E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Hinterm Deich Krimi
Hinterm Deich Krimi
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Hinterm Deich Krimi
ISBN: 978-3-96041-656-2
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der US-Präsident beschließt überraschend, an die Ostsee zu reisen. Die deutsche Politik steht kopf: Wie soll die Sicherheit des hochgradig gefährdeten Staatsoberhauptes garantiert werden? Ein Attentat, das sich viele seiner Gegner wünschen, würde die Welt erbeben lassen. Der Innenminister bittet das LKA um Hilfe, auch Lüder Lüders wird in die Arbeitsgruppe abgestellt. Und so hockt Lüders in Timmendorfer Strand und versucht einen Mann zu beschützen, der mit der ganzen Welt auf Konfrontationskurs geht – bis die Situation außer Kontrolle gerät.
Autoren/Hrsg.
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ZWEI
Es war eine kurze Nacht gewesen. Auch die heiße Dusche am Morgen hatte den versäumten Schlaf nicht ersetzen können. Margit war aufgestanden, als Lüder das Einfamilienhaus im Hainholz erreichte. Nach der Begrüßung hatte sie ihm eine Kleinigkeit zum Essen zubereitet, sich zu ihm gesetzt und ihm zugehört. Er hatte von einem langen Bürotag und den Besprechungen zum Überraschungsbesuch des amerikanischen Präsidenten berichtet. »Davon habe ich gehört«, hatte Margit gesagt. »Sinje wusste davon.« Die Jüngste war inzwischen vierzehn Jahre alt und zeigte ein gesundes Selbstbewusstsein. Es war lange her, dass Lüder am Wochenende mit ihr auf dem Arm zum Bäcker gegangen und die Frühstücksbrötchen für die Familie besorgt hatte. »Die Kids haben in der Schule darüber gesprochen. Unsere Kleine erzählte, dass einige spontan die Idee hatten, den Präsidenten aufzusuchen und mit ihm zu reden. Über das Klima und den Weltfrieden.« »Vermutlich sind die Kinder in vielen Punkten klüger«, hatte Lüder geantwortet. »Aber Politik wird nun einmal nicht mit dem Herzen und oft auch nicht mit dem Verstand gemacht, sondern von anderen Dingen bestimmt.« Zum Glück war der Besuch beim gemeinsamen Frühstück nicht thematisiert worden. Auf dem Weg ins Landeskriminalamt hatte Lüder sich gewohnheitsmäßig mehrere Tageszeitungen besorgt, die er, bei einem Becher aromatischem Kaffee, in seinem Büro überflog. Die in aller Öffentlichkeit geäußerte Absicht, Kopenhagen zu meiden, war natürlich Gegenstand der Nachrichten. Ernsthafte Kommentatoren setzten sich mit der politischen Tragweite der Absage an Dänemark auseinander und fragten sich, ob sich das Klima innerhalb des Nordatlantikpakts weiter abkühlen könnte. Welche Konsequenzen ergaben sich für die Bundesrepublik, die in jüngster Zeit oft im Sperrfeuer amerikanischer Angriffe lag? Dank der Bedachtsamkeit der Berliner Politik wurde kein zusätzliches Öl ins Feuer gegossen. Anders sah es bei den Vertretern der Wirtschaft aus. Wenn es den Amerikanern gefiel, konnten sie noch mehr Sand ins Getriebe der Weltwirtschaft werfen. Zölle, Exporteinschränkungen und andere Schikanen vermochten erhebliche Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft zu haben. Die Amerikaner schreckten auch vor Drohungen und Erpressungen nicht zurück, auch treuen Verbündeten wie der Bundesrepublik gegenüber, gingen massiv gegen Aktionen souveräner Staaten vor und beabsichtigten, Vorhaben wie die Gasleitung Nord Stream 2 zu boykottieren. Die Entrüstung politischer Kreise der Bundesrepublik über die amerikanische Erpressung verpuffte ins Leere. Der Mann