Nicholls | Sweet Sorrow | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Nicholls Sweet Sorrow

Weil die erste Liebe unvergesslich ist
19001. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8437-2206-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Weil die erste Liebe unvergesslich ist

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

ISBN: 978-3-8437-2206-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Weil die erste Liebe unvergesslich ist Manches im Leben strahlt so hell, dass es nur aus der Entfernung wirklich gesehen werden kann. Die erste große Liebe ist so eine Sache, die immer noch leuchtet, auch wenn sie längst verglüht ist. Genauso ist es Charlie Lewis ergangen. Nichts an ihm ist besonders. Dann begegnet er Fran Fisher, und seine Welt steht Kopf. In den langen, hellen Nächten eines unvergesslichen Sommers macht Charlie die schönsten, peinlichsten und aufregendsten Erfahrungen seines Lebens. Und steht zwanzig Jahre später vor der Frage, ob er sich traut, seine erste große Liebe wiederzutreffen. »Nicholls schreibt mit ungemein zärtlicher Präzision über die Liebe.« THE TIMES

David Nicholls, Jahrgang 1966, ist ausgebildeter Schauspieler, hat sich dann aber für das Schreiben entschieden. Mit seinem Roman Zwei an einem Tag gelang ihm der Durchbruch, seine Romane wurden in vierzig Sprachen übersetzt und verkauften sich weltweit über acht Millionen mal. 2014 wurde sein Roman Drei auf Reisen für den Man Booker Prize nominiert. Auch als Drehbuchautor ist David Nicholls überaus erfolgreich und mehrfach preisgekrönt, zuletzt erhielt er den BAFTA und eine Emmy-Nominierung für Patrick Melrose, seine Adaption der Romane von Edward St Aubyn, die als HBO-Serie Furore machte.
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Das Ende der Welt


Die Welt würde an einem Donnerstag enden, um fünf vor vier, gleich nach der Disco.

Das Einzige, was bisher annähernd an einen solchen Super-GAU herankam, waren die apokalyptischen Gerüchte, die ein-, zweimal pro Halbjahr an der Merton Grange die Runde machten. Der Anlass war immer ähnlich, nichts Banales wie Sonneneruptionen oder Asteroiden, meist hatte irgendein Klatschblatt über eine Maya-Prophezeiung, eine beiläufige Bemerkung von Nostradamus oder eine mysteriöse kalendarische Parallele berichtet, und innerhalb kürzester Zeit sprach sich herum, dass uns heute, mitten in der Doppelstunde Physik, das Gesicht wegschmelzen würde. Der Lehrer legte angesichts der allgemeinen Hysterie ergeben seufzend eine Pause ein, während wir uns stritten, wessen Uhr am genausten ging; wenn der Countdown begann, klammerten sich die Mädchen mit zugekniffenen Augen und eingezogenem Kopf aneinander, als würden sie gleich mit Eiswasser übergossen, während wir Jungs es cool aussaßen und dabei insgeheim an den verpassten Kuss, die noch nicht beglichene Rechnung, unsere Jungfräulichkeit und die Gesichter unserer Freunde und Eltern dachten. Vier, drei, zwei …

Wir hielten den Atem an.

Dann rief jemand »Bäng«, und wir lachten, erleichtert und ein bisschen enttäuscht, dass unser Leben noch nicht zu Ende war, die Doppelstunde Physik allerdings auch nicht. »Zufrieden? So, und jetzt zurück an die Arbeit«, sagte der Lehrer, und wir wandten uns wieder dem zu, was passiert, wenn man ein Objekt mit einer Kraft von einem Newton einen Meter weit bewegt.

Aber am Donnerstag um 15.55 Uhr, gleich nach der Disco, würde die Welt, wie wir sie kannten, nicht mehr existieren. Fünf lange Jahre war die Zeit nur so dahingekrochen, aber jetzt, in den letzten Wochen und Tagen, lagen Hochstimmung und Panik, Freude und Angst in der Luft, und ein unberechenbarer Nihilismus machte sich breit; blaue Briefe und Nachsitzen konnten uns nichts mehr anhaben, und womit kam man in einer Welt ohne Konsequenzen nicht alles davon? Die Feuerlöscher in den Fluren und den Aufenthaltsräumen kriegten plötzlich ein teuflisches Potenzial. Würde Scott Parker Mrs. Ellis wirklich Kackbratze nennen? Würde Tony Stevens noch einmal den Geisteswissenschaftstrakt abfackeln?

