Roman
E-Book, Deutsch, 640 Seiten
ISBN: 978-3-641-16024-1
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michael Mortimer ist das Pseudonym der beiden erfolgreichen schwedischen Autoren Daniel Sjölin und Jerker Virdborg.Daniel Sjölin, Jahrgang 1972, veröffentlichte seinen Debütroman 2002. Im Jahr 2007 wurde er für »Världens sista roman« mit dem renommierten August Preis ausgezeichnet. Er arbeitet auch als Literaturkritiker und war viele Jahre Moderator der literarischen TV-Sendung »Babel«.Jerker Virdborg, Jahrgang 1971, veröffentlichte 2001 sein erstes Buch, einen Band mit Erzählungen, in 2002 gelang ihm der Durchbruch mit seinem Roman »Svart krabba«. Neben seiner Arbeit als Schriftsteller ist Virborg auch als Kulturjournalist tätig. Bei btb erschien 2010 sein Roman »Felsland«.
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Capitol Records Tower, Hollywood, Los Angeles,
den 17. November 1990 Es war ein heißer Morgen. Sämtliche Intarsienstücke des großen Eames-Schreibtischs erstrahlten im Licht der gleißenden Sonne, die zwischen den breiten Streifen der dunkelbraunen Lamellenrollos hindurchdrang. Im Ledersessel hinter dem Tisch saß der Geschäftsführer Joe Smith und rauchte eine Lucky Strike. Auf der anderen Seite in einem Lounge-Chair hatte sich Eliot Weisman niedergelassen. »Ich muss mich entschuldigen. Es war vielleicht ein bisschen zu früh für ihn«, sagte Eliot. »Ist inzwischen nicht alles ein bisschen zu früh für ihn?«, erwiderte Joe und klopfte die Asche von der Zigarette. »Oder besser gesagt: Ist nicht alles ein bisschen zu spät?« Vom Hollywood Boulevard und der Vine Street drang das entfernte Brummen des dichten Autoverkehrs zu ihnen in die zwölfte Etage herauf. Eliot sah auf die Uhr. Es war schon zwanzig nach neun. Joe mit seinem schmalen Schnurrbart und dem Kinnbärtchen beugte sich vor und drückte auf einen Knopf der Gegensprechanlage. »Können Sie uns bitte noch etwas Kaffee und Mineralwasser bringen?« Die Stimme der Sekretärin knisterte im Lautsprecher. »Natürlich, Sir.« Es wurde wieder still. Eliot wollte eben etwas sagen, als die Anlage erneut piepte und die Stimme der Sekretärin zu hören war: »Mr Sinatra ist jetzt hier.« Joe summte zufrieden. »Endlich … Schicken Sie ihn rein.« Die Tür ging auf. »Frank! Wie schön, Sie zu sehen!« Joe ging auf Sinatra zu und gab ihm die Hand, während die Sekretärin mit einem kleinen Metalltablett hereinkam, auf dem Tassen und eine verchromte Thermoskanne standen. Eliot stand auf und klopfte Frank auf den Rücken. Das Toupet saß ein wenig schief, aber er sah sonnengebräunt und frisch aus. Und roch nach Alkohol. »Wie geht es Ihnen?« »Danke der Nachfrage – gut!« Sinatra zeigte auf Eliot und sagte lächelnd zu Joe: »Eliot Weisman, der beste Manager der Welt – nur dass Sie es wissen!« Eliot lächelte und räusperte sich. Die Sekretärin stellte die Kaffeetassen auf das Sideboard, und Joe bedeutete Frank, sich in den Sessel neben Eliot zu setzen. Eine Weile sprachen sie unverbindlich übers Wetter und darüber, wie wichtig es sei, eine gute Klimaanlage im Büro zu haben. So machten sie weiter, bis die Sekretärin wieder verschwunden war. »Tja, wie gesagt«, begann Eliot nun in etwas formellerem Tonfall und versuchte, Sinatras Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, »Joe und ich haben also hier zusammengesessen – Sie kennen Joe ja –, und wir haben uns, bis Sie gekommen sind, ein bisschen unterhalten. Und da haben wir eine richtig gute Idee ausgeheckt, wie wir finden.