E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Hinterm Deich Krimi
Hinterm Deich Krimi
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Hinterm Deich Krimi
ISBN: 978-3-96041-597-8
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Nordfriesland steht unter Schock: Ein Serienmörder hat die idyllische Gegend zu seiner ganz persönlichen Spielwiese auserkoren. Scheinbar ohne jedes System wählt er seine Opfer. Ihre Fotos werden auf die immer gleiche Art und Weise kommentarlos an Kirchentüren genagelt. Kein Motiv, kein Bekennerschreiben, keine Verbindung der Toten untereinander. Die Husumer Kripo um Kultkommissar Große Jäger jagt ein Phantom – und wird immer tiefer in einen perfiden Psychokrieg hineingezogen ...
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EINS Das Wochenende war wie ein guter Wein gewesen. Es war wunderbar und hatte einen angenehmen Nachgeschmack. Das tiefe Blau der See, ein wolkenloser Himmel und das sanfte Streicheln einer leichten Brise hatten die Menschen verwöhnt. Auch die nächsten Tage versprachen eine Fortsetzung des traumhaften Wetters. Auf dem Satellitenbild wurde seit dem vergangenen Freitag das Hoch »Hannes« gezeigt, das sich fest über Mittel- und Nordeuropa festgesetzt hatte. »Hannes ist absolut unbeweglich«, hatte der Wetterfrosch Meeno im Fernsehen geunkt. »Und in seiner Dickfälligkeit wird er auch noch zum Wochenbeginn über uns lachen. Über der Biskaya wartet schon das nächste Hoch. Bei aller Diskussion zum Thema ›gendergerecht‹: In diesem Frühsommer dominieren ganz einfach die Männer.« »Sag ich doch«, bestätigte Hauptkommissar Große Jäger und streckte den Daumen Richtung Fenster aus. Seine Bewegungen wurden heftiger, als sein Gegenüber nicht reagierte. »Was ist, Hosenmatz? Steckt in dir das Phlegma der gemütlichen Dänen? Das Blut deiner Vorfahren? Oder hat Oma dir geraten, dich bei den für euch Rot-Weiße fast schon tropischen Temperaturen von siebzehn Grad, und das in aller Herrgottsfrühe, nicht zu bewegen?« Kommissar Mats Cornilsen lachte laut auf. »In aller Frühe? Es ist fast halb zehn. Du bist seit zehn Minuten im Büro. War das Wochenende sooo anstrengend?« Große Jäger bewegte den Daumen noch heftiger. »Was ist nun?« »Willst du rechts abbiegen?« »Ich warte darauf, dass du endlich das Fenster öffnest.« »Ich?« Der Hauptkommissar drehte sich betont lässig einmal auf seinem Bürostuhl im Kreis. »Siehst du sonst noch jemand?« Dann wandte er Cornilsen, der ihm am Schreibtischblock gegenübersaß, den Rücken zu und sprach zum leeren Arbeitsplatz hinter sich. »Mensch, Christoph. Wie haben sich die Zeiten gewandelt. Die Jugend erweist uns keinen Respekt mehr. Ich möchte wetten, der Hosenmatz steht auch im Bus nicht für uns Alte auf.« Hinter ihm ertönte wieder ein Lachen. »Du? Im Bus? Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass du dich in einer Sänfte durch Husum tragen lässt. Standardmäßig ist dein Mobilitätsplatz der Schlafsessel vorne rechts.« Große Jäger faltete die Hände und streckte sie zur Zimmerdecke, verdrehte kunstvoll die Augen und klagte mit verstellter Stimme: »Oh Herr, lass Weisheit regnen über den nordfriesischen Nachwuchs. Lieber Christoph. Du hast auf Erden viel Gutes und Kluges bewirkt. Nun bezirzt du Petrus, dass er uns schon seit Jahren gutes Wetter beschert. Schicke bitte auch Einsicht und Vernunft dem jungen Mann in meinem Büro.