Nygaard | Nacht über den Deichen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: Hinterm Deich Krimi

Nygaard Nacht über den Deichen

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: Hinterm Deich Krimi

ISBN: 978-3-96041-196-3
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Entlang der Küste steigt die Zahl der Haus- und Wohnungseinbrüche sprunghaft an. Eine ganze Region fürchtet sich vor der Dunkelheit. Vor allem die wachsende Brutalität der Täter erschüttert die Menschen. Als bei einem Einbruch eines der Opfer vergewaltigt wird, sinnen die aufgebrachten Bürger auf Lynchjustiz. Zeit für Große Jäger, das Heft des Handelns zu übernehmen.
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EINS Die Natur kämpfte mit sich selbst. War es noch Sommer? Oder schon Herbst? Der Hochsommer war vorbei. Morgens war es schon empfindlich frisch, doch tagsüber hatte die Sonne genügend Kraft, um einen Hauch Sommer vorzugaukeln. An geschützten Stellen konnten auch die frühen Abendstunden noch im Freien genutzt werden. Die Pflasterung und die roten Backsteine des Hauses strahlten noch Wärme ab. An manchen Stellen in der Nachbarschaft wurde gegrillt, Menschen saßen auf den Terrassen und genossen die friedliche Stille eines idyllischen Fleckchens Erde. Schobüll war 2007 nach Husum eingemeindet worden. Rund vier Kilometer über die Nordseestraße trennen den Ort vom Zentrum der Kreisstadt. Hier befindet sich der einzige Abschnitt der schleswig-holsteinischen Westküste, an dem die Geest bis an die Nordsee reicht und der nicht durch einen Deich geschützt werden muss. Der Ortsname geht auf das dänische Skobøl zurück und bedeutet Walddorf. In der waldärmsten Region Deutschlands ist es ein besonderes Privileg, in einem solchen Ort wohnen und leben zu dürfen. Auf großen und zugewachsenen Grundstücken stehen eindrucksvolle Häuser. Hinter vorgehaltener Hand wird Schobüll auch »das Blankenese von Husum« genannt. Auf einem der Grundstücke stand Hildegard Lüttschwagers Haus, zu Beginn des vorigen Jahrhunderts von ihrem Großvater erbaut, der mit Überseehandel den Grundstock zu einem kleinen Vermögen gemacht hatte. Ihr Vater hatte das Unternehmen fortgeführt und versucht, es über schlechte Zeiten hinwegzuretten. Ganz war es ihm nicht gelungen. Wenigstens Haus und Grundstück konnten dank ihres Ehemanns erhalten bleiben. Arne Lüttschwager war der Betreiber der alteingesessenen Husumer Marktapotheke, die in einem historischen Gebäude direkt neben der Zeitung seit Generationen die Bevölkerung mit Arzneimitteln versorgte. Hildegard Lüttschwager seufzte. Leider konnte Arne diesen Abend nicht mit ihr genießen. Die Schmerzen im Rücken waren unerträglich geworden, und ein Bandscheibenvorfall hatte den Aufenthalt in der Neurochirurgie des Husumer Klinikums unumgänglich gemacht. In der vergangenen Woche war er operiert worden. Sie besuchte ihn täglich. Heute hatte Arne sich bei bester Laune gezeigt. Ein Grund für Hildegard Lüttschwager, sich zufrieden auf die Terrasse zu setzen, den Herbstabend zu genießen und kein schlechtes Gewissen zu empfinden, als sie sich das zweite Glas Wein einschenkte. Als die Sonne hinter den hohen Bäumen abtauchte, wurde es schlagartig kühl. Sie kramte ihre Sachen zusammen und trug sie ins geräumige Wohnzimmer, verstaute die Auflagen in der dafür vorgesehenen Box und schloss die Tür. Sie bereitete sich ein leichtes Abendessen aus einer Scheibe Vollkornbrot mit Quark und einer zweiten Scheibe mit Tomaten und