E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Neubauer Drowning Shadows
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-95762-341-6
Verlag: Lago
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lincoln Ballet Group
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-95762-341-6
Verlag: Lago
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Grace hat ein Ziel: als Balletttänzerin in New York ihren Platz finden. Doch das Leben in der strahlenden Metropole ist nicht so, wie sie es sich erhofft hat. Trotz Panikattacken und Alpträumen schlägt sie sich durch, bis sie bei einer Audition der Lincoln Ballet Group den Choreografen Eliot kennenlernt. Eliot, der ihr deutlich zeigt, dass er sie nicht dabeihaben möchte.
Eliot kämpft dabei mit seinen ganz eigenen Sorgen: Im Winter steht seine erste eigene Aufführung an, die nicht nur perfekt werden muss, sondern ihn zurück in eine Zeit wirft, die er für immer vergessen will. Die verwirrende Ablenkung in Form der Tänzerin Grace kann er dabei wirklich nicht gebrauchen.
Doch je mehr Zeit die beiden miteinander verbringen, desto näher kommen sie sich. Nur ist Eliot nicht der einzige, der mit seiner Vergangenheit kämpft, auch Grace scheint etwas vor ihm zu verbergen. Etwas, das nicht nur ihre Herzen in Gefahr bringt, sondern auch ihre Leben …
Nachdem Franka Neubauer als »bloggingwithfranka« schon viele Menschen auf Bookstagram erreicht hat, wird ihr Debüt nun direkt in das Herz der Buchliebhaber*innen treffen.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Grace
Vielen Dank für Ihre Teilnahme, leider haben wir uns dieses Mal nicht für Sie entschieden, wünschen Ihnen aber viel Glück für Ihren weiteren Weg. Mein Herz rutschte mir beinahe in die Hose, als ich auf mein Handydisplay starrte. Mahnend und verhöhnend zugleich prangte mir dieser eine Satz entgegen. Ein Satz, der mir in wenigen Sekunden den gesamten Tag vermiesen und alle Hoffnung zunichtemachen konnte. »Verdammt«, fluchte ich leise und las die Mail noch ein weiteres Mal – in der stillen Hoffnung, ihr Wortlaut würde sich dadurch ändern. Es war die fünfte Absage, die ich alleine heute bekommen hatte. Man sollte meinen, es würde irgendwann leichter werden, diese harten Worte zu ertragen. Stattdessen trafen sie mich jedes Mal erneut mit voller Wucht und der Gedanke, vielleicht einfach aufzugeben, wurde immer lauter. Ein vertrautes Kribbeln kroch meine Wirbelsäule hinauf und meine Brust schnürte sich zu. Nicht jetzt, befahl ich mir stumm. Atmen! »Rivers! Du wirst nicht bezahlt, um auf dein Handy zu starren, sondern fürs Arbeiten. Beweg endlich deinen Arsch, bevor das Essen kalt wird!« Erschrocken zuckte ich zusammen und löste den Blick von dem grellen Display, nur um in das wütende Gesicht meines Chefs zu gucken. Konnte der Tag eigentlich noch schlimmer werden? Wenn es eine Sache gab, bei der man von Garry nicht erwischt werden sollte, dann war es ein kurzer Blick aufs Handy. »Sorry, kommt nicht mehr vor«, murmelte ich entschuldigend, während ich mein Smartphone hastig in der Tasche meiner Schürze verschwinden ließ. Bevor ich zur Essensausgabe huschte, warf ich einen schnellen Blick in die Verspiegelung der Bar. Glücklicherweise saß noch alles an der richtigen Stelle und meine Haare waren sicher zur Seite gesteckt. Die zarte Röte auf meinen Wangen verriet nichts von der Scham, die ich gerade verspürte, sondern ließ eher auf einen regen Betrieb schließen. Zur