Von der Wiederbewaffnung bis zur Zeitenwende
E-Book, Deutsch, 130 Seiten
Reihe: Beck'sche Reihe
ISBN: 978-3-406-83052-5
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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I. Kalter Krieg
Gründerjahre (1955 bis 1972)
Außenpolitische Dimensionen
Die Republik braucht eine Armee. So viel war auch dem eingefleischten Zivilisten Konrad Adenauer bewusst. Der Aufbau von Streitkräften war einer der Hebel, mit dem man die Integration in die westliche Staatengemeinschaft und die Wiedererlangung der Souveränität würde erreichen können. Bereits im Herbst 1949 beauftragte der Bundeskanzler seinen Minister für Wohnungsbau, Eberhard Wildermuth, damit, sich auch mit den Fragen einer Wiederbewaffnung zu befassen. Der politisch im württembergischen Liberalismus sozialisierte Wildermuth besaß als einziges Kabinettsmitglied militärische Führungserfahrung. Er baute rasch eine Expertengruppe ehemaliger Wehrmachtgenerale auf, die erste Überlegungen zum Aufbau von westdeutschen Streitkräften anstellten. Wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lag die Realisierung solcher Ideen noch in weiter Ferne. Doch schneller als gedacht veränderte sich die sicherheitspolitische Großwetterlage. Mit dem Ausbruch des Korea-Krieges im Juni 1950 schien ganz Westeuropa von der Expansionspolitik Moskaus bedroht zu sein. An eine konventionelle Verteidigung des Kontinents war mit den vorhandenen Mitteln aufgrund der gewaltigen militärischen Übermacht des Gegners nicht zu denken. Die sowjetischen Panzer würde man wohl erst an den Pyrenäen aufhalten können, orakelten militärische Fachleute. Im August 1949 hatten die USA zudem das Atomwaffenmonopol verloren, eine Stärkung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit war unabdingbar, um im Ernstfall nicht vor ein fait accompli gestellt zu werden. Die Bundesrepublik sollte daher in die Verteidigung Westeuropas eingebunden werden: aus geostrategischen Gründen, aber vor allem, weil deutsche Soldaten einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen die Sowjetunion würden leisten können. Die amerikanischen Militärs bedienten sich gerne des operativen Know-hows ehemaliger Wehrmachtgenerale, nach deren Verstrickung in das NS-System schon kaum mehr gefragt wurde. Adenauer war angesichts der außenpolitischen Chancen, die er mit der Aufstellung deutscher Streitkräfte verbunden sah, weniger denn je gewillt, auf die vielen ablehnenden Stimmen zu hören. Gerade die Vereinigten Staaten trieben nun die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik voran. Im Oktober 1950 schuf Adenauer mit dem Amt Blank eine Behörde zur Aufstellung einer westdeutschen Armee, aus der später das Verteidigungsministerium hervorging. Eberhard Wildermuth wurde von seinen Aufgaben als Schattenverteidigungsminister entbunden. Der Gewerkschaftler Theodor Blank sollte als neuer Amtsinhaber die kritische Öffentlichkeit an die Wiederbewaffnung gewöhnen. Als im Herbst 1950 der französische Ministerpräsident René Pleven den Vorschlag einer integrierten europäischen Armee machte, um einen Beitritt der Bundesrepublik in die NATO zu verhindern, zeigte sich rasch die internationale Bedeutung der Wiederbewaffnung. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), deren Vertrag im Mai 1952 unterzeichnet wurde, war vor allem ein politisches Projekt. Sie bot Sicherheit vor Deutschland und Sicherheit mit Deutschland, ohne die junge Bundesrepublik über die Maßen zu diskriminieren. Es sollte einen Verteidigungsminister, einen Verteidigungsaushalt, eine gemeinsame Rüstung, eine einheitliche Kommandostruktur geben, wodurch die insbesondere in Frankreich skeptisch beäugten deutschen Soldaten in eine übergeordnete Struktur eingebunden worden wären. Damit wäre die noch junge europäische Integration ein wesentliches Stück vorangekommen, zumal gleichzeitig die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) auf den Weg gebracht werden sollte, die unter anderem eine Verfassung und eine gemeinsame Außenpolitik