Zwiebeln zu, die in mundgerechte Häppchen geschnitten wurden. Arne mochte es nicht, dass beim Essen ferngesehen wurde. Wenn sie allein war, war es ihr zu langweilig, am Esstisch zu hocken. Sie achtete kaum auf das Programm. Es diente nur der Berieselung. Komisch, dachte sie. Manchmal diskutierten sie darüber, was man gemeinsam ansehen wollte. Wenn Arne nicht anwesend war, vermisste sie ihn und konnte die Freiheit, selbst entscheiden zu können, nur bedingt genießen. Hildegard Lüttschwager leerte das Glas. Sie kämpfte mit sich, ob sie sich ein drittes Glas Rotwein gönnen sollte. Am nächsten Tag standen keine Termine an. Und ins Krankenhaus würde sie erst am Nachmittag gehen. Mit einem Seufzer auf den Lippen stand sie auf und füllte das Glas noch einmal voll. Eine angenehme Leichtigkeit breitete sich in ihr aus, als sie auch dieses Glas genossen hatte. Sie spürte die wohltuende Müdigkeit in sich aufkommen, schaltete den Fernseher ab, räumte das Geschirr in die Küche und blieb auf dem Rückweg für einen kurzen Moment in der Diele stehen. Arne fehlte ihr. In wenigen Tagen würde er aus dem Krankenhaus entlassen werden. Es würden hektische Tage für sie werden, wenn sie sich um alles kümmern musste. Noch einmal horchte sie in die Stille des Hauses, ging automatisch zur Haustür und prüfte, ob sie verschlossen war. Dieser Rundgang war eigentlich Arnes Aufgabe. Heute übernahm sie es. Halbherzig. Reine Routine. Schobüll war ein ruhiges Pflaster. Husum war sicher und keine kriminalitätsbelastete Region in der Peripherie der Metropolen. Sie besah sich im Bad ihr Spiegelbild und kicherte ein wenig, als sie beschloss, heute Abend ein wenig nachlässiger zu sein. Niemand würde es bemerken, wenn sie den Durchgang durch das Bad abkürzen und dafür etwas zügiger ihr Bett aufsuchen würde. Sie griff zum Buch, das auf dem Nachttisch lag, schlug es auf der Seite mit dem Lesezeichen auf und begann zu lesen. Nach drei Zeilen stellte sie fest, dass sie den Stoff nicht aufnahm. Achselzuckend legte sie das Buch wieder zurück, löschte das Licht und verkroch sich unter der Bettdecke. Rotwein war ein besseres Einschlafmittel als irgendwelche Pillen, die ihr Arne aus der Apotheke verabreichte. Natürlich durfte sie ihm nicht widersprechen. Von Tabletten lebten sie, und zwar gut. Das Haus in Schobüll, der Lebensstandard, all die Kleinigkeiten … Sie wollte nicht unzufrieden sein. Sicher gab es viele Menschen, denen es nicht so gut ging. Das Ehepaar Lüttschwager konnte sich viele Extras leisten. Ja, dachte sie. Du darfst morgen nicht vergessen, Marita und Elisabeth anzurufen. Ein Klönschnack unter Frauen, ein Glas Sekt am Nachmittag, ein bisschen Käsegebäck, ein wenig … Weiter kam sie nicht. Morpheus hatte sie umarmt. Hildegard Lüttschwager mochte ihre Schwägerin nicht. Angeliki, die gebürtige Griechin, war Melfs zweite Frau. Hildegard hatte nie verstanden, weshalb Arnes Bruder sich von der bodenständigen Christina getrennt hatte. Angeliki war keine Schönheit, sprach bis heute nur gebrochen Deutsch und tat – nichts. Die Frau saß untätig den ganzen Tag herum. Sicher – manchmal war das gut so. Wenn sie etwas in die Hand nahm, ging es oft zu Bruch. Angeliki war tumb. Hildegard erschrak, als die Schwägerin den siebenarmigen Porzellanleuchter anhob, um sich den Herstellerstempel auf der Unterseite anzusehen. »Königlich Kopenhagen«, rief ihr Hildegard zu. »Vorsichtig!