Neundorfer | Das Hängenmattenbuch | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Neundorfer Das Hängenmattenbuch

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-451-34572-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ausspannen, entspannen, genießen. Gerade rechtzeitig fürs Frühjahr und den Sommerbeginn erzählt das neue Hängemattenbuch Geschichten vom Leben und der Liebe, vom Fernweh und vom Zuhausebleiben, vom Glück und davon, was man damit anfängt. Einfach herrlich.
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Uwe Bork
Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.  Galileo Galilei
»Das Internet ist tot!« Die Nachricht kommt unerwartet, und sie kommt aus dem ersten Stock. Dort steht auf einem ausgedienten Schreibtisch bei uns seit Neuestern ein Computer, der nach dem Auszug unserer Kinder und der damit verbundenen Mitnahme ihrer Heimelektronik nun den Beweis dafür erbringt, dass wir technologisch noch nicht ganz zum alten Eisen gehören. Nach der Lektüre einer mittelgroßen Bibliothek mehr oder minder unverständlicher Handbücher habe ich ihn drahtlos mit dem weltweiten Netz verbunden. Per WLAN, wie wir Fachleute sagen. Seitdem sind wir drin. Meine Frau und ich surfen, was die Flatrate hält und die Augen vertragen. Wir bestellen unser Abendessen beim Pizza-Service um die Ecke jetzt online, betrachten unser handtuchgroßes Grundstück fasziniert aus der Weltraumperspektive und befragen stündlich den nächstbesten Wettervogel im weltweiten Netz nach der Wahrscheinlichkeit verheerender Sturmfluten, Schneestürme oder Starkregen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Alles geht ja im Internet, nur jetzt ist es eben … »Tot! Alles tot!« Die Stimme meiner auf den virtuellen Wellen surfenden Ehefrau nimmt ein Timbre an, als hätte ein Angriff aus dem Weltall gerade die halbe Menschheit dahingerafft. »Kannst du bitte schnell mal raufkommen? Ich komm nirgendwo mehr rein!« Auf den ersten Blick wirkt alles ganz normal. Der Bildschirm zeigt eine Art Zeitungsseite, die sich von ihrem papierenen Gegenstück allenfalls dadurch unterscheidet, dass sie aussieht, als seien bei ihrem Entwurf alle Farben eines Malkastens wahllos und gleichzeitig verwendet worden. Für die gewählten Schrifttypen und die Größe der Buchstaben vertrauten die Webdesigner dann anscheinend ebenfalls auf das Zufallsprinzip. »Kuckma«, werde ich aus einem Mund aufgeklärt, dem gemeinhin allenfalls in Augenblicken höchster Erregung etwas anderes als druckreifes Deutsch entströmt, »kuckma, die Maus bewegt sich nichmamea!« Von so viel augenscheinlicher Hilflosigkeit sehe ich mich zu einer ritterlichen Blitzexpertise herausgefordert und nehme vorsichtig eine Korrektur an der Darstellung des elektronischen Krankheitsbildes vor. Mit der angesichts weiblicher Empfindlichkeiten gebotenen männlichen Zurückhaltung stelle ich gleichzeitig eine erste, quasi semiprofessionelle Diagnose. »Die Maus, mein Schatz, das ist dieser hellgraue Plastikknubbel unter deiner rechten Hand, und die bewegt sich augenscheinlich doch noch recht gut. Was sich aber absolut nicht mehr bewegt, das ist der Cursor, also dieser kleine Pfeil auf dem Bildschirm, den du mit der Maus steuerst.« Ich lege eine Kunstpause ein, wie sie selbst einem Professor Brinkmann in der Schwarzwaldklinik angesichts eines medizinischen Problemfalles nicht ausdrucksvoller gelungen wäre. »Wahrscheinlich hat sich bloß der Server aufgehängt.« Punkt. »Ist mir doch scheißegal, wer oder was sich da aufgehängt hat. Ich wollte mir jedenfalls gerade ein neues Rezept für Ravioli mit Ricottafüllung ausdrucken, und wenn das verdammte Ding hier jetzt nicht bald wieder funktioniert, kannst du am Wochenende Käsebrot essen!« Ausrufezeichen. Nun gut: Die Sprache wirkt vielleicht etwas rau und ungeschliffen, aber wo die unumschränkte Herrscherin über mein Herz – und damit meist auch über meinen Magen – Recht hat, da hat sie nun einmal Recht. Mit anderen Worten: Es ist höchste Zeit, aktiv zu werden. Superman sollte langsam mit seinem Landeanflug beginnen. Während ich noch heftig über das Problem des versickerten Datenflusses nachdenke, bedauere ich schon gleichzeitig die momentane Leere unseres familiären Nestes. Wie anscheinend allen Mitgliedern ihrer Generation ist es auch unseren Kindern gegeben, jedwedes elektronische Gerät intuitiv zu verstehen. Während es Menschen jenseits der durchschnittlichen Lebensmitte manchmal bereits schwerfällt, einen thermostatisch gesteuerten Toaster fachgerecht in Betrieb zu setzen oder den Symbolen einer handelsüblichen Fernbedienung für einen ebenfalls handelsüblichen Fernseher mehr Sinn abzugewinnen als einer mit Hieroglyphen bedeckten Stele aus der Zeit der ägyptischen Pharaonen, bereitet es unseren Nachgeborenen allem Anschein nach noch nicht einmal Schwierigkeiten, einen fernöstlichen Festplattenrecorder blind zu programmieren. Oder eben einen bewegungsunfähigen Computer wieder aus seinem Koma zu erlösen. Wenn also unser Sohn oder unsere Tochter jetzt da wären, würde es