Roman
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-641-27400-9
Verlag: C.Bertelsmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein kleiner Buchladen in Japan, hohe Holzregale mit seltenen Erstausgaben, eine Tasse Tee, zubereitet nach traditioneller Zeremonie: Das ist das Reich von Rintaro und seinem Großvater. Als der alte Herr stirbt, ist der stille Schüler auf sich allein gestellt. Was soll er mit dem Laden anfangen, der schon lange keinen Gewinn mehr abwirft? Was mit sich selbst, mit seinem Leben ohne den Großvater und dessen Ruhe und Lebensweisheit? Rintaro versteckt sich vor der Welt, verkriecht sich zwischen den fast vergessenen Buchschätzen. Auch seine Klassenkameradin Sayo, die sich Sorgen macht, vermag es nicht, ihn aus seinem Schneckenhaus herauszulocken. Bis eines Tages eine Katze im Buchladen auftaucht - eine sprechende Katze, die Rintaro eindringlich um Hilfe bittet: Die Bücher sind in Gefahr - und nur ein wahrer Buchliebhaber wie er, der die Liebe zum gedruckten Wort von seinem Großvater verinnerlicht hat, kann sie retten ...Eine zauberhafte Hommage an die Macht der Literatur und der Fantasie - für alle, die Der kleine Prinz und Momo geliebt haben und für die Bücher einfach das Schönste auf der Welt sind. »Dieses charmante Juwel aus Japan wird das Herz jedes Buchliebhabers erobern.« Library Journal
Sosuke Natsukawa ist Arzt und lebt und arbeitet in Nagano. Bereits sein erstes Buch wurde in Japan zu einem Bestseller, der sich über 1,5 Millionen Mal verkaufte. Mit 'Die Katze, die von Büchern träumte' gelang ihm der internationale Durchbruch. Das Buch wurde in 34 Länder verkauft, gilt damit als eines der erfolgreichsten Bücher aus Asien in den letzten Jahren und eroberte weltweit die Bestsellerlisten.'Bücher sind meine besten Freunde. Ich habe so viel durch sie gelernt: Anstand, Selbstachtung, Urteilsvermögen und das Wesentliche im Leben zu erkennen. Ich wünsche mir, dass die Leser auch in meinem Buch einen guten Freund finden.' Sosuke Natsukawa
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PROLOG WIE ALLES BEGANN Damit fing es an: Großvater war nicht mehr da. Auch wenn dies ein ziemlich misslicher Ausgangspunkt für eine Geschichte sein mag, handelte es sich doch um eine unstrittige Tatsache. Etwa so, wie morgens die Sonne aufgeht oder man mittags Hunger verspürt – eine Tatsache also, an der nicht zu rütteln war. Da half es weder, die Augen zuzukneifen, noch sich die Ohren zuzustopfen, um auf ahnungslos zu machen. Sein Opa würde nicht zurückkehren. Angesichts dieser traurigen Gewissheit verfiel Rintaro Natsuki in stumme Apathie. Für einen Außenstehenden muss er wie ein äußerst gefasster Junge gewirkt haben. Einige der Trauergäste fanden seinen Anblick wahrscheinlich sogar ein wenig befremdlich. Rintaros Benehmen erschien ihnen einfach zu ruhig für einen Schüler der Oberstufe, der so plötzlich und unerwartet einen Angehörigen verloren hatte. Eine unergründliche Aura umgab ihn, als er wie angewurzelt in der Ecke der Trauerhalle stand und zum Bild des Verstorbenen hochblickte. Das bedeutete jedoch keineswegs, dass Rintaro auch sonst ein besonnener und gelassener Junge war. Er konnte einfach nur den abstrakten Begriff Tod nicht mit seinem etwas weltfremden Großvater, der stets über alle Dinge erhaben zu sein schien, in Verbindung bringen. Rintaro war immer davon ausgegangen, dass der Tod nicht so ohne Weiteres in das geruhsame Leben des Großvaters, das jener geduldig, ohne zu murren geführt hatte, eingreifen könne. Deshalb erschien ihm nun der Anblick des aufgebahrten alten Mannes, der plötzlich aufgehört hatte zu atmen, wie eine schlechte Aufführung, wie ein