« Zu spät. Angeliki hatte das teure Stück aus den Händen gleiten lassen. Mit einem Scheppern fiel es zu Boden und zerbrach. Hildegard Lüttschwager fuhr in die Höhe. Sie ärgerte sich. Selbst im Traum verfolgte Angeliki sie. Mit einem Knurrlaut auf den Lippen drehte sie sich um. Dann machten sich der Rotwein, das Mineralwasser und der Kaffee vom Nachmittag bemerkbar. In ihrem Alter begann es, dass man die Nachtruhe durch eine »biologische Pause«, wie Arne es nannte, unterbrechen musste. In der Apotheke hatten sie früher ein Plakat auf dem Tresen stehen gehabt. Dort wurde für ein Kürbiskernprodukt geworben. »Wenn Sie nachts zu oft müssen müssen«, hieß es. Oder so ähnlich. Sie schlug die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Erst im zweiten Versuch gelang es ihr, aufzustehen. Der Rotwein, dachte sie. Ohne Licht zu machen, tapste sie zur Tür und öffnete sie. Schlagartig war sie wach. Es dauerte den Bruchteil einer Sekunde, bis sie begriff, dass ihr eine Gestalt gegenüberstand. Das Dunkel des Flurs verhüllte sie. Ein Stich fuhr ihr ins Herz. Der Atem setzte aus. Sie spürte, wie ihr schwarz vor Augen wurde. Hildegard Lüttschwager griff sich ans Herz. Es begann zu rasen. Der Kreislauf drohte zusammenzubrechen. Sie spürte, wie eisige Kälte sie erfasste. Dann begann sie zu beben. Das alles spielte sich in zwei, drei Atemzügen ab. Die Gestalt schien genauso überrascht zu sein und richtete den Strahl der Taschenlampe auf sie. Aus dem Hintergrund meldete sich eine Stimme. »I mallkuar.« Dann war die erste Gestalt bei ihr und presste eine Hand auf ihren Mund. Es war ein fester Druck. Es tat weh. »Halt den Schnabel«, sagte eine fremdländisch klingende Stimme. »Bist du allein?« Sie wollte nicken, aber der Körper versagte den Dienst. Der Mann wiederholte seine Frage. Um ihr Nachdruck zu verleihen, schlug er leicht mit der Taschenlampe gegen ihren Oberarm. »Los, sag.« Jetzt gelang es ihr, zu nicken. Ihr Widersacher sprach in einer fremden Sprache, daraufhin tauchte der zweite Mann aus dem Dunkeln auf, zwängte sich an ihnen vorbei und huschte ins Schlafzimmer. Kurz darauf kehrte er zurück und sagte etwas. Der Mann, der ihr den Mund zuhielt, schien zufrieden zu sein. »Ist noch jemand in Haus?«, fragte er. Hildegard Lüttschwager verneinte es. »Hund?« Sie hustete. Dann gelang es ihr, ein »Nein« zu hauchen. »Alarmanlage?« Sie schüttelte den Kopf. »Mach nix Ärger, sonst …«, drohte der Mann. »Ist klar?« Sie nickte. »Wo ist Geld? Nicht sagen, du hast nix. Nicht gut für dich.« »In meiner Handtasche. Dort ist mein Portemonnaie.« Sie bewegte den Kopf in Richtung Schlafzimmer. Der zweite Mann verschwand erneut ins Schlafzimmer. Sie hörte, wie der Verschluss der Handtasche geöffnete wurde, dann kam er zurück und sagte etwas. »Du lügst. Nicht genug. Wo ist anderes Geld? Und Schmuck? Los.« Um seine Forderung zu unterstreichen, stieß er sie ein Stück zurück. »Wir haben kein …«, begann Hildegard Lüttschwager, aber der Mann stieß sie erneut. Sie stolperte rückwärts ins Schlafzimmer. Der Täter suchte den Lichtschalter. Dann flammte die Deckenbeleuchtung auf. Sie konnte die beiden Männer erkennen. Beide trugen Kapuzenpullis, die nur das Gesicht freigaben. Dunkle Augen starrten sie an. Der Teint...


Hannes Nygaard ist das Pseudonym von Rainer Dissars-Nygaard. 1949 in Hamburg geboren, hat er sein halbes Leben in Schleswig-Holstein verbracht. Er studierte Betriebswirtschaft und war viele Jahre als Unternehmensberater tätig. Hannes Nygaard lebt auf der Insel Nordstrand.


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