mit dem Haarschmuck eines platt gefahrenen Kaninchens, wie Lüder es nicht nur in privater Runde gelegentlich umschrieb, sah die Welt als seine Spielwiese an und wähnte sich als deren Dirigent. Wer sich seinen noch so kruden Gedanken widersetzte, musste die Konsequenzen erwarten. Mochten die Widersacher noch so martialische Sprüche von sich geben – niemand war der Allmacht der Amerikaner gewachsen. Ihr Arm reichte fast überall hin. Wie heftig mochte der Schlag gegen jene sein, die sie für ein Attentat auf das Aushängeschild Amerikas, ihres Präsidenten, verantwortlich hielten? Für Lüder als Polizist war es selbstverständlich, sich für den Erhalt jedes Lebens einzusetzen, Verbrechen schon im Vorfeld zu verhindern. Ein Anschlag auf den US-Präsidenten, und das auf deutschem Boden, wäre verheerend. Andere Zeitungen beschäftigten sich auch mit dem Besuch. Im Mittelpunkt ihrer Betrachtung standen Fragen wie die nach der Beköstigung und ob die First Lady auch mitkäme. Wie würde ihr Programm aussehen? Würde sie zum Shopping gehen? Mit wem würde sich der Präsident treffen? Müssten für ihn Bad und Schlafzimmer umgestaltet werden? Auch wenn, am Rande, die Frage nach den Kosten für den deutschen Steuerzahler gestellt wurde, spielte in den Medien die Frage nach der Sicherheit des Besuchers keine Rolle. Lüder suchte Hauptkommissar Werth von der Abteilung 2 – Organisierte Kriminalität – auf. »Seid ihr auf dem Laufenden hinsichtlich der Hell Kings?«, fragte er den untersetzten rotblonden Beamten. »Was möchtest du wissen?«, griente Werth, öffnete den Mund und drehte genüsslich das Kaugummi zwischen den Vorderzähnen hin und her. »Es gibt doch Verbindungen der Hell Kings zum mexikanischen Drogenkartell. Ein befreundeter Nachrichtendienst hat uns eine Information zukommen lassen, dass in Verbindung mit dem Besuch des US-Präsidenten ein Auftragskiller zu uns unterwegs ist. Man hat seine Spur in Schweden verloren. An den Grenzübergängen werden verschärfte Kontrollen durchgeführt. Es ist aber nicht sicher, ob der Mann auf direktem Weg einreist oder über ein anderes EU-Land. Es wäre denkbar, dass er den Weg über die Niederlande, Belgien oder über Osteuropa, zum Beispiel Polen, wählt. Da er hier fremd ist und auch nicht Deutsch spricht, ist er auf logistische Unterstützung angewiesen.« »Ah, verstehe«, sagte Werth und schob das Kaugummi in die linke Wange. »Sag mal«, wollte Lüder wissen und zeigte auf die Ausbeulung. »Nimmst du ein Viertelpfund davon gleichzeitig?« »Nö«, erwiderte Werth fröhlich. »Immer wenn der Geschmack nachlässt, schiebe ich ein neues nach. Zurück zu deiner Frage. Wir haben in Sachen Rauschgiftkriminalität mittlerweile feste Strukturen. Die Hell Kings mischen dabei munter mit. Uns gelingen immer nur kleine Nadelstiche. Die Truppe ist straff organisiert, fast militärisch diszipliniert und nur schwer zu knacken. Die Rockertruppe tummelt sich auf vielen Feldern. Prostitution und Rauschgift sind wohl mit die einträglichsten. Jeder Kaufmann weiß, dass bei starker Konkurrenz die Endpreise auf dem Markt nur schwer anzuheben sind, wenn du kein Monopol hast. Die Rendite liegt im Einkauf. So haben sich die Hell Kings Kontakte zum mexikanischen Drogenkartell geschaffen. Uns gelingt es hin und wieder, Lieferungen abzufangen. Aber an den Kopf kommen wir nicht heran. Die Hell Kings sind eine von den Türken dominierte Organisation. Der hiesige Statthalter ist der nominelle Vizepräsident des Chapters, Haydar Nefer. Er wohnt mit seinem Stab in Gaarden. Wohnt? Er residiert dort. Wäre Gaarden kulturell nicht so vielschichtig, könnte man meinen, es sei sein Reich.