Noelke | Tod an der Hase | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 210 Seiten

Reihe: Niedersachsen Krimi

Noelke Tod an der Hase

E-Book, Deutsch, 210 Seiten

Reihe: Niedersachsen Krimi

ISBN: 978-3-86358-709-3
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Die Osnabrücker Polizei tappt im Dunkeln, als ein stadtbekannter Unternehmer eines Morgens nackt am Ufer der Hase gefunden wird. Die Leute hatten den Tod des Unsympathen diskutiert – fand sich nun tatsächlich jemand, der die grausame Aufgabe übernahm? Eine junge Frau gerät ins Visier der Ermittlungen, aber Hero Dyk glaubt an ihre Unschuld. Als erfolgreicher Autor kennt er sich aus mit Recherchen und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Doch selbst seine Phantasie reicht nicht aus, der Strategie des Mörders zu folgen.
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MONTAG Tondokument von Montagnachmittag, dem 1. Januar Niederschrift durch Kommissar Karl Heeger Der Zeitstempel der Datei markiert den Beginn der Aufnahme um 16.56 Uhr. Zunächst ist zaghaftes, leises Atmen zu hören. Entfernte Stimmen im Hintergrund, unverständlich. Mein Mädchen. Pause. Ein paar Sekunden Stille, dann ruhiges Atmen. Mein Mädchen, ich schlafe jetzt etwas besser und beruhige mich ab und zu. Die Tabletten nehme ich nicht mehr, denn zunehmend lehne ich es ab, solche Hilfe zu akzeptieren. Eine Frau im Hintergrund ruft laut: »Kaffee kommt gleich!« Lachen. Ein Stuhl wird energisch zurückgestoßen. Schritte entfernen sich vom Mikrofon. Eine Tür wird zugeworfen. Die Stimme klingt jetzt ärgerlich und weiter weg, nähert sich aber sofort wieder. Jemand geht hin und her. Ein leichter Hall liegt über dem Ton, wie aus einem kahlen Raum. Ich fürchte oft, verrückt zu werden, aber das sind sicher die Jahre. Nur die Angst bleibt ständig bei mir. Erinnerst du dich an meine Angst? Ich stecke voller Furcht. Und Wut natürlich, diese blinde Wut, die mir viel besser gefällt. Sie hat schwarze Segel, die man setzen und in den Wind zerren kann. Furcht und Wut sind nun ein fester Teil meines Wesens. Nur manchmal noch spüre ich eine halb verschüttete Freude. Die Person nimmt offenbar Platz am Tisch, auf dem das Tonband steht: lautes Rumpeln und Räuspern. Sie benötigt stets einen Anlass, diese Freude, um sich bemerkbar zu machen. Das entlarvt sie als falsch. Aufgesetzt. Es fällt mir schwer, fröhlich zu sein. Die Furcht dagegen braucht nie einen Grund. Ich kann sie spüren wie ein Sediment, das stets in mir treibt. Ich wünsche dir ein frohes neues Jahr. Die Stimme klingt zunächst zögernd, dann flüssig, fast hastig. Heute Nachmittag hielt vor mir das Auto einer Sozialstation an einer Ampel. Das sind die, die die Alten und Kranken pflegen. Sie sind auch an Neujahr im Dienst, das macht man sich gar nicht klar. Das Firmenlogo fiel mir auf: In der Mitte sieht man eine aufrechte Person, die beide Arme ausstreckt. Ihre Rechte reicht sie jemandem, der im Rollstuhl sitzt. Die Linke stützt einen anderen Menschen, der sich voller Dankbarkeit verneigt. Das Bild gibt mir Orientierung. So jemand weiß, wohin er gehört. Mit diesem Eindruck beginnt für mich das neue Jahr. Hast du jemals Rilke gelesen? In den Duineser Elegien zeigt er Engel, aber wir können nichts mit ihnen anfangen. Sie strahlen viel zu hell. Es macht mich traurig, so nutzlos zu sein. Im Hintergrund ist deutlich das Schlagen einer Turmuhr zu hören. Fünf Schläge. Ich muss aufbrechen, hörst du? Aufbrechen. Aber nicht ohne meine Tochter. Dieser Reporter bat mich, seinem Forum beizutreten, weil ich wertvoll