Nassehi / Felixberger / Anderl | Kursbuch 221 | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

Nassehi / Felixberger / Anderl Kursbuch 221

Verteidigung

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

ISBN: 978-3-96196-373-7
Verlag: Kursbuch Kulturstiftung gGmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Kursbuch 221 über Verteidigung nimmt vieles in Angriff. Zunächst die militärische Verteidigung. Kriegsminister gibt es nicht mehr. Christopher Daase analysiert die differenzierte Verschränkung von Angriff und Verteidigung, Jörn Leonhard liefert eine historische Genese des Verteidigungskrieges. Einen anderen Verteidigungskampf rekonstruiert Joachim Müller-Jung, nämlich die Immunabwehr – eine schöne Beschreibung dafür, dass Verteidigung/Abwehr nichts Passives, nichts Defensives im engeren Sinne sind, sondern eine Art prospektiver Antizipation von Angriffen, die von früheren Angriffen gelernt hat – individuell und evolutionär. Armin Nassehis Beitrag beschäftigt sich mit den Sicherungssystemen von Demokratien, die auch gegen Angriffe von innen standhalten müssen. Im Gespräch mit Sibylle Anderl entwickelt der Psychologe Marc Wittmann eine Verteidigungsperspektive zwischen existentieller Langeweile und Hektik – es geht um eine Form der Selbstverteidigung im engeren Sinne. Vor empfindungsfähigen KI-System schließlich warnt Eva Weber Guskar. Eine besondere Perspektive entwickelt die Langstrecke von Stefan Rammler. Er beschäftigt sich mit der resilienten Stadt, die sich gegen den Klimawandel verteidigt, will aber zugleich die gegenwärtigen Untergangsnarrative überwinden. Und entwickelt eine Klimafuturologie, und eine utopische Klimazeitreiseliteratur. Voluminös sind die alpinen Schutzeinrichtungen, die Olaf Unverzart in seiner neuen Schauplatz-Kolumne ins Bild gesetzt hat. Berit Glanz' Islandtief, das dreizehnte, beschreibt unter anderem den Vorteil und die Freiheitsgrade der Peripherie, und Jan Schwochow, dessen Kolumne ab jetzt VIZUAL heißt, konfrontiert uns mit Darstellungsformen der Veränderung des Meeresspiegels. Eine außergewöhnliche Art, mit Infografiken Entwicklungen abzubilden und einzuordnen. Peter Felixberger rezensiert schließlich ein wichtiges Sachbuch aus dem Jahr 2044.
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Weitere Infos & Material


