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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Moorstedt Wir schlechten guten Väter

Warum Männer sich erfolgreich gegen Familienarbeit wehren – und warum wir das dringend ändern müssen

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-8321-7133-9
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es ist wahnsinnig einfach, für seine Vatertugenden gelobt zu werden. Vom Gemüsehändler bis zur Schwiegermutter scheinen alle beeindruckt zu sein, wenn Tobias Moorstedt Zeit mit seinen Kindern verbringt oder sogar die kleine Tochter trösten kann. Aber das positive Feedback spiegelt die eklatant niedrigen Erwartungen an Väter wider, denn Frauen leisten immer noch viel mehr Care-Arbeit als Männer. Jeden Tag.
Selbstkritisch und ehrlich erzählt Tobias Moorstedt, was ihn und andere Männer davon abhält. Und plötzlich wird sichtbar, dass nicht nur Frauen unter der Unvereinbarkeit von Familie und Karriere leiden und wie schwer es auch für Männer ist, den Fesseln des Patriarchats zu entkommen. Der Autor kombiniert aktuelle wissen- schaftliche Erkenntnisse mit einer exklusiven Studie über die Vater- perspektive auf ›Mental Load‹. Seine Analyse umfasst die Berichte von ganz unterschiedlichen Männern sowie seine eigenen Erfahrungen als Vater zweier Kinder.
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INTRO PLÖTZLICH PATRIARCH Es war der 14. März 2020, und eine schlechte Nachricht folgte der anderen: Die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Menschen in Deutschland verdoppelte sich alle zwei, drei Tage. Der DAX war in nur einer Woche auf ein Rekordtief gefallen. In Italien und Spanien spielten sich Szenen in den Krankenhäusern ab, die an Katastrophenfilme erinnerten. Und der Blick nach Südeuropa schien auch ein Blick in unsere eigene düstere Zukunft zu sein, die Dinge bereithielt, die wir nur aus den Erzählungen der Großeltern kannten: leere Regale in den Supermärkten, Menschen, für die kein Platz in der Klinik ist, Dutzende Särge auf Militärtransportern. So richtig Angst machte den Menschen dann aber folgende Nachricht: An diesem Märztag schlossen in Bayern alle Schulen und Kindertagesstätten, »ebenso alle Privatschulen, Berufsschulen, die Kindertagespflege und heilpädagogische Einrichtungen«. Weitere Bundesländer folgten schnell. Die Süddeutsche Zeitung beschrieb schon einige Tage vor Beginn des Lockdowns die Angst vor dem Lagerkoller. Die Kita-Schließung erregte die Menschen mehr als die Frage nach der realen Sterbefallrate des Coronavirus oder jene, ob es genug Beatmungsgeräte gibt oder wie es mit dem Datenschutz der Corona-Tracing-App aussieht. »Skandal«, zitierte die Zeitung fassungslose Eltern. Und: »Was mache ich mit der Langsamkeit, mit der Leere?« Und: Wie solle man die Kinder fünf Wochen lang bespaßen, ohne dass sie »nur am Handy, Fernseher, der Playstation hängen?«2 Die Politik hatte keine Lösung parat: »Es wird auch ein bisschen ruckeln in den ersten Tagen«, meinte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und lieferte somit ein Preview auf den Grad an Empathie, mit der die Alte-weiße-Männer-Gremien plus Quotenkanzlerin der Frage nach Kita- und Schulschließungen in den folgenden Monaten der Pandemie begegnen sollten. An jenem 14. März 2020, ich weiß es genau, habe ich noch gelacht, als ich den Lagerkoller-Warnartikel las. Und das, obwohl auch die Kita meiner dreijährigen Tochter geschlossen war und sich meine Familie nach einer Tirol-Reise in Selbstisolation auf achtzig Quadratmetern im dunklen Spätwinter befand. Ich habe über die Untergangsstimmung vor dem Untergang gelacht, genau wie über all die ›Was wir von Corona lernen können‹-Erörterungen, die bereits zu dieser Zeit erschienen, weil mich störte, dass