E-Book, Deutsch, 248 Seiten
E-Book, Deutsch, 248 Seiten
ISBN: 978-3-8309-7263-1
Verlag: Waxmann Verlag GmbH
Format: PDF
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
Der Band dokumentiert Vorträge und Diskussionen aus den „Dialogen zwischen Kunst und Wissenschaft“ der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover im Wintersemester 2008/09 zu Motivationen und Bedingungen von Musik und Popularität in Geschichte und Gegenwart. Leitende Aspekte dafür waren die Politisierung, Moralisierung, das Gendering und die Kommerzialisierung populärer Musik.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Musik und Popularität. Einführende Überlegungen;8
3;Musikgeschichte für »lange Ohren«? Gedanken zur Geschichtsschreibung nicht nur der populären Musik;26
4;Liebe und Musik. Eine populäre Beziehung im Italien des 16. Jahrhunderts;40
5;Über das Alter der Populären Musik und die Erfindung des ›Volkslieds‹;60
6;Zwischen bürgerlicher Geselligkeit und Popularität. Sozialer Ort und ästhetische Normen des Hamburger Liedes in der Aufklärung;78
7;Zu Populär? Stille Nacht, heilige Nacht und der Kitsch: Alfred Schnittke, Krzysztof Penderecki, Anton Plate;102
8;Virtuosität als Massenphänomen. Das Jahr 1848 in der Musikpublizistik;124
9;Der Crooner, das unbekannte Wesen;146
10;Extreme Metal und Gender. Zur Stimme der Death- Metal-Vokalistin Angela Gossow;168
11;Und täglich grüßt die Nachtmusik. Gedanken über die › Klassik- Hits‹ des Repertoires;188
12;Gedanken über Popmusik für die Gebildeten unter ihren Verächtern. Zum Beispiel: Pet Sounds und Sgt. Pepper;196
13;Auf der Suche nach den »Popularitätsfaktoren« in den Song- Melodien des Beatles- Albums Revolver. Eine computergestützte Feature- Analyse;208
14;Ich bin kein Beatles-Fan – ja, und? Einige persönliche Anmerkungen zum musikästhetischen Diskurs;228
15;Another Clue for You All. Wie die Beatles- Fans das Zuhören lernten;232
16;Autorinnen und Autoren;248
Und täglich grüßt die Nachtmusik (S. 187-188)
Melanie Unseld
Gedanken über die ›Klassik-Hits‹ des Repertoires
Bill Murray alias Phil Connors wacht am 2. Februar morgens in einem Hotelzimmer in der Kleinstadt Punxsutawney/Pennsylvania auf, aus dem Radiowecker tönt I Got You Babe,1 ein Kultsong der Hippiebewegung über ein freies, selbstbestimmtes Leben. Keineswegs frei und selbstbestimmt aber nimmt die Handlung ihren Fortgang: Connors soll wieder einmal für das Fernsehen über den jährlich an diesem Tag stattfindenden Groundhog Day (der deutschen Lichtmess vergleichbar) berichten.
Vor allem aber beginnt am nächsten Morgen wieder der 2. Februar, ebenso am darauffolgenden … Der misanthropische TV-Reporter Connors befindet sich – so wird ihm zunächst qual-, dann zusehends lustvoller bewusst – in einer Zeitschlaufe, die mit immer demselben Song im Radio beginnt. In der US-amerikanischen Filmkomödie Und täglich grüßt das Murmeltier3 aus dem Jahr 1993 beginnt damit auch eine Parabel über den freien Willen. Bezeichnenderweise ist Phil Connors TV-Wetteransager und damit Teil der Medienwelt, die in immergleichen Berichten jährlich über das Ereignis am Groundhog Day berichtet.
Das Immergleiche des jährlichen Murmeltiertages aber spitzt sich zu, wird zum Immergleichen an jedem Tag. Ebenso bezeichnend ist, dass Connors allmorgendlich mit immer demselben Song im Radio geweckt wird, ohne dass ihm, dem Medienfachmann, dies als Beweis genügte, an eine Zeitschlaufe zu glauben. Diese deutliche Medienkritik, das Phänomen des Immergleichen, ist ohne Weiteres auch auf deutsche Verhältnisse zu übertragen, auch auf jene Medien, die so genannte »klassische Musik« verbreiten. Dieser ›Murmeltier-Effekt‹ arbeitet damit einem potentiellen Repertoire entgegen, das angesichts des gegenwärtigen Tonträgermarkts und der Möglichkeiten des Internets von einer Vielfalt geprägt ist, wie sie bislang nicht möglich war.
Die tatsächliche Verengung des Repertoires steht damit der Fülle des Möglichen gegenüber, womit die Frage brisant wird, welche Faktoren zu dieser Verengung des Repertoires führen. Hierauf Antworten zu finden, tangiert medienpolitische und ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle, kulturpolitische und curriculare, (musik)pädagogische und musikhistorische Bereiche. Weit davon entfernt, diese vielfältigen und vielfältig vernetzten Bereiche im Detail angemessen berücksichtigen zu können, verstehen sich die folgenden Überlegungen als Anstöße, über historische Hintergründe dieser kulturellen Verengung ebenso nachzudenken wie über die Notwendigkeit, aus dieser Zeitschlaufe einen Ausweg zu finden.