Und dann, unfassbarerweise, war er da, der letzte Tag, begann strahlend schön und sonnig, mit Rangeleien vor dem Schultor, Krawatten, die als Stirn- und Schweißbänder oder in walnuss- bis faustgroßen Knoten getragen wurden, dazu genug Lippenstift, Schmuck und blau gefärbte Haare, dass es für eine futuristische Nachtclub-Szene gereicht hätte. Was sollten die Lehrer machen: uns nach Hause schicken? Seufzend winkten sie uns durch. Da es keinen plausiblen Grund gab, ein Biotop zu definieren, verging die letzte Woche mit halbherzigen, deprimierenden Lektionen über etwas namens »der Ernst des Lebens«, der anscheinend hauptsächlich darin bestehen würde, Formulare auszufüllen und Lebensläufe zu erstellen. Heute lernten wir, wie man über seine Finanzen Buch führt. Wir starrten aus dem Fenster, sahen das traumhafte Wetter und dachten: Jetzt dauert’s nicht mehr lang. Vier, drei, zwei …

In der Pause machten wir uns daran, unsere weißen Schulhemden mit Filzstift- und Edding-Graffiti zu verzieren, saßen im Aufenthaltsraum über die Rücken der anderen gebeugt wie Tätowierer in russischen Gefängnissen und bekritzelten jeden verfügbaren Quadratzentimeter mit sentimentalen Beleidigungen wie . schrieb Paul Fox, , schrieb Chris Lloyd. Mein bester Freund, Martin Harper, schrieb in einer nostalgischen Anwandlung unter einen unglaublich detailliert gezeichneten Schwanz mit Eiern.

Harper, Fox und Lloyd. Das waren damals meine besten Freunde, nicht nur irgendwelche Jungs, sondern Jungs, und auch wenn einige Mädchen – Debbie Warwick, Becky Boyne und Sharon Findlay – unsere Clique umkreisten, blieb sie autark und undurchdringlich. Obwohl keiner von uns ein Instrument spielte, betrachteten wir uns als Band. Harper war, wie allen klar war, Lead-Gitarre und Gesang. Fox war der Bass, ein tiefes, schlichtes Wumm-wumm-wumm. Lloyd, der sich selbst als »völlig durchgeknallt« bezeichnete, war Schlagzeug, und so blieben für mich nur …

»Maracas«, hatte Lloyd gesagt, wir hatten gelacht, und so war »Maracas« auf der langen Liste unserer Spitznamen gelandet. Fox zeichnete sie jetzt auf mein Schulhemd, gekreuzte Rasseln unter einem Schädel, wie ein militärisches Rangabzeichen. Debbie Warwick, deren Mutter Flugbegleiterin war, hatte eine Tüte voller Mini-Likörfläschchen in Praliné-Geschmacksrichtungen wie Kaffeesahne, Minze und Kokosnuss in die Schule geschmuggelt, und wir versteckten sie in der hohlen Hand, tranken hin und wieder einen Schluck, verzogen das Gesicht und prusteten, während Mr Ambrose, die Füße auf das Pult gelegt, den Blick starr auf den Fernsehbildschirm richtete, wo gerade lief, eine besondere Belohnung, die niemand beachtete.

Die Likörfläschchen dienten als Aperitif für unser allerletztes Schulessen. Die legendäre Essensschlacht von ’94 war immer noch in aller Munde; unter Schuhsohlen explodierende Ketchuptütchen, panierter Fisch, geworfen wie Ninjasterne, Backkartoffeln wie Granaten. »Los, trau dich«, sagte Harper zu Fox, der versuchsweise eine ledrige Wurst in der Hand wog, aber die Lehrer patrouillierten in den Gängen wie Gefängniswärter, und mit Verheißungen wie Schokoladenbiskuittorte und Pudding, die noch folgen sollten, ging der gefährliche Moment vorüber.

Bei der Verabschiedung der Schulabgänger hielt Mr Pascoe genau die Rede, die wir erwartet hatten; er ermutigte uns, in die Zukunft zu sehen und gleichzeitig aus der Vergangenheit zu lernen, die Höhen des Lebens zu genießen, aber auch die Tiefen nicht zu scheuen, an uns zu glauben, aber auch an andere zu denken. Das Wichtigste sei jedoch nicht das, was wir gelernt hätten – und wir hatten hoffentlich eine Menge gelernt! –?, sondern dass wir zu jungen Erwachsenen herangereift seien, und wir, die jungen Erwachsenen, lauschten, gefangen zwischen Sentimentalität und Zynismus, äußerlich laut und ausgelassen, insgeheim eingeschüchtert und bedrückt. Auch wenn wir höhnisch grinsend die Augen verdrehten, griffen überall in der Aula Hände nach anderen Händen, und als Mr Pascoe uns drängte, die Freundschaften, die wir geschlossen hatten, zu pflegen – Freundschaften, die ein Leben lang halten würden – hörte man ein Schniefen.

