10 Bausteine für eine wertschätzende Teamentwicklung
E-Book, Deutsch, 127 Seiten, E-Book
ISBN: 978-3-7910-5436-0
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bernhard Muhler ist Betriebswirt und systemischer Organisationsentwickler. Als selbstständiger Unternehmensberater arbeitet er schwerpunktmäßig in den Gebieten Organisationsentwicklung, Change Management und Strategie.
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1 Eine Einleitung
1.1 Die zunehmende Bedeutung von Teams sowie stärken- und dialogorientierter Ansätze in der Teamentwicklung
«What would happen if we studied what was right with people versus what’s wrong with people?«
Clifton/Harder 2019, S. 57
Das Umfeld von Organisationen und damit auch von Teams befindet sich in einem ständigen und sich beschleunigenden Veränderungsprozess im Kontext einer immer komplexer werdenden Welt – u. a. durch unvorhersehbare Ereignisse, wie der aktuellen Corona-Pandemie, aber auch durch die Veränderung von Ansprüchen der Kundinnen und Kunden, Lieferanten oder Mitarbeitenden, die schneller werdende Abfolge von technischen Neuerungen etc.
Abb. 1.1: Die veränderten Rahmenbedingungen (eigene Darstellung)
Diese angeführten Entwicklungen und Veränderungen (VUKA-Welt) werden für Führungskräfte und deren Mitarbeitenden immer schwerer kalkulierbar und erfordern an diese Situation angepasste Konzepte und Vorgehensweisen (siehe Abb. 1.1). Zur Charakterisierung dieser Unkalkulierbarkeit der Umwelt und der Unvorhersagbarkeit zukünftiger Entwicklungen einhergehend mit dynamischen Umweltbeziehungen von Organisationen eignet sich der Begriff »Turbulenz«. »Turbulenz ist ein Begriff für Rückkopplungen, denen man nicht ansieht, wo sie herkommen.« (Baecker 1994, S. 22) Hierbei scheint die Frequenz dieser Veränderungen weiter zuzunehmen, wie bereits Boos, Heitger und Hummer 2004 anführten:
»Auch wenn es kaum vorstellbar ist – Tempo und Umfang von Veränderungen in Organisationen nehmen weiter zu: Politik, die Eigendynamik der Märkte, die Anforderungen der Finanzmärkte, die Technologieentwicklung und das bestehende Forschungspotential, all dies sorgt für Beschleunigung. Dies führt zur weiteren Deregulierung und Liberalisierung der Märkte, zu Neudefinitionen von Branchengrenzen, und das vorhandene Potential der Forscher und Ingenieure (80 % aller jemals lebenden Wissenschaftler leben heute) wird immer neue Innovationen hervorbringen […] Damit ist auch unser Verständnis von Veränderung im Umbruch: Wandel ist kein Übergangsstadium auf dem Weg zu einem (neuen oder alten) Gleichgewicht. Auf Wandel folgt Wandel.«
Boos et al. 2004, S. 13.
Als Folge hieraus ist zu konstatieren, dass Komplexität zugleich Dauerzustand und Bestandsbedingung moderner Unternehmen und Teams darstellt. Dies wird auch durch die Erkenntnisse von Berger (2014) unterstützt. Er hat in seinen Untersuchungen festgestellt, dass die aktuelle Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung die menschliche Anpassungsfähigkeit übersteigt (s. Abb. 1.2). Demgegenüber »scheinen wir Menschen eine starke Tendenz zu haben, uns die Zukunft als Fortschreibung der Gegenwart vorzustellen.« (Dörner 1989, S. 190)
Abb. 1.2: Ausmaß der (technologischen) Veränderung und der menschlichen Anpassungsfähigkeit (eigene Darstellung in Anlehnung an Friedman 2017)
Im Kontext dieser Wandlungen der inneren und äußeren Rahmenbedingungen wachsen die Anforderungen an die Mitarbeitenden sowie die Unternehmen. Führungskräfte stehen somit täglich vor der Herausforderung, Organisationen und deren Mitarbeitenden sowie die von ihnen gestalteten Abläufe mit den veränderten Zielen und Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen (vgl. Ellebracht et al. 2003, S. 5). Dieser permanente Wandel führt dazu, dass Organisationen und damit auch Teams sich mit einer entsprechenden Dialog- und Partizipationskultur auf mögliche zukünftige Entwicklungen vorbereiten und ihre internen Gestaltungsprinzipien und Prozesse adaptieren müssen. Um Wahrnehmungsroutinen und tradierte Handlungsmuster aufzubrechen, erscheinen allgemeine Standardlösungen immer weniger brauchbar bzw. zweckmäßig (vgl. Rodler/Kirchler 2002, S. 60). Vielmehr gilt es, durch ungewohnte Elemente und konstruktive Dialoge gemeinsam mit dem Team neue Optionen sichtbar zu machen sowie die Energie im System zu deblockieren.
