E-Book, Deutsch, Band 77, 238 Seiten
Müller Mit Marx in eine bessere Gesellschaft
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8288-6372-9
Verlag: Tectum
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Über die Nutzlosigkeit von Geldreformen im kranken Kapitalismus
E-Book, Deutsch, Band 77, 238 Seiten
Reihe: Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag
ISBN: 978-3-8288-6372-9
Verlag: Tectum
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Wenn in der kapitalistischen Gesellschaft soziale Probleme auftreten, wird dem in der Regel mit monetären Reformvorschlägen entgegengetreten. Aber kann das überhaupt funktionieren? Alfred Müller zeigt an drei Beispielen, dass die Begrenzung auf das Geld und den Staat an den Problemursachen meist vorbeigeht. Die kranke kapitalistische Gesellschaft lässt sich auf Dauer weder durch Geldreformen noch durch die Staatsregulierung heilen, es müssen andere Mittel ergriffen werden. Müller erklärt, warum und wie Transformationsschritte in Richtung einer alternativen, besseren Gesellschaft veranlasst werden müssen. Denn genau hier liegt nach Marx die Hauptaufgabe der Arbeiter- und Protestbewegung - im Gegensatz zur Vermischung von Ideen von Keynes oder Gesell zur Rettung des Kapitalismus.
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1;Cover;1
2;Impressum;5
3;Inhaltsverzeichnis;6
4;Einleitung;10
5;Marx kontra Keynes;14
5.1;1 Unterschiedliche Wege zur Ökonomie;16
5.2;2 Keynes’ Marx-Bewertung;20
5.3;3 Keynes’ Marx-Kenntnisse;26
5.4;4 Keynes und Marx zum Kapitalismus;30
5.4.1;4.1 Systembestimmung;30
5.4.2;4.2 Geldwirtschaft;33
5.4.3;4.3 Unternehmerwirtschaft;37
5.4.4;4.4 Profitorientierung;39
5.4.5;4.5 Lohnarbeit;42
5.5;5 Keynes und Marx zum Profit;45
5.6;6 Keynes und Marx zum Wirtschaftsgleichgewicht;57
5.7;7 Modellannahmen bei Keynes und Marx;65
5.8;8 Keynes und Marx zur Geld- und Zinstheorie;70
5.9;8.1 Keynes’ Geld- und Zinstheorie;70
5.10;8.2 Marx’ Geld- und Zinstheorie;84
5.11;9 Keynes und Marx zur Arbeitslosigkeit;103
5.12;10 Keynes und Marx zur Konjunkturtheorie und - politik;119
5.13;11 Keynes und Marx zur Stagnationstheorie;124
5.13.1;11.1 Keynes’ Stagnationstheorie;124
5.13.2;11.2 Marx’ Stagnationstheorie;130
5.14;12 Keynes und Marx zur Staatstheorie;134
5.14.1;12.1 Keynes’ Staatstheorie;134
5.14.2;12.2 Marx’ Staatstheorie;137
5.15;13 Bedeutung der Psychologie bei Keynes und Marx;142
5.16;14 Integration von Keynes und Marx;146
5.17;15 Zusammenfassung;150
6;Marx kontra Gesell;152
6.1;A. SILVIO GESELL;154
6.2;B. GESELLS FREIWIRTSCHAFTSLEHRE;156
6.2.1;1 Die Natürliche Wirtschaftsordnung;156
6.2.2;2 Geldbestimmung;159
6.2.3;3 Geldfunktionen;159
6.2.4;4 Geldzins;160
6.2.5;5 Arbeiter;163
6.2.6;6 Lohn;164
6.2.7;7 Gewinn;166
6.2.8;8 Volkseinkommen und Einkommensverteilung;168
6.2.9;9 Ökonomische Ausbeutung;169
6.2.10;10 Klassenverhältnis;169
6.2.11;11 Arbeitskampf;170
6.2.12;12 Wesensmerkmale und historische Entwicklung des Kapitalismus;171
6.2.13;13 Funktionsweise der Marktwirtschaft;172
6.2.14;14 Ursachen der zyklischen Wirtschaftskrisen;173
6.2.15;15 Arbeitslosigkeit;175
6.2.16;16 Stagnation;175
6.2.17;17 Überwindung des Kapitalismus;175
6.2.18;18 Staat im Kapitalismus und in der natürlichen Wirtschaftsordnung;177
6.3;C. GESELLS KRITIK AN MARX;180
6.4;D. MARXISTISCHE KRITIK AN GESELL;182
6.4.1;1 Oberflächliche Marx-Kenntnisse;182
6.4.2;2 Kritik an Gesells Laissez-faire-Marktwirtschaft;182
6.4.3;3 Kritik an Gesells ahistorischem Ansatz;185
6.4.4;4 Kritik an Gesells Geld- und Zinstheorie;185
6.4.4.1;Oberflächliche Analyse der Geldhaltungsaufgabe;186