»Ein Leben lang? Oh Gott, bloß nicht«, sagte Fox, nahm mich in den Schwitzkasten und rubbelte mir liebevoll mit den Fingerknöcheln über die Haare. Dann war es Zeit für die Preisverleihung, und wir ließen uns tiefer auf unsere Stühle sinken. Die Preise wurden denselben Leuten verliehen wie immer, und der Applaus verebbte lange, bevor sie die Bühne wieder verlassen hatten, um für die Lokalpresse zu posieren, die Büchergutscheine unter das Kinn gehalten wie für Verbrecherfotos. Als Nächstes betrat die Merton Grange School Swing Band unter der Leitung von Mr Solomon, Musik, klappernd und scheppernd die Bühne, um mit einer schiefen, leiernden Version von Glenn Millers unseren Durst nach amerikanischen Big-Band-Klängen zu stillen.

»Warum? «, fragte Lloyd.

»Um uns zu bringen«, sagte Fox.

»Was für ’ne Stimmung?«, fragte ich.

»Eine «, sagte Lloyd.

»›Rhapsodie in Braun‹ vom Glenn Miller Orchestra«, sagte Fox.

»Kein Wunder, dass der Typ sein Flugzeug geschrottet hat«, sagte Harper, und als die Kakofonie auf der Bühne zu Ende ging, sprangen Harper, Fox und Lloyd auf und jubelten: Bravo, bravo! Auf der Bühne hielt Gordon Gilbert mit irrem Blick seine Posaune mit beiden Händen fest, dann schleuderte er sie mit aller Kraft in Richtung Decke, wo sie einen Augenblick in der Luft zu schweben schien, bevor sie mit einem ohrenbetäubenden Scheppern auf dem Parkett aufschlug und sich wie Blech zusammenfaltete, und während Mr Solomon Gordon noch ins Gesicht schrie, schlurften wir nach draußen – zu unserer Disco.

Mir ist bewusst, wie abwesend ich in dieser Geschichte bin. Ich erinnere mich zwar noch ziemlich genau an die Ereignisse dieses Tages, aber wenn ich zu erzählen versuche, welche Rolle ich darin gespielt habe, greife ich instinktiv auf das zurück, was ich gesehen und gehört habe, nicht auf das, was ich getan habe. Als Schüler war meine Haupteigenschaft mein Mangel an Eigenschaften. »Charlie ist sehr bemüht, die Mindestanforderungen zu erfüllen, und meist gelingt es ihm auch« – besser wurde es nicht, und selbst dieser Ruf wurde von dem überschattet, was während der Prüfungszeit passiert war. Ich wurde weder bewundert noch verachtet, weder angehimmelt noch gefürchtet, war niemand, der andere mobbte, und obwohl ich etliche Mobber kannte, mischte ich mich nie ein oder stellte mich zwischen...


Jakob, Simone
Simone Jakob lebt und arbeitet in Mülheim an der Ruhr und übersetzt englischsprachige Literatur ins Deutsche, u.a. von David Nicholls, Philip Kerr und Abi Daré.

Nicholls, David
David Nicholls, Jahrgang 1966, ist ausgebildeter Schauspieler, hat sich dann aber für das Schreiben entschieden. Mit seinem Roman „Zwei an einem Tag“ gelang ihm der Durchbruch, seine Romane wurden in vierzig Sprachen übersetzt und verkauften sich weltweit über acht Millionen mal. 2014 wurde sein Roman „Drei auf Reisen“ für den Man Booker Prize nominiert. Auch als Drehbuchautor ist David Nicholls überaus erfolgreich und mehrfach preisgekrönt, zuletzt erhielt er den BAFTA und eine Emmy-Nominierung für „Patrick Melrose“, seine Adaption der Romane von Edward St Aubyn, die als HBO-Serie Furore machte.

David Nicholls, Jahrgang 1966, ist ausgebildeter Schauspieler, hat sich dann aber für das Schreiben entschieden. Mit seinem Roman „Zwei an einem Tag“ gelang ihm der Durchbruch, seine bisher vier Romane wurden in vierzig Sprachen übersetzt und verkauften sich weltweit über acht Millionen mal. Sein jüngster Roman „Drei auf Reisen“ wurde 2014 für den Man Booker Prize nominiert. Auch als Drehbuchautor ist David Nicholls überaus erfolgreich und mehrfach preisgekrönt, zuletzt erhielt er den BAFTA und eine Emmy-Nominierung für „Patrick Melrose“, seine Adaption der Romane von Edward St Aubyn, die als HBO-Serie Furore machte. Mit „Sweet Sorrow – Weil die erste Liebe unvergesslich ist“ liegt nun sein lang erwarteter fünfter Roman vor.



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