Mitarbeitende möchten beteiligt werden, anstatt betroffen zu sein. Hierfür sind die Mitarbeitenden und Teams in den gesamten Veränderungsprozess zu integrieren sowie das entsprechende Wissen der Mitarbeitenden zu nutzen. Die Integration der Mitarbeitenden führt zum einen zu einer höheren Motivation und Verantwortungs-übernahme bei den Betroffenen und sichert zum anderen die Identifikation der Mitarbeitenden mit den erarbeiteten Lösungen. Dies fördert damit wiederum deren Umsetzungswahrscheinlichkeit, erhöht aber auch die Komplexität sowie den Anspruch an die Prozesssteuerung. Führung und Teamprozesse müssen somit zukünftig agiler, partizipativer, vernetzter und offener sein. Menschen wollen sich verändern, jedoch nicht verändert werden.
Der Dialog wird zum Kernprozess zukunftsgerichteter Organisationen und Teams
Baldwin definiert einen derartigen dialogorientierten Ansatz als »die aktive Nutzung von Gesprächen als Kernprozess, um die für den Aufbau von wirtschaftlichem und sozialem Wert notwendige Teamintelligenz zu schaffen« (Hurley/Brown 2010, S. 38). Insbesondere bei der Bearbeitung von komplexen Fragestellungen, wie sie häufig z. B. im Zusammenhang mit Fragen der Organisations- und Teamentwicklung auftauchen, und wenn positive Entwicklung und Wandel erlebt und gefördert werden sollen, sind neue Formen des gemeinsamen Denkens unabdingbar. Gelingt es den beteiligten Personen, derartige Gespräche als einen zentralen Kernprozess, der eine positive Weiterentwicklung und Veränderung herbeiführt, zu implementieren und zu nutzen, so findet nicht nur eine Vermehrung von intellektuellem und sozialem Kapital im Team bzw. in der Organisation statt, sondern es entsteht auch ein Wettbewerbsvorteil in einer zunehmend vernetzten Welt.
Es bedarf eines bestimmten Blicks, eines bestimmten Denkmusters und bestimmter Tools, die heute notwendig sind, wenn wir auf die größtenteils komplexen Fragestellungen eine befriedigende Antwort finden wollen. Alle Mitglieder einer Organisation bzw. eines Teams müssen somit kontinuierlich sowohl im als auch am System selbst arbeiten und Verantwortung für die Veränderungs- und Entwicklungsprozesse übernehmen. Wenn wir also positiven Wandel erleben und fördern wollen, brauchen wir hierfür neue Formen des gemeinsamen Denkens:
«Unfortunately, industrial age principles have left behind a legacy of antiquated mindsets that have many of us stuck still believing that change is something to be managed. But today we know that our environments are prone to ambiguity, complexity and ongoing disruptions. So rather than trying to manage change as a discrete event with a clear beginning, middle and end, we need to embrace the reality that in most situations change is an ongoing process of doing, learning and pivoting.«
Godwin 2020
Der Neurobiologe Humberto Maturana weist darauf hin (Hurley/Brown 2010, S. 39), dass wir in der Sprache leben – und in der komplizierten Koordination aller Handlungen, die Sprache erst möglich machen. Schon zu einer Zeit, da unsere frühesten Vorfahren rund um das Feuer saßen und sich ausgetauscht haben, war das Gespräch unser wichtigstes Mittel, um gemeinsame Interessen zu entwickeln, Wissen auszutauschen, sich die Zukunft auszumalen und Ansätze für die gegenseitige Hilfe und Unterstützung zu entwickeln, die letztlich dem Überleben dienten. In all den Zusammenkünften »gestalten wir eine neue Welt« (um Maturanas Ausdrucksweise zu gebrauchen, ebd.).
Der Umgang mit und die Gestaltung von derartigen Team- und Veränderungsprozessen wird somit immer mehr zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor für Unternehmen, wenn man bedenkt, dass ca. 70 % aller Veränderungsprojekte nicht die erwarteten Ziele erreichen. Aus ihrer Meta-Analyse haben Bushe und Kassam die folgenden Erkenntnisse gewonnen:
«(…) cases that followed the 4-D-cycle [siehe hierzu Kapitel 3 des vorliegenden Buches] and the five principles, over 90 percent were successful change efforts. This is a big number when contrasted with research by Professor John Kotter at Harvard University who has concluded that in other kinds of change efforts – not guided by AI[1] – there is a failure rate of nearly 75 percent.«
Bushe/Kassam 2005, S. 161 ff.
Basierend auf unseren praktischen Erfahrungen aus diversen Team- und Veränderungsprojekten sind es nicht das Ausmaß und die Menge an Veränderungen, welche die Betroffenen verzweifeln oder »aufblühen« lassen, sondern vielmehr die Art und Weise, wie Veränderungen im Unternehmen angegangen werden. Teams und Unternehmen, die hierbei auf vorhandene Stärken bauen, Fragen stellen, die...