« Cornilsen stöhnte auf. »Ist ja gut. Ich öffne das Fenster.« Sofort drang von draußen der Lärm der Poggenburgstraße ins Zimmer. »Wir bekommen eine neue Hausnummer für die Dienststelle«, hatte Große Jäger vor Kurzem verkündet. »Dann ist das Polizeirevier Husum nicht mehr in der Poggenburgstraße 9.« »Sondern?« »221b.« »Verstehe ich nicht.« Große Jäger gab einen Zischlaut von sich. »So ist es mit Niebüller Abiturienten. In der Baker Street 221b residierte Sherlock Holmes.« »Dann besteht keine Gefahr, dass wir umnummeriert werden. Was ist die Londoner Adresse gegen Poggenburgstraße 9?« Jetzt wurden sie abgelenkt, als sich die Tür öffnete und Kriminalrat Mommsen eintrat. »Moin«, sagte der Dienststellenleiter und baute sich vor den Schreibtischen auf. Die beiden Beamten erwiderten den Gruß. Mommsen erkundigte sich, ob das Wochenende gut verlaufen sei. Dann bestätigte er auf Nachfrage, dass er und sein Lebensgefährte Karlchen ebenfalls schöne Tage verbracht hatten. »Das gute Wetter hat offenbar auch andere animiert, zu feiern. Leider mit einem tragischen Ausgang. Am Sonnabendmorgen hat man einen toten Jugendlichen gefunden.« »Davon haben wir noch nichts gehört«, warf Große Jäger ein. »Richtig. Das wurde mit Rücksicht auf den Toten und dessen Familie bisher zurückgehalten.« »Weiß man etwas über die Todesursache?« »Der Jugendliche ist in der Kieler Rechtsmedizin.« »Fremdeinwirkung?« »Das ist unbestimmt.« »Ein goldener Schuss?« »Vielleicht«, wich Mommsen aus. »Es könnte aber auch sein, dass er sich zu Tode getrunken hat. Es gibt Anzeichen dafür.« »Was haben wir damit zu tun?« »Tja.« Mommsen hielt inne. »Es ergibt sich ein unklares Bild. Die Schutzpolizei war aufmerksam und hat Schleifspuren am Fundort entdeckt.« »Das könnte bedeuten, dass er von seinen Saufkumpanen dorthin geschleppt wurde.« »Denkbar«, erwiderte Mommsen. »Wo hat man den Jungen gefunden?« »Im Totengang, gleich neben dem Westfriedhof.« »Wie sinnig«, merkte Große Jäger an. »Nehmt euch der Sache an«, sagte Mommsen. »Name und Adresse bekommt ihr an der Wache.« Dann verließ er das Zimmer. Sie suchten die »Wache« im Erdgeschoss auf und ließen sich den Vorgang geben. Die Polizei war am Sonntagmorgen um fünf Uhr zweiundvierzig von einem Zeugen angerufen worden. Der Triebfahrzeugführer war auf dem Weg zum Dienst gewesen. Er hatte angegeben, in Husum den Regionalexpress nach Kiel übernommen zu haben und auf dem Weg zum Einsatz auf die leblose Gestalt getroffen zu sein. Er dachte, ein betrunkener Jugendlicher schlafe dort seinen Rausch aus. Die Nacht sei nicht kalt gewesen, und außer einer Erkältung werde dem jungen Mann nichts geschehen sein. Der Mann berichtete, dass er schon ein paar Meter vorbeigegangen sei, sich dann aber doch noch einmal umgedreht habe, um nach dem Hilflosen zu sehen. Da der nicht ansprechbar war, hatte er die Polizei gerufen und seinen Namen hinterlassen. Nach zehn Minuten war der Rettungswagen eingetroffen. Der Zeuge hatte sich dann zum Dienst begeben und noch angemerkt, dass es sonst hieße: Der Regionalexpress nach Kiel fällt heute aus, weil der Lokführer einen Betrunkenen gefunden hat. Die Besatzung des Husumer Rettungswagens und der hinzugezogene Notarzt hatten den Tod des Jugendlichen festgestellt. Der Polizeistreife waren einige Merkwürdigkeiten, unter anderem die Schleifspuren, aufgefallen. Sie hatten die Bereitschaft der Kripo hinzugerufen. Hauptkommissar Hundt, der zum Fundort geeilt war, teilte ihre Auffassung und informierte die Flensburger Spurensicherung. »Das ist alles«, erklärte der Uniformierte. »Die Eltern sind benachrichtigt.