« »Ach ja?«, fragte Sinatra und lachte kurz auf, während er sich umdrehte, als würde er hinter seinem Sessel nach etwas Bestimmtem suchen. »Und zwar?« »Also …« Eliot lächelte Joe kurz zu. »Wir sind der Ansicht, man könnte für Ihre nächste Platte … ein paar gute Künstler einladen, die jeder mal …« Eliot machte eine Kunstpause. »Von denen jeder ein Duett mit Ihnen einspielen darf. Es könnten die altbekannten Songs sein, ›The lady is a tramp‹ oder ›I’ve got you under my skin‹ oder ›Fly me to the moon‹, vielleicht aber auch ein paar weniger bekannte, und dann könnten wir eine ganze Platte mit …« »Moment«, fiel Sinatra ihm ins Wort und warf einen Blick auf seine goldene Gruen-Uhr. »Wie spät ist es jetzt in New York?« Eliot hielt inne und sah hinüber auf die Uhren an der Wand, neben denen auch diverse große gerahmte Porträts von Billie Holiday, Miles Davis und Nat King Cole hingen, dazu Goldene Schallplatten mit MC Hammer und Ice Cube. »Gegen halb vier.« »Ach, verdammt«, knurrte Sinatra und stand wieder auf. »Könnten Sie schnell eine Verbindung zu dieser Nummer hier herstellen?« Er gab Joe eine Visitenkarte. Joe seufzte unmerklich und gab der Sekretärin über die Gegensprechanlage die entsprechende Anweisung, während er zu Eliot hinüberschielte. »Und könnten Sie mir auch gleich noch einen doppelten Wodka bestellen? Mit Eis?«, fragte Frank und blickte mit zusammengekniffenen Augen durch die Lamellen am Fenster. »Ich muss da an einer Sache in New York dranbleiben. An einer Auktion.« Eliot warf Joe einen Blick zu und zuckte mit den Schultern, dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück. Es blieb ein paar Sekunden still. Die Sekretärin kam mit einem Glas, das bis zum Rand mit Eiswürfeln und Wodka gefüllt war. »Die Leitung nach New York steht«, sagte sie, ehe sie die Tür wieder hinter sich zumachte. »Perfekt«, verkündete Sinatra und versuchte, den Sessel näher an den Tisch zu ziehen. »Nein, nein«, rief Joe und sprang auf. »Hier, nehmen Sie meinen Platz!« Sinatra lächelte, und nachdem Joe eine weitere höfliche Geste vollführt hatte, setzte Frank sich auf dessen Schreibtischsessel und nahm den Hörer ab. »Hallo, Donald? … Wie geht es dir? … Ja, genau …« Sinatra warf Eliot und Joe einen kurzen Blick zu, sprach aber weiter. »Ja, ja … natürlich … Aber wie steht es denn nun mit dieser Auktion?« Es blieb eine Weile still, während am anderen Ende der Leitung Donald etwas erläuterte. »Gut … Es ist also noch nicht alles verkauft? … Nein, gut! Schön zu hören … Nein … Nein, diese Keramiksachen will ich nicht … Nein, die will ich wirklich nicht haben. Zu viele Farben, und all der Mist … Nein, nein … Jawlensky nicht … und Renoir auch nicht … Nein … Ich will nur diese Steingeschichte haben.« Frank hielt die Hand über die Muschel, nahm einen großen Schluck und flüsterte Joe zu: »Es sind nur noch zwei Aufrufe … Dann ist das Ding dran … Was für ein Dusel … dass ich ausgerechnet jetzt angerufen habe!« Sinatra ließ die Hand wieder sinken. Anscheinend sagte Donald etwas. »Verstehe«, erwiderte Sinatra im selben Tonfall wie schon zuvor. »Ich warte.