Sicherheit strich ich den weißen Kragen meines Hemdes noch einmal glatt und richtete die schwarze Fliege, die ein wenig verrutscht war. Damit mir nicht doch noch ein Fauxpas passierte, festigte ich den Knoten der schwarzen Schürze und strich auch hier einmal über den teuren Stoff, um nicht sichtbare Falten zu glätten. Ich durfte mir in meiner Schicht keinen weiteren Fehler mehr erlauben, denn wenn ich diesen Job auch noch verlor, wäre ich komplett am Arsch. Einen tiefen Atemzug später schritt ich an den Pass, an dem das Essen ausgegeben wurde, und ließ meinen Blick über die vielen Zettel schweifen, um mir erst mal einen Überblick darüber zu verschaffen, was fertig war und wo noch etwas fehlte. »Rivers!«, schnitt Garrys scharfe Stimme erneut durch die Luft und ließ mich abermals zusammenzucken. Wenn ich auf diesen blöden Job nicht so verdammt angewiesen wäre, würde ich ihm die heiße Pasta um die Ohren werfen, nach der ich gerade gegriffen hatte. Aber das konnte ich mir nicht leisten, also schluckte ich meinen Stolz herunter und fing damit an, die Teller etwas versetzt auf meinen Arm zu stapeln. Es waren drei Stück, gefüllt mit den besten Speisen des Restaurants, und ich balancierte zwei davon vorsichtig auf meinem linken Arm, bevor ich den letzten in die Hand nahm und mich auf den Weg zum entsprechenden Tisch machte. Normalerweise konnte ich diese Anzahl Teller locker tragen. In den absoluten Hochzeiten schaffte ich sogar vier Stück auf einmal – mit viel Mühe und großer Vorsicht natürlich. Nur gab es dort für gewöhnlich keine Absagen, die mich aus dem Konzept rissen, wie es heute leider der Fall war. Diese Broadwayshow wäre so eine verdammt große Chance gewesen. Ich hätte den Job nicht nur aus finanzieller Sicht dringend gebraucht, sondern besonders auch aus tänzerischer. Mein letztes richtiges Engagement war viel zu lange her. Ich war nach New York gekommen, um meine Tanzkarriere weiterzuverfolgen. Das große Ziel war es, in einer der Kompanien einen Platz zu finden. Doch das wurde mit jedem Tag, den ich als Kellnerin und nicht als Tänzerin verbrachte, zunehmend schwieriger. Nicht nur, weil meine Leistungen immer mehr schwanden – egal, wie viel ich auch privat zu trainieren versuchte – sondern auch, weil die Konkurrenz enorm stark war. Und wen würde das New York City Ballet lieber nehmen: eine sechzehnjährige Tänzerin, die gerade aus der langjährigen Ausbildung kam, oder mich, die nur noch das Abbild jener Tänzerin war, die sie einst gewesen war. Allein bei dem Gedanken, dass ich es bereits geschafft hatte und meinen Traum schon gelebt hatte und alles aufgeben musste, wurde mein Herz verräterisch schwer. Schnell schüttelte ich die Gedanken ab. In Mitleid konnte ich später versinken, jetzt musste ich die Schicht hinter mich bringen, ohne meinen Chef noch weiter gegen mich aufzuhetzen. Als ich den ersten Schritt Richtung Gäste machte, spürte ich sofort, dass mein Konstrukt nicht funktionierte. Meine Beine fühlten sich zu wacklig an und meine Arme zu schwach. Nur hatte ich unter Garrys prüfendem Blick keine andere Wahl, als mich zusammenzureißen und zu hoffen. Zu hoffen, dass es hielt und ich mich nicht blamierte. Leider war es ein Hoffen, das sich kurz darauf als falsch herausstellte, als der erste Teller gefährlich zu schwanken begann und letztlich bei dem Versuch, ihn auf meinem Arm zu halten, herunterrutschte. Mit lautem Scheppern fiel er zu Boden und verteilte das teure Essen auf dem dunklen Parkettboden und meiner Schürze. O nein, nein, nein! Das laute Getuschel der Gäste sowie das Geklirre von Gabeln auf Porzellan, welche das »Pinocchio’s« immer erfüllten, verstummten abrupt und ich spürte die urteilenden und mitleidigen Blicke der Restaurantbesucher und meiner Kollegen auf mir. