Nolden Professionelle polizeiliche Gesprächsführung
2. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8011-0930-1
Verlag: Deutsche Polizeiliteratur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Lehr- und Trainings-Handbuch mit praxisnahen Übungen
E-Book, Deutsch, 232 Seiten, Paperback
Reihe: VDP-eBook
ISBN: 978-3-8011-0930-1
Verlag: Deutsche Polizeiliteratur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Autorin Regierungsdirektorin a.D. Susanna Nolden lehrt Psychologie und Einsatztraining an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS) in Kassel, zurzeit als Lehrbeauftragte.
Zielgruppe
Polizeibeschäftigte
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Einführung
In der Polizeiwissenschaft nimmt die Diskussion um die kommunikativen Fähigkeiten der Polizei mittlerweile einen bedeutenden Stellenwert ein. Nicht nur die polizeilich geprägte Wissenschaft, auch die polizeiliche Praxis beschäftigt sich mit Modellen zur polizeilichen Kommunikation. Das Deutsche Polizeiblatt für die Aus- und Fortbildung der Polizeibeamten gab im Jahr 2017 ein Heft zum Themenbereich der Kommunikation und Information heraus, in dem ein breiter Überblick über die verschiedenen Aspekte der Thematik abgebildet wurden. Zentral sind die Fragen nach den Anforderungen an eine polizeiliche Einsatzkommunikation und das Markieren von Kompetenzen zur Durchführung erfolgreicher und damit als professionell zu bezeichnender polizeilicher Kommunikation.
Eine professionelle Gesprächsführung stellt eine der zentralen Grundlagen des gesamten professionellen Handelns für die Polizei dar. Mit Blick auf die Bedeutung der Kommunikation für eine Vielzahl an polizeilichen Aufgaben wird deshalb eine hohe Kommunikationsfähigkeit von Polizeibeamten gefordert.1 Gesprächsführung ist im polizeilichen Handeln immer eingebunden in eine polizeiliche Lagebewältigung. Kommunikation ist Teil der polizeilichen Alltagsarbeit.
Aber nicht nur die prinzipielle Fähigkeit zu kommunizieren ist hier gefragt. Die vielfältigen und großen Herausforderungen der vergangenen Jahre haben neue Fragen nach dem Zusammenhalt und der Zugehörigkeit zur Gesellschaft aufgeworfen. Diese tangieren auch die polizeiliche Arbeit. Es braucht für die Polizei Gesprächsmodelle, die es vermögen, die zentralen Anliegen demokratischer Verfasstheit in die Gesellschaft hineinzutragen. Gegen die Verrohung von Sprache und Umgangsformen, wie sie zurzeit um sich greifen, muss insbesondere von der Polizei ein gesellschaftlicher Diskurs gepflegt werden, der darauf beruht, sich gegenseitig zuzuhören, Respekt einzufordern und anderen Respekt entgegenzubringen. Um die Interessen anderer zu verstehen, muss auch die eigene Position hinterfragt werden. Hierbei handelt es sich um demokratische Prinzipien, die die Polizei bei der Durchsetzung ihrer polizeilichen Maßnahmen zu berücksichtigen hat.2 Themen wie Menschenwürde und Bürgerrechte, aber auch Respekt, Anstand und Höflichkeit im Umgang miteinander und gegenüber der Polizei werden neu diskutiert und bieten Orientierung an.3
Die Polizei braucht Modelle für die Gesprächsführung mit den Bürgerinnen und Bürgern, die den besonderen hoheitlichen Aufgaben der polizeilichen Arbeit entsprechen, aber in denen sich auch die demokratischen Wertehaltungen des Staates zeigen. Rechtssicherheit ist selbstverständlich eine notwendige Voraussetzung für erfolgreiche Polizeiarbeit, sie nützt aber nur, wenn die Polizei auch über notwendige soziale Kompetenzen und emotionale Stabilität im Einsatzgeschehen verfügt.4 Hierbei helfen berufsspezifische, methodische und soziale Kompetenzen sowie demokratisch verankerte Haltungen.