die Menschen sich als Überlebende einer Naturkatastrophe stilisierten, bevor die Viruswelle überhaupt die Alpen überschwemmt hatte. »Wir werden diese Erfahrung wohl leider erst mal machen müssen. Die Moral kommt am Ende der Geschichte«, schrieb ich neunmalklug auf Twitter.3 Ich war naiv und überhaupt einer dieser unerträglich lässigen Typen, die auf Social Media teilten, dass Isaac Newton und William Shakespeare während der Pestepidemien im 17. Jahrhundert ja einige ihrer besten Arbeiten abgeliefert hätten (und dabei vergaßen, dass Newton ein kinderloser Junggeselle war und Shakespeare seine Familie weit weg vom Londoner Theaterleben in Stratford-upon-Avon geparkt hatte). Vielleicht konnte ich aber nur entspannt auf die Situation blicken, weil wir zu Beginn der Pandemie noch zehn Monate Elternzeit auf dem Konto hatten und ich als selbstständiger Wissensarbeiter maximal flexibel arbeiten kann. Vielleicht habe ich aber auch nur unterschätzt, wie katastrophal die Lage schon vor der Katastrophe war. Neue alte Normalität Zu Beginn des Lockdowns arbeitete ich nur wenige Stunden am Tag und fand es sehr lustig, wenn die Kinder meiner Geschäftspartner während des Videocalls auf dem Bildschirm auftauchten wie Figuren im Kasperletheater. Und ich testete, ob ich ein Konzept schreiben kann, während meine damals dreijährige Tochter auf meinen Schultern sitzt und unseren selbst komponierten Smash-Hit ›Alle meine Mäuse‹ trällert. Bald sagte ich aber immer öfter zu ihr: »Gehst du bitte zu Mama ins Wohnzimmer?« Irgendwann hatte die Dreijährige verstanden und fragte nun: »Musst du jetzt LEIDER arbeiten?« Das Wort ›leider‹ war fortan mit dem Moment verbunden, in dem ihr Vater sich an den Küchentisch und vor den Computer setzt und sich die Tür unaufhaltsam schließt. Leider. Was will man machen. Ist halt so. Im Sommer 2020 arbeitete ich dann längst wieder acht bis zehn Stunden am Tag im Büro. Unsere Dreijährige durfte ihre Kita-Freunde nur zweimal in der Woche sehen. Die Eingewöhnung der Einjährigen wurde erst einmal auf ein unbestimmtes Datum verschoben. Meine Frau, Dr. med. mit Intensiverfahrung, hatte die Jobsuche nach der Elternzeit vorübergehend eingestellt, »bis sich die Lage klärt«. Für mich lief es super. An die Videokonferenzen hatte ich mich schnell gewöhnt. Und wenn ich zwischen 17 und 18 Uhr aus meinem so gut wie verlassenen Co-Working-Space nach Hause kam, rannte meine Tochter mir in die Arme und schrie: »Papa!« Wie ich bei meinem Vater, und er vermutlich bei seinem Vater und so weiter. Plötzlich war ich das Patriarchat. »Die Pandemie ist wie eine Lupe, die alles in einer Beziehung vergrößert, das es vor der Pandemie schon gab. Das Gute wie das Schlechte«, sagte die New Yorker Familientherapeutin Esther Perel, die für ihren Podcast ›Where Should We Begin?‹ bekannt ist.4 Der Soziologe Armin Nassehi meinte: »Die Corona-Krise wird für die Familien genauso ein Stresstest werden wie für den Staat und die Unternehmen.«5 Unter der Corona-Lupe war für mich dann endgültig nicht mehr zu übersehen, dass mein Anspruch an mich selbst sowie der Vorsatz, den ich gemeinsam mit meiner Frau gefasst hatte, gleichberechtigte und -wertige Eltern zu sein, nach drei Jahren und zwei Kindern und einer Pandemie ziemlich wankten. Als sogenannter moderner Vater bekomme ich zwar viel positives Feedback dafür, dass ich »Zeit mit den Kindern verbringe«. Eine gute Freundin lobte mich einmal explizit vor ihrem Mann, weil ich bei einem Playdate die Laufsocken meiner Tochter nicht vergessen hatte. Das Familienministerium berichtet im ›Väterreport 2018‹ von einem starken Wandel.6 Aber ist das wirklich so? Kann ich stolz sein auf das positive Feedback, oder sind die Erwartungen der Frauen und der Gesellschaft nur so niedrig? Ich bringe meine