vorsah. Europa stand Anfang der 1950er Jahre vor dem großen Wurf, sich eine vollkommen neue politische Struktur zu geben. Der Anstoß hierzu war die Notwendigkeit, deutsche Streitkräfte so aufzubauen, dass sie von den zukünftigen Partnern nicht als Bedrohung wahrgenommen wurden. Als die Ratifizierung der EVG am 30. August 1954 in der französischen Nationalversammlung scheiterte, bezeichnete Adenauer diesen Tag als den schwärzesten seines Lebens. Er trauerte jedoch nicht in erster Linie einer europäischen Armee hinterher. Militärisch hatte er in dieser Zeit stets auf die Vereinigten Staaten und damit auf die NATO gesetzt. Viel entscheidender war, dass mit der EVG auch die EPG – der politische Überbau – scheiterte. Die europäische Integration war erheblich zurückgeworfen und man hat es bis heute nicht geschafft, ein Äquivalent zur EPG oder zur EVG aufzubauen. Nachdem Frankreich den Aufbau einer europäischen Armee verhindert hatte, konnte es den weiteren Gang der Dinge nicht mehr aufhalten: Am 5. Mai 1955 trat der Deutschlandvertrag in Kraft, das Besatzungsstatut endete und die Bundesrepublik wurde weitgehend souverän. Wenige Tage später trat das Land der NATO bei. Möglich war dies nur, weil Adenauer den Vereinigten Staaten versprochen hatte, binnen drei Jahren eine Armee von 500.000 Mann aufzubauen. Souveränität gegen Truppen, so war der Deal. Der außenpolitische Stellenwert der Bundeswehr kann auch nach ihrer Gründung am 12. November 1955 gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, obwohl ihr Aufbau viel länger dauerte als geplant und der militärische Wert der westdeutschen Streitkräfte bis in die zweite Hälfte der sechziger Jahre begrenzt blieb. Die militärische Kooperation war eine vertrauensbildende Maßnahme, gewissermaßen das Fundament für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Die logistische, strategische und operative Anlehnung der Bundeswehr an die US-Streitkräfte war sicher alternativlos. Die lautlose Integration in die NATO dürfte dann für alle Beteiligten doch überraschend gewesen sein. Weitgehend vorbehaltlos ließen sich die deutschen Soldaten in neue Strukturen einfügen, gerade so als hätten sie schon immer zu den besten Verbündeten der Vereinigten Staaten gehört: Die Waffen waren amerikanisch, die Kommandostruktur war amerikanisch und die Uniformen sahen amerikanisch aus. Am schnellsten und umfassendsten vollzog sich die Amerikanisierung bei der Luftwaffe. Die technische Überlegenheit der US-Air-Force erkannten sogar die hochdekorierten Jagdfliegerveteranen der Wehrmacht an. Die Flugausbildung in den Vereinigten Staaten trug erheblich dazu bei, sich auch der Mentalität des einstigen Gegners anzupassen. Trotz nach wie vor vorhandenen Ressentiments erleichterten mehrere Faktoren die Integration der deutschen Streitkräfte: Die eklatante militärische Schwäche der westeuropäischen Staaten ließ angesichts der sowjetischen Bedrohung einen pragmatischen Umgang mit deutschen Soldaten ratsam erscheinen. Dies umso mehr, da insbesondere die Militärs dasselbe kommunistische Feindbild hatten und man sich gegenseitig bereits im Krieg zumeist nicht als Todfeind wahrgenommen hatte. Der NS-Propaganda war es trotz intensivster Bemühungen nämlich nicht gelungen, ein wirkungsmächtiges Negativbild der Westmächte zu zeichnen. Die ehemaligen Wehrmachtsoldaten waren nur zu gern bereit, eine in ihrer Struktur vollkommen neue Armee aufzubauen. Die Abhörprotokolle deutscher Generale in britischer Kriegsgefangenschaft zeigen, dass die Vorstellung einer weitgehenden Kooperation mit den Briten und Amerikanern bereits vor der Kapitulation auf Anklang stieß. Man war willens, auf etliche Souveränitätsrechte zu verzichten, solange man nicht zu offensichtlich diskriminiert wurde. Alles andere war angesichts der totalen Niederlage Deutschlands ein Gewinn. Zugute kam der Bundeswehr der legendenumwobene Ruf der operativen Leistungsfähigkeit der Wehrmacht, sodass die deutschen Soldaten trotz ihrer Verbrechen zumindest in Militärkreisen international ein hohes Ansehen ...