicht in die Literatur Bosniens. Als sie wegen der ethnischen Säuberung im Balkankrieg die Rettung im Exil suchen musste, lernte sie die deutsche Sprache und schrieb in dieser neuen Sprache vom Leben in der sogenannten 'multikulturellen Gesellschaft'. Und wieder wird ihr empfohlen, worüber und wie sie schreiben sollte, um diese 'multikulturelle Gesellschaft' voranzubringen. Stellt sie dieses Leben doch anders dar, als unsere kulturelle Elite es gerne sähe.
Zielgruppe
Menschen, die sich für das Zusammenleben unterschiedlicher Religionen und Nationalitäten interessieren, insbesondere der Frauen im Islam und muslimischer Frauen in Deutschland.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Anfang der Achtziger erreichten meine ersten Veröffentlichungen die Verwandtschaft in Sarajevo. Danach wurde ich von meinem Onkel zu einem Gespräch unter vier Augen eingeladen. Der Onkel galt als ein frommer aber gleichzeitig toleranter Mensch, der sich auch für die Geschichte und die Kultur interessierte. Er war der Meinung, dass es für das muslimische Volk sehr wichtig sei, sich auf der Kulturszene in Ex-Jugoslawien präsent zu machen. Ich wusste, dass er gerne kritisierte, aber dies Mal erwartete ich nur seine Gratulation. Eine Schriftstellerin war eine einmalige Erscheinung in unserer Familie und ich war überzeugt, er müsse sich freuen, weil meine Publikationen, wegen ihrer ein bisschen 'exotischen Themen' in der Kulturszene auffielen. Deshalb ging ich zu diesem Gespräch gelassen, als ob ein Austausch zwischen zwei Gleichgesinnten stattfinden würde. Ich überlegte mir, ob ich ihm darüber berichten sollte, wie viel Mühe mich das alles gekostet hatte. Ich war eine berufstätige Mutter, die kaum Zeit zum Schreiben hatte und keinen anständigen Schreibtisch besaß. Meine Schreibmaschine stellte ich immer auf den Esstisch, nachdem die Kinder dort ihre Hausaufgaben erledigt hatten.
Sein finsterer Gesichtausdruck machte mir sofort klar,dass weder Lob noch Unterstützung auf Onkels Programm standen. Er bemühte sich nicht, seine Wut unter Kontrolle zu halten. Der Onkel fand, ich hätte die Muslime in meinen Geschichten absichtlich in einem schlechten Licht dargestellt. Die Palette der Anschuldigungen war breit, von der Respektlosigkeit vor unseren Ahnen bis zum Verrat. Ich hätte mich entweder an die Kommunisten oder an die Christen verkauft. Ich dachte, er hätte nicht verstanden, was ich mit meinen Schilderungen erreichen wollte.
'Das sind Themen aus unserem Alltag! Als Journalistin besuchte ich ein muslimisches Dorf, um eine Reportage über eine alte Mühle zu schreiben. Dort habe ich erfahren, dass einige mächtige Dorfbewohner vorhatten, die Ersparnisse des ganzen Dorfes, die für den Bau einer Landstraße bestimmt waren, jetzt in eine Moschee mit einem hohen Minarett und zwei Lichtkränzen zu stecken. Die anderen fanden die Straßenverbindung mit der Stadt viel wichtiger und lehnten das prächtige Gotteshaus ab. Dadurch ist ein verbitterter Streit ausgebrochen, den ich in meinem neulich ausgestrahlten Hörspiel dargestellt habe'. Diese Erklärung brachte den Onkel in Rage. Wer hätte mich beauftragt, solche negativen Beispiele aus dem Hinterwald als das Thema meines Werks zu verwenden? Warum hätte ich nicht positive Helden in einer städtischen Umgebung beschrieben? 'Aber die Aufgabe eines Schriftstellers ist, die Missstände in einer Kommune anzuprangern. Und ich schreibe über alle Nationalitäten, nicht nur über Muslime. In unserer Umgebung treffe ich viel mehr egoistische als gutmütige Menschen', versuchte ich mich zu wehren. Das war für ihn ein Beweis mehr, dass ich meine Begabung an die 'anderen' verkauft hätte. Über die Auseinandersetzungen unter den Muslimen sollte keiner etwas wissen. Er würde mich unterstützen, wenn ich in Zukunft in meinen Werken unsere Einheit, Tapferkeit und Großzügigkeit bewundern würde. 'Gehe in die Bibliotheken und Archive und suche nach den positiven Helden, nach den Titanen aus der Geschichte, die etwas für ihr Volk und ihre Religion geleistet hatten', befahl er mir.
Nein danke, dort hatten schon viele Schriftsteller ihre Themen gefunden. Auf dem Büchermarkt gab es haufenweise Bücher über unsere Vergangenheit. Außerdem hatte ich vor, mehr Frauensicht in die Literatur Bosniens hineinzubringen. Unsere Frauen hatten wirklich keine Geschichte. In den Archiven und Bibliotheken konnte man nicht einen einzigen Namen einer Vordenkerin finden. Kein Wunder, weil es vor der Tito-Zeit den Mädchen nicht mal erlaubt war, eine Grundschule zu besuchen. Nicht nur das, jahrhundertelang durften muslimische Frauen in Bosnien nur verschleiert ihr Haus verlassen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg verbot die kommunistische Regierung gesetzlich den Chador auf den Straßen und führte die Schulpflicht für alle ein. Diese Tatsachen wollte ich nicht in meiner Literatur verschleiern, und ich war bemüht, mich mit den Problemen der Frau meiner Zeit auseinanderzusetzen. Weder mein Onkel noch die ganze muslimische Elite hatte damals Verständnis für meine Sichtweise. Während der fast drei Jahrzehnte meiner Tätigkeit als Schriftstellerin hat sich meine Situation kaum geändert. Es kommen immer irgendwelche politischen, religiösen oder kulturellen Autoritäten, die versuchen, mich einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Wie oft musste ich mir anhören, worüber und wie man schreiben sollte, um sich in der Gesellschaft oder bei dem Volk nützlich und beliebt zu machen, je nachdem welche Ideologie oder Politik meine vermeintlichen Berater vertraten. Es war klar, dass ich für ihre Unterstützung mit meiner Unabhängigkeit bezahlen müsste. Nach und nach lernte ich, das alles aus der Distanz einer Außenseiterin zu betrachten und daraus mein Schreibmaterial zu machen. Ich gebe zu, dass die Geschichten in diesem 'Besonderen Heft' des Nordpark-Verlages autobiographisch gefärbt sind.
Nur die erste Erzählung dieses Hefts, 'Der Preis', handelt von meinen frühesten Erfahrungen als Erzählerin. Diese Geschichte ist mein persönlicher Meilenstein als Schriftstellerin, weil ich dadurch den Mut fasste, später einen ganzen Roman, 'Scheherezade im Winterland', über mein Hin und Her zwischen den Kulturen zu schreiben. In diesem Band hat sie die Rolle, die Handlung der anderen Geschichten zu erhellen.