E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Neeb Der Teufel vom Hunsrück
16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8437-1202-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1202-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ursula Neeb hat Geschichte studiert. Aus der eigentlich geplanten Doktorarbeit entstand später ihr erster Roman Die Siechenmagd. Sie arbeitete beim Deutschen Filmmuseum und bei der FAZ. Heute lebt sie als Autorin mit ihren beiden Hunden in Seelenberg im Taunus.
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1
In der Umgebung von Kerpen, 29. Oktober 1566
An jenem regnerischen Herbstabend wollte sich Christman gerade auf sein Zimmer zurückziehen, um vor dem Schlafen noch ein wenig seine Studien zu betreiben, als der Vater ihn an der Treppe zurückhielt.
»Du musst noch die drei Feldhasen zur ›Mühlenschenke‹ bringen«, sagte der stattliche Mann im grünen Försterrock barsch.
Der Sechzehnjährige verzog ärgerlich das Gesicht. »Hat das nicht Zeit bis morgen?«, murrte er. »Ich bin doch schon in aller Herrgottsfrühe auf die Jagd gegangen und bin müde.«
»Dann hättest du sie früher hinbringen müssen. Der Wirt rechnet zum Wochenende damit, und jetzt haben wir schon Freitagabend. Die müssen ja auch noch abgezogen und ausgeweidet werden, oder willst du das machen?« Der Förster musterte seinen Sohn missmutig. »Wenn wir sie die Nacht über hier liegen lassen, können wir sie morgen früh an die Hunde verfüttern.«
Der hochgewachsene junge Mann mit den kurzgeschorenen hellen Haaren seufzte resigniert. »Na gut, ich geh ja schon!«, grummelte er und nahm seinen Lodenumhang vom Kleiderhaken.
»Von den zehn Groschen, die dir der Wirt zu geben hat, kannst du meinethalben drei Kreuzer behalten«, rief ihm der Vater hinterher.
Drei Kreuzer dafür, dass ich bei diesem Sauwetter den Laufburschen für dich mache! Da gibst du ja am Sonntag bei der Kollekte mehr in den Almosenbeutel, du Geizhals, fluchte Christman im Stillen und schlug erbittert die Tür hinter sich zu. Wie so oft sehnte er sich danach, alles zurückzulassen und endlich ein Leben zu führen, das seiner wahren Bestimmung entsprach.
Als ihn draußen die Nacht umfing und ein feiner Nieselregen sein Gesicht benetzte, stieß er zwischen den Zähnen hervor: »Lass diesen Tag nicht mehr fern sein!«
Der junge Förstersohn eilte zum Stall, sattelte den Rappen und befestigte die Feldhasen am Sattel. Dann entzündete er an der Hoflaterne eine Teerfackel, denn es war Neumond und stockfinstere Nacht, stieg auf sein Pferd und ritt durch das Hoftor in den angrenzenden Wald hinein. Kaum hatte er das Forsthaus hinter sich gelassen, gab er dem Rappen die Sporen und stürmte in wildem Galopp den Waldweg entlang. Je schneller er ritt, desto mehr verflüchtigte sich sein Unmut, und bald genoss er es, durch den dunklen Wald zu reiten. Er liebte die Finsternis und fühlte sich in ihr geborgen. Sie war zweifellos sein Element. Wie gerne hätte er auf die Fackel verzichtet und wäre durch die Dunkelheit geschnellt wie eine Eule in lautlosem Flug. Schon als Knaben hatten ihn in der Natur jene geheimnisvollen Geschöpfe fasziniert, die es durch geschickte Tarnung verstanden, sich unsichtbar zu machen. Obgleich er sich früh in sich selbst zurückgezogen hatte und zum Einzelgänger und Sonderling geworden war, lag ihm doch nie daran, sich von der Masse abzuheben. Im Gegenteil, ihn beherrschte eher der Wunsch, in ihr zu verschwinden. Daher widerstrebte es ihm auch, durch das Licht aufzufallen. Zwar kannte er den Wald gut genug, um sich blind orientieren zu können, nicht aber die Flussauen, in denen sich die »Mühlenschenke« befand, was die Fackel leider unabdingbar machte.