sei für die Gemeinschaft dort. Stell dir vor, man ruft nach mir! Ein ganz neuer Horizont. Ich kann einen Computer bedienen, man kennt mich jetzt als »Pocahontas«. Wie gefällt dir der Name? Ist mir eingefallen. So hieß die Tochter eines Indianerhäuptlings, die sich im sechzehnten Jahrhundert schützend vor einen englischen Kapitän warf. Man hat sie nach England entführt, wo sie elend starb. Es sind gute Menschen, von denen ich im Netz erfahre, und es sind so viele. Sie zeigen sich empört über die Mächtigen dieser Stadt und das mit Recht. Manche Geschäfte machen schon zu, weil die Leute kein Geld mehr verdienen. Es heißt, dass man sich wehren soll. Kohn will seine Fabriken schließen, da man ihn verärgert hat. Er schmollt, stell dir vor. Wenn ich an all die Arbeitsplätze denke, über die er herrscht, und die vielen Tiere, die er schlachtet. Mein Gott, wie sehr ich mich fürchte! Aber ich habe verstanden! Ich bin ruhiger geworden, glaub es mir. Nur wehren will ich mich. Bei Rilke las ich Folgendes: »Ach, wen vermögen wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht, und die findigen Tiere merken es schon, dass wir nicht sehr verlässlich zu Hause sind in der gedeuteten Welt.« Klingt das nicht herrlich? Die gedeutete Welt. Man müsste wissen, was gemeint ist! Ich höre dich rufen, mein Kind. Ich lasse nicht los! Laut Zeitstempel wurde die Aufnahme um 17.05 Uhr gestoppt. *** Das neue Jahr begann an einem Montag, und der Tag war fast vorüber, als Gerda Lottenburger sich durch den Osnabrücker Bürgerpark schlich. Sie hielt ihre blutende Hand und sah sich mit weit geöffneten Augen um, dabei stolperte sie mehr, als dass sie ging. Ihre leichten Schuhe fanden auf dem gefrorenen Rasen keinen Halt, das helle Blouson war blutverschmiert und viel zu dünn für die Nacht. Sie sah entsetzlich aus, das Gesicht stark aufgedunsen. Auf Nase und Wangen ließen rote Kapillaren auf Alkohol schließen. Ihre Haare hingen strähnig und verklebt bis auf die Schultern. Gerda Lottenburger wirkte nicht wie eine routinierte Obdachlose. Die Auflösung ging über das übliche Maß hinaus, an das man sich gewöhnt hat. Aus Versehen schien sie in eine falsche Ordnung geraten zu sein, mit der sie nicht zurechtkam. Der Bürgerpark liegt oben auf dem Gertrudenberg. Man hat ihn allen Bewohnern der Stadt gleichermaßen gewidmet, den guten wie den schlechten. An seinem Rand stehen die uralten Gebäude des Niedersächsischen Landeskrankenhauses. Von dort war sie entkommen, aus der Aufnahme in die Psychiatrie. Die geschlossene Abteilung ist weit offener, als man meint. Es handelt sich nicht um ein Gefängnis. Gerda entkam, noch bevor sie registriert werden konnte, weshalb ihre Flucht zunächst nicht auffiel. Sie wurde gehetzt von einer Angst, die sie selbst kaum begriff. Man hatte ihr helfen wollen, aber das ließ sie nicht zu. Brave Menschen aus Osnabrück fanden sie am späten Nachmittag in den Straßen nahe beim Bahnhof. Sie hatte sich an den Scherben geschnitten, in denen sie lag, wehrte sich, als man ihr helfen wollte, ein völliger Absturz. Wohin sollte sie sich nun wenden? Sie kannte mal ein Haus, gar nicht weit weg und älter selbst als das Krankenhaus. Sie wusste noch, wo das war! Gerda stolperte zu Tal, geriet bald aus dem Park hinaus, drückte sich an Steinmauern vorbei und fand sich schließlich im Norden des Geländes wieder. Sonnenhügel wird das Viertel genannt. Die Nässe der vergangenen Tage war tiefgefroren. Es hatte aufgeklart, der Himmel lag offen und zeigte seine funkelnden Sterne. Einzelne Schneeflocken hingen in der Luft, obwohl es