E-Book, Deutsch, 686 Seiten
Mühlhausen Hessen im 20. Jahrhundert
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8438-0746-3
Verlag: Waldemar Kramer ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine politische Geschichte
E-Book, Deutsch, 686 Seiten
ISBN: 978-3-8438-0746-3
Verlag: Waldemar Kramer ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Es ist ein Pionierwerk, die Geschichte Hessens im 20.?Jahrhundert. Denn Hessen, wie wir es heute kennen, ist erst 1945 entstanden. Ungeachtet der erst später erfolgenden Herausbildung der politischen Einheit ist es legitim, eine Geschichte des Landes vorzulegen, also für einen Raum, der integral zunächst gar nicht existierte. Denn es gab auch vor 1945 Gemeinsamkeiten in den seinerzeit durch politische Grenzen getrennten hessischen Gebieten, die über die Zeit hinwegstrahlten.
Diese Geschichte ist auch eine Geschichte des Ringens um Demokratie. Walter Mühlhausens fundiert recherchierter Überblick, der kein wichtiges Ereignis auslässt, geht kritisch mit unreflektiert übernommenen Mythen der Geschichtsschreibung ins Gericht, präsentiert neue Erkenntnisse und schildert straff die politische Historie aller hessischen Gebiete mit den jeweiligen Unterschieden. Dabei stellt er die Besonderheiten des Raumes heraus, der sich immer durch eine starke demokratische Bewegung auszeichnete. Das Land nach 1945 war anders, wollte als progressiv gesehen werden, als Vorreiter und Vorzeigeland?– »Hessen vorn«. Dem stand das Schlagwort von den »hessischen Verhältnissen« gegenüber, wo Politik stagniert oder gesellschaftliche Irrwege eingeschlagen werden. Hessens Weg zwischen dem Besonderen und der Normalität wird hier ausgewogen präsentiert.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort
Einleitung: Eine Geschichte Hessens im 20. Jahrhundert
1. Von der Jahrhundertwende zur Revolution 1918
1.1. Prolog: Hessen an der Schwelle zum 20. Jahrhundert – eine Bestandsaufnahme
Grundlegendes zu Politik und Territorium
Über politische Kultur und Verfasstheit
Von Wahlen, Wählern und Gewählten
Moderne Zeiten jenseits von Politik
1.2. Zwischen Reform und Verharren – bis zum Ersten Weltkrieg
Von Trägern und Gegnern des Obrigkeitsstaates
Wahlpolitische Kontinuitäten und Diskontinuitäten
1.3. Heimatfront – der lange Schatten des Weltkrieges
August 1914 zwischen Enthusiasmus und Besorgnis
Kriegsalltag: Entbehrung und Vorahnung
Politik zwischen Verharren und Vorwärts
Verspäteter Reformwille
2. Demokratischer Anker in unsicherer Republik (1918–1933)
2.1. Zwischen Neuanfang und Kontinuität
Revolutionäre Morgenröte
Kooperation und Konfrontation
Auftakt in die Demokratie
Von den Frauen in der Republik
2.2. Grundlagen und Belastungen
Territoriale Planspiele
Verfassungsrechtliche Grundlagen
Über die Republik – Anhänger und Widersacher
Außenpolitisches mit Innenwirkung
2.3. Republikanische Bastionen
Standhaftigkeit und Konsequenz
Risse im republikanischen Fundament
2.4. Republik im Überlebenskampf
Vom Aufstieg der Demokratiegegner
Brandbeschleuniger Wirtschaftskrise
Der gelähmte Parlamentarismus
3. Zeiten der Unmenschlichkeit (1933–1945)
3.1. Auf- und Ausbau der Diktatur
Die Zerstörung der Republik
Stationen der Machteroberung
Erste Verfolgungen
Gleichschaltung jenseits der Amtsstuben
Rivalitäten unter Diktatoren
3.2. Ausgrenzung und Rassenwahn
Gegen das »Undeutsche«
Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bürger
Verbrechen gegen Sinti und Roma, Euthanasie-Morde und Verfolgung weiterer
Minderheiten
3.3. Verfolgung und Widerstand Andersdenkender
Repression und Flucht
