E-Book, Deutsch, Band 3, 172 Seiten
Müller / Rösner / Ullrich Ein Viertelstündchen Frankfurt – Band 3
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-948486-01-3
Verlag: CharlesVerlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kurzgeschichten von bekannten Autoren aus der Region, im Wechsel mit Texten zu Stadtgeschichte und Moderne
E-Book, Deutsch, Band 3, 172 Seiten
Reihe: Ein Viertelstündchen Frankfurt
ISBN: 978-3-948486-01-3
Verlag: CharlesVerlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Warum man besser zum Augenarzt geht, bevor man seine Liebe am Eisernen Steg beendet, weiß Iris Rösner, weshalb eine Radtour um Frankfurt eine wunderbare Idee ist, erfährt man von Andreas Heinzel und wieso Frankfurt einen neuen König benötigt, weiß Meddi Müller. Woher die Straßen ihre Namen haben, erklärt Tim Frühling und wie hart umkämpft der Frankfurter Wohnungsmarkt ist, erzählen uns Ivonne Keller und Daniel Holbe in ihrer Geschichte. Susanne Reichert löst endlich das Nilgans-Problem und Eva Lirot zeigt uns, wie ein Auftragskiller seiner Arbeit nachgeht. Ralf Schwob bejubelt nochmal den Pokal und Lutz Ullrich erklärt uns, warum eine Tiefkühltruhe nicht immer die beste Wahl ist. Zwischen all dem erfahren Sie Wissenswertes und Erstaunliches über unsere wunderbare Stadt am Main.
Eine Menge Stoff, denken Sie? Das packe ich nie! Kein Problem ... alle Texte sind innerhalb einer Viertelstunde lesbar und es fehlt dabei an nichts.
Ein Buch, das von Frankfurtern für Frankfurter und welche, die gerne Frankfurter sein wollen, geschrieben wurde oder für diejenigen, die ihren Freunden und Verwandten Frankfurt ein kleines Stückchen näher bringen möchten.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Auf das Leben! Eine Kurzgeschichte von Iris Rösner »Tu es nicht«, ruft eine tiefe Baritonstimme. Mit langen Schritten läuft ein großgewachsener Mann mit dunklen, gepflegten Haaren über den Eisernen Steg. »Da unten liegt bereits genug Müll und als Fischfutter eignet er sich nicht.« Alex lässt den Arm sinken. Der goldene Ehering wiegt schwer in seiner Hand. Unter ihm fließt der Main, auf dem zwei Schwäne treiben. Im strahlenden Sonnenlicht flanieren frisch verliebte Pärchen, küssend und Händchen haltend, an ihm vorbei. »Was machst du hier?«, fragt Kai ihn vorwurfsvoll. »Eben saßen wir noch im ›Atschel‹ und plötzlich warst Du verschwunden. Ich dachte, heute lassen wir die Sau raus. Du bist wieder frei. Ein Grund zum Feiern!« Direkt vor ihm kommt Alex’ bester Freund, im Business-Outfit unter dem Trenchcoat gekleidet, zum Stehen. »Ich musste an die frische Luft. Nachdenken.« »Und hast mich mit der Zeche hängen lassen.« Alex betrachtet den Ring in seiner mit Schwielen übersäten Hand. Das Schmuckstück ist gerade einmal vier Jahre alt. Länger hat seine Ehe nicht gehalten. Dann ist Kim ihrer »wahren Liebe über den Weg gelaufen. Das musst du doch verstehen, Alex«, klingen ihm die Worte seiner Ex-Frau noch in den Ohren. Alex lehnt seinen muskulösen Oberkörper an die schmiedeeiserne Konstruktion der Brücke. Seit 1869 befindet sich an dieser Stelle der Eiserne Steg, 1912 vergrößert, nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut und 1993 grundlegend saniert. Unter seinen schwarzen Schuhen spürt er die Schwingungen der Brücke. Der Eiserne Steg ist nicht nur ein beliebtes Fotoobjekt bei Touristen, um die Frankfurter Skyline optimal in Szene zu setzen. Auch Verliebte flanieren über die Brücke, um ein Schloss mit ihren Initialen am Geländer zu befestigen. Und anschließend landet der Schlüssel im Main. Kai hat recht, da unten liegt bereits genug Müll. Alex reißt sich die Krawatte vom Hals und öffnet den obersten Hemdknopf. Hinter dem Dom, der von der Brücke aus zu sehen ist, liegt der Frankfurter Römer mit seinem Standesamt. Dort hatte er »Ja« zu Kim gesagt. Anschließend hängten sie ihr Schloss an das Frankfurter Wahrzeichen und versenkten den Schlüssel. »Ich hasse diese verlogenen Schlösser. Gaukeln einem die ewige Liebe vor. Doch nur einen Flugkapitän später ist die Ehefrau weg.