Nassehi / Felixberger / Anderl | Kursbuch 220 | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Nassehi / Felixberger / Anderl Kursbuch 220

Wie geht's weiter?

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-96196-371-3
Verlag: Kursbuch Kulturstiftung gGmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Grundfrage von Kursbuch 220, der 50. Ausgabe seit dem Relaunch im Jahr 2012, lautet: »Wie geht´s weiter?« Dabei geht es nicht um das Kursbuch an sich, sondern um die Frage wie es überhaupt weitergeht. Denn: In unserer Gesellschaft gibt immer weniger Kontinuitäten, immer mehr Infragestellungen der Zukünfte an sich. Immer mehr plakative Großdiagnosen, immer weniger Raum für fachliche Expertise, individuelle Erfahrungswelten und gute Argumente.

Deshalb haben die Herausgeber:innen Armin Nassehi, Sibylle Anderl und Peter Felixberger genau diese Frage 13 Gesprächspartner:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur gestellt. Wie es weitergeht, wird in konkreten gegenwärtigen Erfahrungen, Konstellationen, Risiken, Potenzialen und Chancen fundiert. Die Gespräche beschäftigen sich mit der Zukunft des Jüdischen in unserer Gesellschaft, mit Cyberkriminalität, mit der Möglichkeit und Bedeutung von Kunst und Kultur, mit Geschlechter- und Migrationsfragen, mit Zukunftstechnologien, mit Sprunginnovationen, mit dem Älterwerden und nicht zuletzt mit der überaus schwierigen Frage, was sich über die Zukunft überhaupt sagen lässt.

Die Gesprächspartner:innen der Jubiläumsausgabe: Andreas Voßkuhle, Jana Ringwald, Joscha Bach, Berit Glanz, Rafael Laguna de la Vera, Ariella Chmiel, Levi Israel Ufferfilge, Wolfgang Schmidbauer, Aladin El-Mafaalani, Katherine Held, Frederik G. Pferdt, Simon Strauß und Paula-Irene Villa Braslavsky.
Nassehi / Felixberger / Anderl Kursbuch 220 jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Keine Angst vor Daten
 
Ein Gespräch mit der Cyberstaatsanwältin und Buchautorin Jana Ringwald über virtuelle Welten, ihr berufliches Selbstverständnis und die Zukunft der Justiz.
 