Von Opposition, Verweigerung und Resistenz
3.4. Kriegsvorbereitungen und Kriegsgesellschaft
Auf dem Weg in den zweiten Krieg
Alltag in der Extremsituation
4. Besatzungszeit und Wiederaufbau (1945–1950)
4.1. Demokratiegründung unter amerikanischem Schutzschirm
Befreiung, Besetzung und Neubeginn
Ein Land, eine Hauptstadt, eine Regierung
Demokratische Organisationen und Reorganisation
Stufen des Demokratieaufbaus
4.2. Weichenstellungen im Zeichen von Kriegsfolgelasten und Weststaatgründung
Notlagen und Hoffnungen
Sühne und Wiedergutmachung
Reformwille und Gegenkräfte
Hessen und der Weg in den Weststaat
5. Das sozialdemokratische Musterland (1951–1969)
5.1. Vom »roten« Hessen
Parteien, Koalitionen und eine Person
»Hessen vorn« – Pragmatismus und Realismus
5.2. Markenzeichen des Modells
Zwischen Landesinteresse und Bundestreue
Reformen von Schule und Dorfleben
Von Integration und Identität
Allgemeines und Besonderes
»68« – Zwischen Fakt und Mystifikation
Das Ende einer Ära
6. Wechselspiele: Normalität und Stabilität (1969–2000)
6.1. Bewegung und Bewegungen – Vom Drei- zum Vierparteiensystem
Veränderte Lebenswelten
Wandlungen von Wählerschaft und Milieus
Konsolidierung und Neujustierung
Eine außerparlamentarische Sammlung und eine neue Partei
6.2. Konstante Inkonstanz zum Ende des Jahrhunderts
Bürgerliches Zwischenspiel
Experimentlose Normalität
Zuspitzungen und Machtkämpfe
6.3. Epilog: Hessen nach der Jahrtausendwende – ein Ausblick mit Rückblick
Tendenzen der Politik im 21. Jahrhundert
Ein kurzer Schluss: Ein Jahrhundert hessischer Geschichte zwischen Besonderheit und Normalität
Anhang
Verzeichnis der Abkürzungen
Literaturverzeichnis
Bildnachweis
Ortsregister
Personenregister
Einleitung:
Eine Geschichte Hessens im 20. Jahrhundert
»Es ist keine Frage: der Hesse von heute hat ein Staatsbewusstsein. Es ist ein Staatsbewusstsein, das aus dem Zusammenschluss der Waldecker, der Kurhessen, der Nassauer, der Darmstädter Hessen und der Bürger der freien Reichsstadt Frankfurt entstand und vom Geiste der Toleranz, der Geistesfreiheit und des Bürgerstolzes getragen wurde. Toleranz, Geistesfreiheit und Bürgerstolz sind die Charaktermerkmale der Hessen. Sie haben sie immer wieder unter Beweis gestellt, angefangen von der Aufnahme der wegen ihres Glaubens verfolgten und außer Landes gewiesenen Hugenotten bis zur Eingliederung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge in unseren Tagen.«1 Mit diesen Worten auf dem ersten Hessentag am 2. Juli 1961 in Alsfeld umriss Ministerpräsident Georg August Zinn (SPD) das sich nach dem Zweiten Weltkrieg insgesamt doch herausbildende gesamt-hessische Bewusstsein, obwohl das Land erst am 19. September 1945 durch einen Verwaltungsakt der Amerikaner gebildet worden war. Dabei verliefen Gründung und Festigung des neuen Landes ohne Spannungen zwischen den Regionen, die eben keine gemeinsame politische Geschichte hatten. Unterschiedliche landsmannschaftliche Traditionen flossen ineinander, die so fremd sich nicht waren, sieht man einmal von dem großen Kontingent an Neubürgern ab, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge von Flucht und Vertreibung in die hessischen Lande strömten und in einem langwierigen, mitunter schmerzvollen Prozess ein neues Zuhause fanden. Gleichwohl, so analysierte die Wochenzeitung Die Zeit 20 Jahre nach der Premiere des Hessentags, sei das hessische Staatsbewusstsein ein »Konglomerat historisch und konfessionell unterschiedlich geprägter Teile«. Historische Traditionen und regionale Identitäten erweisen sich als fest implementiert. So schreibt die Zeit weiter: »Da gibt es nicht nur Nord- und Südhessen.