Schmierentheater. Tatsächlich sah der Großvater im weißen Sarg aus wie immer, als wäre ihm nichts widerfahren. Sein Enkel konnte sich sogar lebhaft ausmalen, wie er sich brummelnd vom Stuhl erhob, Wasser auf dem Ölofen zum Kochen brachte und dann mit geübten Bewegungen Tee aufbrühte. Aber die Wirklichkeit strafte seine Vorstellung Lügen. Sein Opa würde nie mehr die Augen öffnen und auch nie mehr seinen geliebten Teebecher in die Hand nehmen. Stattdessen lag er still da, in feierlicher Würde aufgebahrt. In der Halle war das einschläfernde Gemurmel der monotonen Sutrenrezitation hörbar, während die an Rintaro vorübergehenden Trauergäste ab und zu etwas zu ihm sagten. Damit fing also alles an: Großvater war nicht mehr da. Diese Tatsache verankerte sich allmählich in Rintaros Herz. »Warum tust du mir das an, Opa?«, gelangte schließlich ein Raunen über seine Lippen, aber es kam keine Antwort zurück. Rintaro Natsuki war ein durchschnittlicher Schüler der Oberstufe. Klein von Statur, trug er eine Brille mit starken Gläsern, hatte eine blasse Gesichtsfarbe, war nicht sehr gesellig und ziemlich unsportlich. Weder hatte er ein Lieblingsfach noch eine Lieblingssportart. Kurzum: Er war ein unscheinbarer Teenager. Die Eltern hatten sich früh scheiden lassen, und kurz darauf starb seine Mutter. Seit dem Grundschulalter hatte sein Großvater sich dann um ihn gekümmert. Für einen Pubertierenden sicherlich eine ungewöhnliche Situation, aber Rintaro selbst empfand seinen Alltag als ganz normal. Mit dem Tod des Großvaters wurde die Angelegenheit jedoch etwas komplizierter. Immerhin starb er plötzlich und unerwartet. An einem außergewöhnlich kalten Wintermorgen traf er den Großvater, der eigentlich ein Frühaufsteher war, nicht wie üblich in der Küche an. Als Rintaro verwundert im schummrigen Tatami-Zimmer nach ihm schaute, lag sein Opa reglos auf dem Futon. Sein Atem hatte bereits ausgesetzt. Er zeigte keine Spur eines qualvollen Todes, sondern lag da wie eine Statue, und der aus der Nachbarschaft herbeigeeilte Arzt vermutete, dass er, ohne Schmerzen zu erleiden, an einem plötzlichen Herzinfarkt gestorben sei. »Er ist friedlich aus dem Leben geschieden«, fügte er hinzu. Bei dieser ambivalenten Umschreibung für den Tod, die noch auf das Leben anspielte, empfand Rintaro ein leises Befremden, das ihn in seiner Schockstarre doch ein wenig aufwühlte. Offenbar hatte der Arzt sogleich die Problematik von Rintaros Situation erfasst, denn schon bald darauf eilte eine Verwandte, die sich als seine Tante vorstellte, aus der Ferne herbei. Die gutmütig aussehende Dame organisierte dann alles – über Formalitäten wie die Sterbeurkunde bis hin zur Bestattung und anderen Feierlichkeiten – flott und routiniert. Rintaro, nun offiziell unter ihrer Obhut, dachte durchaus daran, bei der Beerdigung einen Anflug von Trauer zeigen zu müssen, auch wenn er tatsächlich nichts dergleichen verspürte. Andererseits erschien es ihm unnatürlich, wenn er vor dem Porträt des Verstorbenen nun bitterlich zu weinen anfinge. Es wäre lächerlich und verlogen. Vielmehr konnte er sich gut vorstellen, wie sein Opa im Sarg ihn mit einem gequälten Lächeln zurechtweisen würde: »Ach, lass das doch!« Deshalb verabschiedete Rintaro den Großvater am Schluss auf seine eigene diskrete Art. Nach diesem letzten Geleit erwarteten ihn seine Tante, die ihn mit besorgter Miene betrachtete, und ein Laden. Der Laden besaß zwar nicht den Wert einer lohnenden Erbschaft, aber war auch nicht als finanzielle Bürde einzustufen. Es handelte sich um ein kleines Antiquariat namens ›Buchhandlung Natsuki‹, versteckt gelegen in einem Winkel der Stadt. * »Natsuki, hier steht aber eine ganze Reihe guter Bücher im Regal«, hörte er eine männliche Stimme hinter sich sagen. Ohne sich umzuwenden, blickte Rintaro am großen Regal hoch und erwiderte lakonisch: »Findest du?