Von Peter Felixberger
Jana Ringwald ist Oberstaatsanwältin bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und war an zahlreichen international beachteten Takedowns von Darknet-Marktplätzen beteiligt. Mit ihrem Team ermittelt sie im Falle von Cyberattacken gegen deutsche Unternehmen und stellte illegal erlangte Kryptowährungen in dreistelliger Millionenhöhe sicher. Sie vertritt das Bundesministerium der Justiz im European Judicial Cybercrime Network bei Eurojust in Den Haag. Gerade ist ihr Buch Digital. Kriminell. Menschlich. erschienen. © privat » Wenn nicht im Vordergrund steht, was gesagt wird, sondern wer es sagt, erfährt die Aussage eine Entwertung. Es scheint, als würde an vielen Stellen ein ruhendes, verlässliches Fundament fehlen.« »Cybercrime macht schmerzlich sichtbar, wie wenig wir im Griff haben. Und das ist eigentlich eine Chance zusammenzustehen.« Kursbuch: Wie geht’s weiter bei Jana Ringwald, Cyberstaatsanwältin aus Frankfurt und gerade mit ihrem neuen Buch Digital. Kriminell. Menschlich. in vieler Munde? Ringwald: Nun, ich habe ein Buch geschrieben in einer Funktion, die eigentlich keine Bücher schreibt, habe mich positioniert zu unserem Status quo bei der Cybercrime-Bekämpfung und der menschlichen Komponente in der Digitalisierung aus meiner Sicht. Weiter geht es bei mir mit immer neuen Fällen und meinem Beitrag, die Justiz zukunftsfit zu machen. Gleichzeitig lebe ich mitten in einer Zäsur. Ich arbeite in einem Bereich, der verlässlich Rechtssicherheit verleihen soll, was die Menschen auch von uns erwarten dürfen. Aber der ruhende Stein der Justiz ist durch die fortschreitende Digitalisierung in Bewegung gekommen. Es ist eine riesige Chance, aber auch eine riesige Herausforderung. Kursbuch: Wie nimmst du die Gesellschaft um dich herum wahr? Ringwald: Mein Eindruck ist: Angst, Unsicherheit und Desorientierung verbreiten sich in alle Bereiche des Lebens. Wird dies mit schnellen Schlagzeilen, Vereinfachungen und Stereotypen beantwortet, ist mit weiterer Extremisierung zu rechnen. Das hohe Informations- und Datenaufkommen verunsichert Menschen. Die Herkunft von Informationen ist für den Leser oder die Nutzerin nicht mehr nachvollziehbar. Dieser Desorientierung versuchen die Menschen zu begegnen mit etwas, woran sie sich festhalten können. Medial werden den Menschen teils immer kürzere, vereinfachende Formate angeboten. Was auf den ersten Blick nachvollziehbar, aber in Wirklichkeit sehr gefährlich ist. Im gesellschaftlich-politischen Raum nehme ich eine gefährliche Verlagerung wahr. Person und Sache werden oft nicht mehr voneinander getrennt, obwohl es wegen der Informationsdichte so wichtig ist wie nie zuvor. Wenn nicht im Vordergrund steht, was gesagt wird, sondern wer es sagt, erfährt die Aussage eine Entwertung. Es scheint, als würde an vielen Stellen ein ruhendes, verlässliches Fundament fehlen. Kursbuch: Wie lange halten die Medien ihr Vereinfachungsgeschäft durch? Ringwald: Ich glaube, dass es irgendwann Sollbruchstellen geben wird oder dass die bestehenden sichtbar werden. Die Verdrehung aus positiver und negativer Eindeutigkeitswertung führt zwangsläufig zu absurden Ergebnissen. Die Menschen haben den Eindruck, dass sie nicht mehr alles äußern dürfen, ohne Gefahr zu laufen, »abgestempelt« zu werden, und dass die Dinge in ihrer vermeintlichen Einfachheit nicht mehr zusammenpassen oder, anders formuliert, dass sie viel komplexer sind, als sie dargestellt werden. Wir brauchen den ruhigen, besonnenen und offenen Diskurs, in dem Menschen äußern dürfen, wovor sie Angst haben, was sie nicht verstehen und was sie sich wünschen. Kursbuch: Verdecken wir die Augen vor dem, was geschieht? Ringwald: Bei der Wahrnehmung von Cybercrime passiert so etwas. Es ist für viele noch das, was sie vermeintlich nicht betrifft. In Vorträgen sage ich gelegentlich, dass es womöglich ein Cyber 9/11 geben müsste, damit wir endlich die Realität so anerkennen, wie sie ist. Das möchte niemand und der Einzelne nicht wahrhaben, weil die Angreifbarkeit im Cyberraum so unkontrollierbar erscheint. Die Frage, die ich mir stelle, lautet: Wie kommen wir in eine Lage, in der wir auf Augenhöhe sind mit dem, was geschieht, in der wir auch ertragen, was geschieht? Sicherlich nicht durch das Beklagen desolater Zustände, sondern durch menschliche Lösungen in einer digitalen Zeit. Wir erleben eine Zeit der politischen Radikalisierung, was Misstrauen und Grabenkämpfe unter Menschen fördert und diesen Lösungen im Weg steht. Ich bin gespannt, wann sich spürbar etwas ändern wird. Cybercrime nimmt bei alldem die Funktion eines Katalysators ein. Cybercrime macht schmerzlich sichtbar, wie wenig wir im Griff haben. Und das ist eigentlich eine Chance, zusammenzustehen. Kursbuch: Ereignet sich diese Desorientierung auch in Unternehmen? Ringwald: Klar. Die Situation betrifft auch Unternehmen. Nur können sie mehr steuern, als viele denken. Mal ein positives Beispiel. Ich erinnere mich an eine Supermarktkette, die ihren Kunden nach einem Cyberangriff in den Werbeprospekten erklärt hat, dass sie diese Woche keine Milch anbieten könne. Das erzeugte bei den Kunden eine klare Realitätseinschätzung. Sie sahen die Folgen für ihren Kühlschrank. Das verändert etwas in Menschen und setzt Positives frei. Mit der Folge: Die Menschen hatten verstanden und koalierten mit dem Unternehmen nach dem Motto: Dann trinken wir eben eine Woche keine Milch oder greifen zur Hafermilch. Aber wir wollen, dass es diesem Supermarkt wieder besser geht. Die Kundenbindung wurde gestärkt, entgegen der Erwartung vieler. Weil das Unternehmen offen mit einem Angriff und damit offen mit einer Schwäche umgegangen ist. Wer hätte das gedacht? Aus einem schlimmen wurde ein guter Unfall. Kursbuch: Das klingt ja wie … Ringwald: … eine Optimistin, die an eine neue Offenheit glaubt, die weniger angstorientiert ist. Kursbuch: Vor die Lage kommen, nicht hinterherlaufen. Ist das heute noch realistisch? Ringwald: Es scheint, als rennen wir ständig hinterher, aber unterliegen an dieser Stelle auch einem Trugschluss. Diese Welt dreht sich nicht schneller, auch wenn es mehr Daten gibt und sich die Herausforderungen verändert haben. Der Eindruck vieler ist, dass wir früher mehr Zeit hatten, den Dingen zu begegnen. Und wir erklären das mit der Schnelllebigkeit dieser Zeit. Dabei ist diese vermeintliche Geschwindigkeit nicht entscheidend dafür, ob wir heute besonnen und souverän auf die Dinge blicken können. Dass wir glauben, eine KI oder andere Maschinen könnten uns hierbei helfen, ist ein psychologisches Problem. Denn Digitalisierung löst nicht unsere Probleme, sondern sie automatisiert Prozesse. Eine Maschine löst kein Egoproblem, sie stiftet keinen Frieden, kein Verständnis. Mit anderen Worten: Maschinen nehmen uns unsere Probleme nicht ab, was eine gute Nachricht ist. Der Mensch ist immer noch gefragt. Es kommt gerade jetzt auf den Menschen an. Kursbuch: Der Mensch ist wichtiger als die Maschinen – wie weit sind wir davon entfernt? Ringwald: Viele priorisieren technische Lösungen, obwohl von ihnen niemals eine Orientierung kommen wird. Ein Mensch, der glaubt, es gehe nur noch um Geräte und Daten, vergisst, dass er der Entscheider im eigenen Leben ist und bleiben sollte. Viele halten das heute für unmöglich, als wären sie ausgeliefert. Nur wie gelingt das? Unser Grundgesetz beginnt mit einem humanitären Paukenschlag: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Viele Menschen verstehen ihn so, dass man die Würde nicht angreifen darf, wegen des Schreckens des Holocausts, der sich niemals wiederholen darf. Jedoch steht da nicht, dass man sie nicht angreifen darf, sondern dass man sie gar nicht antasten kann. Eine unfassbar starke Aussage: Der Kern eines Menschen, seine Würde, ist unantastbar. Wer das versteht und für sich implementiert, kann aus der Angst heraustreten, Diffusität aushalten und Zeiten des Konflikts unbeschadet überstehen. Diese Unantastbarkeit zu leben, ist ein möglicher Neubeginn für jeden von uns. Kursbuch: Du redest öffentlich über deine Arbeit. Wann und auf welche Weise wurdest du auf diese Weise wirksam? Ringwald: Für eine Staatsanwältin ist es nicht selbstverständlich, in der Öffentlichkeit zu stehen. Erst im Herbst 2021 begann ich, öffentlich über unsere Arbeit zu sprechen, auch darüber, wie sich die Justiz von innen reformieren kann und sollte, und nahm erstmals eine Presseanfrage an. »Dem Journalisten kannst du vertrauen«, ermunterte mich damals unser Pressesprecher. Sein Eindruck bestätigte sich: Der Redakteur hörte zu, wollte verstehen und keine schnelle Schlagzeile. Seither habe ich das Gefühl, mich auch auf mein inneres Judiz verlassen zu können, was den Kontakt nach außen angeht. Der öffentliche Auftritt stellt etwas mit einem Menschen an. In meinen Augen braucht es dafür die Stärke eines inneren Aufgeräumtseins, die auch ich...