« »Was wisst ihr über Nefer?« »Eine ganze Menge …«, begann Werth und berichtete, dass Haydar Nefer als Sohn eines türkischen Gastarbeiters vor dreiundvierzig Jahren in Kiel geboren worden war. Der Vater hatte auf der Werft gearbeitet und im Arbeiterkiez Gaarden Wurzeln geschlagen. Dort war Haydar Nefer als zweiter von drei Söhnen geboren und aufgewachsen. »Es gibt noch zwei Schwestern, aber die zählen nicht«, schob Werth ein. »Der Rest der Familie ist, bis auf den jüngsten Bruder Mahmut, unauffällig. Mahmut mischt bei den Hell Kings mit. Haydar ist als Jugendlicher aufgefallen. Diebstahl. Raub. Körperverletzung. Das Übliche.« Werth hob die Hand abwehrend in die Höhe. »So meine ich es nicht. Keine Vorurteile. Das sieht man an den Eltern und den anderen Geschwistern. Ich wollte damit sagen, dass Haydar in eine Clique geraten ist, die ihn mitgerissen hat. Durch Brutalität und Gewalt hat er sich in dieser Gang, die von Mitgliedern mit türkischem Migrationshintergrund dominiert wird, seinen Platz als Vizepräsident erobert. Erobert? Ich würde eher sagen: erkämpft. Wir halten ihn für eine Reihe von Straftaten für verantwortlich, konnten ihm zwar weder einen vermeintlichen Auftragsmord noch seine Mitttäterschaft nachweisen, sind uns aber sicher, dass Haydar Nefer ein Großer in der Szene ist. Er lebt immer noch in der ehemaligen elterlichen Wohnung in der Wikingerstraße in Kiel-Gaarden.« »Wenn wir vermuten, dass Rodrigo Gutiérrez versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen …« »Das könnte sein«, fiel ihm Werth ins Wort. »Schließlich sind die Mexikaner verlässliche Lieferanten der Hell Kings. Wir würden uns an dieser Aktion gern beteiligen.« »Gut«, sagte Lüder. »Wird Nefer überwacht? Telefon? Soziale Netze? Messengerdienste?« Werth verzog das Gesicht und kratzte sich den Hinterkopf. »So einfach ist das nicht. Der Mann ist durchtrieben. Und vorsichtig. Was meinst du, weshalb wir ihm nicht an die Karre pinkeln können? Er ist deutscher Staatsbürger.« »Doppelte Staatsangehörigkeit?«, wollte Lüder wissen. »Nein. Nur deutsch. Da wir keine handfesten Verdächtigungen gegen ihn vorbringen können, bekommen wir auch keinen Beschluss für eine Überwachung.« Werth zog erneut eine Grimasse. »Wir zeigen gelegentlich Präsenz, indem wir uns auffällig vor seinem Haus hinstellen und die Wohnung beobachten. Eindruck schindet das bei Nefer nicht. Er nimmt es stets mit einem breiten Grinsen zur Kenntnis. Wir haben auch schon seine Frau beschattet. Die wird regelrecht nervös. Nefers Kinder sind seine empfindliche Stelle. Sie sind acht und elf Jahre alt. Rein theoretisch würden wir dort eine Zivilstreife hinterherlaufen lassen, vor der Schule postieren und sie nachmittags auf dem Weg durch das Viertel begleiten. Das würde Nefer treffen. Davon bin ich überzeugt. Aber das geht nicht. Niemand würde die Kinder mit hineinziehen.« »Welche Chance besteht, Nefer während des Besuchs des US-Präsidenten zu observieren?« »Uns fehlen dazu die Ressourcen. Wir unterstützen aber gern mit Informationen, falls deine Abteilung oder eine andere Behörde wie das BKA oder die Bundespolizei das übernimmt.« »Ich werde mit Haydar Nefer sprechen«, beschloss Lüder. »Das wird nicht erfolgreich sein. Wenn du dich auf den Weg nach Gaarden machst, sage Bescheid. Wir begleiten...