6.4.4.2;Mangelhafte Berücksichtigung der Lagerhaltungskosten des Geldes;190
6.4.4.3;Verwechslung von Geldhaltungsursache und –wirkung;190
6.4.4.4;Überschätzung der staatlichen Steuerungsmöglichkeit der Geldmenge;191
6.4.4.5;Fehlende Existenz des Urzinses;192
6.4.4.6;Nichtberücksichtigung der Bankengeldschöpfung;193
6.4.4.7;Fehlende fundierte Erklärung der Zins- und Profitherkunft;194
6.4.4.8;Mangelhafte Erklärung des Zinsverhältnisses;198
6.4.4.9;Fehlender zinsbedingter Wachstumszwang;198
6.4.4.10;Wirkungslosigkeit der Geldhaltegebühr;200
6.4.4.11;Zinsprobleme in der Freiwirtschaft;202
6.4.4.12;Irrige Erklärung der Erweiterungs-Investitionsfinanzierung in der Freiwirtschaft;203
6.4.4.13;Marx zur gesellschen Zins- und Geldtheorie;203
6.4.5;5 Kritik an Gesells Wert- und Preistheorie;204
6.4.6;6 Kritik an Gesells Produktionsmittelvermietungstheorie;206
6.4.7;7 Kritik an Gesells Ausbeutungstheorie;207
6.4.8;8 Kritik an Gesells Lohntheorie;208
6.4.9;9 Kritik an Gesells Klassentheorie;209
6.4.10;10 Kritik an Gesells Abschaffung des Schmarotzertums;212
6.4.11;11 Kritik an Gesells Arbeitskampftheorie;212
6.4.12;12 Kritik an Gesells Transformationsstrategie;213
6.4.13;13 Kritik an Gesells Kapitalismusbestimmung und –entstehung;213
6.4.14;14 Kritik an Gesells Krisentheorie;215
6.4.15;15 Kritik an Gesells Arbeitslosigkeitserklärung;215
6.4.16;16 Kritik an Gesells Menschen- und Gesellschaftsbild;216
6.4.17;17 Kritik an Gesells Anarchismusvorstellung;219
6.4.18;18 Kritik an Gesells Forderung nach Abschaffung sozialer und medizinischer Sicherungssysteme;222
6.4.19;19 Kritik an Gesells Forderung der Bodenverstaatlichung;222
6.4.20;20 Kritik an Gesells Freihandelsforderung;224
6.4.21;21 Kritik an Gesells ausbleibender Marktvermachtung;226
6.5;E. FOLGEN DER GESELL - FREIWIRTSCHAFTFÜR DIE GEGENWART;228
6.6;F. INTEGRATION VON GESELL UND MARX;230
7;Simons Wunderwelt;232
8;Schlussbetrachtungen;238
9;Literatur;240
2Keynes’ Marx-Bewertung Trotz der ihnengemeinsamen Kritik an der Neoklassik war Keynesein Marx-Gegner. Der marxistische Sozialismus sei, so Keynes, „eine unlogische und langweilige Lehre“. Er sei gekennzeichnet durch „logische Trugschlüsse“ und ein „Beispiel der Gedankenarmut, der Unfähigkeit, einen Vorgang zu analysieren.“16 „How can I accept a doctrine”, betonte Keynes, “which sets up as itsbible, above and beyond criticism, an obsolete economic textbook which I know to be not only scientifically erroneous but without interest or application for the modern world?” (Wie kann ich eine Lehre akzeptieren, dieals ihre Bibel, jenseits jedweder Kritik und darüber hinaus, ein veraltetes ökonomisches Lehrbuchfestlegt, von dem ich weiß, dass es nicht nur wissenschaftliche Irrtümer enthält, sondern dass es für die moderne Welt uninteressant und nicht auf sie anwendbar ist?). „How can I adopt a creed which, preferring the mud to the fish, exalts the boorish proletariat above the bourgeois and the intelligentsia who, with whatever faults, are the quality in life and surely carry the seeds of all human advancement?“(Wie kann ich ein Glaubensbekenntnis übernehmen, das den Schlamm dem Fisch vorzieht und das rüpelhafte Proletariat über die bürgerliche Intelligenz verherrlicht, die doch, welche Fehler sie auch immer haben, das Leben lebenswert machen und sicherlich den Keim allen menschlichen Fortschritts tragen?).17 1933 lobte er zwar Marx, weil dieser in seiner Wirtschaftstheorie die Geldwirtschaft einbezogen, die Unterschiede zwischen der Natural- und der Geldwirtschaft sowie zwischen der Waren- und der Kapitalzirkulation verstanden und die Krisenhaftigkeit des Systems erkannt habe.18 Diese punktuelle wirtschaftstheoretische Anerkennung änderte aber nichts an seiner grundsätzlichen Marx-Ablehnung. 