Ziel des vorliegenden Buches ist es, einen essentiellen Beitrag zu einer „professionellen polizeilichen Gesprächskultur“ vorzulegen, in dem die grundlegenden Kompetenzen professionellen Kommunizierens von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten aufgezeigt werden. Es wird ein Kompetenzmodell vorgestellt, das bei der Verortung von demokratischen Werten im Sinne von Haltungen zweckdienlich ist und mit dem sich die Akteure auch selbstorganisiert auseinandersetzen können. Die konsequente Orientierung an berufsspezifischen Kompetenzen soll nicht nur Wissen vermitteln, es sollen professionelle Haltungen geformt werden. Diese zeigen sich beim Gestalten der beruflichen Praxis im Sinne einer Performance. Gespeist werden Haltungen aus biografisch erworbenem Wissen, dem Erlernen und Verstehen von Theorie sowie dem Einüben durch reflektierte Praxiserfahrungen.5
Galt Kommunikation lange Zeit nicht nur in der Soziologie (Luhmann, Habermas) als wesentliches Konstrukt, gesellschaftlichen Zusammenhalt herzustellen und zu verdeutlichen, stehen mittlerweile Verteilungskämpfe im Zentrum der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. So beschreibt Assmann (2018) in ihrem Beitrag zu „Menschenrechten und Menschenpflichten“ neue Schlüsselbegriffe für eine humane Gesellschaft. Konkrete Kämpfe um Anerkennung, in denen sich die Auseinandersetzungen um soziale und politische Partizipation zeigen, verweisen auf asymmetrische Machtverhältnisse und Sozialbeziehungen. Polizeiliche Alltagsarbeit ist geprägt durch diese gesellschaftlichen Spannungsverhältnisse. Da auch professionelle polizeiliche Gesprächsführung auf asymmetrischen Interaktionen beruht, erfordern sie als Gegengewicht soziale Kompetenzen, die wie Empathie, Respekt und Zuhören den universalen Wert der Menschenwürde durchscheinen lassen.6
In den 1990er-Jahren wurde mit Beginn der interdisziplinären Einsatztrainings in der Aus- und Fortbildung der Polizei, damals noch Verhaltenstraining genannt, auf die Lösung gesellschaftlicher und damit auch polizeilicher Konflikte durch verstärkten Einsatz sozial kommunikativer Kompetenzen gesetzt. Nach den Anschlägen durch terroristische Gruppierungen, der Welle der Migration von Geflüchteten sowie den folgenden Sicherheitsdebatten in Politik und Gesellschaft haben sich auch die polizeilichen Einsatztrainings gewandelt, hin zu noch mehr Sicherheit für Bürger und Polizei. Neben dem Einfordern von Bürgerrechten gegenüber der staatlichen Gewalt steht die Forderung nach respektvollem Umgang mit den Bürgern in alltäglichen polizeilichen Aktionen. In einer zunehmend gewaltbereiten Gesellschaft werden auch Forderungen diskutiert, Polizeibeamte gegen den zunehmenden Verlust an Respekt durch manche Bevölkerungsgruppen zu schützen. In diesem veränderten gesellschaftlichen Klima bekommen die Modelle zur polizeilichen Gesprächsführung, mit denen die Polizei ihre Arbeit den Bürgern angemessen vermitteln kann, eine besondere Bedeutung. Professionelle polizeiliche Gesprächsführung ist in den Zielen und den Maßnahmen von der psychotherapeutischen sowie der beratenden oder seelsorgerischen Gesprächsführung abzugrenzen. Häufig werden jedoch die Modelle dieser Professionen übernommen und viel zu wenig auf die polizeilichen Arbeitsfelder zugeschnitten. Dies kann zu Verunsicherung und Gefühlen der Überforderung aufseiten der Polizei führen, da sie ja weder Psychotherapeuten noch Seelsorger sind. Auch vonseiten der Bürgerinnen und Bürger sind gegenüber der Polizei berufsspezifische Erwartungshaltungen vorhanden. Unklarheiten in den gegenseitigen Rollenerwartungen führen eher zu Konflikten in der Gesprächsführung, die nicht hilfreich sind. Polizeiliche Gesprächsführung ist kein besonderer Ansatz, der von der Polizei berufsfremde Kompetenzen verlangt. Professionelle polizeiliche Gesprächsführung ist polizeiliche Lagebewältigung. Nur scheinbar künstlich wird hier der kommunikative Aspekt besonders hervorgehoben.
In diesem Spannungsfeld müssen sich die Anforderungen an eine moderne professionelle polizeiliche Gesprächsführung verorten lassen.
Das Lehrbuch stellt ein Konzept für den Erwerb notwendiger Kompetenzen für die professionelle polizeiliche Gesprächsführung vor. Es zeigt anhand verschiedener Gesprächssituationen, wie die Polizei in schwierigen Lagen mit psychisch kranken oder psychisch gestörten Personen anhand des neuen Modells zu einer professionellen polizeilichen Gesprächsführung findet. Diese Beispiele werden in Teil 4 mit Gesprächssequenzen vorgestellt.
Das Lehrbuch folgt einer Struktur mit vier Teilen:
Im ersten Teil wird der derzeitige Stand der theoretischen Diskussionen der relevanten sozialwissenschaftlichen und polizeiwissenschaftlichen Forschungen beschrieben und der theoretische Rahmen für das neue Modell der Gesprächsführung aufgespannt.
Im zweiten Teil wird eine systematische Einführung in das neue Kompetenzmodell der professionellen polizeilichen Gesprächsführung unternommen. Hierzu werden die theoretischen Paradigmen verschiedener Kompetenzmodelle und der polizeilichen Handlungsmodelle reflektiert und die notwendige Abgrenzung zur psychotherapeutischen, beratenden oder seelsorgerischen Gesprächsführung vorgestellt.
Einführend für den vierten Teil werden in Teil 3 die Themenbereiche Aggression und Gewalt sowie das Opfererleben ausführlicher beschrieben. Anschließend erfolgt eine Einführung in psychische Störungen.
Teil 4 ist ein Trainingshandbuch, in dem relevante und praxisnahe Sequenzen verschiedener Gesprächsführungen bei polizeilichen Lagen anhand des neuen Kompetenzmodells zur professionellen polizeilichen Gesprächsführung beschrieben werden.
In diesem Lehrbuch wird an verschiedenen Stellen auf die erforderlichen Kompetenzen zur Durchführung der besonderen Gesprächsführungen hingewiesen. Jedes neue Kapitel wird anhand der erforderlichen Kompetenzen zusammengefasst.
Auch die Trainingseinheiten im vierten Teil orientieren sich am Thema des...