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken oder aus dem Restaurant gestürmt, nur hielt ich immer noch zwei Teller in der Hand. Ohne es zu wollen, zuckte mein Blick zu Garry, der enttäuscht den Kopf schüttelte, wobei er Angela – eine meiner Kolleginnen – zu sich rief. Wenn er mir jetzt kündigte, war ich geliefert. Ich nahm einen tiefen Atemzug, bevor ich mich auf meinen persönlichen Walk of shame zu Tisch vierzehn begab, um die verbliebenen Teller abzustellen. In dem Moment wusste ich nicht, was schlimmer war: die mitleidigen Blicke, die die drei Frauen mir zuwarfen, oder der enttäuschte Ausdruck meines Chefs, den ich noch immer mahnend im Nacken spürte. »Einmal die Pasta Frutti di Mare und das Risotto«, verkündete ich mit belegter Stimme und suchte den direkten Blickkontakt. Die zwei Frauen, die die angekündigten Gerichte geordert hatten, gaben ein leises »Hier« von sich, und ich stellte die Teller behutsam ab. »Es tut mir wahnsinnig leid, dass Sie noch länger auf Ihr Essen warten müssen, es wird nicht noch einmal vorkommen, versprochen«, entschuldigte ich mich bei der älteren Dame, die ohne Essen verblieb, mir jedoch trotzdem ein ermutigendes Lächeln schenkte. »Ach, das macht doch nichts, Liebes. Missgeschicke passieren uns allen hin und wieder!« Ich schenkte ihr ein dankbares Lächeln und hoffte bloß, dass mein Gesicht nicht so rot war, wie es sich anfühlte. Meine Wangen glühten regelrecht vor Scham. Trotzdem verspürte ich etwas Dankbarkeit, denn zum Glück war mir diese Katastrophe bei einem verständnisvollen Tisch passiert. Die ganze Situation war für mich schon schlimm genug, aber herablassende Blicke und offene Anfeindungen der Gäste würde ich jetzt nicht auch noch ertragen können. »Bitte, verzeihen Sie die Unannehmlichkeiten. So was passiert wohl, wenn man dahergelaufenen Touristinnen einen Job gibt.« Garry lachte kalt und erhoffte sich wohl, damit die Stimmung zu lockern. Ein Blick in die Gesichter der drei Frauen reichte, um zu verstehen, dass ihnen nicht mein Missgeschick, sondern sein Verhalten unangenehm war. »Als Entschuldigung dafür, dass Sie jetzt auf Ihr Essen warten müssen, übernehmen wir das natürlich. Und es gibt eine Runde Drinks für Sie drei aufs Haus, weil jetzt Ihr aller Mahl ruiniert ist.« Bei seinen strafenden Worten mir gegenüber wollte ich am liebsten die Stimme erheben. Ihn darauf hinweisen, dass es das erste Mal war, dass mir so etwas passiert war und das ganz sicher kein Weltuntergang war. Nobles Restaurant hin oder her. Doch die Konsequenzen, die ein solches Verhalten mit sich bringen würden, wollte ich nicht in Kauf nehmen. Mit einer letzten gemurmelten Entschuldigung verließ ich den Tisch rasch und wollte gerade hinter die Bar eilen, um mein Durcheinander aufzuräumen. Bevor ich jedoch hinter dem Tresen verschwinden konnte, spürte ich eine Berührung an meinem Arm, die mich davon abhielt. »Nicht so schnell, ich glaube, du hast hier heute genug Chaos angerichtet, vielleicht wäre es besser, du verschwindest für den Rest des Tages hinter der Spüle. Was ein Glück für dich, dass unser Spüler heute krank ist und ich somit...