E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Hinterm Deich Krimi
Hinterm Deich Krimi
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Hinterm Deich Krimi
ISBN: 978-3-96041-460-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
In einer gefährlichen Kurve auf Eiderstedt geschieht ein tragischer Verkehrsunfall mit einem Todesopfer. Doch niemand will den Mann kennen. Während Große Jäger und sein Team noch versuchen, die Identität des Toten zu klären, erhalten die Rettungskräfte Morddrohungen. Haben sie wirklich eine Mitschuld, wie der Verfasser der Briefe behauptet? Und wird er seine Ankündigungen wahrmachen? Für die Husumer Kripo beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit.
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ZWEI Im Zimmer brannte Licht. Draußen war es trübe. Theodor Storm hätte vermutlich zum Fenster gezeigt und »Siehste« gesagt. »Habe ich schon damals geschrieben: die graue Stadt am Meer.« Hauptkommissar Große Jäger blickte gedankenverloren in den Husumer Winterhimmel. Er nahm seine Füße aus der herausgezogenen Schreibtischschublade, drehte sich im Schreibtischstuhl um, sah auf den leeren Arbeitsplatz in seinem Rücken und sagte: »Noch ein paar Tage wie diese und Tetje Wind bekommt posthum recht.« »Tetje Wind? Wer ist das?« »Theodor Storm. Der hat sein Epos von der ›grauen Stadt am Meer‹ an einem Februardienstag verfasst.« »Das passt doch zu unserem Fall«, erwiderte Cornilsen. »Dabei ist unser Husum eine quicklebendige und bunte Stadt. Nicht wahr, Christoph?« Große Jäger ließ seinen Bick zur Zimmerdecke gleiten. »Oder wie siehst du das? Erkennst du überhaupt etwas von oben aus dem Himmel? Kannst du durch die dicken Wolken durchblinzeln?« Er schwenkte den Arm. »Natürlich. Du hast überall durchgeblickt. Nur in einem Punkt nicht, sonst hättest du nicht befürwortet, dass ein Krimineller bei uns Einzug hält.« »He, he, he«, beschwerte sich Mats Skov Cornilsen vom gegenüberliegenden Schreibtisch. Große Jäger drehte sich zurück und sah über den Doppelblock hinweg. »Stimmt doch. Wir hatten hier noch nie einen Taschendieb auf der Dienststelle. Es gibt hier einen blöden Hundt, aber es gab noch nie einen Kleinganoven.« Dann grinste er. »Halt auf«, erwiderte der junge Kommissar. »Mir hat es gereicht.« Cornilsen war in eine unangenehme Situation geraten. Am vergangenen Wochenende war er bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung aufgetreten. Seit vielen Jahren betätigte er sich als Zauberkünstler und Magier. Neben allerlei Kunststücken gehörte zu seinem Auftritt, dass er durch die Reihen ging, mit Zuschauern sprach, ihnen die Hand reichte oder ihnen kumpelhaft auf die Schulter schlug. Nach der Rückkehr auf die Bühne wollte er von einzelnen Gästen wissen, wie spät es sei, ob sie Geld wechseln könnten, oder er bewunderte die Halskette einer Dame. Die Angesprochenen stellten fest, dass ihnen die Uhr, Brieftasche oder der Halsschmuck abhandengekommen waren. Unter dem Beifall der Zuschauer händigte er den Betroffenen ihre Besitztümer wieder aus. Nach der Show, als er den Applaus entgegengenommen hatte, stand eine Frau auf und bat darum, dass auch sie ihr Portemonnaie zurückbekäme. Cornilsen war verblüfft. Er hatte alles zurückgegeben. Aber die Frau zerstörte die