« Zornig tritt Alex gegen die vollgehängten Streben der Brücke. Dabei trifft er den Eisenpfeiler und flucht lautstark, während er auf einem Bein auf und ab hüpft. Kai legt ihm den Arm um die Schulter und zaubert aus der Jackentasche einen Flachmann. »Nimm einen Schluck und entspann’ dich. Was glaubst du, wie viele dieser einst romantischen Liebesbeziehungen heute noch Bestand haben?« Alex setzt den Flachmann ab, kratzt sich am roten Vollbart und schiebt nachdenklich die Brille nach oben. »Du hast recht. Ich wette mit dir, dass mehr als die Hälfte dieser Schlösser im Rausch der ersten Verliebtheit aufgehängt worden sind.« Zornig stampft er mit dem Fuß auf: »Das sind keine Schlösser der ewigen Liebe. Das sind Lügenschlösser.« »Reg dich nicht auf, nur weil Kim jetzt über den Wolken schwebt, anstatt mit dir über die Campingplätze zu gondeln.« Alex richtet sich zu seiner vollen Größe von zwei Metern auf und strafft die Schultern. Akribisch fängt er an, den Eisernen Steg entlang zu laufen. Mit seinen Augen scannt er die einzelnen Vorhängeschlösser ab, während er leise murmelt: »Hier muss es irgendwo stecken.« »Was suchst du?« »Das Schloss«, antwortet er, ohne sich Kai zuzuwenden, »unser Schloss. Kim und Alex, 15.05.2015. Keine Verliebtheit, echte Liebe, der Tag unserer Hochzeit.« »Lass doch das blöde Vorhängeschloss. Findest du doch sowieso nicht. Schau dir mal die Masse an, die hier hängt.« »Klar finde ich es. Ich habe an unsere Liebe geglaubt, wollte mit Kim durchs Leben gehen. Bis ans Ende.« Alex seufzt. »Freu dich doch. Jetzt bist du frei. Verkauf den Ehering, verkauf das Wohnmobil. Leg dir ein Motorrad zu und cruise durch die Staaten oder wo immer du einen Strich unter deine Scheidung ziehen kannst.« »Aber zuerst muss ich meine eigene Lüge von dieser Brücke entfernen.« »Echt jetzt?«, fragt Kai skeptisch, »Du hast noch den Schlüssel? Schmeißt man den nicht in den Main, als Zeichen der ewigen Verbundenheit?« »Natürlich habe ich den Schlüssel nicht mehr. Trotzdem muss ich zuerst das verdammte Schloss finden«, erwidert Alex und nimmt einen großzügigen Schluck aus dem Flachmann. Das Zeug ist gut. Bestimmt einer von Kais Whiskeys. Keine Massenware, sein bester Freund legt Wert auf Qualität. Und die haut rein. Vielleicht war auch der Bembel Ebbelwoi an Alex’ leicht schwirrendem Kopf schuld. Nach Essen war ihm nach dem Scheidungstermin nicht zumute gewesen, eher nach flüssiger Nahrung. Daher scheinen die Türme der Banken jetzt leicht im Wind zu schwanken. Oder spürt er lediglich die Schwingungen der Brücke? Alex nimmt einen weiteren Schluck und fängt an, die Brücke nach dem Vorhängeschloss abzusuchen. »Echt jetzt?«, mault Kai, »ich dachte, wir ziehen noch durch die Sachsenhäuser Kneipenlandschaft und machen anschließend die Nachtclubs unsicher.« »Bist du mein Freund? Ein wahrer Freund?« Kai nickt. »Dann fang an zu suchen. Vorher gehe ich nirgendwo hin. Erst muss diese Lüge verschwinden.« »Kannst du dich wenigstens daran erinnern, wo ihr das verdammte Schloss nach eurer Hochzeit aufgehängt habt? Hipp de Bach oder dripp de Bach?« »Kommt das nicht auf den Standpunkt an?« »Also, wo jetzt?