1935 bezeichnete Keynes in einem Brief an George Bernard Shaw „Das Kapital“von Marx als „dreary, out-of-date, scientifically erroneous“(langweilig, überholt, wissenschaftlich falsch).19 Für ihn waren seine Gefühle über „Das Kapital“ „the same as my feelings about the Koran” (dieselben wie meine Gefühle über den Koran) (CW 28, S. 38). Keynes Ziel war es, mit seiner Neukonzeption der Makrotheorie „the Ricardian foundations of Marxism“(die ricardianischen Fundamente des Marxismus) (CW 28, S. 42) unter ihm wegzureißen („to knock away“).1936 schrieb er in seinem Hauptwerk, der AT: „Der Zweck des Buches als Ganzes kann als die Aufstellung eines antimarxistischen Sozialismus beschrieben werden,[…] auf theoretischen Grundlagen aufgebaut, die von jenen von Marx grundverschieden sind, indem sie sich auf eine Verwerfung statt auf eine Annahme der klassischen Hypothesen stützen, und auf eine Entfesselung des Wettbewerbs, statt auf seine Abschaffung. Ich glaube, dass die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird“(AT, S. 300). Als seine Schülerin Joan Robinson ihr Buch „An Essay on Marxian Economics“ herausbrachte, schrieb ihr Keynes 1942:„I am left with the feeling, which I had before on less evidence, that he [Marx, AM] had a penetrating and original flair but was a very poor thinker indeed.“20 (Ich bleibe mit dem Gefühl zurück, das ich schon vorher anhand von weniger Indizien hatte: dass er [Marx, AM]einen durchdringenden und originellen Spürsinn hatte, aber in der Tat ein sehr schwacher Denker war). Woraus resultierte die grundlegende keynessche Marx-Abneigung? Hierfür gibt es mehrere Gründe21 : –Als Cambridge-Absolvent gehörte Keynes zu den Anhängern der Neoklassik. Für Marx waren die Neoklassiker Apologeten des Kapitals. –Keynes sah sich als Vertreter des gebildeten Bürgertums22, der Bevölkerungsminderheit. Marx war ein Vertreter der abhängig Beschäftigten, der Bevölkerungsmehrheit. –Keynes war Befürworter der Eugenik23, einer Elitenlehre, die die Bevölkerung in wenige Höher- und viele Minderwertige aufteilt. Marx lehnte diese Lehre ab. Er unterschied die Bevölkerung nach Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnissen. –Nach Keynes sollte die geistige Elite die politischen Maßstäbe vorgeben, da die Durchschnittsperson unmündig sei, keine klare Meinung über die komplexen Zusammenhänge und keine Urteilsfähigkeit habe.24 Marx setzte sich für die Herrschaft des Volkes ein. –Keynes Ziel war es, klassenneutral „die Menge des Guten im Universum zu maximieren.“25 Marx kämpfte für die Emanzipation der Unterdrückten. –Keynes war als erfolgreicher Börsenspekulant26 und Staatsbeamtersehr wohlhabend und daher eng mit der herrschenden Wirtschaftsordnung verflochten. Marx dagegen wurde politisch verfolgt, war als Erwerbstätiger zeitlebens armund überlebte nur mit finanzieller Unterstützung, vor allem seines Freundes Engels. –Keynes übernahm von Marshall, vom Bloomsbury-Kreis27 und aus der Erfahrung der Aufschwungsperiode von 1860 – 191328 die Vorstellung, dass im Kapitalismus die materiellen Lebensbedürfnisse weitgehend erfüllbar seien. Marx betonte neben der kapitalistischen Reichtumsentwicklungstets die parallel verlaufende Verelendung und Verarmung vieler. –Keynes warkein Freund der Demokratie.29 Marx dagegen setzte sich für eine umfassende Demokratie30 ein. –Keynesschätzte das Privateigentum an Produktionsmitteln31, Marx forderte seine Aufhebung.32 –Keynessah