Stephan Rammler
Heißzeit
Wie wir in Zukunft mit der Erderwärmung leben und uns anpassen lernen. Eine Zukunftsreise
1. Die bedingte Utopie der Klima-Transformation_Einleitung
»Viel mehr als die immer neue Erzählung von der Infiltration des Lebens durch vergangenes und verdrängtes Unheil interessiert uns hier die Erzählung von der Infiltration unseres gegenwärtigen Lebens durch ein schon beginnendes, aber vielleicht noch begrenzbares Unheil aus der Zukunft.« (Bernd Ulrich) Vor 35 Jahren habe ich in Kalifornien studiert. Nach der Weltklimakonferenz in Rio 1992 erreichte die Klimadebatte einen ersten Höhepunkt. Ich hatte mir einen Studentenjob am Lawrence Berkeley Lab in den Hügeln über Berkeley gesucht. Als eine der ersten Forschungseinrichtungen weltweit arbeitete man dort zu politischen und politökonomischen Konzepten der Klimaregulierung, der Energieeffizienz und an Alternativen zur fossilen Energie. Nebenbei reiste ich durch Kalifornien. Mich faszinierten vor allem die Red Woods, majestätische Wälder an der Pazifikküste, in denen über tausend Jahre alte Mammutbäume wie Götter über einem Paradies wachen. Die Schönheit der kalifornischen Landschaft übertraf alles, was ich bis dahin kennengelernt hatte. Umso trauriger ist das, was in diesem Paradies seitdem geschehen ist. Der Hotspot ökologischen Denkens wurde selbst zu einem Schaufenster ökologischer Verwüstung, mit enormer Hitze, Trockenheit und Bränden, dramatischem Wassermangel und Unwettern, den drei apokalyptischen Reitern des Klimawandels weltweit. Und während ich schreibe, brennt Los Angeles erneut in einer nie dagewesenen Weise. Schon jetzt gilt das Inferno als die teuerste Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA 1. Und nicht nur die USA sind von der Erderwärmung betroffen. In Südamerika versiegt der Rio Negro, der zweitgrößte Nebenfluss des Amazonas und nach diesem einer der wasserreichsten der Welt. Das Pantanal, eines der größten und artenreichsten Feuchtgebiete der Welt, steht großflächig in Flammen, Mitteleuropa kämpft mit Überschwemmungen, und Westafrika erlitt 2024 eine Extremregenzeit, die Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieben hat. Angesichts dessen schlagen Wissenschaftler Alarm. Die Geschwindigkeit, mit der CO2 heute in die Atmosphäre entweicht, bricht alle Rekorde der letzten 66 Millionen Jahre. Eine Forschergruppe 2 warnt sogar, dass die Erwärmung der Erde noch weitaus heftiger ausfallen könnte als bisher angenommen – bis zu 4,8 Grad bei einer CO2-Verdoppelung. Auch wenn die Menschheit ab sofort aufhört, CO2 zu emittieren, werden die Folgen für mindestens 100 000 Jahre unumkehrbar sein. Der aktuelle »Emissions Gap Report« der Vereinten Nationen geht davon aus, dass sich die Erde bis um 3,1 Grad Celsius erwärmen wird, wenn der bisherige Kurs beibehalten wird 3. Nehmen wir an, dieser Zustand träte ein, welches Zukunftsbild ergäbe sich daraus? Der Journalist Mark Lynas 4 beschreibt, dass eine Erwärmung um drei Grad eine katastrophale Umgestaltung unseres Planeten bedeuten würde und die Grundlage des menschlichen Lebens infrage stellt. Er warnt, dass bei Überschreiten dieses Schwellenwerts ökologische Kipppunkte 5 erreicht werden: Wälder wie der Amazonas-Regenwald drohen zu kollabieren, was globale Auswirkungen auf das Klima hat und die Artenvielfalt dramatisch reduziert. Durch das Schmelzen der Permafrostböden wird Methan freigesetzt. Das kann einen Rückkopplungseffekt erzeugen, der den Klimawandel antreibt und schwerer kontrollierbar macht. Erwartbar sind außerdem viel extremere Wettermuster, darunter häufigere und intensivere Hitzewellen, Dürreperioden und Überschwemmungen. Der schmelzende Grönland- und Westantarktis-Eisschild trägt erheblich zum Anstieg des Meeresspiegels bei. Küstenstädte und -regionen weltweit sind durch Überschwemmungen gefährdet. Hitze und Trockenheit verringern die Ernteerträge, insbesondere bei Grundnahrungsmitteln wie Weizen und Mais. Die Gefahr von Hungersnöten steigt, und die Ernährungssicherheit wird ein globales Problem. Auch der Klimaforscher Stefan Rahmstorf 6 beschreibt die Auswirkungen einer globalen Erwärmung um drei Grad. Für Deutschland bedeutet das eine durchschnittliche Temperaturzunahme von etwa sechs Grad, da sich Landgebiete stärker erwärmen als der globale Durchschnitt. Dies würde zu extremen Hitzewellen mit Temperaturen über 45 Grad Celsius führen, was erhebliche gesundheitliche Risiken birgt und die Landwirtschaft sowie die Flora und Fauna massiv beeinträchtigen würde 7, denn große Teile der heutigen Biosphäre sind nicht an so hohe Temperaturen angepasst. Besorgniserregend ist auch die Geschwindigkeit der