kaum Wolken gab. Es war die Art Flocken, nach denen man gerne lachend schnappt. Kalte Hauswände reflektierten das Schaben ihrer Schritte. Gerda blieb stehen und sah sich um. Sie sollte sich links halten, nach links, dann wären es nur ein paar Schritte. Doch sie zögerte. Man durfte sie nicht finden. Gerda ging nur selten noch den geraden Weg. Um diese Zeit waren kaum andere Leute unterwegs. Erst zehn Uhr am Abend, doch wenig Verkehr in den dunklen Gassen. Ein lachendes Paar, beide etwas jünger als Gerda. Sie gingen vorbei, drehten sich zwar um, neugierig, ließen sich aber nicht lange stören. Gerda spannte ihren dürren Körper und schien neuen Mut zu fassen. Sie staunte über ihre blutende Hand, als ob sie nicht wüsste, wo sie sich verletzt hatte. Es gellte ein Pfiff durch die Nacht, als sie die Ziegelstraße erreichte. Köpfe drehten sich im Dunkeln, jemand sprang auf die Füße. Mit knappen Gesten lösten sich einzelne Gestalten aus dem Dunkel heraus. Junge Leute trafen sich hier. Selbst im Winter scheint das attraktiver zu sein, als zu Hause zu hocken. Gerda schreckte zurück und duckte sich in den Schatten einer Mauer. Sie kannte das junge Mädchen dort, das ganz in Weiß gekleidet war. Es stand breitbeinig mitten auf der Straße und wartete, dass man ihr den Grund für den Pfiff nannte. Einer der Jungen informierte sie flüsternd, das Mädchen nickte kurz und entließ ihn. Sie sah sich um, fast protzend mit dem Weiß ihrer Kleidung in der dunklen Nacht, dann nickte sie erneut, und die Jugendlichen um sie herum entspannten sich. Gerdas Zähne schlugen unkontrolliert aufeinander, als spürte sie jetzt erst, wie kalt es war. Sie zog sich zurück und schlich einen Weg entlang, der außerhalb der alten Klostermauern verlief. Ein Umweg durch die Schrebergärten. Links biegt nach hundert Metern ein weiterer Weg ab, der zu Terrassen hinunterführt, über die sie die Ziegelstraße von der nordwestlichen Seite her erreichte. Hübsche alte Häuser gibt es dort am Hang, vor allem die mit dem Gesicht zur Stadt. Die auf der anderen Straßenseite wirken weit weniger ansprechend, man hatte die meisten von ihnen nach dem letzten Krieg neu bauen müssen. Gerda sah zu den hell erleuchteten Fenstern hoch und zu der Wärme, die sie versprachen. Da saßen Menschen an Kaminen und lasen in Büchern. Sie füllten Lottoscheine aus, redeten miteinander und liebten sich lauthals, geschützt von all dem Licht um sie herum, von Fensterscheiben, die das Dunkel fernhielten. Die Welt dort drinnen lässt sich von außen nur ahnen. Das Leben hält sich nachts gern in solch hellen Löchern auf. Die im Dunkeln sehen zu. Gerda machte sich klein vor Angst und schlich einen dunklen Feldweg hinunter, dann über ein brachliegendes Gelände hinter dem Hasetor-Bahnhof. Über den Nonnenpfad, eine helle, breite Straße, wollte sie den Gertrudenberg wieder hinaufgelangen, in weitem Bogen um die Jugendlichen herum, bis zu dem Haus, das sie suchte. Sie hatte das Licht noch nicht wieder erreicht, als von oben, von dort, woher sie kam, der Pfiff gellte, den sie schon kannte. Auch hier lagen die Posten der Lumpen, auf Zerstreuung lauernd, auf...


Heinrich-Stefan Noelke wurde 1955 in Versmold geboren und lebt nun mit seiner Familie in Osnabrück. 'Man muss die Leute sehr mögen, um so über sie schreiben zu können.', urteilt ein Kritiker über seine Texte. Noelkes Geschichten sind mit ostwestfälischem Ernst geschrieben, niemals niedlich, dafür voller Respekt, Humor, eigener Betroffenheit und einem staunenden Blick auf die Welt.


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