Im Nu hatte Christman den Tannenwald durchquert und näherte sich dem Erfttal mit seinen Obstwiesen und Viehweiden, das sich zwischen Kerpen und der kleinen Ortschaft Blatzheim erstreckte. Feine Nebelschwaden hingen über dem Gras, und ein Stück weit entfernt konnte Christman die Lichter des Wirtshauses ausmachen. Der Regen war stärker geworden, und er freute sich schon auf seine warme Stube im Forsthaus. Er würde nur rasch die Hasen abgeben und sich gleich wieder auf den Heimweg machen.
Als er wenig später die Schenke erreicht hatte und sein Pferd festmachte, vernahm er aus der Gaststube laute Stimmen. Ungesellig und menschenscheu, wie er war, widerstrebte es ihm zutiefst, sich unter die Leute zu mischen. Am liebsten hätte er die Hasen einfach vor die Tür gelegt und sich still und heimlich davongeschlichen, aber das konnte er natürlich nicht machen. Mit fahriger Hand wischte er sich den Schweiß und den Regen von der Stirn, packte die Hasen an den Schnüren und trat mit zusammengepressten Lippen in den Schankraum. Bei dem schlechten Wetter hatten sich gerade einmal eine Handvoll Gäste in die »Mühlenschenke« verirrt, die dem unauffälligen jungen Mann im Lodenumhang glücklicherweise kaum Beachtung schenkten. Lediglich der Wirt kam grüßend hinter dem Schanktresen hervor und nahm sogleich das Wildbret in Empfang.
»Setz dich an den Ofen, Junge, und wärm dich erst mal auf«, bot er Christman an und hieß seine Frau, dem Sohn des Försters ein Bier zu bringen. Christman blickte sich verdrossen um. Die Einladung behagte ihm wenig, doch er mochte den Wirt nicht vor den Kopf stoßen, und so nahm er das Angebot an und ließ sich an einem freien Tisch am Rande der Gaststube nieder. Als ihm die Wirtin das Bier brachte und ihm freundlich zuzwinkerte, bedankte er sich einsilbig. Er machte sich nicht viel aus Weibsbildern und konnte es auch nicht nachvollziehen, dass die meisten Männer sich so nach ihnen verzehrten. In ihm schwelte ein ganz anderes Feuer. Er nahm einen Schluck und ließ seine Blicke verstohlen über die Schankgäste schweifen. An einem großen Tisch am Kachelofen saßen vier Männer und unterhielten sich angeregt. Ihren Stimmen nach waren sie bereits ziemlich angetrunken. Einer von ihnen, ein feister, stiernackiger Bursche mit gerötetem Gesicht, führte das Wort. Christman kannte ihn vom Sehen. Es war ein Pferdehändler aus dem Nachbarort Blatzheim. Seine großspurige Art missfiel Christman, und er vermied es daher, ihn direkt anzuschauen, damit der Kerl nicht noch das Wort an ihn richtete. Stattdessen lenkte er seine Aufmerksamkeit auf den Fremden am Nachbartisch, dem ebenso wenig der Sinn nach Ansprache zu stehen schien wie ihm, und taxierte ihn unauffällig. Der Mann hatte pechschwarzes, schulterlanges Haar und einen schwarzen Oberlippenbart. In seiner zerschlissenen Uniformjacke sah er wild und verwegen aus. Das markante, wettergegerbte Gesicht mit den slawischen Zügen war von Narben und Schrammen übersät, was sein abenteuerliches Aussehen noch verstärkte. Die schräg geschnittenen Augen über den hohen Wangenknochen muteten fremdländisch an. Er war womöglich von tatarischer Herkunft. Christman, der seinen Mitmenschen überwiegend gleichgültig, nicht selten auch feindselig gesonnen war, fand den Fremden interessant. Den Mann umgab eine Unnahbarkeit, die selbst das Großmaul vom benachbarten Stammtisch nicht zu durchbrechen wagte, er trank in kleinen Schlucken seinen Branntwein und bedeutete der Wirtin mit herrischer Geste, ihm noch einmal nachzufüllen, ohne sich auf irgendeine Weise zu bedanken. Er nahm von seiner Umwelt nicht die geringste Notiz und schien ganz in seine Gedanken versunken.