Anderl, Dr. Sibylle
SIBYLLE ANDERL (*1981), ist Astrophysikerin und leitet das Wissensressort der ZEIT. Sie ist Mitherausgeberin des Kursbuchs. Zuletzt erschien "Dunkle Materie. Das große Rätsel der Kosmologie."

Nassehi, Armin
Armin Nassehi (*1960) ist Soziologieprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Herausgeber des Kursbuchs und einer der wichtigsten Public Intellectuals in diesem Land. Im Murmann Verlag veröffentlichte er unter anderem »Mit dem Taxi durch die Gesellschaft«, in der kursbuch.edition erschien zuletzt »Das große Nein. Eigendynamik und Tragik gesellschaftlichen Protests«.

Felixberger, Peter
PETER FELIXBERGER (*1960) ist Herausgeber des Kursbuchs und Programmgeschäftsführer der Murmann Publishers. Als Buch- und Medienentwickler ist er immer dort zur Stelle, wo ein Argument ans helle Licht der Aufklärung will. Seine Bücher erschienen bei Hanser, Campus, Passagen und Murmann. Dort auch sein letztes: »Wie gerecht ist die Gerechtigkeit?«

Armin Nassehi (*1960) ist Soziologieprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Herausgeber des Kursbuchs und einer der wichtigsten Public Intellectuals in diesem Land. Im Murmann Verlag veröffentlichte er unter anderem »Mit dem Taxi durch die Gesellschaft«, in der kursbuch.edition erschien zuletzt »Das große Nein. Eigendynamik und Tragik gesellschaftlichen Protests«.

PETER FELIXBERGER (*1960) ist Herausgeber des Kursbuchs und Programmgeschäftsführer der Murmann Publishers. Als Buch- und Medienentwickler ist er immer dort zur Stelle, wo ein Argument ans helle Licht der Aufklärung will. Seine Bücher erschienen bei Hanser, Campus, Passagen und Murmann. Dort auch sein letztes: »Wie gerecht ist die Gerechtigkeit?«

SIBYLLE ANDERL (*1981), ist Astrophysikerin und leitet das Wissensressort der ZEIT. Sie ist Mitherausgeberin des Kursbuchs. Zuletzt erschien "Dunkle Materie. Das große Rätsel der Kosmologie."


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.