«, nörgelt Kai, schnappt sich den Flachmann und kippt sich den Rest in den Mund. Alex kratzt sich am Bart. »Ich glaube, eher Richtung Römer. Wir kamen immerhin von unserer standesamtlichen Hochzeit. Aber du warst doch dabei.« Kai zuckt unschuldig mit den Achseln, murmelt etwas von »hübsche Brautjungfer« und läuft entschlossen in Richtung Altstadt, während er den Flachmann in die Höhe hält und Alex zuruft: »Ich hole mal ein wenig Nachschub und dann fange ich von dieser Seite an zu suchen. Starte du schon einmal von deinem Standpunkt aus.« Alex atmet einmal tief ein, wendet sich von der Skyline ab, dreht sich in Richtung Dom und beginnt mit der Suche. Schloss für Schloss nimmt er in die Hand und liest die Inschrift. Einige hängen hier schon sehr lange. Ob die Eigentümer der Vorhängeschlösser noch zusammen sind? Ein tröstlicher Gedanke. Aus diesem Grund muss sein Lügenschloss die Brücke verlassen. Wäre jedes Paar, dessen Beziehung gescheitert ist, so konsequent, wäre die Brücke nicht derart überladen. »Suchst du nicht auf der falschen Seite? Ich dachte, ihr habt es in Richtung Skyline aufgehängt?«, ruft Kai über den Eisernen Steg hinweg. »Ich weiß nicht«, brüllt Alex, »komm her und such auf der anderen Brückenseite. So viele Schlösser mit der Inschrift ›Kim und Alex, 15.05.2015‹ kann es ja nicht geben.« Gemeinsam arbeiten sich die beiden Freunde durch die Vorhängeschlösser. Kritisch von den vorbeilaufenden Passanten beäugt, abwechselnd aus dem Flachmann trinkend. Wolken setzen sich vor die herabsinkende Sonne und ein frischer Wind sorgt für kalte Finger, während die zwei Männer jedes einzelne Vorhängeschloss in die Hand nehmen, um die Inschrift zu lesen. »Gefunden!«, ruft Alex nach einer guten Stunde des Suchens, »ich habe das elende Stücke Eisen gefunden. Dem mache ich jetzt den Garaus.« Alex zieht das Jackett aus und zerrt energisch am Schloss. Seine muskulösen Oberarme füllen die hochgekrempelten Ärmel des Hemdes. Die Finger laufen rot an. Doch das Vorhängeschloss bewegt sich keinen Millimeter. Eine asiatische Reisegruppe bleibt neugierig stehen und zückt die Kameras, während Alex die Füße rechts und links des Schlosses platziert und erneut all seine Kraft zum Einsatz bringt. Die Oberarmmuskulatur füllt sich, die Oberschenkel zittern vor Anspannung und die Füße verlieren den Halt. Unter lautem Gejohle der Reisegruppe fällt Alex hart auf den Boden der Brücke. »Oh Mann Alex«, meint Kai, »mit brachialer Gewalt wird das nichts. Du musst mit Fingerspitzengefühl an die Sache herangehen.« Alex wischt sich den Schweiß von der Stirn und nimmt einen Schluck aus dem Flachmann, den Kai ihm anbietet. Gemeinsam sitzen sie auf dem Boden, den Rücken an die Brüstung gelehnt. Es ist unbequem, die vielen Schlösser drücken im Rücken. Die vorbeieilenden Passanten betrachten sie misstrauisch. Eine weitere asiatische Reisegruppe schlendert an ihnen vorbei und macht eifrig Fotos von den zwei Freunden. »Wir sind ja ein tolles Aushängeschild für die Touristen«, sinniert Kai. »Scheiß auf die ollen Touris«, lallt Alex, »überall stolpert man über die ewig lächelnden Gelbgesichter.« »Das ist raschis, rassisch … ach, du weißt schon. Du bist nicht nett zu Fremden.« »Ist ja auch keiner nett zu mir. Kim war nicht nett zu mir. Die ist jetzt weg. Mit einem Piloten. Wahrscheinlich ein chinesischer Pilot. Ich hasse Piloten.« Ein Obdachloser läuft an ihnen vorbei. »Prost, Bruder. Alle sind gemein zu uns«, ruft ihm Alex zu. Prompt lässt sich der Landstreicher neben sie auf den Boden fallen, kramt eine Flasche billigen Wodka hervor und prostet ihnen zu. »Hast du ’ne Idee, wie wir ein Schloss knacken können?«, fragt...