Heiterkeit des Abends, indem sie hartnäckig auf der Rückgabe bestand. Cornilsen versicherte, sie nicht als Medium benutzt zu haben. Es entstand viel Unruhe im Saal, als die Frau darauf drang, die Polizei zu rufen. Die herbeigerufene Streife nahm den Sachverhalt und die Personalien auf. Die Beamten waren erstaunt, als sie den Kollegen von der Kripo trafen. Professionell verrichteten sie ihren Dienst. Es war eine unruhige und schlimme Zeit für den Kommissar. Alle waren überzeugt, dass er die Geldbörse nicht gestohlen hatte, auch wenn er die Anschuldigungen nicht entkräften konnte. Es vergingen vier unangenehme Tage, bis man im Gedränge der Flensburger Fußgängerzone einen Taschendieb auf frischer Tat erwischte, dem auch der Diebstahl des Portemonnaies aus der Handtasche der Frau zugeordnet werden konnte. Große Jäger hatte in der Zwischenzeit immer wieder versucht, Cornilsen aufzumuntern. Es war ihm nur teilweise gelungen. »Es war ein Lehrstück, dass wir immer sorgfältig abwägen müssen, wen wir verdächtigen. Auch wenn sich hinterher die Unschuld herausstellt, bleibt häufig etwas an den Menschen haften. Ich will damit …« Er wurde durchs Telefon unterbrochen und warf einen Blick aufs Display. »Der Chef«, sagte er und nahm ab. Es war Große Jäger schwergefallen, Kriminalrat Mommsen als »Chef« zu bezeichnen. Zu viele Jahre hatte er mit Christoph Johannes zusammengearbeitet und ihn als Vorgesetzten akzeptiert, auch wenn sie im Laufe der Zeit gute Freunde geworden waren. Drei Jahre war es jetzt her, dass Christoph bei einem Bankraub zufällig anwesend gewesen war, als Geisel genommen und später von den Tätern ermordet worden war. Mommsen führte die Husumer Kripo mit Umsicht und Professionalität. Er war ein guter Dienststellenleiter, der sich für seine Mitarbeiter einsetzte, dabei aber nicht den Blick für die Aufgaben vergaß. Große Jäger nahm den Hörer ab. »Moin, Harm.« Er lauschte einen Moment und sagte dann: »Gut. Wir kommen.« Mit einer Handbewegung deutete er Cornilsen an, dass der Kommissar mitkommen solle. »Um was geht es?« »Das werden wir gleich erfahren.« Das Büro des Dienststellenleiters war nicht größer als das der anderen Beamten. »Setzt euch«, sagte Mommsen und nickte in Richtung der beiden Besucherstühle. »Ihr habt von dem schweren Verkehrsunfall in der Jans-Kurve gehört. Vorgestern.« Große Jäger nickte. »Schlimm. Wieder einmal hat es dort gekracht. Ein Toter und mehrere Schwerverletzte.« »Das sind die Einsätze, um die ich die Kollegen von der Streife, vom Rettungsdienst und von der Feuerwehr nicht beneide.« »Dem Disponenten in der Leitstelle muss es doch kalt den Rücken herunterlaufen, wenn er wieder einmal hört: die Jans-Kurve. Was haben wir damit zu tun?« »Der Tote … Wir wissen nicht, wer das ist. Die Identität konnte noch nicht festgestellt werden.« »Das Auto … die Papiere … Das ist doch Routine.« »Die Kollegen haben bei ihm keine Papiere gefunden. Und das Auto gehört einer Pizzeria in Hattstedt.« »Die müssen doch wissen, wer mit dem Wagen unterwegs war.« »Natürlich haben sich die Kollegen darum gekümmert. Sie sind nach Hattstedt gefahren und haben dort nachgefragt. Der Inhaber hat sich in Widersprüche verwickelt. Gestohlen, so versichert er, war der Wagen nicht. Er könne sich aber keinen Reim darauf machen, wer am Steuer saß.