nicht im Privateigentum an Produktionsmitteln die Ursache der größten wirtschaftlichen Übel, sondern in Risiken, Unsicherheit und Unwissenheit.33 Für Marx dagegen war das kapitalistische Privateigentum an Produktionsmitteln die Quelle der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Übel.34 –Keynes sah „keinen Grund anzunehmen, dass das bestehende System die in Gebrauch befindlichen Erzeugungsfaktoren ernstlich fehlbeschäftigt“ (AT, S. 320). Nach Marx führen die vielfältigen systembedingten Krisen und die Massenarbeitslosigkeit zur Ineffizienz und zur erheblichen Ressourcenverschwendung. –Keynes sah die Lösung der wirtschaftlichen Probleme im klugen Nachdenken der Staatsvertreter.35 Marx erkannte im Klassenkampf die Lösung. –Keynes lehnte im Gegensatz zu Marx Klassenkampf und Gewerkschaften ab36 undsetzte sich für die Verknüpfung von Staatsregulierung und„Ausübung der privaten Initiative“ sowiedas „freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte“ (AT, S. 320) ein37, für ein „regime which deliberately aims at controlling and directing economic forces in the interests of social justice and social stability“ (eine Ordnung, die absichtlich darauf zielt, wirtschaftliche Kräfte im Interesse von sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Stabilität zu kontrollieren und zu leiten) (CW 9, S. 305). –Keynes ordnete sich der Liberalen Partei zu.38 Marx unterstützte die Arbeiterparteien. –Keynes forderte, anders als Marx, den „klug“ geleiteten Kapitalismus.39 Der Kapitalismus hat aus seiner Sicht viele Schwächen, jedoch mehr Vor- als Nachteile.40 Marx forderte die Überwindung des Kapitalismus. –Keyneslehnte im Gegensatz zu Marxdie demokratische Wirtschaftsplanung41 ab undglaubte, innerhalb des Kapitalismus mit Hilfe des Staates die große soziale Ungleichheit42 abbauen, die Vollbeschäftigung realisieren und die Unternehmen in „den Dienst des Gemeinwesens“ (AT, S. 318) einspannen zu können.43 –Keynes hatte nach Skidelsky44 die Vision einer harmonischen kapitalistischen Welt, in der Vollbeschäftigung hergestellt und soziale Ungerechtigkeit und makroökonomische Ungleichgewichte beseitigt werden können. Für Marx war diese Denkweise idealistisch und ahistorisch. Wie alle Gesellschaftssysteme ist, wie Marx darlegte, der Kapitalismus eine historische Erscheinung: mit einem Anfang und einem Ende. Marx zeigte auf, dass der Kapitalismusim Zeitablauf aufgrund seiner inneren Widersprüchevon der Bevölkerungsmehrheit abgeschafft und durch eine bessere Gesellschaftsordnung ersetzt werden kann. –Keynes hatte gegenüber dem Sozialismus eine feindselige Haltung.45 Marx dagegen empfahl den Sozialismusals überlegene Kapitalismusalternative.46 Die wesentlichen Ursachen der keynesschen Marx-Kritik sind nach diesen Ausführungen seineelitäre Einkommens- und Interessenslage, sein elitäres Verhalten, sein Staats- und Kapitalismusglaube und seine Demokratie-, Klassenkampf-, Gewerkschafts- und Sozialismusablehnung. 16Keynes (1926b), S. 25. 17Keynes (1926a), S. 99. 18Vgl. Keynes, CW 29, S. 81f.; die Angabe CW 29 benutzte ich für: The Collected Writings of John Maynard Keynes, Bd. 29. 19Vgl. Keynes, CW 28, S. 42. 20Zitiert nach Moggridge (1992), S. 470. 21Vgl. Skidelsky (2010), S. 201, 210, 237, 232, 234. 22Keynes (1925): „Ich mag beeinflusst sein von dem, was mir als Gerechtigkeit und Vernunft erscheint; aber im Klassenkampf stehe ich auf der Seite des gebildeten Bürgertums“ (CW 9, S. 324, übersetzt). 23Das Wort „Eugenik“ (von altgriechisch eu = gut und genos = Geschlecht, wohlgeboren) wurde 1883 von dem britischen Anthropologen...