«2 Also entwickelte sich etwas »Gesamthessisches« nur ganz allmählich. Obwohl letztlich die Amerikaner die Geburtshelfer des heutigen Hessen waren, so standen doch die Hessen als Eltern und Paten an der Wiege des neuen Landes, dessen nach dem Krieg zusammengefügte Territorien gemeinsame historische Traditions- und Entwicklungslinien vorweisen konnten, sodass der Zusammenschluss von 1945 in gewisser Weise zu Formen eines Zusammengehörigkeitsgefühls führte, trotz unterschiedlicher historischer Wurzeln und unterschiedlicher Identitäten der Räume. Dabei existiert ein »Historikerstreit« en miniature, ob Hessens Gründung im ersten Nachkriegsjahr eine künstliche Schöpfung der amerikanischen Sieger, ja gar ein »ahistorischer Willkürakt einer landesunkundigen Besatzungsmacht« oder im Gegenteil die »nachvollziehbare Vollendung einer historischen Tradition« gewesen sei.3 Hier nur so viel: »Separatistische« oder sich dem Gesamthessischen vehement verweigernde Bewegungen kamen nicht auf, auch wenn das Land eine Zusammenfügung unterschiedlicher Territorien war und dabei noch um wesentliche Teile (das volksstaatliche Rheinhessen und vier nassauische Kreise) beschnitten wurde. Aber: Keineswegs erweist »sich die moderne Forschung einig, dass es sich dabei um eine ›Kunstschöpfung der amerikanischen Besatzungsmacht handelte‹«, wie 2010 konstatiert wurde.4 Ungeachtet der erst später erfolgenden Herausbildung der politischen Einheit Hessen ist es legitim, eine Geschichte Hessens für das 20. Jahrhundert vorzulegen, die den territorialen Rahmen des heutigen Landes als Betrachtungsgegenstand nimmt. Es gab auch vor 1945 Gemeinsamkeiten und Verbindungslinien in den seinerzeit durch politische Grenzen getrennten hessischen Gebieten. So handelt es sich bei der vorliegenden Darstellung also um eine Geschichte eines Raumes, der als Einheit zunächst gar nicht existierte. Bislang wurden immer die unterschiedlichen Territorien einzeln behandelt. Karl E. Demandt tut dies in seiner großen Geschichte Hessens5 wie auch Uwe Schultz und Walter Heinemeyer in ihren Sammelbänden der 1980er-Jahre.6 Auch das umfassende Projekt »Handbuch der hessischen Geschichte« bringt zum Auftakt neben den bis 1945 reichenden weiten Überblicken zur preußischen Provinz Hessen-Nassau und zum Großherzogtum bzw. Volksstaat Hessen – im Folgenden wird beides zur Verdeutlichung zumeist mit dem Zusatz (-Darmstadt) versehen – auch ein eigenes Kapitel über Waldeck bis zum eigenstaatlichen Ende 1929.7 Man wird also zunächst nicht von der hessischen Politik sprechen können, zumindest nicht bis zum Jahr 1933, als mit der nationalsozialistischen Diktatur über Zentralisierung und Gleichschaltung Nivellierungen spürbar wurden, welche die politischen Unterschiede verwischten.8 In der Fortsetzung des Handbuches der hessischen Geschichte von 2010 wird nunmehr – jedenfalls da, wo es sich anbietet und es möglich ist – die gesamthessische Perspektive eingenommen.9 Dieser Blick auf das Hessen in seinen 1945 festgelegten Grenzen liegt auch hier zugrunde. »Hessen« bezieht sich also folglich auf das Land in seinem heutigen Staatsgebiet, was freilich nicht stringent eingehalten werden kann. Das Gemeinsame und das Verschiedenartige der Territorien wird beschrieben, ohne dass eine künstliche Vereinheitlichung kreiert wird.10 Es geht eben um die Einheit aus der Vielfalt – um den Titel einer 1990 begründeten kleinen Reihe der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung aufzugreifen –, aber auch um die Vielfalt vor der Einheit.11 Dennoch gilt: Es ist nicht die Geschichte des heutigen Landes im 20. Jahrhundert, sondern es ist eine Geschichte Hessens über diese Zeitspanne, denn auf rund 650 Seiten kann der politische Weg nicht in aller Breite aufgezeichnet werden, zumal der Historiker immer eine individuelle Sicht auf die Ereignisse hat. Mathematische Eindeutigkeit gehört nicht zu den Kennzeichen der Geschichtswissenschaft. Ewige historische Wahrheiten jenseits des bloßen Faktischen gibt es nicht; Kenntnisstand und Blickwinkel der Betrachtung verändern sich. Gleichwohl bemüht sich eine historische Darstellung, mit der ihr eigenen Interpretation von Vergangenheit(en) der tatsächlichen Entwicklung möglichst nahe zu kommen. Das geschieht hier in unterschiedlicher Dichte. So fällt das Kapitel 1945 bis 1950 im Vergleich zu den zeitlich längeren anderen Perioden naturgemäß ausführlicher aus, wurde doch in dieser Periode der Grundstein für eine dauerhafte Demokratie gelegt, und zwar in einer Zeit der Trümmer, nicht nur in (städte-)baulicher Hinsicht, sondern auch in politischer, wirtschaftlicher, sozialer, gesellschaftlicher und mentaler. Umso mehr bedarf es der ausführlichen Schilderung, warum auf diesen Trümmern die Pfeiler für eine stabile und seit mehr als einem Dreivierteljahrhundert funktionierende Demokratie errichtet werden konnten. Die Betrachtung der 14 Jahre der ersten Republik ist im Vergleich zu jener der nachfolgenden zwölfjährigen Diktatur signifikant umfangreicher. Das liegt zum einen daran, dass der hessische Raum in der nationalsozialistischen Zeit die weitgehend gleichen Entwicklungen wie die in den anderen größeren Verwaltungseinheiten jenseits des Hessischen durchlief, zum anderen, und dies ganz entscheidend, weil in der Terrorherrschaft die wesentlichen Elemente von demokratischer Politik fehlten: Wahlen und Wahlkämpfe, Parteien und Interessengruppen, Kompromiss und Konfrontation im Parlamentarismus auf der Basis des Volkswillens. Dagegen verlangt die Betrachtung der Diktatur eine eingehende Analyse von Leben und Lebensverhältnissen, vor allem des Unmenschlichen, das sich im Hessischen wie andernorts auch manifestierte. Periphere Einzelaspekte wie etwa die Zuwanderung werden nicht der Zeit entsprechend in den chronologisch geordneten Großkapiteln zu finden sein, sondern dort in Gänze abgehandelt, wo sie erstmals in Erscheinung treten, um dann bis zum Ende unseres Betrachtungszeitraums beschrieben zu werden. Andererseits werden immer wieder auftauchende Themen wie die Stellung der Frau und Frauenpolitik auch über den Zeitrahmen des Einzelkapitels hinaus bis hin zu einer Zäsur dargelegt. Und je mehr wir uns dem Jahr 2000 nähern, desto dünner in Aussage und Analyse wird die Darstellung, denn die Zahl der historischen Studien, auf die zurückgegriffen werden kann, ist wesentlich geringer als für die davorliegenden Zeiträume. Neben dem Mangel an diesbezüglicher Literatur spielt natürlich auch die begrenzte Verfügbarkeit von Quellen eine Rolle. Diese unterliegen teils noch der Sperrfrist und dürfen weder eingesehen noch publik gemacht werden. Dort, wo die Quellen noch unter Verschluss liegen, übt sich der Historiker in vorsichtiger Zurückhaltung. Das gilt auch für diesen Band und erklärt den doch eher kursorischen Blick auf die Endzeit des 20. Jahrhunderts – und darüber hinaus. Zudem waren die Entwicklungen in den Krisenzeiten etwa in der ersten Republik viel dramatischer und stärker von Wendungen geprägt als in den doch eher geruhsamen bundesrepublikanischen...