« Große Jäger stand auf. »Wir kümmern uns darum«, versicherte er, ging ins Erdgeschoss, suchte dort den zuständigen Beamten auf und ließ sich das Einsatzprotokoll geben. Cornilsen sah ihm über die Schulter. Vor zwei Tagen, am Mittwoch, war ein in Nordfriesland zugelassener Transporter der Marke VW Crafter in der Jans-Kurve Richtung Norden fahrend in den Gegenverkehr geraten und frontal mit einem Renault Kangoo Rapid Compact zusammengestoßen. Die Fahrzeuge waren Fahrerseite auf Fahrerseite zusammengeprallt. Das dem Renault folgende Auto konnte nicht mehr bremsen und war ebenfalls mit dem Renault kollidiert. »VW Crafter TDI, zwei Liter, einhundertneun PS«, murmelte Große Jäger halblaut. »Zugelassen auf Heizungsbau Mügge GmbH in Mildstedt. Am Steuer saß der Heizungsbauer Tönne Christiansen aus Arlewatt.« Große Jäger sah den Uniformierten an. »Was ist mit dem?« Der Schutzpolizist zuckte die Schultern. »Das sieht nicht gut aus. Den hat die Oldensworter Feuerwehr mit Unterstützung der Kömbüttler …« »Du meinst die Koldenbüttler, die mit besonders schwerem Gerät für Verkehrsunfälle ausgestattet sind.« Der Beamte nickte. »Die haben ihn herausgeschnitten. Nach unserem Kenntnisstand liegt er im Westküstenklinikum in Heide.« »Besteht Lebensgefahr?« »Es ist noch sehr kritisch. Ich glaube, er ist immer noch ohne Bewusstsein.« »Er konnte noch nicht vernommen werden?« »Richtig.« Große Jäger legte den Bericht zur Seite. »Bevor ich mich durch den Papierdschungel quäle … Erzähl kurz, was da passiert ist.« »Der Crafter kam aus Richtung Tönning, der Renault von Bütteleck, also aus Husum. Es gibt mehrere Zeugen, darunter ein Verkaufsfahrer von Bofrost. Der hat ausgesagt, dass der Crafter ihm an der Zufahrt in Tönning-Nord, ein Stück vor Süderdeich …« »Kenne ich«, unterbrach ihn Große Jäger und wedelte mit der Hand. »Weiter.« »Da ist der Crafter auf die Bundesstraße eingebogen und hat dem Bofrost-Wagen die Vorfahrt genommen. Der Verkaufsfahrer, er heißt Flottmann, hat berichtet, dass der Crafter auf dem folgenden Stück ein paarmal in Richtung Gegenfahrbahn pendelte. Flottmann hat den Abstand daraufhin bewusst vergrößert. Vor dem Crafter war ein Tanklastzug unterwegs, gefolgt von einem Opel Adam. Der ist vor der Jans-Kurve links abgebogen. Es dauerte eine Weile, weil erst der Gegenverkehr passieren musste. Als der Opel schließlich fahren konnte – wir haben die Insassen, ein älteres Ehepaar, ebenfalls als Zeugen vernommen –, hat der Crafter wieder beschleunigt. Von der Stelle bis zum Eingang der Kurve sind es etwa einhundertdreißig Meter. Flottmann will beobachtet haben, wie der Crafter, statt in die Rechtskurve einzubiegen, geradeaus fuhr und frontal in den Gegenverkehr geriet. Hinter dem Renault fuhr ein älteres Ehepaar mit einem Mercedes C 180 der Baureihe W203 …« »Das ist schon ein älteres Modell«, stellte Große Jäger fest. »Es passt zum Fahrer. Wolfgang Schnelle, zweiundachtzig, ehemaliger Berufssoldat, und dessen Ehefrau Franziska. Wir prüfen noch, ob Schnelle zu dicht aufgefahren ist oder ob es einfach an der Reaktion mangelte, dass er nicht mehr bremsen konnte. Beide wurden ins Husumer Krankenhaus eingeliefert. Die Ehefrau konnte es gestern verlassen, der Mann liegt dort noch.« »Weshalb ist … Wie heißt er noch...