wahrscheinlich keine Minute dauern und das Ravioli-Rezept erschiene wieder auf dem Schirm und wäre fit für den Drucker. Leider sind beide aber momentan nicht da, und das stellt mich momentan vor ernsthafte Probleme. Ich muss wohl oder übel eigene Kräfte entwickeln. Ich gehe also wieder ein Stockwerk tiefer in unser Wohnzimmer und entscheide mich für die zweitbeste Möglichkeit nach einem akuten Notfalleinsatz unserer Kinder: Ich vertraue auf meinen Servicevertrag und rufe unseren Telefondienstleister an. Das Telefon funktioniert ja glücklicherweise noch. Zu meiner eigenen Überraschung werde ich schon nach zwei oder drei Freizeichen aus der Warteschleife in die Zielgerade geschleudert. »Hier ist die Störungsstelle …«, tönt es mir aus dem Hörer entgegen, und ich wundere mich einen Moment lang, dass die Stimme so mechanisch klingt wie eine der Sprechpuppen aus unserem längst aufgelösten Kinderzimmer. Die Irritation löst sich jedoch sofort in Luft auf, als ich barsch und ohne jede menschliche Betonung angewiesen werde: »Wenn Sie ein technisches Problem haben, drücken Sie die Eins!« Ein Sprachcomputer, natürlich! Uns technikbegeisterten Männern macht doch niemand etwas vor! Deshalb sind wir auch sofort in der Lage, unser Verhalten auf jede beliebige neue Situation einzustellen. Ich spare mir also den anerkannt unwiderstehlichen Schmelz maskulinen Charmes in meiner Stimme und drücke einfach die Eins. Nichts passiert. Oder jedenfalls nicht gleich. Erst nach gefühlten mehreren Stunden des Wartens zum quälenden Klang klirrender Klingeltonakkorde dringe ich bis zu einem veritablen Menschen am anderen Ende der Leitung durch. Bestenfalls ein Etappensieg. Wer einmal die Gelegenheit hatte, den Service eines Callcenters zu erleben, weiß vermutlich, wovon ich rede. Zunächst bekomme ich in gepflegtem Bariton den unvergänglichen Evergreen aller Hotlines ins Ohr geschraubt: »Haben Sie es schon einmal mit einem Neustart versucht?« Als ich dies wortkarg bejahe, wird mir mit einer Freundlichkeit, gegen die jeder Volkspolizist der untergegangenen DDR ein Diplom für Dienst am Kunden verdient hätte, ein Technikerbesuch für Donnerstag der übernächsten Woche in Aussicht gestellt. Als kleine Gegenleistung erwarte man von mir – außer einer kaum erwähnenswerten Fahrtkostenpauschale –, dafür nicht mehr als am entsprechenden Nachmittag zwischen Eins und Fünf ein Zeitfenster von vier Stunden für den Techniker zu öffnen, sprich: zu Hause zu sein. Und am besten, ich würde nicht nervös, denn wenn sich anderswo Probleme ergäben, könnte sich der Techniker auch verspäten. Nur ein ganz kleines bisschen natürlich. Mit der unübertrefflichen Selbstbeherrschung eines mehrfach in Asche gewendeten indischen Saddhus entgegne ich in einfachen Worten, dass ich leider bei einem mit spitzem Bleistift kalkulierenden Chef in Lohn und Brot stünde und mich angesichts einer nicht gerade überschäumenden Konjunktur deshalb nicht beliebig aus meinem Büro verabschieden könne. In einem Konter von arktischer Kälte bekomme ich knapp mitgeteilt, meine persönliche Situation möge zwar tragisch sein, aber solle man mir denn nun helfen oder nicht? Und auf ein klein wenig Entgegenkommen meinerseits müsse man einfach rechnen können. Wenn ich allerdings so gar keine Möglichkeiten sähe … Sauer wie eine Kiste ungezuckerter Zitronenlimonade knalle ich den Hörer auf die Gabel. Oder drücke doch zumindest mit aller Entschiedenheit, die einem hilflosen Kunden zu Gebote steht, den Knopf mit dem roten Symbol für ›Gespräch beenden‹. Mit mir nicht, Leute, mit mir nicht! Ihr sprecht mit seiner Hoheit König Kunde, dem Herrscher über die weltweite Nachfrage und dem Lenker der globalen Konsumströme! Vergesst das bloß nicht! Nachdem ich einige Male tief durchgeatmet habe, wird mir klar: Geholfen hat dieser spontane Ausbruch allenfalls meiner Psychohygiene, gelöst hat er mein Problem nicht im Mindesten. König Kunde schlägt schmerzhaft in der Realität auf. Ich habe ein schlechtes Gewissen, aber an einer kleinen Notlüge von Zeit zu Zeit dürften sogar die meisten Heiligen kaum vorbeikommen: »Schatz, ich bin gleich so weit! Es kann sich nur noch um Sekunden handeln.« Ein Spruch: so alt, so abgegriffen. Und so unsterblich. Ehrlicherweise müsste ich gegenüber der Frau meiner Tage und Nächte unumwunden zugeben, dass ich auch nicht die Spur einer Ahnung habe, was unseren Computer dazu bewogen haben könnte, uns seit einer guten halben Stunde nur noch ein unbewegtes Standbild zu zeigen. Aber könnte ich das wirklich zugeben angesichts einer Frau, die mir immer noch zutraut, sogar das Bedienprogramm für den zeitversetzten Betrieb unseres Geschirrspülers zu begreifen? Nie und nimmer! Nicht nur, dass wir Männer uns gegen die digitale Dominanz unserer Kinder behaupten müssen, wir befinden uns auch in einer globalen Abwehrschlacht gegen die permanenten Übergriffe des Feminismus. Immer mehr Frauen können mittlerweile nicht nur mindestens so gut einparken wie wir selbst, sie finden dank...


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