« Es wurde still. Irgendwann fing Eliot Franks Blick auf. »Frank, könnten wir möglicherweise so lange … weitermachen?« »Ja, natürlich.« Joe streckte sich nach seiner Tasse und nahm einen Schluck Kaffee. »Tja, wie gesagt«, begann Eliot erneut, »unsere Idee war also … für Ihre nächste Platte mehrere bekannte Künstler einzuladen. Daraus könnten ein paar wirklich magische Duette werden …« »Wir dachten an Aretha Franklin«, ergänzte Joe, »und an Anita Baker. An Luciano Pavarotti. An Julio Iglesias. An Bono von U2. Wir haben sogar schon einen Vorschlag, wie das Ganze heißen könnte, und zwar ganz einfach … ›Duets‹.« Frank Sinatra saß reglos da, und es schien, als würde er ihnen zuhören, auch wenn er sich immer noch den Telefonhörer ans Ohr hielt. »Auch für die Einspielung selbst würden wir ein starkes Team zusammenkriegen«, sagte Eliot. »Ich würde sagen, Phil Ramone würde einen richtig guten Job als Produzent machen.« »Und dann könnten wir auch noch Don Rubin fragen«, fügte Joe hinzu, »und Al Schmitt …« »Psst!«, zischte Sinatra und drückte den Hörer fest ans Ohr. »Was, Donald?« Er hielt die linke Hand vor sich ausgestreckt, wie um klarzustellen, dass jetzt niemand im Raum sprechen durfte. »Wie … Ist es jetzt so weit? Was ist das Startgebot? … Okay, mach dich bereit!« Frank lächelte Joe kurz zu, nahm noch einen großen Schluck von seinem Wodka und flüsterte: »Ihr müsst wissen, das ist wirklich eine ganz besondere Sache, die da verkauft wird, okay … Es ist so eine Art … Tja, wie soll ich sagen … Gesundheitsstein … ein … Wie?« Er hob wieder die Stimme, und sein Blick war mit einem Mal konzentriert. »Mitgehen!«, rief er in den Hörer. »Mitgehen … Ja, ja, geh einfach drüber … Nein, geh drüber, immer wieder! No limit!« Kurze Pause. »Wo steht es jetzt? … Ja, dann biete neun! Immer noch ein anderer, der … Verdammt noch mal … Okay, ich warte.« Er sah Eliot an, lächelte dann Joe zu und flüsterte: »Ihr werdet es nicht glauben, Jungs … Aber das ist vielleicht eine Auktion … und zwar mit Sachen von – Greta Garbo! In genau diesem Moment werden ihre Sachen in New York versteigert.« Eliot wechselte einen Blick mit Joe, der einen leisen Pfiff von sich gab. »Aber es ist doch bald vorbei, oder?«, fragte Eliot vorsichtig. »Still!«, unterbrach ihn Frank barsch und sprach wieder in den Hörer. »Ja, ja … Geh drüber, Donald! Biete so viel, wie du brauchst!« Inzwischen war sogar Donalds Stimme aus dem Telefonhörer zu hören. »Ja!«, rief Sinatra. »Ja, ja, natürlich! Biet mit! … Ja, ich bin mir sicher. No limit! Ich will das Ding haben, so einfach ist das.« Erneut hielt Frank den linken Arm abwehrend in die Luft, und Eliot sah nur mehr, wie in dem anderen Sessel Joe seine Zigarette ausdrückte und sich mit einem Seufzer eine neue anzündete. Sinatra presste sich immer noch den Hörer ans Ohr und gab, während er die Gebote verfolgte, gepresste, kehlige Laute von sich. »Ja … Jaa … ah … aha …« Dann sprang er plötzlich auf, donnerte die Faust auf den Tisch, das Glas fiel um, Wodka lief über die Tischkante, und die runden Eiswürfel rutschten über den Tisch und auf die rote Auslegeware. »Ich hab ihn!«, rief er und lachte. »Ich hab gewonnen! Ist das nicht fantastisch? Ich hab den Stein von Greta Garbo ersteigert! Achtzehntausendfünfhundert Dollar! Was sagt ihr dazu? Na?« Er machte ein paar ausladende Schritte...