Tochter zur Kita und hole sie meist sechs Stunden später wieder ab, gehe aber trotzdem öfter zum Sport als meine Frau zur Rückbildungsgymnastik. Ich komme zum Social-Distancing-Kindergeburtstag auf dem Spielplatz (zwanzig Minuten zu spät), in den Familien-Google-Kalender eingetragen hat es meine Frau. Sie macht auch wie selbstverständlich die Kinderarzttermine aus und organisiert Playdates mit anderen Kita-Kindern. Und wenn ich von ihrer oder meiner Mutter für mein Engagement gelobt werde, stöhnt sie entnervt auf. Weil sie nicht zu Unrecht das Gefühl hat, ein Großteil der Verantwortung und Planung liege implizit bei ihr – der Fachbegriff in der Geschlechtergerechtigkeitsdebatte dafür heißt ›Mental Load‹ –, und sie hat als Ärztin einen anspruchsvolleren und anstrengenderen Beruf als ich. Mit dieser Situation sind wir nicht allein: Obwohl es 60 Prozent der Eltern mit Kindern unter drei Jahren bevorzugen würden, wenn beide Partner gleich viel Zeit in Familie und Karriere investieren, setzen laut des ›Väterreports‹ nur 14 Prozent ein solches partnerschaftliches Modell um.7 Und diese Studie wurde vor der Pandemie gemacht. Ein Rückschritt in die Zukunft? »Eine der eindrücklichsten Folgen des Virus wird sein, dass viele Paare zurück in die 1950er-Jahre gebeamt werden«, schrieb Helen Lewis im Frühjahr 2020 in der Zeitschrift The Atlantic.8 Zwar haben Männer eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, an dem neuartigen Coronavirus zu versterben,9 der Erreger infiziert und zersetzt aber auch das Lebensmodell, das sich viele moderne Paare in den wohlhabenden Ländern in den vergangenen zwanzig Jahren aufgebaut haben: Weil sie Kinder in Betreuungseinrichtungen oder abends an Babysitter abgeben, können beide arbeiten und abends zum Sport oder ins Kino gehen oder womöglich sogar einen ruhigen oder wilden gemeinsamen Moment im Kerzenlicht und mit Champagnerprickeln erleben. Wenn die Kitas aber für mehrere Monate schließen, müssen sich diese Paare entscheiden, wer seine Arbeit reduzieren muss. Und weil in Deutschland knapp 73 Prozent der Mütter von Kindern unter sechs Jahren in Teilzeit arbeiten, aber nur 7 Prozent der Väter,10 stecken vor allem die Frauen zurück und kümmern sich um Kleinkinderbetreuung und Homeschooling, während der Mann in die alte Rolle als Ernährer zurückfällt. Bereits nach wenigen Wochen stellten Forscher:innen des Wissenschaftszentrums Berlin in der Studie ›Erwerbsarbeit in Zeiten von Corona‹ fest, dass Mütter weit »stärker von Arbeitszeitanpassungen betroffen sind als Väter: Sie haben im Vergleich zu Vätern eine um 6 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit, weiterhin im üblichen Stundenumfang zu arbeiten, und eine um 4 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, gar nicht zu arbeiten.«11 Eine enorme »Retraditionalisierung« beobachtete auch die Soziologin Jutta Allmendinger vom Wissenschaftszentrum Berlin: »Die Infrastruktur fällt also weg, die Politik legt keinen großen Wert auf Familien in den ersten Wochen, und schwuppdiwupp sind die traditionellen Geschlechterschemata und Stereotypisierungen plötzlich wieder da.«12 Und schwuppdiwupp: Da sind wir. Auf einer pragmatischen Ebene machte es in den Pandemiejahren 2020 und...


Moorstedt, Tobias
Tobias Moorstedt, geboren 1977, ist Journalist und Autor. Er hat die Redaktionsagentur Nansen & Piccard mitgegründet und leitet heute deren Hamburger Büro. Moorstedt besuchte die Deutsche Journalistenschule und studierte Politik, Soziologie und Literaturwissenschaft in München und New York. Regelmäßig schreibt er für verschiedene renommierte Medien und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht. Heute lebt er mit seiner Familie in Kronberg, Taunus.


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