« »Gibt es schon weitere Hinweise?«, wollte Große Jäger wissen. »Mir beziehungsweise uns ist nichts bekannt. Der Fall liegt bei euch.« »Der blöde Hundt«, knurrte Große Jäger und eilte, gefolgt von Cornilsen, in das Büro des Kollegen. Der Raum war verwaist, der Schreibtisch aufgeräumt, der Bildschirm dunkel. »Wo steckt dieser Mischling zwischen Dackel und Dogge?«, fauchte der Hauptkommissar und bellte griesgrämig. Mommsen sah auf, als Große Jäger ins Büro stürmte. »Wo ist die Kröte? Das Kamel? Das Faultier? Äh …« Große Jäger wedelte wild mit der Hand in der Luft herum. »Irgend so ein Tier meine ich.« »Wilderich!« Es war ein Ordnungsruf. »Ich dulde diesen Umgang nicht unter den Kollegen der Dienststelle. Herr Hundt ist seit Sonntag im Urlaub.« »Dem sollte man auf Lebzeiten das Frolic entziehen. Verdrückt sich der Kerl in ein Hundehotel und hinterlässt uns einen ungeordneten Haufen.« »Er hat alles in seiner Macht Stehende angeleiert.« »Das ist schon ein Leierkastenmann. Ich weiß.« Wutschnaubend drehte Große Jäger sich um und kehrte zu seinem Arbeitsplatz zurück. Er ließ sich in seinen Bürostuhl fallen, dass das Möbel bedenklich knarrte. Dann zeigte er auf Cornilsen. »Ein Fall für dich.« »Für uns«, erwiderte der Kommissar. Große Jäger bohrte sich im Ohr, betrachte kurz die Ernte und sagte: »Ich habe Hochdeutsch gesprochen. Es wird Zeit, dass du einmal allein deine Dienstbezüge verdienst. Gut, damit du dich nicht verläufst, begleite ich dich.« Cornilsen sah ihn einen Moment irritiert an, dann machte er sich mit Feuereifer ans Werk. »Jan Behrendsen, fünfzehn Jahre«, sagte er. »Wohnt mit seinen Eltern in der Mozartstraße.« Große Jäger sah ihn fragend an. »Suchen wir sie auf.« Die Mozartstraße lag in einem ruhigen Wohnbezirk, in dem die Straßen nach berühmten Komponisten benannt waren. Die für Husum typischen Rotklinkerhäuser säumten die schmalen Straßen. Die Familie Behrendsen bewohnte ein älteres Giebeldachhaus. Sie fanden direkt davor einen Parkplatz. Es dauerte nur einen Moment, bis die Tür geöffnet wurde. Eine rundliche Frau öffnete ihnen und sah sie fragend an. »Frau Behrendsen?«, wollte Cornilsen wissen. Sie schüttelte den Kopf. »Hammer ist mein Name. Ich wohne da drüben.« Sie zeigte an den Beamten vorbei in eine unbestimmte Richtung. »Nachbarin. Nein. Wir sind befreundet.« »Polizei. Wir würden gern mit den Eltern sprechen.« »Die sind drin. Komm Sie mit.« Sie fragte nicht nach dem Ausweis. Das schlichte Wohnzimmer war von einer ordnenden Hand liebevoll dekoriert worden. Keine teuren Designermöbel, die Einrichtung stammte erkennbar aus einem Großmarkt. Die Sitzmöglichkeiten waren auf den großen Fernsehapparat ausgerichtet, der den Raum dominierte. Auf dem Glastisch unterhalb des Bildschirms stapelten sich elektronische Geräte. Decoder. Rekorder. Spielekonsole. Kopfhörer. Fernbedienungen. Die Bewohner waren sicher mit den Laufwegen in dem engen Raum vertraut und fanden ohne Mühe den Zugang zum Esstisch, der mit einer Stirnseite gegen die Wand gestellt war. Um die anderen...