Erwärmung, die etwa zehnmal schneller verläuft als der natürliche Übergang von der letzten Eiszeit zum Holozän. Diese rasche Veränderung erschwert die Anpassung für Mensch und Natur erheblich. Während Wissenschaftler immer dringender warnen, nehmen die Fragen zu, ob die Klimagipfel und die sie begleitenden medialen Debatten den notwendigen Wandel überhaupt schaffen können, denn auch die Medien können das Ausmaß dieser Katastrophen offenbar kaum noch angemessen kommunizieren. Wir erleben keine Eskalation der Debatte, wie es eigentlich nötig wäre, sondern einen Kollaps der öffentlichen Klimakommunikation in den USA und in Europa: Die großen amerikanischen Banken und Vermögensverwalter steigen aus ihren globalen Klimaallianzen aus, und auch in der deutschen Industrie und Wirtschaft erscheint das Thema plötzlich als inopportun. Ebenso in der Politik. Nicht einmal die Grünen, zu deren Kernthemen der Kampf gegen die Erderwärmung einmal gehörte, trauen sich noch, deutlich über das Thema zu reden. Der ZEIT-Kolumnist Uwe Jean Heuser bezeichnete dieses Agenda-Setting-Problem als »Perversion der Gleichzeitigkeit«. Erderwärmung als Leitkrise der Gegenwart
Man kann diese tatsächlichen und metaphorischen Brände versuchen zu löschen, so gut es geht, doch brennen wird es auch weiterhin, hier und fast überall auf der Welt. Der Klimawandel ist kaum noch aufzuhalten. Damit ist das Thema der kommenden Jahrtausende gesetzt. Für das visionäre ökologische Denken ist diese Entwicklung enorm folgenreich, genauso wie für die Sozialpsychologie und die politische Soziologie gesellschaftlicher Transformationen und die Politik der Nachhaltigkeit insgesamt. Das, was wir jahrzehntelang hoffen konnten, am Ende noch vollständig aufzuhalten, tritt mit unerbittlicher Folgerichtigkeit nun ein. Die 1,5-Grad-Marke ist überschritten, die 2-Grad-Marke bald auch. Die Großutopie der Nachhaltigkeit schrumpft damit zu der nur mehr sehr bedingten Utopie einer Nachhaltigkeitstransformation unter der Maßgabe der zeitgleichen schnellen und starken Anpassung an die Realitäten der Erderwärmung, die bereits nicht mehr verhinderbar sind. Die Klimaresilienz, also die Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit von Gesellschaften gegenüber den Zuspitzungen der Erderwärmung, wird sich deswegen zum planetaren Leitkonzept, zur übergreifenden Zentralaufgabe der kommenden Gesellschaften über Jahrtausende hinweg entwickeln müssen. Doch auch dadurch entstünde keine perfekte, nachhaltige Zivilisation im stabilen Gleichgewicht mit einer intakten Natur, wie sie vor 50 Jahren noch denkbar war, sondern eine Welt des nur beziehungsweise immerhin bestmöglichen Umgangs mit den schon nicht mehr vermeidbaren Folgen des Klimawandels, eine Welt der ständigen Adaption an die sich über einen sehr langen Zeitraum hinweg dynamisch verändernden Lebensbedingungen in der Heißzeit. Verbunden ist damit auch die Hoffnung, dass ein Zeitfenster von einem bis maximal zwei Jahrzehnten bleibt, um den Beginn einer unkontrollierbar eskalierenden Zivilisationsagonie zu verhindern. Nachdem sich dieses Zeitfenster geschlossen hat, beginnt womöglich das außer Kontrolle zu geraten, was man als einen langen Notfall bezeichnen könnte: die sich stetig selbst verstärkende, von Kipppunkt zu Kipppunkt sich immer schneller drehende Negativspirale einer kaum noch einzuhegenden Kumulation von katastrophal zusammenwirkenden und komplex vernetzten Entwicklungen einer Polykrise. Von allen Treibern dieser Krise erzeugt der Klimawandel den größten unmittelbaren und auch den langfristigsten Handlungsdruck, er ist also die Leitkrise der Gegenwart. Deswegen sollten wir hier, am Hebelpunkt der Erderwärmung, unsere gesamten politischen Energien und kulturellen Innovationsbemühungen bündeln und am Leitbild der Anpassung neu ausrichten. Wir werden die Erderwärmung zwar nicht mehr vollständig stoppen, doch mit klugen Strategien sozioevolutionärer Anpassung dazu beitragen können, Zeit zu gewinnen für langfristige kulturelle Lernprozesse und die Suche und Einübung neuer ökointegrativer Lebensstile. Das Szenario der europäischen Anpassungskultur des Klimabauhauses erzählt die Geschichte unserer Zukunft als ein Kaleidoskop aus technologischen, sozialen und vor allem kulturellen Innovationen und Transformationen. Dieses sehr viele künftige Generationen übergreifende Bemühen um Transformation bei zeitgleicher Anpassung ist die bedingte Utopie der Klimatransformation. Im nächsten Kapitel wird zuvor noch ein Zwischenschritt gemacht und die Klimafuturologie als eine Methode oder Denkweise vorgestellt, um einerseits die aus heutiger Sicht wahrscheinlich erwartbaren,...