« Vor ihm ragte vom Boden bis zur Decke eine riesige Bücherwand empor, vollgestopft mit Unmengen an Bänden. Shakespeare, Wordsworth, Dumas, Stendhal, Faulkner, Hemingway, Golding und so weiter, um nur einige namhafte zu nennen. Unzählige Meisterwerke von Weltrang blickten in ihrer majestätischen Würde auf Rintaro herab. Es waren alles antiquarische Exemplare, die ein beachtliches Alter auf dem Buckel hatten, aber dennoch wirkten sie nicht schäbig, was der unermüdlichen täglichen Pflege seines Großvaters zu verdanken war. Der ebenfalls in die Jahre gekommene Ölofen zu seinen Füßen glühte rot, und obwohl er einwandfrei funktionierte, ließ die Wirkung leider zu wünschen übrig: Im Laden war es ziemlich kühl. Rintaro wusste jedoch, dass diese spürbare Kälte nicht allein von der Zimmertemperatur herrührte. »Ich nehme die beiden. Was macht das zusammen?« Auf die Frage hin wandte Rintaro leicht den Kopf und kniff die Augen zusammen. »3200 Yen«, erwiderte er leise. »Phänomenal, dein Gedächtnis!« Das trockene Lachen kam von Ryota Akiba, der eine Klasse über ihm war. Der große und schlanke Junge hatte einen klaren Blick und verfügte über eine gute Dosis gelassenen Selbstbewusstseins, ohne dabei arrogant oder gehässig zu wirken. Jahrgangsbester und Kapitän des Basketballteams in einer Person. Außerdem war er der Sohn eines in der Stadt niedergelassenen Arztes und engagierte sich auch außerhalb der Schule mit großem Erfolg, sodass er so ziemlich das genaue Gegenteil von Rintaro darstellte. »So, hier noch ein paar besondere Fundstücke«, sagte Ryota, während er etwa ein halbes Dutzend Bücher auf die Verkaufstheke stapelte. Neben seinen intellektuellen und sportlichen Fähigkeiten war der ältere Mitschüler auch erstaunlich belesen und gehörte zu den wenigen Stammkunden im Antiquariat Natsuki. »Wirklich eine tolle Buchhandlung.« »Danke. Du kannst dir Zeit lassen beim Stöbern. Es ist Räumungsverkauf, da wir den Laden bald schließen.« Rintaros monotone Sprechweise machte es schwer herauszuhören, ob er es ernst meinte oder sich einen Scherz erlaubte. Ryota, einen Moment lang sprachlos, erwiderte in zurückhaltendem Ton: »Das ist ein harter Brocken, die Sache mit deinem Opa.« Sein Blick wanderte zum Regal zurück, als würde er beiläufig die Buchrücken studieren. »Bis vor Kurzem hat er noch hier gesessen und seelenruhig in den Büchern geblättert, und dann so plötzlich …« »Ja, das stimmt.« Rintaros Beipflichten war weder freundlich gemeint, noch bedankte er sich für die Anteilnahme, es war eine reine Höflichkeitsfloskel. Ryota scherte sich jedoch nicht weiter darum, sondern blickte den jüngeren Mitschüler an, der zum Regal hochschaute. »Nicht so gut ist allerdings, dass du seit dem Tod deines Großvaters unentschuldigt die Schule schwänzt. Wir machen uns alle Sorgen um dich.« »Alle? Wen meinst du? Ich wüsste nicht, dass ich Freunde habe, die sich Sorgen um mich machen.« »Stimmt, du hast ja kaum Freunde. Dann kannst du ja frei schalten und walten, so ganz ohne Verpflichtungen«, schien der Ältere sich selbst zu bestätigen. »Aber dein Großvater grämt sich bestimmt deswegen. Und vor lauter Sorgen findet er nicht seinen himmlischen Frieden, sondern geistert ziellos im Haus herum. Glaubst du nicht? Ich würde den alten Herrn nicht allzu sehr damit belasten.« Es waren zwar schroffe, unmissverständliche Worte, aber in Ryotas Stimme schwang auch leise Anteilnahme und Fürsorge mit. Vielleicht lag es an seiner persönlichen Verbindung zum Antiquariat Natsuki,...