Das laute Stimmengewirr vom Stammtisch ging Christman zunehmend auf die Nerven, und er trank hastig sein Bier aus, um endlich wieder gehen zu können. Der Pferdehändler prahlte mit seinen guten Geschäften mit den einfältigen Bauerntölpeln, denen er für ein paar alte Schindmähren das Geld aus der Tasche gezogen habe, und orderte beim Wirt eine Lokalrunde. Als ihm die Wirtin gleich darauf ein Bier auf den Tisch stellte und der Pferdehändler gönnerhaft allen zuprostete, hätte Christman den Bierkrug am liebsten gar nicht angerührt. Um jedoch nicht den Unmut des Spenders auf sich zu ziehen, prostete er verhalten zurück. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, dass sein Tischnachbar es ihm gleichtat.
»Wollt ihr zwei euch nicht zu uns setzen, an unserem Tisch ist doch noch Platz genug, da muss keiner alleine saufen!«, tönte mit einem Mal die Stimme des Pferdehändlers durch den Schankraum, und Christman schreckte unwillkürlich zusammen.
»Sehr freundlich von Euch, aber ich muss mich gleich auf den Weg machen!«, erwiderte sein Tischnachbar mit fremdländischem Tonfall und verlangte auch sogleich beim Wirt die Rechnung.
Als sich darauf die Blicke des Pferdehändlers und seiner Trinkkumpane auf Christman richteten, erklärte dieser hastig, dass auch er in Bälde aufbrechen müsse.
»Wo müsst Ihr denn hin?«, fragte der Pferdehändler den Mann im Uniformrock.
»Nach Kerpen«, entgegnete dieser kurz angebunden und zählte dem Wirt die Münzen auf den Tisch.
»Das ist aber schade, ich muss in die andere Richtung, nach Blatzheim«, meinte der Pferdehändler bedauernd. »In diesen schlimmen Zeiten ist es nämlich besser, nicht alleine unterwegs zu sein!«, verkündete er mit unheilvoller Miene.
»Das ist wohl wahr!«, stimmte ihm der Wirt, der immer noch mit der Kerze am Tisch des Fremden stand, um ihm das Wechselgeld herauszugeben, mit finsterem Blick zu. Als der Mann im Soldatenrock unbeeindruckt blieb und auch nicht nachfragte, was genau gemeint sei, schlug der Pferdehändler fassungslos die Hände zusammen.
»Sagt bloß, Ihr wisst gar nichts von den schrecklichen Morden, die uns hier im Rheinland seit einiger Zeit heimsuchen!«, rief der Mann aus Blatzheim entrüstet, der vor Mitteilungsdrang und Sensationsgier förmlich zu platzen schien.
Auch wenn der Fremde nur mäßig interessiert mit den Achseln zuckte, ließ es sich der Pferdehändler nun freilich nicht nehmen, die Hintergründe haarklein vor ihm auszubreiten.
»In der Gegend um Dellbrück wurden in den letzten Wochen insgesamt acht Männer mit durchgeschnittener Kehle aufgefunden!«, deklamierte der Pferdehändler im pathetischen Tonfall eines Moritatensängers. »Und damit nicht genug, gehörten in jüngster Zeit auch zwei schwangere Frauen zu den Opfern. Mit aufgeschnittenen Leibern lagen sie in ihrem eigenen...