Nassehi, Armin
Armin Nassehi (*1960) ist Soziologieprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Herausgeber des Kursbuchs und einer der wichtigsten Public Intellectuals in diesem Land. Im Murmann Verlag veröffentlichte er unter anderem »Mit dem Taxi durch die Gesellschaft«, in der kursbuch.edition erschien zuletzt »Das große Nein. Eigendynamik und Tragik gesellschaftlichen Protests«.

Anderl, Dr. Sibylle
SIBYLLE ANDERL (*1981), ist Astrophysikerin und leitet das Wissensressort der ZEIT. Sie ist Mitherausgeberin des Kursbuchs. Zuletzt erschien "Dunkle Materie. Das große Rätsel der Kosmologie."

Felixberger, Peter
Dr. Peter Felixberger ist Programmgeschäftsführer der Murmann Publishers, Co-Herausgeber der politischen Kulturzeitschrift »Kursbuch« und Erfinder der BEEP-Methode. Seit vielen Jahren entwickelt der Publizist, promovierte Politologe und Soziologe für verschiedene Verlage und Medienhäuser Bücher, Zeitschriften und digitale Medien. Im Murmann und Kursbuch Verlag erschienen unter anderen »Wie gerecht ist die Gerechtigkeit?« und »Deutschland. Ein Drehbuch« (zusammen mit Armin Nassehi).

Armin Nassehi (*1960) ist Soziologieprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Herausgeber des Kursbuchs und einer der wichtigsten Public Intellectuals in diesem Land. Im Murmann Verlag veröffentlichte er unter anderem »Mit dem Taxi durch die Gesellschaft«, in der kursbuch.edition erschien zuletzt »Das große Nein. Eigendynamik und Tragik gesellschaftlichen Protests«.

Dr. Peter Felixberger ist Programmgeschäftsführer der Murmann Publishers, Co-Herausgeber der politischen Kulturzeitschrift »Kursbuch« und Erfinder der BEEP-Methode. Seit vielen Jahren entwickelt der Publizist, promovierte Politologe und Soziologe für verschiedene Verlage und Medienhäuser Bücher, Zeitschriften und digitale Medien. Im Murmann und Kursbuch Verlag erschienen unter anderen »Wie gerecht ist die Gerechtigkeit?« und »Deutschland. Ein Drehbuch« (zusammen mit Armin Nassehi).

SIBYLLE ANDERL (*1981), ist Astrophysikerin und leitet das Wissensressort der ZEIT. Sie ist Mitherausgeberin des Kursbuchs. Zuletzt erschien "Dunkle Materie. Das große Rätsel der Kosmologie."


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